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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

885–890

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Görg, Manfred, u. Bernhard Lang [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Neues Bibel-Lexikon.

Verlag:

Lfg. 12: Qudschu-Satan. Zürich-Düsseldorf: Benzinger 1998. Sp. 225-448. 4. Kart. DM 39,80. ISBN 3-545-23063-5.

Rezensent:

Rainer Stahl

Selbstverständlich kann mit dieser Rezension nur auf ausgewählte Artikel der Lieferung 12 des Neuen Bibel-Lexikons hingewiesen werden. Um der bedeutenden Qualität der Arbeiten willen, stellt die notwendige Auswahl durchaus ein eigenständiges Problem dar.

Den Abschluß des Buchstaben Q bildet der fundierte Artikel zu "Qumran" aus der Feder von H.-J. Fabry (230-260): Trotz bestehender Unsicherheiten wird die Verbindung der gefundenen Schriftrollen mit den archäologischen Überresten von Qumran festgehalten (230-231). Die Qumrangemeinschaft wird als essenische verstanden ("... eine essenische Gruppe strenger Observanz ... eine primär priesterlich orientierte Gruppe, die sich für die Übernahme des rechtmäßigen Tempeldienstes in Jerusalem bereit hielt" - 233) und ihre Geschichte kurz skizziert (231-233). Sodann listet der Verfasser die gefundenen Schriftrollen auf und diskutiert sie eingehend (233-247). Folgende Kategorien sind wichtig: biblische Texte (236), Kommentarliteratur (236-238), Regelwerke wie die Tempelrolle, die Gemeinschaftsordnung, die Damaskusschrift (vgl. NBL I, 1991, 381 f.), der Brief zur Tora-Ausführung (4QMMT), die Kriegsregel und das "Buch der Erklärungen" (238-243), weisheitliche und poetische Werke wie z. B. die Loblieder (243 ff.), liturgische Texte wie die Psalmenrolle, die Sabbatopferlieder (245 f.), Kalenderschriften (246 f.). Hier hebe ich hervor, daß für die Psalmenrolle aus Höhle 11 auch die These dokumentiert wird, daß sie auf einen eigenständigen Psalmenkanon in Qumran hinweise, Qumran also zeige, daß der Psalmenkanon noch im Werden begriffen war (so von mir vor vielen Jahren erwogen: Die Überlieferungsgeschichte des hebräischen Bibeltextes als Problem der Textkritik, masch. Jena 1978). Dazu ist der Abschnitt zur Bedeutung der Qumranschriften für die Textkritik und Kanontheologie des AT beizuziehen (251-253). Dort bestätigt der Verfasser meine alte These, "daß in Q. die masoretische Texttradition zwar gut bezeugt war, ihr aber noch keine eindeutige Präponderanz zugesprochen wurde" (252). Vorher hatte er eingehend die "Theologie der Gemeinde" dargestellt (247-251). Er beschließt seinen Aufsatz mit Skizzen zur "Bedeutung für das Verständnis des Judentums" (253-255) und "für das Verständnis des frühen Christentums" (255 f.). Dieser Artikel bietet wegen der hervorragenden Zusammenfassung des aktuellen Kenntnisstandes und der wohl begründeten Schlußfolgerungen, die er liefert, einen großartigen Einstieg in die Fragestellungen zu Qumran. Allen reißerischen Versuchen der letzten Jahre, denen sich sogar mancher seriöser Verlag nicht verschließen konnte, ist hiermit eine verantwortungsbewußte Darstellung entgegengestellt worden.

B. Lang hat den Artikel "Rabbinische Literatur und NT" (262-268) vorgelegt. Im Rahmen der "Forschungsgeschichte" (262-264) wird die Einordnung Jesu in das zeitgenössische Judentum und die Übersetzung des NT in das Hebräische diskutiert. Unter der Überschrift "Erträge und Grenzen der Forschung" (264-267) wird noch einmal auf die Jesusforschung und dann auf die Paulusforschung eingegangen. Offensichtlich sah sich der Verfasser durch seinen forschungsgeschichtlichen Ansatz zu dieser merkwürdigen Gliederung, die die interessanten Inhalte erst in Unterabschnitten zuließ, gezwungen. So wird unter "Paulusforschung" eine in ihrer Knappheit und Präzision gute Einführung in die rabbinischen Auslegungsmethoden gegeben (266 f.). Der Abschnitt "Jesusforschung" liefert wichtige Aspekte zum Selbstverständnis Jesu, zu seiner Reich-Gottes-Predigt, zu seiner Sabbat-Auffassung (aber ohne Hinweis auf den Artikel "Sabbat", u. 388-394 vom selben Verfasser!), zu den Gleichnissen und zur Haltung gegenüber dem Tempel. - Zu der Diskussion, in der Jesus sich befunden hat (vgl. H. Ulonska, Streiten mit Jesus. Konfliktgeschichten in den Evangelien, Göttingen 1995). Der Abschnitt über die Gleichnisrede dürfte eine Ergänzung in einer Dissertation finden, die T. Fabiny bei Berücksichtigung wichtiger ungarischer jüdischer Quellen hier in Erlangen vorgelegt hat. Sodann nenne ich (vgl. den Hinweis zur Sabbat-Auffassung) den Artikel "Jesus Christus" von J. Gnilka in NBL II, 1995, 320-338, den ich nicht angegeben finde. Hier bestärkt sich der Eindruck, daß die Querverweise nicht immer vollständig sind.

Von M. Görg sind die Artikel "Ramses" (278-281) und "Ramsesstadt" (281 f.). Zur Auseinandersetzung Ramses III. mit den Seevölkern (281) merke ich noch E. Noort, Die Seevölker in Palästina, Palaestina Antiqua 8, Kampen 1994, an, der die Informationen, die die Reliefs von Medinet Habu enthalten, einer kritischen Analyse unterzogen hatte. Der Hinweis auf Ausgrabungserfolge in der Ramsesstadt (282) findet inzwischen schon die Bestätigung durch Fernsehberichte.

Der Artikel "Recht" stammt von F. L. Hoßfeld (für das AT) und U. Bauer (für das NT) (285-288). Trotz Zugehörigkeit des israelitischen Rechts zum altorientalischen kann der Verfasser "von einer eigenen atl. Rechtskultur sprechen". Wesentlich ist die "nachträgliche historische Verankerung und Konzentration sowie seine theologische Legitimation in der Sinai/Horeb-Theophanie". "Die Israeliten trennen nicht zw. profanen und kultischen Lebensvollzügen, sondern richten die ganze Vielfalt des Lebens auf den einen Gott aus, den sie auch als unmittelbaren Urheber des herrschenden Rechts ansehen" (285). Auf diese Bestimmung der Grundlagen können dann knappe, aber instruktive geschichtliche Hinweise gegeben werden (285 f.). Aus den Themenbereichen, die U. Bauer anspricht (z. B. den Beitrag Jesu - "Verzicht auf Wiedervergeltung zugefügten Unrechts" -, die Rechtsverbindlichkeit alttestamentlich-jüdischer Bestimmungen im Frühjudentum), hebe ich die Beziehung zum staatlichen Recht hervor: "Im Gegensatz zu radikalen jüdischen Gruppen ... waren die Christen nach dem Zeugnis des NT wie schon Jesus an einer offenen Konfrontation mit den Römern nicht interessiert ..." (287).

Es folgt der gewichtige Artikel "Rechtfertigung" von T. Söding (288-298).1 Der alttestamentliche Befund wird knapp und sachrichtig dahingehend zusammengefaßt, daß es bei der Rechtfertigung um die Feststellung gehe, "daß ein einzelner, eine Gruppe oder das ganze Volk Israel in der Lebensführung Gott gerecht geworden ist" (288 f.).2 Die Weiterführungen ergeben sich auf Grund des Wissens "um die Schuldverstrickung ganz Israels und des Einzelnen". Sodann werden kurz angedeutet die Positionen der Psalmen Salomos, in Qumran, im 4 Esra und im syrischen Baruch. Die Darstellung zum Neuen Testament setzt ein mit einer Skizze zu Jesus und den Evangelien (290 f.), hat aber ihr Schwergewicht in der Darstellung zu Paulus (291-295). Es folgt der Hinweis auf die Paulusschule (295 f.) und eine Zusammenfassung der Rechtfertigungstheologie der Bibel (296 f.). Wichtig für die Paulusdeutung ist die Aufnahme von Forschungsansätzen aus Amerika und England: die soziologische Deutung der Rechtfertigungslehre durch Stendahl, nach der die Werke des Gesetzes als Unterscheidungsmerkmale zwischen Juden und Heiden in den Blick kommen und nach der der Glaube als Bedingung für die Bekehrung zu unterscheiden sei von den Grundsätzen des christlichen Lebens, für die das Gesetz durchaus Bedeutung behalte (291). In seiner Darstellung geht der Verfasser sodann an der historischen Abfolge der Paulusschriften entlang (1.Thessalonicher- und 1. und 2. Korinther-, Philipper-, Galater- und Römerbrief). Die Rechtfertigungslehre des Paulus ist das "Ergebnis einer tiefen Einsicht in die ,Wahrheit des Evangeliums’ ... Konstitutiv ist das forensische Moment: Wo von Rechtfertigung gesprochen wird, ist die Überwindung der menschlichen Ungerechtigkeit das Thema, letztlich der Sieg über Sünde und Tod durch den eschatologischen Erweis der Gerechtigkeit Gottes. Deshalb ist Rechtfertigung nur im Horizont der futurischen Heilserwartung denkbar ..." (294). Für diese Ergebnisse kann man dem römisch-katholischen Verfasser nur dankbar sein.

G. Dautzenberg hat den Artikel zu "Reich Gottes" vorgelegt (307-313). Weil dieser Vorstellungskomplex in den Quellen nicht "lehrmäßig entfaltet" wird (307), ist eine detaillierte Skizze der Einzelpositionen nötig, die der Verfasser in instruktiver Weise leistet. Zu Beginn werden die "atl. und frühjüdischen Voraussetzungen der Reich Gottes-Verkündigung" benannt (ich nenne: Gott ist König auf dem Zion; davidischer Messias; dauernde Heilszeit nach der Unheilszeit; Macht Gottes, die sich konkret manifestieren wird) und dabei "der Glaube an das Kommen des Reich Gottes für die Zeit von den Makkabäern bis zu den Zeloten" für die alle Geister unterscheidenden Frage angesehen (307 f.). Einen entscheidenden Teil nimmt eine Skizze der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu ein (308-310). Ihr folgt eine Skizze zur nachösterlichen Reich-Gottes-Verkündigung, in der differenziert wird zwischen der Logien-Quelle, dem Markusevangelium, dem Lukasevangelium und der Apostelgeschichte, dem Matthäusevangelium, Paulus und der Johannesapokalypse (310-312). Aus der Skizze zu Jesus hebe ich folgende Akzente hervor: Das Reich Gottes kommt "nicht auf Grund menschlichen Einsatzes, sondern göttlichen Ratschlusses". "Die eschatologische Wende hat schon begonnen..." Zwar wird kein politischer Protest formuliert, "aber de[n]r Verzicht auf Machtausübung und Rangstreben" (309). Ich möchte formale Fragen stellen: Warum wird ab dem Abschnitt zum Markusevangelium "Reich Gottes" auch mit nur "R." abgekürzt und nicht durchgehend mit "R.G." (vgl. 310 unten, 311 dreimal, 312 dreimal)? Warum fehlt im Abschnitt über die Verkündigung Jesu der Hinweis auf den Artikel "Jesus Christus" (dort besonders: IV. Die Botschaft von der Basileia - NBL II, 323-326)? Allerdings wurde dort auch nicht auf diesen Artikel zu "Reich Gottes" voraus verwiesen.

T. Seidl hat den wichtigen Artikel zu "Rein und unrein" beigesteuert (315-320). Nach der Vorstellung des biblischen Materials (315-317) wird der "Frage nach Herkunft, Begründung, Motivation und Bedeutung" nachgegangen (318). Neben der dä-monistischen Auffassung nennt der Verfasser symbolistische Erklärungen (Auseinandersetzung mit dem Tod; Unterscheidung zwischen Heiligkeit und Versehrtheit; Abwehr von Fremdreligionen) und eine soziologisch argumentierende Erklärung (318f.). Neben der angegebenen Literatur weise ich besonders hin auf E. S. Gerstenberger, ATD 6, Göttingen 1993, mit vielen Erwägungen zum Thema, und auf F. Crüsemann, Die Tora, München 1992. Aus letzterem zitiere ich im Sinne eines Gesprächsbeitrags mit dem Verfasser hier: "In priesterlicher Sprache hat das Begriffspaar rein/unrein nichts mit Ethik und Recht zu tun. Unreine Zustände sind in vieler Hinsicht nicht nur unvermeidlich, sondern sogar von Gott geboten" (Die Tora, 357).

Aus der Feder von R. Bartelmus sind die Artikel "Richter (Buch der)" (357-359) und "Richter/Richterzeit" (359-361). Die vorsichtige Skizze von Aufbau und Geschichte des Richterbuches wird durch eine knappe Reflexion zu seiner theologischen Bedeutung abgeschlossen: "Die Texte stellen jedoch gerade in ihrer Fremdheit ein wichtiges kritisches Potential dar, das die Tendenz der christlichen Theologie zur Erstarrung in dogmatischen Richtigkeiten zu kompensieren vermag ..." (358). Den Ertrag der Diskussion um das Wesen der sog. "kleinen Richter" spitzt der Verfasser zu: "Der Weg der Nordstämme von einer ,segmentären Gesellschaft’ hin zum Königtum läuft somit über die Einführung eines Amtes, in dessen Anerkennung die bis dahin dominierenden Sippenführer (die Ältesten) einen kleinen Teil ihrer Kompetenz an einen mit administrativen wie forensischen Aufgaben betrauten Führer abgaben ..." (360).

Zum Artikel "Römerbrief" (366-370) von D. Zeller, der sachkundig in die Probleme und Arbeitsergebnisse einführt, weise ich auf die Ergänzungen durch den Artikel "Rom" (v. a. 377) hin. Zum wertenden Satz im Abschnitt "Theologische Bedeutung" - "Paulus beschreibt erstmals, wenn auch mit einem hergebrachten Klischee von den Heiden ... und in überzogener Polemik gegen die Juden ... umfassend die Situation des Menschen vor dem Ev" (369) - frage ich den Verfasser: Wollen Sie sagen, daß Paulus die Situation des Menschen vor dem Evangelium verfehlt?

In guter Ergänzung stehen nacheinander die Artikel "Sabbat" (388-391) von A. Lemaire, "Sabbatgebot" (391-394) von B. Lang und "Sabbatjahr" (394 f.) von R. Albertz. A. Lemaire begründet, daß in der Zeit des zweiten Tempels der Sabbat als Vollmondstag abgelöst wird vom Wochensabbat am 7. Tag der Woche (389 f.). In welchem Verhältnis steht dazu das Ruhegebot am 7., noch nicht Sabbat genannten Tag, das doch auch schon vorexilische belegt ist? Hierbei hilft B. Lang, indem er das Ruhegebot für den 7. Tag (belegt für das 8. Jh.) auf die "Landarbeiter in Zeiten harter Feldarbeit" bezieht. "Eine durch das Jahr durchlaufende ,Woche’ von sieben Tagen ist nicht vorausgesetzt" (392). Kann das stimmen, kennt doch schon die vorexilische Zeit das "Wochenfest", das die Woche als Berechnungsgrundlage braucht? Der besondere Verdienst des kurzen Artikels aus der Feder von R. Albertz ist der umfassende Verweis auf die antiken Quellenhinweise auf die Einhaltung des Sabbatjahres (395).

Der Artikel "Sacharja (Buch)" stammt von M. Görg (396-398). Grundlegend ist die Identifizierung eines Proto-Sacharja (Sach 1-8) und eines Deutero-Sacharja (Sach 9-14). Die These von der Existenz eines Trito-Sacharja (Sach 12-14) wird als nicht genug begründet abgelehnt. Der Verfasser identifiziert die Nacht-Gesichte im Ich-Stil als ältestes Sacharja-Buch, die in einer wohlüberlegten Siebenerordnung geboten werden: I: 1,8-15; II: 2,1-4; III: 2,5-9; IV: 4,1-6a.10b-14; V: 5,1-4; VI: 5,5-11; VII: 6,1-8. "Neben der linearen Betrachtung, die auf die sukzessive Manifestation der Allmacht YHWHs hinausläuft, läßt sich eine konzentrische vertreten, die die Vision mit den beiden ,Ölsöhnen’ d. h. wohl Josua und Serubbabel (IV) in die Mitte rücken läßt" (396 f.). Um diese Mitte herum ist das Material sachlich geordnet: Jerusalem und der Tempel (III und V), die Fremdvölker und ihr Kult (II und VI), die göttliche Allwirksamkeit (I und VII). Dieses klare Schema ist dann gezielt erweitert worden, so daß Sach 1-8 entstanden sind. Dem wurden dann Textmaterialien durch die Sacharja-Schule angefügt (Sach 9-14), die frühestens im 5. Jh. vor Christus, vielleicht auch erst nach dem Alexanderzug ihre heutige Gestalt erhalten haben (398).

Die Artikel "Sage" (402-411) und "Sagenforschung" (411-423), beide von B. Lang, bieten neben formgeschichtlichen und forschungsgeschichtlichen Informationen hochinteressante geschichtliche und literaturgeschichtliche Einsichten. Der Verfasser unterscheidet zwischen Familien-Sagen, Orts-Sagen, Kult-Sagen, Helden-Sagen, Herrscher-Sagen, Kriegs- und Kampf-Sagen und Propheten-Sagen (403-406). In diesem Zusammenhang benennt er "zwei verschiedene Haltungen Israels zu Fremdvölkern - hebr. Humanismus und hebr. Partikularismus". So "weisen Genesis und Exodus ein unterschiedliches Befreiungskonzept auf: Während Josef in Ägypten befreit wird, wird das Exodusvolk aus Ägypten befreit". "Die Abfolge von Gen und Ex erscheint wohl nur durch den Redaktionsprozeß als zeitliche Folge; vermutlich stehen sich die beiden kulturellen und religiösen Welten in derselben Zeit - der späten Königszeit und der Zeit des babylonischen Exils - als sich widersprechende Optionen gegenüber" (404). Als entscheidendes Beispiel der Herrscher-Sagen nennt er die David-Sagen, ordnet sie also eigentlich nicht in die Geschichtsschreibung ein (405).

Folgerichtig fragt er nach der "Abgrenzung von Sage und Geschichtsschreibung" und definiert sie so: Es legt sich nahe, "wohl erst ab dem Punkt von Historiographie zu reden, wo dem Redaktor zuverlässige Quellen (Annalen oder Listen, die Fakten chronologisch notieren) zur Verfügung stehen und in seine Darstellung einbezogen werden ..." (408). Seinen Artikel "Sagenforschung" gliedert der Verfasser in folgende Komplexe: "Forschungsgeschichte" (411 f.), "Sage als volkstümliches Erzählgut" (412-414), "Sage als Gegenstand literarischer Bearbeitung" (414-417), "Die Sage in der Geschichte der Literatur Israels" (417-419) und "Sage als Zeugnis historischen Geschehens" (419-422). Folgende Positionen hebe ich hervor: Der Verfasser rechnet mit einer dauernden Kreativität in Israel, durch die immer wieder neues Material geschaffen wurde (413f.). In diesem Zusammenhang schärft er den Blick dafür, daß "die Erzväter-Überlieferung ... von der Exodusüberlieferung zu trennen (ist). Beide sind voneinander unabhängige und sich eigentlich ausschließende Ätiologien des Landbesitzes" (414 - s. o. die These zu Gen und Ex). Exegetisch genauer aufgehellt werden Gen 28,10-22; 35,1-7 und 35,9-15, also die Heiligtums-Sage von Bet-El (415-417). Im Mustertext traditioneller Literarkritik - Gen 28,10-22 - benennt der Verfasser folgende Literargeschichte: Gen 28,11 f.16-19 als älteste Textschicht (eine Heiligtums-Sage), Gen 28,10.20-22 als Verankerung im Jakobzyklus, Gen 28,13-15 als interpretierenden Zusatz (415 f.). Die These zum Verhältnis zur Geschichtsschreibung (s. o.) wird im letzten Unterabschnitt vertieft: "Den Sagen ist wenig über historische Vorgänge und Persönlichkeiten, aber mancherlei über Mentalität und Interessen der Erzähler, sowie deren Milieu mit seinen Sitten und Bräuchen zu entnehmen" (420). Zu beiden Artikeln habe ich Fragen an die Ordnung der Literatur. Warum wird die Literatur zu den verschiedenen Gestalten unter "IV. Interpretationen" angegeben und nicht unter "I. Arten der Sage" (410)? Im zweiten Artikel ist die Literatur zur historischen Frage unter V. einzuordnen, nicht unter VI., denn diesen Abschnitt gibt es gar nicht im Artikel (422).

Zum Abschluß weise ich auf die T. Hieke vorgelegten Artikel "Samaria/Samarien" (428-430) und "Samariter/Samaritaner" (430-433) hin. Der erste bietet einen knappen Überblick über die geschichtlichen Entwicklungen. Zur Bedeutung "Wachberg" für Samaria merke ich immer gern auch den Begriff "Wartburg" an (428). Der zweite Artikel versucht die Geschichte zwischen Juden und Samaritanern und ihrer Abgrenzung voneinander aufzuhellen. Der Bruch auf beiden Seiten wird datiert "am Ende des 2./Anfang des 1. Jh.s v. Chr." (431). Wichtig sind die kurze Besprechung des neutestamentlichen Materials (432) und die knappe Zusammenfassung der wesentlichen Punkte der samaritanischen Religion (433). Dort wird nicht auf die Reinheitsvorstellungen Bezug genommen, so daß auch bei der Behandlung des Gleichnisses vom barmherzigen Samaritaner (Lk 10,30-37) kein Hinweis auf die hohe Unreinheitshürde gegeben wird, die der Samaritaner überwunden hat, als er sich dem Verletzten zuwendete. Insofern meine ich, daß Lk 10 mehr zeigen soll als ein "Vorbild selbstloser, den Haß überwindender Nächstenliebe" (432), sondern auch ein Vorbild selbstloser, kultische Schranken, d. h. Selbstschutz-Schranken, überwindende Nächstenliebe.

Fussnoten:

1) Im kurzen Einleitungsteil (288) steht ein merkwürdiger Satz: "Augustinus hat die Rechtfertigungslehre der spätpatristischen und ma Theologie (Thomas von Aquin) neu erschlossen ..." Wie ist das möglich? Augustin hat doch vor Thomas von Aquin gelebt!

2) Hierzu verweise ich auf meinen Aufsatz: R. Stahl, Die glaubenden Gerechten. Rechtfertigung im Alten Testament, in: Gedenkt an das Wort, FS W. Vogler, hrsg. von Chr. Kähler, M. Böhm, Chr. Böttrich, Leipzig 1999, 243-251.