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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1419–1412

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Masmanidis, Konstantinos

Titel/Untertitel:

Fichtes Begriff der politischen Philosophie. Eine Untersuchung der späten politischen Werke im Lichte des Begriffspaares Bild – Bildung.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Karl Alber 2014. 294 S. = Eichstätter philosophische Beiträge, 1. Kart. EUR 36,00. ISBN 978-3-495-48651-1.

Rezensent:

Andreas Arndt

Die Untersuchung von Konstantinos Masmanidis, als Dissertation der Philosophisch-Pädagogischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt 2012 vorgelegt, greift über die im Titel präzisierte Thematik weit hinaus, indem sie Fichtes politische Schriften auf seine Philosophie im Ganzen und ihre Entwicklung bezieht. Etwa ein Drittel der Arbeit ist der Darstellung der theoretischen Philosophie Fichtes überhaupt und besonders dem Bild-Begriff in Fichtes Spätphilosophie gewidmet, wobei es nicht nur darum geht, die systematischen Voraussetzungen der politischen Philosophie Fichtes zu bestimmen, sondern auch noch darum, der Frage nach der Kontinuität in Fichtes Entwicklung nachzugehen. Zur Begründung führt der Vf. an, dass Fichtes Philosophie als »dialektischer Gedankengang« betrachtet werden müsse, wodurch das ganze Werk von seinem »Geist« – das sei »der Gedanke der Freiheit« – her verstanden werden müsse, so dass kein Teil isoliert werden dürfe (23). Entsprechend möchte der Vf. das Werk insgesamt sowohl systematisch als auch in seiner Entwicklung als Einheit interpretieren, wobei er sich vor allem auf die Interpretationen von Gurwitsch und Drechsler stützt (vgl. 32). Die Arbeiten des Letzteren geben vor allem die entscheidende Vorgabe für das Verständnis des Bild-Begriffs nicht nur in Fichtes Spätphilosophie, wobei dem Vf. vor allem der Zusammenhang von Bild, bildender Kraft (produktive Einbildungskraft) und Bildung auch im Blick auf die politische Philosophie Fichtes wichtig ist, sei hier doch die Freiheit zu verorten (55). Das Bild sei nicht nur Nachbild, sondern zugleich auch Vorbild für künftiges Handeln, wodurch bereits in den »Frühwerken« Fichtes die aktiv-tätige Funktion betont werde (57). Im Spätwerk steht dann die Beziehung des Bildes auf das Absolute bzw. Sein im Vordergrund, wobei der Vf. zwar notiert, dass im Spätwerk das Ich »nur als Prinzipiat des einen Absoluten betrachtet« wird (68), sich aber nicht wirklich fragt, ob die starke Kontinuitätsthese für Fichtes Entwicklung dadurch nicht brüchig wird. Das Bild hat unter der Voraussetzung eines sich dem Erkennen entziehenden Absoluten als dessen Abbild eine wesentlich negative Funktion (vgl. 77.79). Gleichwohl verliert es die praktische Dimension nicht. Als Bild des Wissens und Erkennens ist es theoretisches Bild, zugleich aber ist es auch Bild des Ich, »von dem aus und durch das hindurch das Ich in einem Verhältnis zu sein und Wirklichkeit steht und immer wieder auch in ein neues Seinsverhältnis und eine Seinsbeziehung tritt« (81). Dieses Verhältnis sei durch das Begriffspaar Gesetz und Freiheit bestimmt.
Der anschließende zweite Hauptteil der Arbeit ist dann der politischen Philosophie im Spätwerk Fichtes gewidmet. Als Rahmen wird zunächst die Geschichtsphilosophie des mittleren Fichte skizziert, die, mit Zöller, als Freiheitsgeschichte zu verstehen sei (90 f.), wobei jedoch das Verhältnis zur Realgeschichte ebenso ausgeblendet bleibt wie die Klärung des ja keineswegs eindeutigen Freiheitsbegriffs. In der Fichteschen Geschichtskonstruktion geht es indes nicht um das Konzept persönlicher Freiheit in der Moderne, sondern um die »freie Tat der Gattung« (92); entsprechend besteht auch die Aufgabe des Staates darin, »Alle individuellen Kräfte auf das Leben der Gattung zu richten und in demselben zu ›verschmelzen‹« (96). Für den absoluten Staat im Sinne Fichtes gibt es »keine Individuen […], sondern nur Bürger« (99). Eine weitergehende politische und soziale Einordnung dieser Theorie findet leider nicht statt; tatsächlich versucht Fichte, den bourgeois (und die ganze Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft als Sphäre individueller Freiheit) zu eliminieren, um allein den citoyen gelten zu lassen, wodurch er in ein autoritäres Staats- und Gesellschaftsmodell abrutscht, das sich kaum noch als einem modernen Freiheitsverständnis kompatibel erweisen lässt. Dies wird auch in den folgenden Betrachtungen zur Staats- und Regierungsverfassung deutlich, in denen politische Freiheit nicht vorkommt und durch »Unterthänigkeit« (111) ersetzt wird. Letztlich verschiebt sich die Freiheit in eine virtuelle Zukunft, denn wenn der Staat die Individuen mit der Gattung vermittelt hat, hebt er sich zugunsten gelebter Sittlichkeit und Religiosität auf (120 f.).
Das Verhältnis von Recht, Freiheit und Eigentum wird dann anhand der Fichteschen Schrift Der geschlossene Handelsstaat näher beleuchtet. Fichtes These, dass Freiheit ohne Recht nicht zu realisieren sei (128), ist dabei so zu verstehen, dass (wie bei Kant, aber im Gegensatz zu Hegel) die negative Freiheit des Einzelnen durch Recht eingehegt werden müsse, wobei das Vertragsmodell als rechtskonstitutiv gilt. Hinsichtlich des Eigentumsrechts gilt dabei, dass es als Beschränkung der Tätigkeit auf etwas und nicht als Recht an einem Objekt zu verstehen sei (132). Hieraus ergibt sich mit gewisser Konsequenz die Ständeeinteilung des geschlossenen Handelsstaates (als Zuteilung von Handlungssphären) ebenso wie die Schließung des Staates gegen Ausländer; ob das aber noch sinnvoll als Gewährleistung von »Freiheitssphären« verstanden werden kann (147), ist doch stark zu bezweifeln.
In einem Exkurs zu Fichtes Abhandlung über Machiavelli (1807) wird Fichtes Konzept von Realpolitik als Korrektiv an abstrakten Idealen wie den Losungsworten der Französischen Revolution verstanden (160), der Gesichtspunkt hierbei ist jedoch in erster Linie die Errichtung und Verwaltung des Staates, während das Verhältnis zur politischen Realisierung von Freiheit nicht deutlich wird. Die anschließenden Darlegungen zum Begriff der Freiheit in der Rechtslehre von 1812 heben hervor, dass Freiheit vom späten Fichte »als das aktive Sich-Bilden des Individuums zum Bild des Absoluten begriffen wird« (164), wodurch das Recht (und mit ihm der Staat) nur temporär Konflikte zwischen individuellen Freiheitssphären zu regulieren hat. Die Bildung zur Freiheit wird damit zur Verschmelzung des Individuums mit dem Allgemeinen – zur Bildung des »vollkommenen Menschen« (181), eine Erziehung, die nach Fichte darin besteht, den freien Willen (des Einzelnen) zu »vernichten« (184), sofern er als Eigensinn zu verstehen ist. Der Durchgang durch die Sittenlehre 1812 (195 ff.) bestätigt diesen Befund. Das Ich soll aus sich selbst heraus in seinen Grund, letztlich das Absolute, zurückkehren, wodurch die Sittenlehre mit der Seinslehre konvergiert (206). Es sei die Pflicht des Ich, in seinem Wollen den Begriff – das Vorbild der Freiheit – zu objektivieren und zu leben: »Das Ich soll sich also vernichten, damit das Eine (das Absolute) in ihm erscheint« (225). Auch die Staatslehre von 1813, welcher der letzte Teil der Arbeit gewidmet ist, geht davon aus, dass das Leben des Einzelnen am Bild Gottes auszurichten sei (236), wodurch das Reich der Freiheit als das Reich Gottes auch zu realisieren sei (266). Dies wird im Blick auf Fichtes Geschichtskonzeptionen eindringlich herausgearbeitet.
Die Untersuchung besticht durch eine pointierte und stringente Interpretation der einschlägigen Fichteschen Texte im systematischen Kontext seiner Spätphilosophie. Insofern ist sie hochinformativ und dabei auch, ohne Verlust an Differenzierung, gut lesbar geschrieben. Ihre Grenzen liegen dort, wo der Vf. über die Fichte-Immanenz nicht einmal ansatzweise hinauszublicken vermag, was für eine kritische Diskussion der Fichteschen Thesen im weiteren historischen Kontext und im Blick auf die Gegenwart unerlässlich ist.