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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1402–1404

Kategorie:

Kirchengeschichte: 20. Jahrhundert, Zeitgeschichte

Autor/Hrsg.:

Marahrens, Hauke

Titel/Untertitel:

Praktizierte Staatskirchenhoheit im Nationalsozialismus. Die Finanzabteilungen in der nationalsozialistischen Kirchenpolitik und ihre Praxis in den Landeskirchen von Hannover, Braunschweig und Baden.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. 633. S. = Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte. Reihe B: Darstellungen, 59. Geb. EUR 150,00. ISBN 978-3-525-55774-7.

Rezensent:

Konrad Hammann

Nachdem der nationalsozialistische Staat seine Gleichschaltungspolitik gegenüber der evangelischen Kirche 1933/34 nicht hatte durchsetzen können, richtete er ab 1935 sukzessive in vielen evangelischen Kirchenverwaltungen sogenannte Finanzabteilungen ein. Angesichts der herrschenden Rechtsunsicherheit ergriff der Staat diese ordnungspolitische Maßnahme offiziell, um den Kirchenverwaltungen vorläufige Rechtshilfe zu leisten. Den mit der Etablierung der Finanzabteilungen verbundenen Intentionen der nationalsozialistischen Kirchenpolitik, den kirchlichen Reaktionen und der Entwicklung der Finanzabteilungen bis zu ihrer Auflösung 1945 geht die Untersuchung von Hauke Marahrens nach, eine von Ursula Büttner betreute und unter der Beratung von Hans Otte entstandene historische Dissertation, die im Wintersemester 2012/13 an der Universität Hamburg angenommen wurde.
Die umfangreiche Darstellung ist plausibel gegliedert. Nach einer Einleitung, in der der Vf. den Forschungsstand sowie die Methodik, die Quellenlage und die Anlage der Arbeit erläutert, gibt der erste Hauptteil einen Überblick über die »Finanzabteilungen in der nationalsozialistischen Kirchenpolitik«. Der zweite Hauptteil konkretisiert und vertieft die bisher gewonnenen Ergebnisse durch die Analyse der Praxis der Finanzabteilungen in den Landeskirchen von Hannover, Braunschweig und Baden. Wie der Vf. selbst einräumt, lassen sich durch dieses Vorgehen in zwei Schritten Redundanzen nicht ganz vermeiden (27), sie belasten aber die Lektüre nicht über Gebühr. Die nähere Untersuchung der Verhältnisse in den drei ausgewählten Landeskirchen bietet quasi drei in sich geschlossene territorialkirchengeschichtliche Monographien. Sie eröffnet darüber hinaus durch die gleichmäßige Anwendung eines gut angelegten Fragenrasters die Möglichkeit, einen Vergleich zwischen den untersuchten Finanzabteilungen sowie ein abschließendes Resümee der Untersuchung zu ziehen.
Die von Reichskirchenminister Hanns Kerrl eingerichteten Finanzabteilungen sollten ursprünglich lediglich die ordnungsgemäße Finanzverwaltung der Kirche sicherstellen, sie hatten de facto jedoch von Anfang an erhebliche Einschränkungen der Arbeit der Bekennenden Kirche zur Folge. Mehr noch, seit 1937 führte der von dem Staatssekretär im Reichskirchenministerium Hermann Muhs maßgeblich betriebene Ausbau der Finanzabteilungen dazu, dass diese zu einem machtpolitischen Kontrollinstrument des NS-Staates wurden. Zwar versuchte Kerrl zwischenzeitlich, die im Rahmen der langfristig angelegten nationalsozialistischen Kirchen-politik ohnehin begrenzten Möglichkeiten seines Ministeriums durch eine Beschneidung der Kompetenzen der Finanzabteilungen zu erweitern, aber er vermochte dies weder gegenüber den einzelnen Finanzabteilungen noch gegenüber den kirchenfeindlich ge­sinnten Kräften in der NSDAP um Martin Bormann zu realisieren. Der nach dem Tod Kerrls Ende 1941 von dem Staatssekretär Muhs verfolgte Ausbau des Systems der Finanzabteilungen führte im Übrigen zu zahlreichen Rechtsüberschreitungen. Allerdings konnte Muhs das von ihm angestrebte Ziel einer vollständigen staatlichen Kontrolle der Kirche infolge des Kriegsverlaufs und der Bestrebungen der Parteikreise, die die Kirche ganz aus dem öffentlichen Leben ausschalten wollten, ebenfalls nicht erreichen.
Die Praxis der Finanzabteilungen in den beiden lutherischen Landeskirchen Hannovers und Braunschweigs sowie in der konsensunierten Landeskirche Badens, die der Vf. anhand des ein-schlägigen Aktenmaterials allererst akribisch rekonstruiert, weist sowohl Gemeinsamkeiten als auch – teils in den lokalen Verhältnissen und Traditionen kirchenleitenden Handelns, teils in den Personenkonstellationen begründete – Unterschiede auf. Spätes­tens ab 1938 verstanden sich die leitenden Funktionäre der Fi­nanzabteilungen als Staatskommissare, die darum bemüht waren, der NS-Ideologie und dem rassischen Antisemitismus im Raum der Kirche Geltung zu verschaffen. In Hannover verfolgte der Rechtsanwalt Dr. Georg Cölle auf der Linie des von Muhs vertretenen Konzeptes einen Kurs, der auf die bedingungslose Integration der Kirche in den nationalsozialistischen Staat abzielte, ohne dass er dabei der Kirche ein gewisses Eigeninteresse abgesprochen hätte. In Braunschweig übte der Jurist Ludwig Hoffmeister ein strenges, ja rigides, häufig in kleinliches Gezänk mit kirchlichen Stellen ausartendes Regiment über die kirchlichen Finanzen aus. Er konnte aber seine Absicht, die Gemeinden durch Bevollmächtigte restlos der Kontrolle der Finanzabteilung zu unterwerfen, nicht verwirklichen. In Baden sah sich die 1938, also relativ spät, etablierte Fi­nanzabteilung erheblichen Widerständen in der Landeskirche gegenüber, während sie umgekehrt kaum Unterstützung aus dem zunehmend bedeutungslos werdenden Reichskirchenministerium erhielt.
Unabhängig vom Bekenntnisstand ihrer Landeskirchen lehnten die Kirchenleitungen in allen drei Fällen die Finanzabteilungen spätestens ab 1938/39 ab. Die Strategien des Protestes fielen unterschiedlich aus, waren aber allesamt letztlich nicht erfolgreich. In Hannover bemühte sich die Kirchenleitung wie auch die ihr weithin folgende Pfarrerschaft, gemäß der Politik des Landesbischofs August Marahrens einerseits gegebenenfalls rechtliche Einwände gegen die Finanzabteilungen und einzelne ihrer Maßnahmen zu erheben, andererseits aber aus Loyalität gegenüber dem Staat von vornherein auf weitergehende Protestmaßnahmen wie etwa den Boykott der Finanzabteilung zu verzichten. In Baden versuchten sowohl die Kirchenleitung als auch viele Pfarrer und Kirchengemeinderäte, der 1938 eingerichteten Finanzabteilung die Legitimität abzusprechen. Der erhebliche Protest, den hauptsächlich die Mitglieder der badischen Bekenntnisgemeinschaft gegen die staatlichen Eingriffe in die kirchliche Finanzverwaltung an­meldeten, ging aber unter dem politischen Druck des Staates und unter dem Eindruck der finanziellen Sanktionen der Finanzabteilung rasch zurück.
Nach dem Krieg zogen die beteiligten Kirchen aus dem System der Finanzabteilungen den Schluss, dass zukünftig die kirchliche Verkündigung und die äußere Ordnung wie auch die Verwaltung der Kirche in einer unaufhebbaren Bindung zueinander zu begreifen und zu gestalten seien. Der Vf. hat eine grundsolide Untersuchung vorgelegt, in der er ein wichtiges Kapitel der Geschichte der evangelischen Kirche im Dritten Reich mit viel Gespür für die gerade auf diesem Forschungsgebiet erforderlichen Differenzierungen vergegenwärtigt und umsichtig kommentiert. Der Darstellung sind beigegeben ein Verzeichnis der Mitglieder aller Finanzausschüsse im evangelischen Bereich, ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister, das zusätzlich nützliche biographische Daten zu den aufgeführten Personen enthält. Der Preis des Buches wird dessen Verbreitung vermutlich nicht fördern.