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Ausgabe:

September/1999

Spalte:

873–884

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Klaus Koch

Titel/Untertitel:

Monotheismus als Sündenbock?

Nachdem die westliche Kultur die Frage nach überindividueller Schuld als metaphysisches Problem für überholt, überflüssig, ja unanständig erklärt hat, obwohl der traumatische Verlauf der Zeitgeschichte und der ungerechte Zustand unserer Gesellschaft nicht geleugnet werden kann, bleibt nichts anderes übrig, als auf unmetaphysische Weise nach einem Grund für die Entsetzen erregenden Geschehnisse und Verhältnisse zu suchen, insbesondere für die Schoa, welche die Angelsachsen mit dem perversen Begriff Holocaust bezeichnen. Als nach dem 2. Weltkrieg die Rückführung dieser Geschehnisse auf einen kleinräumigen preußisch-deutschen Militarismus und dann auf einen weiträumiger gedachten Kapitalismus als Wurzel allen Übels doch nicht ausreichend erschienen und selbst eine die Menschheitsgeschichte prägende patriarchale Unterdrückung der Frau nicht alle als Ursache überzeugte, bietet sich neuerdings der Monotheismus von Judentum, Christentum und Islam als genereller Sündenbock für Geschichte und Gegenwart an. Das kann auf agitatorisch-oberflächliche Weise wahrgenommen werden,1 auf materialreiche, aber ein wenig rührende Weise, bei der Jesus aus dem allgemeinen Sumpf des Verderbnisses mit seiner Botschaft herausragt2 oder auch auch in vornehm-philosophischer Diktion wie etwa bei Odo Marquard,3 bei der man nicht weiß, inwieweit die Sache ernst gemeint oder einer Weinlaune entsprungen ist. Von einem ganz anderen Problembewußtsein getragen und einem weit höheren wissenschaftlichen Rang ist die jetzt vorliegende gründliche Bearbeitung des Themas durch Jan Assmann "Moses the Egyptian".4

Der Heidelberger Ägyptologe, dem wir wegweisende Werke zur Religion und Kultur des alten Ägypten verdanken und der sich weit über sein Fachgebiet hinaus als Kulturwissenschaftler einen internationalen Ruf erworben hat, handelt in diesem Werk nicht über den historischen Mose, schon gar nicht über einen ägyptischen. Vielmehr will er einen Beitrag zu "a historical analysis of anti-Semitism" leisten (6). Da die jüngere deutsche Fassung des Buches in mancher Hinsicht von der englischen Erstfassung abweicht, soll diese zuerst besprochen werden.



Eine wichtige Wurzel sieht A. in einer schon im frühen Altertum aufgebrochenen fundamentalen religiösen Auseinandersetzung, nämlich dem Antagonismus zwischen primärer, polytheistischer Religion und counter-religion, d. h. einer sich auf Offenbarung berufenden Religionsform, welche nur einen einzigen Gott anzuerkennen bereit ist und "rejects and repudiates everything that went before and what is outside itself as ’paganism’" (3). Hierfür kommt vor allen die mnemo-historische, in der jüdischen und christlichen Tradition durch Jahrhunderte dominierende "Mosaic distinction between true and false religion" in Frage. Für diesen Monotheismus liefert Ägypten von Anfang an das abschreckende Gegenbild: "The biblical image of Egypt means ’idolatry’" (208 u. ö.). Die sich auf Mose berufende counter-religion hatte jedoch bereits in der Sonnenreligion des Echnaton ausgerechnet einen ägyptischen Vorläufer. Für A. war diese "the most radical and violent eruption of a counter-religion in the history of humankind" (25), eine "exclusivistically intolerant movement" (167). Von der monotheistischen Intoleranz eines Echnaton und hernach des mosaischen Israel hebt sich der sonst in Ägypten wie im gesamten alten Orient verbreitete tolerante Polytheismus leuchtend ab, da gab es keine Ausschließlichkeit, keine Idee vom Götzendienst, die Gottheiten waren international, weil kosmisch verankert (3; 45).

Von Echnaton zu Mose wird die Brücke auf spannende Weise geschlagen, indem griechische und lateinische Berichte über den Auszug der Juden aus Ägypten unter Führung eines Mose zur Zeit einer im Land vorherrschenden Seuche als wertvolle Zeugnisse einer mündlichen Tradition ausgewertet werden, in der sich eine kryptische Erinnerung an die Armanazeit erhalten habe, "fabels, that must have lived on in oral tradition for centuries or even a millenium" (42). Ihre Ausgangsbasis war, daß die Erinnerung an die vor Beginn des neuen Reiches vertriebenen Hyksos in der Armanazeit so aufgegriffen wurde, daß die Hyksos als paradigmatische religiöse Feinde verfemt wurden. Im gleichen Zeitraum übernehmen die Kanaanäer in Palästina die Erinnerung der dorthin geflüchteten Hyksos an ihre Vertreibung wie Sklaven aus Ägypten und geben die Überlieferung an die Hebräer weiter (41). Dadurch wird der Armanagegensatz zur traditionellen ägyptischen Religion in Ägypten wie in Palästina auf konträre Weise weiter gepflegt.

Über die von Assmann hochgeschätzte oral tradition pflegen Bibelwissenschaftler heute die Nase zu rümpfen, für sie zählt nur, was durch "Redaktoren" schriftlich überliefert worden ist. Immerhin präsentiert A. auch einige literarische Nägel, die selbst für Alttestamentler bedenkenswert sein sollten. So zitiert er den ältesten außerbiblischen Exodusbericht, den des Hekataios von Abdera aus der Mitte des 6. Jh.s v. Chr. Danach haben die Ägypter während einer Seuche die Fremden vertrieben, von denen ein Teil nach Jerusalem gewandert ist, unter Führung eines Mose, der ihnen Götzenbilder verbot und einen Gott als Herr des Ganzen verkündete. Wie reimt sich diese Notiz zu der heute unter Exegeten modischen These, nach denen die Exodus-Erzählungen erst während der Exilszeit, wenn nicht gar in hellenistischer Epoche entstanden sein sollen?

Nachdem in den zwei einleitenden Kapiteln auf solche Weise Weichen gestellt worden sind, wendet sich der Hauptteil des Buches (55-167) dem abendländischen kulturellen Gedächtnis der Mose-Ägypten-Relation von Beginn der abendländischen Aufklärung bis hin zu Sigmund Freud zu. Deren Vertreter suchen im Gegensatz zur christlichen und jüdischen Orthodoxie Mose als einen Ägypter zu begreifen und dadurch eine Brücke zwischen der altägyptischen und einer davon abstammenden israelitischen Religion zu schlagen. Den Anfang machte John Spencer mit seinem monumentalen Werk De Legibus Hebraeorum Ritualibus et Earum Rationibus Libri Tres von 1685. Während bis dahin in Nachfolge der hellenistisch-jüdischen Diasporaliteratur maßgebliche Inhalte der ägyptischen Religion als von Israel entlehnt galten, kehrt Spencer das Verhältnis um, erklärt die ägyptischen Riten für älter und die israelitischen entweder als absichtliche Kontrastbegehungen (mit dem Passalamm z. B. soll ein den Ägyptern heiliges Tier vernichtet werden) oder als zeitbedingte Akkomodation für ein weitgehend ägyptisiertes Israel. Zudem übernimmt Mose von ägyptischen Lehrern den zweifachen Sinn von Ritualgesetzen, die neben ihren wörtlichen, für das gemeine Volk bestimmten, einen geheimen, pneumatischen Sinn haben und vor allem "evangelische Mysterien" abbilden. A. weist im einzelnen auf, wie die von Spencer aufgebrachte Thematik von Cudworth und dem Deisten Toland weitergeführt worden ist und durch W. Warburton, der 1737-1741 eine "Divine Legation of Moses" veröffentlicht, eine neue Wendung erhält. Warburton setzt voraus, daß es in jeder Religion geheime Mysterien für Eingeweihte, letztendlich monotheistisch gedacht, und polytheistische, auf jenseitigen Lohn und Strafe ausgerichtete öffentliche Kulte gibt. Der Anfang dazu liegt in Ägypten und findet in der symbolischen Bedeutung der Hieroglyphen einen entsprechenden Ausdruck. Die revolutionäre Tat des Mose besteht darin, daß er die religiösen Geheimnisse öffentlich verkündet und sein ganzes Volk zu Eingeweihten macht.

Von da wechselt die Darstellung zum deutschen Idealismus über, zum Kantschüler K. L. Reinhard, zu F. Schiller und G. E. Lessing. Hier wird die Behauptung von der zweifachen Form alter Religionslehren aufgenommen, aber auf die Wahrheit der Mysterien vor Mose zurückgegriffen und mit der Hen-kai-pan-Formel ein Kosmotheismus konstatiert und als eigene Überzeugung propagiert, eine letzte unaussprechliche Alleinheit. Sie ist auch bei Herder, Hamann, Hölderlin, Goethe, Schelling und den Freimaurern zum Glaubensgrund geworden. Dem entspricht nicht nur Assmanns eigene Überzeugung, er kann darüber hinaus beglückt feststellen: "The ’cosmotheism’ of Early German Romanticism is a return ... to Ancient Egypt" (143)! Hier trete ein kulturelles Gedächtnis zutage, "that kept a certain body of knowledge accessible for more than two thousand years" (144).

Ein fünftes Kapitel behandelt Sigmund Freuds "Der Mann Moses und der Monotheismus"5 als End- und Höhepunkt des Diskurses. Da damit ein total neues Paradigma, die Psychoanalyse, auftaucht und Freud sich nicht auf die Vorgänger beruft, er auch nicht wie sie nach besserer Gotteserkenntnis sucht, sondern jede Religion als Kollektivneurose betrachtet, stellt sich die Frage, ob er überhaupt in diesen Diskurs gehört (145). A. konstatiert dennoch die Kontinuität des kulturellen Gedächtnisses, weil Schiller Freuds bevorzugter Dichter gewesen sei und W. R. Smith, dessen religionsgeschichtliche Theorie über das Totem Freud übernommen hat, sich seinerseits auf Spencer berufe (147). Aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Entdeckung Echnatons und seiner Armanareligion verfügt Freud über ein weit besseres dokumentarisches Material als jene Vorgänger. Nach Freud unterscheidet sich Echnaton von der traditionellen ägyptischen Religion in fünf Punkten: 1. Verdammung der Magie, 2. Verdammung der Gottesbilder, 3. Verneinung eines Jenseits oder einer Unsterblichkeit, 4. Negation einer Göttervielheit und Betonung des einen Gottes, 5. Betonung ethischer statt ritueller Reinheit.





Das aber sind genau die Inhalte der Moseoffenbarung in späterer Überlieferung und die "requirements of biblical anti-Egyptianism" in der Folgezeit (151.153)! Daraus folgert Freud, daß Mose ein gebürtiger Ägypter gewesen sein muß, wie schon sein Name ausweise, und überdies ein überzeugter Atonanhänger, der nach dem Scheitern der Echnatonrevolution sich ein neues Volk als Verehrerkreis suchte und in den Juden fand. Dem scheint zwar die alttestamentliche Überlieferung zu widersprechen, die Mose in der Sinaiwüste operieren und den Kult eines Wüstendämons Jahwäs, verbunden mit intensiven rituellen Auflagen, verbreiten läßt. Aus diesem Dilemma hilft sich Freud, indem er kurzerhand einen zweiten Mose annimmt, neben dem ägyptischen einen nomadischen, deren Religion miteinander verschmolzen worden ist und zwar so, daß ersterer allmählich die Oberhand gewann. Ausschlaggebend für ein solches Ergebnis war, daß - nach einer zeitweilig von E. Sellin aufgestellten Behauptung - der (ägyptische) Mose in der Wüste vom Volk erschlagen worden war, diese Tötung aber sich tief als Schuldgefühl in die Beteiligten und sogar in alle nachfolgenden Generationen eingegraben hatte. Erst dadurch sei Mose zum "creator of the Jewish nation" geworden (161). In diesem Wort spiegelt sich die Tötung des Urvaters der Darwinschen Urhorde aus dem Anfang der Menschheitsgeschichte wieder. "The slain Moses is inserable from Freud’s theory concerning the origin and essence of religion" (159).

Das daraus resultierende Schuldtrauma prägt die jüdische (und christliche) Religion bis zur Gegenwart und läßt den unsterblichen Judenhaß begreiflich werden, aus "the ’hostility’ inherent in monotheism as a religion of the father" (167). (Die fatale Folgerung, daß die Judenverfolgungen letztlich vom jüdischen Monotheismus hervorgerufen worden sind, wollen allerdings weder Freud noch Assmann ausdrücklich ziehen).

Den Beweis für den geglückten Sprung über die Jahrtausende von Echnaton zu Freud liefert ein summarisches Kapitel "Conceiving the One in Ancient Egyptian Tradition" (168-207). Hier kommen nun ägyptische Quellen zur Verhandlung. Dabei wendet sich A. hauptsächlich der viel verhandelten Formel vom Götterkönig und Sonnengott Amon-Re zu als dem "Einen, der sich zu Millionen machte". Im Unterschied zu Ägyptologen wie E. Hornung legt A. sie dahin aus, daß hier nicht ein urzeitlicher Ausgang, sondern eine gegenwärtige Wirklichkeit gerühmt werde, so daß der Urgott als Welterstling trotz unendlicher Auffächerungen der eine bleibe. Danach sei das hermetische Hen-kai-pan im Grunde schon für die Ramessidenzeit selbstverständlich, in ihr habe ein alter Kosmotheismus seinen klaren Ausdruck gefunden. Dem gegenüber hat die Episode Echnaton kurz vorher ohne bleibenden Erfolg versucht "a radical demystification, demythologization, dedivinization, depolarization, depoliticalization, and demoralization" (191).

Während A. in früheren Veröffentlichungen wie "Re und Amun. Die Krise des polytheistischen Weltbildes im Ägypten der 18.-20. Dynastie"6 und "Ägypten. Theologie und Frömmigkeit einer frühen Hochkultur"7 noch unternommen hatte, die Amarna-Revolution aus vorangehenden Tendenzen der ägyptischen Religionsgeschichte und einer steigenden Betonung der Suprematie des Sonnengottes abzuleiten und zugleich nachzuweisen, daß nach Amarna die thebanische Amon-Theologie mit der Akzentuierung von Einzigkeit und Verborgenheit dieses Gottes solche Bestrebungen in veränderter Form weiterführen, wird nun Echnaton aus solchem geschichtlichen Kontextkontinuum weitgehend ausgeklammert. Die Krise des Polytheismus im 14. Jh. v. Chr. hat also zwei völlig verschiedene Bewegungen hervorgerufen, eine counter-religion auf der einen und einen Kosmotheismus auf der anderen Seite (171). Mit dem zweiten Begriff charakterisiert A. die ramessidische Auffassung von der Namenlosigkeit und Verborgenheit eines mit dem Kosmos als Leib zusammengehörigen Sonnengottes.

Wie nach solchem Vorgang nicht anders zu erwarten, fordert das Schlußkapitel: "Abolishing the Mosaic Distinction: Religious Antagonism and its Overcoming" (208-218).

Ein Jahr nach der englischen Ausgabe ist die deutsche erschienen. Sie bietet keine streng wörtliche Übersetzung, ordnet die Kapitel etwas anders und weicht häufig in Tenor und Akzentsetzung von der Vorlage ab. Statt des plakativen und unscharfen Begriffs "Western Monotheism" im Untertitel des Buches wird jetzt nur eine "Gedächtnisspur" angekündigt. Das Schlußkapitel kündigt nicht mehr "Abolishing the Mosaic Distinction" und eine Bewältigung des religiösen Antagonismus an, sondern klingt in seiner Überschrift viel zurückhaltender (oder resignierter?): "Symbole und Wandlungen der Mosaischen Unterscheidung". Doch auch innerhalb der Texte zeigen sich Verschiebungen. Hieß es englisch (210:) "The Amarna religion ... opposed tradition in the most violent forms of negation, intolerance and persecution," so liest der deutsche Leser: "Daran, daß Echnaton ... der erste war, der eine Religion im Zeichen der Wahrheit begründete und alles vorhergehende als Unwahrheit verworfen hat, kann kein Zweifel bestehen", für sein Vorgehen wird nun der Begriff "Theoklasmus" eingeführt (250 f.). Die negative Einschätzung Echnatons wird also abgemildert, darüber hinaus wird Mose deutlich von ihm abgerückt: "Zwischen Echnatons und Moses’ Monotheismus liegen Welten" (268)! (Hat sich A.s Sicht der Verhältnisse im Laufe eines Jahres gewandelt? Oder bemüht er sich nur um eine Akkomodation an deutsche Mentalität, in Anlehnung an die Pädagogik der frühen Aufklärung?)

Der Rez. legt das Buch mit zwiespältigen Gefühlen aus der Hand. Wie bei A. nicht anders zu erwarten, besticht sein Werk durch den bewundernswert weiten geistesgeschichtlichen Horizont, der keineswegs nur das ägyptologische Fachgebiet umfaßt, sondern ebenso die neuzeitliche Geistesgeschichte von der frühen Aufklärung bis zum deutschen Idealismus, darüber hinaus das ganz andere Gebiet moderner Kulturwissenschaft. Souverän die glanzvolle Ordnung des disparaten Materials! Die Darstellung wirft Licht auf zahlreiche geschichtliche Weichenstellungen, die bislang von der Forschung übersehen worden waren. Sie verliert nie das Leitthema aus dem Auge und bleibt spannend bis zur letzten Seite. Dennoch weckt die genaue Lektüre mindestens ebensoviele Fragen wie sie beantwortet.

1. Das betrifft schon die grundlegende Prämisse einer Mosaic Distinction als Kennzeichen des biblischen wie des nachfolgenden jüdisch-christlichen Monotheismus, der den Götzendienst Ägyptens als verteufeltes Gegenbild voraussetze und benötige. Der Sachverhalt scheint so klar, daß A. dafür keinen Textbeleg anführt. Wo findet sich ein solcher? Liefern den biblischen Schriften nicht stattdessen der kanaanäische Baal und der Sündenpfuhl Babels die Paradigmen für Götzendienst und dessen Folgen? Gewiß, Ägypten, das heißt Pharao als: Urbild von Tyrannis, Unterdrückung, Sklavenhaus. Darüber hinaus bleiben die Fleischtöpfe Ägyptens eine gefährliche Versuchung. Doch wo spielt ägyptisches Gottesverständnis eine Rolle? Wäre Ägypten "Gegenreligion", wie ließe sich erklären, daß Israeliten, die um ihrer oder ihres Volkstums willen verfolgt wurden, ausgerechnet wieder und wieder in Ägypten Zuflucht suchten (vgl. Jer 26,20 ff.; 42)? Wäre es vorstellbar, daß der Evangelist Matthäus Joseph mit dem Jesuskind nach Babylonien hätte fliehen lassen - statt eben nach Ägypten (Mt 2,13 ff.)?

2. Ebensowenig bietet A. einen textlichen Anhalt für das, was er als Wesen des Polytheismus im Alten Orient und in der Antike behauptet. Nach ihm sind die Gottheiten der außerbiblischen Religionen, also der polytheistischen, hauptsächlich kosmisch orientiert und damit international und tolerant (engl. Ausgabe 45). Läßt sich nicht, wenn überhaupt zwischen kosmomorphen und soziomorphen Funktionen der Göttergestalten geschieden werden darf, mit guten Gründen das Gegenteil behaupten: Polytheistische Götter sind wesensmäßig partikular, regional verortet und mit ihrem Verehrerkreis vergesellschaftet, deshalb abweisend, wenn nicht feindlich, gegen alles Unreine und Fremde? Zwar mögen beim ägyptischen Sonnengott die kosmischen Züge deutlich hervortreten. Doch das scheint die Ausnahme zu sein, nicht die Regel. In Syrien-Kanaan steht im zweiten Jt. v. Chr. ausweislich ugaritischer Texte ein Haddu-Baal im Vordergrund, der auf Bergen und in Städten (Ugarit, Aleppo) verortet wird, nicht am Himmel; auch sein Gegenüber El wird irdisch verankert. Oder die Götter Homers - sind sie primär kosmische Mächte (trotz des Blitze schleudernden Zeus)? Die angebliche Toleranz des Polytheismus ist schon seit David Hume ein philosophisches Wunschbild. Darf man jedoch seine zweifellos größere Durchlässigkeit gegenüber Kulten und Riten anderer Herkunft, die aus der Furcht erwächst, irgendwelche gewichtigen überirdischen Mächte übergangen zu haben, für Toleranz ausgeben? Jede gewichtige Gottheit im Polytheismus besitzt ein eigenes kultisches System und meist eine spezielle Ethik für die Kult-genossen. Gewiß rufen entwickelte Kulturkontakte relative Gleichsetzungen und Verschränkungen der Götternamen unterschiedlicher Religionen hervor; doch selbst die interpretatio graeca will den Unterschied zwischen hellenischen und barbarischen Kulten keineswegs aufheben. (Konsequenter Monotheismus setzt hingegen eine Gottheit voraus, die jeden Menschen unmittelbar angeht, die an allen Orten zugänglich ist. Das schließt eine für alle grundsätzlich gleichermaßen geltende Ethik ein, falls nicht eine geschlossene Gemeinschaft von Erwählten den monotheistischen Horizont einschränkt. Je exklusiver die Gottheit, desto inklusiver die Menschheit, vgl. Röm 10,12).

Es dürfte schwer fallen, polytheistischen Systemen eine Neigung zur Toleranz nachzuweisen. Ob Poly- oder Monotheismus - bis in die abendländische Neuzeit hinein werden Kriege unter Stämmen und Völkern von Göttern begleitet und legitimiert. Wo viele Gottheiten vorausgesetzt werden, hat jede Kriegspartei die ihren. Die Sieger zerstören deshalb die numinosen Schutzmächte der Gegenseite und ihre Heiligtümer oder sie versuchen, diese zum Frontwechsel zu bewegen, etwa durch Abtransport von Göttersymbolen (so die Praxis die Assyrer) oder durch evocatio wie bei den Römern. Wo bliebe da Raum für die Toleranz? Im Altertum höchstens bei den monotheistisch gesinnten Persern.8 Um in unsere Gegenwart zu springen: Sind die überzeugten polytheistischen Hindus in Indien tatsächlich friedfertiger, weniger aggressiv, kurz toleranter als ihre moslemischen monotheistischen Landsleute?

Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, daß beim Wandel von Poly- zu Monotheismus ein anderes Feindbild entsteht. An die Stelle von Mythologie tritt Metaphysik, statt des Gegensatzes von Heiligkeit-Unreinheit schiebt sich der von Wahrheit und Unwahrheit in den Vordergrund. Der Ketzer wird nun erbitterter bekämpft als der Heide. Wo vordem rituelle Intoleranz dominierte - das späte Ägypten liefert dafür bezeichnende Beispiele -, wird dogmatische Intoleranz vorherrschend.

3. Bei der Darstellung des ägyptischen Materials überhaupt und der "Gegenreligion" des Echnaton im besonderen vermeidet A. nicht jeden Widerspruch. Anfangs wird die moderne Ägyptologie von Erman bis Gardiner verurteilt, weil sie nicht mnemo-historisch, sondern faktisch-historisch gearbeitet hat: "nothing was more detrimental to the image of Egypt" (22), später aber wird Echnaton, der aus dem kulturellen Gedächtnis seit Jahrtausenden herausgefallen war, mit den Methoden eben dieser Ägyptologie wieder zurückgeholt und beurteilt. Einerseits soll für die counter-religion von Amarna Gott "hoch oben" der Welt strikt gegenüber gestanden haben, andererseits soll er "nothing but nature" gewesen sein (engl. S. 178.190). Nach S. 189 hatte Echnaton seine Naturauffassung als revelation erlebt, nach S. 210 basierte sie "not on revelation but on evidence". An der gleichen Stelle wird seine Religion als "cosmotheistic" eingestuft, also mit einem Begriff, der anderwärts als Kennzeichen der sich von ihm absetzenden Nachfolger gilt.

War Echnaton zudem der intolerante, brutal Andersdenkende verfolgende Herrscher, als der er bei A. erscheint? Gewiß hatte er Götternamen aus Stelen ausmeißeln lassen und wahrscheinlich den traditionellen Heiligtümern die königlichen Zuwendungen entzogen. Daß er jedoch Tempel zerstört hat, ist m. E. archäologisch nicht nachgewiesen. Nicht einmal die propagandistischen Attacken der Reaktion unter Tutenchamon und Horemheb erwähnen Verfolgungen oder gar Hinrichtungen.

Die auf Amarna folgende ramessidische Periode hebt häufig die Verborgenheit und das Geheimnis des Sonnengottes Amon-Re hervor und greift damit gewiß Tendenzen auf, die zur Amarna-Revolution geführt hatten. Vielleicht war in dieser Zeit die thebanische Priesterschaft tatsächlich von einem den Kosmos umspannenden Allgott überzeugt, was aber zu keinen Konsequenzen bei der kultischen Vielgötterverehrung des Königs oder der Bevölkerung geführt hat.9 Läßt sich die ramessidische Auffassung aber ohne weiteres mit derjenigen über den Zwergengott Bes pantheos in hellenistischer Zeit parallel setzen, der wohl fest zu einem von Magismus bestimmten Weltbild gehört?10 Und die Isis panthea, die A. im gleichen Zusammenhang nennt, läßt sie sich von der astrologischen Konzeption der Heimarmene trennen, als deren Überwinderin sie gefeiert wird?11 In den beiden letzten Fällen dürfte das, was man als Kosmos bezeichnen mag, vom Wunschbild des deutschen Idealismus meilenweit entfernt gewesen sein. Bestimmte ein alle befriedigender Monotheismus die Mittel- und Spätägyptische Religion -, wie erklärt sich dann, daß die Ägypter früher als andere Völker des Mittelmeerraums sich dem Christentum zugewendet haben - und das ohne Druck von oben, d. h. von einer gesellschaftlichen Oberschicht, oder von außen, von der römischen Besatzungsmacht?

4. Wie ein Fremdkörper im Gefälle des Ganzen wirkt das Kapitel über Freud, trotz der schmalen geistesgeschichtlichen Brücke, die oben erwähnt worden war. Für Freud war der Mord am Urvater und das dadurch allen folgenden menschlichen Geschlechtern eingebrannte Trauma der schlechthinnige Ursprung von Religion. Ihm folgte notwendig "das Ensemble von Bruderklan, Mutterrecht, Exogamie und Totemismus" und danach die langsame "Wiederkehr des Verdrängten"12. Das jener sich mit der "Tötung des Moses durch sein Judenvolk" wiederholte, stellt "ein unentbehrliches Stück unserer Konstruktion dar".13 Das beweist, daß die Folge der individuellen Neurose "Frühes Trauma - Abwehr - Latenz - Ausbruch der neurotischen Erkrankung - teilweise Wiederkehr des Verdrängten" für die Phylogenese ebenso gültig ist.14 Eine zweite bedeutsame Wiederkehr geschah nach Freud mit der Tötung und Auferstehung Christi, "denn er war der wiedergekehrte Urvater der primitiven Horde, verklärt und als Sohn an die Stelle des Vaters gerückt".15 Der Psychoanalytiker folgert deshalb, daß in unseren oberflächlich christianisierten Völkern "ihr Judenhaß... im Grunde Christenhaß" ist, "und man braucht sich nicht zu wundern, daß in der deutschen nationalsozialistischen Revolution diese innige Beziehung der zwei monotheistischen Religionen in der feindseligen Behandlung beider so deutlichen Ausdruck findet".16

A. hingegen bekennt: "Ich muß gestehen, daß ich weder an Freuds Urhordentheorie noch an seine ,archaische Erbschaft’ zu glauben vermag. Trotzdem halte ich seine Theorie der kulturellen Latenz für eine wichtige Einsicht" (dt. Ausgabe 278; engl. 215). Fällt für ein solches Urteil nicht Freuds Konstruktion völlig in sich zusammen, zumal bei ihm nirgendwo eine Spur von Kosmotheologie auftaucht? Freuds Latenzbegriff hängt nicht an der Kultur, sondern an der Verdrängung eines urzeitlichen Traumas. Nur deshalb wird dem Schuldphänomen eine zen-trale Bedeutung zugewiesen, die A. mit Recht hervorhebt, um dann aber seinerseits fortzufahren, daß von einem solchen in der Amarnazeit keine Rede sein könne, sondern hierin gerade ein "sehr kennzeichnende(r) Unterschied zwischen Ägypten und Israel" liege (dt. Ausgabe 281). Wie soll dann aber Freuds Theorie noch mit Echnaton in Zusammenhang gebracht werden? Für A. wird der Kosmotheismus für einen beträchtlichen Zeitraum verdrängt und latent, so daß sich ihm nahelegt, "Freuds Begriff der Latenz auf die Beziehung Europas zu Ägypten anzuwenden" (280). Wenn damit aber Europa nicht eine jahrhundertelange schwerwiegende Neurose beigelegt werden soll, wird der Begriff des Sinnes entleert, den er für Freud besessen hatte. (Sollte das Kapitel womöglich eine captatio benevolentiae A.s an eine nordamerikanische Intelligenzschicht sein?)

5. Inwieweit ist eine aus neuzeitlichen Religionstheorien übernommene Antithese von polytheistischen und monotheistischen Religionen für grundsätzliche Wesensbestimmungen überhaupt geeignet? Auf Theorien über die Vielheit oder Einzigkeit im göttlichen Bereich konzentriert sich A. wie seine Vorgänger. In theoretischer Hinsicht waren aber die Übergänge im Altertum oftmals fließend. Erwägungen über die Einheit einer göttlichen Natur als Seinsgrund überhaupt und daraus folgende Erwägungen über einen Monotheismus hatten nicht nur unter jonischen Naturphilosophen ihren Ausdruck gefunden, sondern in einer ganzen Reihe von Theo- und Kosmogonien im altorientalischen Raum. Andererseits ist ausweislich der Trinitätslehre ein Monotheismus der strikten Einzahl von Christentum gerade nicht vertreten worden, selbst Judentum und Islam kennen neben Gott eine Fülle von Engeln und Dämonen. Da in fortgeschrittenen gesellschaftlichen Systemen, die im Alten Orient meist monarchisch verfaßt sind, auch innerhalb der
Götterwelt feste Strukturen erwartet werden, läßt sich in gewissen Epochen ein Summodeismus beobachten, bei dem ein höchster Gott die übrigen Gottheiten nicht nur beherrscht, sondern geradezu durchdringt. Dann fehlt aber zu einem theoretischen Monotheismus nur ein kleiner Schritt.

Different wird das Bild, sofern Monotheismus nicht primär auf Theorien, sondern auf kultische Praktiken bezogen wird, welche die ausschließliche Verehrung einer einzigen Gottheit beinhalten. Darauf zielt das biblische erste Gebot, das aber keineswegs - bis tief in die hellenistische Epoche hinein? - das Dasein anderer göttlicher Wesen, sondern nur ihre Kompetenz in Abrede stellt (vgl. noch Paulus 1Kor 10,20). Entscheidend erscheint allein, daß jegliches menschliche Individuum aufgerufen ist, zu dem einen, personalen Wirklichkeitsgrund in Beziehung zu treten, weil allein dadurch das Leben endgültig gelingen kann. Die unheilvolle Wirkung von Götzendienst besteht weniger in einer Aufsplitterung der göttlichen Personalität als vielmehr in einer verhängnisvollen Aufsplitterung menschlicher Existenz.

6. Die vielfältigen Überschneidungen zwischen Poly- und Monotheismus im Altertum und die jeweils ausschlaggebenden Motive würden noch bunter zum Vorschein kommen, wenn die begleitenden politischen, ökonomischen und sozialen Faktoren in Rechnung gestellt würden. A. kann darauf verzichten und eine Ideengeschichte gleichsam ohne Bodenhaftung verfolgen, weil er den Antagonismus von Religion und Gegenreligion der Mnemo-Historie und nicht einer wissenschaftlich konstruierte Realgeschichte behandeln will. Wo aber ist der grundsätzliche Antagonismus in der "Gedächtnisgeschichte" nachweisbar? Kann er im Christentum von Anfang an vorausgesetzt werden? Dagegen spricht, daß die christliche Polemik gegen den Götzendienst seit den Tagen der Apologeten bis hin zu Schleiermacher und dem Vaticanum I. neben der religio revelata eine religio naturalis gelehrt und dabei eingeräumt hat, daß auch nichtchristliche Religionen Gottesfurcht kennen, mithin einen Funken Wahrheit enthalten, wenn auch durch Irrtum verdunkelt. Gewiß klafften die theologischen Meinungen über die Leistung des logos spermatikos oder des lumen naturale oft weit auseinander; daß jedoch Religion seit Adam und Eva mit Recht geübt worden ist und nie völlig verschwunden war, darin war man sich im allgemeinen einig. Von fundamentalistischen Strömungen der Neuzeit abgesehen hat m. E. erst die protestantische dialektische Theologie unseres Jahrhunderts einen sich ausschließenden Gegensatz von Offenbarung einerseits und Religion als Gegenoffenbarung andererseits behauptet und zu einem zentralen Merkmal kirchlicher Dogmatik erklärt. Hand in Hand wurde damit der unendliche Abstand zwischen Gott und Kosmos weit über die bisherige Dogmengeschichte hinaus hervorgehoben. Geht die Annahme des Lesers fehl, daß Assmanns distinction vor dem Hintergrund dieser Spätstufe christlicher Dogmengeschichte entstanden ist und er nun seinerseits Offenbarung mit Gegenreligion identifiziert und einem entsprechenden Gegenbild gegenüber gestellt hat? Meint er letztlich die dialektische Position, wenn seine englische Ausgabe im Untertitel von Western Monotheism spricht?

7. Abschließend eine simple Frage: Was kann heute unter Kosmotheismus noch verstanden werden? Für den deutschen Idealismus vor zweihundert Jahren war der Kosmos Inbegriff von Unendlichkeit und unerschöpflicher Produktivität. Wir wissen inzwischen, daß der Kosmos endlich ist, zwar vielleicht ständig expandiert, aber in seinen Erstreckungen meßbar, durch Masse und Bewegung konstituiert, durch Kausalität und Zukunftswahrscheinlichkeiten bestimmbar. Wer noch immer den Kosmos als beseelt behauptet - bringt der nicht notwendig eine transzendente Größe ins Spiel? Geschieht das aber, warum soll sie ausgerechnet an den Grenzen des Weltalls ihr Ende finden?

Das Programm des Kosmotheismus stellt einen Generalangriff auf die christliche (jüdische und islamische) Gotteslehre dar, unter Berufung auf eine Art "unparteiische Kirchen- und Ketzergeschichte", welche den Weg der Wahrheit über "Bewegungen wie Alchemie, Kabbala, Hermetismus, Neuplatonismus, Spinozismus, Deismus und Pantheismus" (dt. Fassung 279) verfolgt hat. Der Historiker mag eine Fülle von Fragezeichen anbringen. Der Theologe täte jedoch gut daran, sich über ein solches Programm nicht vorschnell hinwegzusetzen. Meldet sich in ihm nicht das Wahrheitsmoment eines begreiflichen Protestes gegen eine Theologie, welche Gott und Welt säuberlich auseinanderzuhalten bemüht ist? Der moderne Protestantismus hat Schöpfung und Erlösung so sehr voneinander getrennt, daß im Blick auf die erste der kirchlichen Verkündigungen nur der wehleidige- und zugleich überhebliche - Appell zum Bewahren der Schöpfung übrigbleibt, so als hätte Gott seine Schöpfung längst abgeschlossen und sei nicht mehr in der Lage, sie von sich aus aufrechtzuerhalten. Was aber ist ein Gott, der nur von außen stieße? Die alttestamentliche Überzeugung von der in allem Leben wirksamen göttlichen Ruach hatte es gewiß noch anders gemeint. Ein Schuß Kosmotheismus kann dem blaß gewordenen Christentum unserer Tage sicher nicht schaden.

Als weitere Aufgabe legt sich angesichts gewichtiger Einwände eine Neuformulierung der monotheistischen Theorie nahe. Die heutigen Theologen lieben es zwar, in ihrer Gotteslehre Gott als den Vater Jesu Christi und zugleich als den Gott des Alten Testamentes darzustellen und meinen, damit der Einheit Gottes hinreichend Ausdruck gegeben zu haben. Doch die historische Forschung hat inzwischen herausgearbeitet, daß es mit der Rede vom alttestamentlichen Gott ein eigenes Ding ist. Nicht nur der Monotheismus, sondern schon eine Monolatrie Jahwäs scheint erst auf einer fortgeschrittenen Stufe israelitischer Religion verwirklicht worden zu sein. Der alttestamentliche Monotheismus hat eine jahrhundertelange Vorgeschichte, ohne deren Kenntnis seine Entstehungsbedingungen nicht zu erfassen sind. Leider begnügen gerade sich kritisch gebende Alttestamentler sich damit, allein innerisraelitische Vorstufen aufzuspüren, was aufgrund des lückenhaften Textmaterials zu einer buntscheckigen Fülle von Spekulationen führt. A. kommt das Verdienst zu, darauf hinzuweisen, daß der hernach als mosaisch geltende Jahwä-Monotheismus mannigfache altorientalische - nicht nur ägyptische - Vorläufer und Parallelbewegungen hatte, vor allem aber, daß die eine Seite ohne die andere nicht zu verstehen ist (das gilt nicht nur für so häufig diskutierte Beispiele wie die Beziehung von Ps 104 zum ägyptischen Sonnenhymnus). Die notwendige Einbeziehung der religiösen Umwelt betrifft nicht nur die alttestamentliche Gottesanschauung, sondern gewiß auch den israelitischen Kult, wie Spencer schon vor Jahrhunderten herausgestellt hatte. Läßt sich eine alttestamentliche (oder biblische) Theologie überhaupt noch überzeugend darstellen, ohne daß sie von einer Theologie der altorientalisch-hellenistischen Religionsgeschichte begleitet wird, die nicht mit vergleichender Religionsgeschichte verwechselt werden sollte?

Assmann hat ein mutiges, notwendiges und beeindruckendes Werk vorgelegt, an dem kein Bibelwissenschaftler vorbeigehen sollte. Zum Sündenbock, den er und andere suchen, scheint jedoch der biblische Monotheismus kaum geeignet zu sein.

Assmann konnte die glänzende Monographie von E. Hornung, Echnaton. Die Religion des Lichtes (Zürich: Artemis 1995) nicht mehr berücksichtigen. Hornung kommt zu abweichenden Ergebnissen (134): "Echnaton und die von ihm gestiftete Religion sind nicht so episodenhaft, wie es oft dargestellt wird"; und zu Israel: "Zu groß ist der zeitliche Abstand, ein direkter Einfluß auf den Monotheismus des Alten Testaments ist daher auszuschließen."

Summary

The aim of Assmann’s book on "Moses the Egyptian" is not the quest for a historical person at the end of the 2th millenium BCE but a description, far stretched and exciting to read, of the effect of the Mosaic distinction in Western culture, i. e. the clear-cut contrast between religion and what Assmann calls counter-religion, the monotheistic faith with its exclusivenesss and hatred against idolatry as religion of common man. The main part of the book deals with the time from John Spencer until German romanticism and lastly S. Freud, when the Egyptian roots of Moses’ convictions were discovered and his counter-religion was finally connected with the mysterious Pharao Echnaton. In the course of these investigations a return to the traditional Egyptian "cosmotheism" became the ideal of Western scholars; it is the aim of Assmann still today.

According to his view monotheism as counter-religion must be intolerant and aggressive by its nature, whereas polytheism is cosmically orientated and therefore tolerant. His verdict on monotheism corresponds, therefore, to some trends among modern philosophers who use this interpretation of the Bible as the scapegoat for all of that which has gone wrong in Western history including the Holocaust. However, does the history of religion deliver sufficient proofs for this theory? Polytheistic religions are, indeed, often open to alien cults and myths because of the fear to miss the acceptance and veneration of hitherto unknown superhuman powers. Does such behaviour really imply tolerance? The wars between peoples were always wars between deities too, and the polytheistic warriors were at all times as cruel as the monotheistic ones. Moreover, apropos the clear-cut distinction between religion and counter-religion as "Revelation" - was it not only the invention of a Protestant theology in our 20th century called "Dialektische Theologie"? Does Assmann identify "Western Monotheism" with this theological position? It was scarcely the dominant view of all Christian centuries.

Fussnoten:

1) A. Künzli, Gotteskrise. Rowohlt Taschenbuch Verlag 1998.

2) G. Messadié, Histoire Générale de Dieu, 1997, deutsch: Die Geschichte Gottes, Propyläen-V., 1998. Ohne Seitenblick auf Jesus: H. Haarmann: Religion und Autorität. Der Weg des Gottes ohne Konkurrenz, Georg-Olms-Verlag 1998.

3) Lob des Polytheismus, in: H. Poser [Hrsg.]: Philosophie und Mythos, 1979, 40-58.

4) Assmann, Jan: Moses the Egyptian. The Memory of Egypt in Western Monotheism. Cambridge-London: Harvard University Press 1997. X, 276 S. gr. 8. Lw. £ 19.95. ISBN 0-674-58738-3.

Assmann, Jan: Moses der Ägypter. Entzifferung einer Gedächtnisspur. Übers. aus dem Engl. München-Wien: Hanser 1998. 350 S. m. Abb. gr.8. Lw. DM 49,80. ISBN 3-446-19302-2.

5) Im Folgenden zitiert nach S. Freud, Gesammelte Werke XVI, Imago Publishing Co, Ltd., London 1950, 101-246.

6) OBO 51, 1983.

7) UB 366, 1984.

8) P. Frey/K. Koch, Reichsidee und Reichsorganisation im Perserreich (OBO 55), 1996, 137-205.

9) K. Koch, Geschichte der ägyptischen Religion, 1993, PARAGRAPH 16.

10) Ebd., 550-552 und PARAGRAPH 25.

11) Ebd., PARAGRAPH 24.26.

12) Werke XVI, 240 f.

13) Ebd., 196.

14) Ebd., 185.

15) Ebd., 196.

16) Ebd., 198.