Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1379–1381

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klumbies, Paul-Gerhard

Titel/Untertitel:

Herkunft und Horizont der Theologie des Neuen Testaments.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. VIII, 189 S. Kart. EUR 29,00. ISBN 978-3-16-153160-6.

Rezensent:

Johannes U. Beck

Dass die Frage nach der Eigendignität der Theologie als Wissenschaft auch innerhalb der theologischen Teilbereiche für das je-weilige Selbstverständnis zu reflektieren ist, führt Paul-Gerhard Klumbies in seinem Buch stringent für das Fach Neues Testament vor Augen. Er knüpft dabei an seine bisherigen Ergebnisse an und zeigt deren Konsequenzen nun für die »Königsdisziplin der neu-tes­tamentlichen Wissenschaft« (7) auf. Insofern verwundert es nicht, dass der an der Synoptikerexegese ausgerichtete Forschungsschwerpunkt des Kasseler Professors für Biblische Wissenschaften auch in der vorliegenden Studie erkennbar wird.
Mit dem Titel sind schon die beiden wesentlichen Dimensionen bezeichnet, die im Fokus der Untersuchung stehen. Einerseits ist K. daran gelegen, die Vorentscheidungen zu verdeutlichen, die mit der Entstehung der Gattung »Theologie des Neuen Testaments« im Zuge der Aufklärung einhergingen, um die Denkvoraussetzungen und die geschichtliche Bedingtheit des bis in die Gegenwart vorherrschenden historischen Paradigmas aufzuweisen. Andererseits zeigt er Möglichkeiten auf, der »Wiedergewinnung theologischer Re­ferentialität« gegenüber »einer verbreiteten Selbstintegration der neutestamentlichen Wissenschaft in den Rahmen der Ge­schichtswissenschaft« (108) Rechnung zu tragen.
Grundlegend für die Argumentation ist die eingangs aufgestellte These, der Literaturgattung »Theologie des Neuen Testaments« komme neben der Entfaltung der in den neutestamentlichen Schriften erkennbaren Denkbewegungen auch die Aufgabe zu, deren theologischen Ertrag für gegenwärtige Aussagen von Gott zu erschließen. Ist diese Aufgabe jedoch im Verlauf der knapp 250-jährigen Geschichte der Gattung durch die historische Ausrichtung zurückgedrängt worden, konstatiert K. derzeit eine Stagnation innerhalb des Fachs, deren Grund er in jener Zurückdrängung wahrnimmt. Letztere resultiert nach ihm aus den geschichtlichen Bedingungen der Aufklärung, unter denen die Gattung entstanden ist und die die von Johann Philipp Gabler vollzogene Unterscheidung zwischen biblischer und dogmatischer Theologie mitbestimmten. »Die Theologie sicherte sich ihr akademisches Überleben durch die Teilhabe an dem allgemein gültigen Wissenschaftsparadigma« (20), das in der Exegese unter dem Ideal der Objektivität zugleich die Autonomie gegenüber der Dogmatik gewährleistete. In der Folge entwickelte sich ein zunehmend ausdifferenziertes Methodeninstrumentarium, wobei im Rahmen des sich durchsetzenden »Pathos des Ursprünglichen« (43) für das Verständnis eines Textes die Geschichte seiner Entstehung wesentlich wurde. K. kann diesbezüglich zeigen, dass auch die später entwickelten Methoden je mit zeitbedingten Fragestellungen korrelieren, denen sie verhaftet sind.
Droht der mit solcher Historisierung einhergehenden Dis-tanzierung freilich »als Folge die innere Aushöhlung der theolo-gischen Grundlagen« (105), ist demgegenüber der Gottesbezug der neutestamentlichen Schriften als Orientierungspunkt gegenwärtiger Interpretationen neu zur Geltung zu bringen. Der Ge­winn an K.s Ausführungen ist, dass er hierbei dezidiert hermeneutische Überlegungen einbezieht und die Frage nach den Zugängen zur Offenbarung Gottes und zur Geschichte systematisch reflektiert. Er selbst plädiert in beiden Fällen für »die tragfähige Konstitution einer Wirklichkeitsauffassung und eines Textverständnisses […], die zwischen der Szylla einer Ontologisierung und der Charybdis des Konstruktivismus hindurchführt« (98).
In den übrigen fünf der insgesamt zehn Kapitel umreißt K. den Horizont für künftige Ausarbeitungen der Gattung »Theologie des Neuen Testaments«. Zu überwinden ist ihm zufolge ein mythoskritischer Theologiebegriff zugunsten einer gegenseitigen Be­fruchtung von begrifflich-analytischer Rationalität und narrativ entfalteter Rationalität des Mythos, um die theologische Referentialität der neutestamentlichen Texte auf Gott als Gott aussagbar zu machen. Diese Ausrichtung auf die Gott-Mensch-Beziehung lässt die Theologie des Neuen Testaments »im Rahmen ihrer Mitwirkung an der theologischen Gesamtverantwortung als Prinzipwissenschaft« (161) erscheinen. Als solche offeriert die Theologie insgesamt die Chance, die »intellektuelle Monokultur« (164) eines sich als alternativlos präsentierenden Wissenschaftsparadigmas zu verhindern. Offen bleibt freilich, in welcher Weise jene Referentialität im Rahmen wissenschaftlicher Arbeit zu erschließen ist. Hier könnten prinzipielle Überlegungen zum Wissenschaftsbegriff wei­terführen, in die auch die Reflexion der »Interessegelenktheit […] des eigenen Zugangs« (39) einzubeziehen wäre. Im Horizont solcher Überlegungen ist die vorliegende Studie als wesentlicher Beitrag zum wissenschaftstheoretischen Diskurs zu bewerten, die – wie K. es für die Aufklärung postuliert – unter Aufweis überkommener Paradigmen »die Erschließung neuer Handlungsräume« (24) initiiert.