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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1375–1377

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Adams, Edward

Titel/Untertitel:

The Earliest Christian Meeting Places. Almost Exclusively Houses?

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & & Clark 2013. XIV, 263 S. m. Abb. = The Library of New Testament Studies. Kart. £ 18,99. ISBN 978-0-567-66314-6.

Rezensent:

Markus Öhler

Die entscheidende Bedeutung von Hausgemeinden gehört zu den zumeist unumstrittenen »Fakten« für die Rekonstruktion von Ausbreitung und Etablierung des frühen Christentums in den ersten Jahrhunderten (vgl. zuletzt etwa Dietrich-Alex Koch, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch, Göttingen 2013, 275 f., der lediglich zwischen der ganzen Gemeinde in einem Haus und mehreren Hausgemeinden in einer Stadt differenziert). Edward Adams spielt mit dem Untertitel seiner Untersuchung auf diese etablierte These an, versieht sie aber mit einem Fragezeichen. Denn in der Tat: Nach der Lektüre dieses erfreulich flüssig zu lesenden Bandes kommen durchaus Zweifel auf an der von A. so genannten »AEH [sc. almost exclusively houses]-perspective«.
Der Aufbau des Bandes ist – nach einer Einführung in die Forschungslage – zweiteilig gehalten: Zum einen werden frühchristliche Belege besprochen, die bisher für das Haus als primären bzw. sogar einzigen Versammlungsort der ersten Christusgläubigen herangezogen wurden. Zum anderen werden weitere Möglichkeiten erörtert, die in der griechisch-römischen Welt für Treffen von Gruppen zur Verfügung standen und auch von Christen genutzt wurden.
Die paulinischen Belege, die auch A. für tatsächliche Nachweise von Gemeinden in Häusern hält (17–35), sind rasch aufgezählt: Das Haus des Philemon in Kolossä (Phlm 2) sowie jenes von Aquila und Priska in Ephesus (1Kor 16,19), wo jeweils die Formel ἡ κατ’ οἶκον ἐκκλησία begegnet (wie auch laut Kol 4,15 in Laodicäa). Dieser im Vergleich zur »AEH-perspective« schmale Befund hat vor allem mit zwei wesentlichen Einsichten zu tun, die für die These A.s zentral sind. Einerseits sei mit οἶκος keinesfalls stets ein Haus im Sinne einer Villa gemeint, vielmehr könne der Ausdruck sowohl im Blick auf einen Haushalt verwendet werden (so etwa bei Stephanus 1Kor 16,15), aber auch andere Gebäudestrukturen wie Werkstätten oder Wohnungen meinen. Es hätte der Überzeugungskraft dieses An­satzes vielleicht gut getan, hätte A. den sprachlichen Befund ausführlicher herausgearbeitet (etwa auch im Blick auf Papyri und Inschriften), in der Sache hat er aber wohl Recht.
Die zweite Grundlegung von A.s Ausführungen verweist auf ein problematisches Schlussverfahren: Aus zwei sicheren Belegen in den echten Paulusbriefen kann in der Tat nicht deduziert werden, dass dort, wo Personen genannt werden, die als Patron/Patronin oder Gastgeber agierten (Phöbe: Röm 16,1; Gaius: Röm 16,23), tatsächliche Gemeinden in deren Haus vorauszusetzen sind. Auch die Formulierungen in Röm 16,10f.14 f. – »die des N. N.« bzw. »die mit ihnen« – sind vorschnell als Hinweise auf Hausgemeinden interpretiert worden. Für Gemeinden, für die der Begriff »Haus« bei Paulus gar nicht verwendet wird (z. B. Philippi, Thessalonich), gilt Analoges. Das er­weist sich, so A., auch für weitere neutestamentliche Texte (Deuteropaulinen, Katholische Briefe, Synoptiker) als zutreffend, nicht aber für die Apostelgeschichte (35–67). Letztere bestätigt zwar unzweifelhaft (wenn auch nicht so zahlreich wie oft behauptet), dass Häuser als Versammlungsorte genutzt wurden, doch lasse sich daraus nicht schließen, dass dies generell im frühen Christentum so gewesen sei. M. E. findet sich an dieser Stelle ein gewisser Schwachpunkt von A.s These, da die Bedeutung der Apostelgeschichte in dieser Hinsicht auch anders eingeschätzt werden kann.
Ein Durchgang durch die christliche Literatur bis zum Anfang des 4. Jh.s öffnet den Blick auf weitere Möglichkeiten für Versammlungsorte, zeigt aber zugleich, dass zahlreiche einschlägige Belege für Hausgemeinden nicht eindeutig sind (68–88). »The documents do not overtly attest to the use of houses as congregational meeting places« (72), was freilich »Hausgemeinden« im eigentlichen Sinn auch nicht ausschließt. So lassen sich zwar in Mart. Just. 3; Acta Pauli 3,5–7.9; Acta Petri 13–22; Ps.-Clem., Recogn. 4,2.6–7; 6,15; 8,36–38 durchaus klare Belege dafür finden. Zu Recht relativiert A. dies aber durch jene Texte, in denen Wohnungen, Werkstätten, Scheunen, angemietete Säle, Gärten usw. als Versammlungsorte genannt werden. Auch die archäologischen Zeugnisse frühchristlicher Gebäude wie jene in Dura Europos, Megiddo, Rom, Porec, Lullingstone u. a. lassen nicht erkennen, dass die jeweiligen Häuser vor ihrer Adaptierung von Christen als Versammlungsorte genutzt wurden.
Den Einwand, dass auch im nichtchristlichen Kontext Häuser als Orte von Religiosität von hoher Bedeutung waren und dass dies einen entsprechenden Brauch bei den ersten Gemeinden doch wahrscheinlich mache, lässt A. nicht gelten (113–133). Für alltägliche »private« Frömmigkeit, für den Unterricht, für Zusammenkünfte von Vereinigungen oder Synagogen wurde eine Reihe von Strukturen genutzt, nicht nur Häuser. Analogiebildungen zwischen frühchristlichen Gemeinden und antiken Formen von Gemeinschaft müssten daher über den Bereich des Hauses hinaus deutlich erweitert werden.
Im zweiten Abschnitt des Buches (137–197) behandelt A. die verschiedenen Möglichkeiten für Versammlungsorte jenseits privater Häuser, die er in einem zweiten Schritt jeweils im Blick auf das frühe Christentum untersucht. In erster Linie sind hier Geschäfte, Werkstätten und Lagerräume zu nennen, zumal dies etwa im Fall von Priska und Aquila schon vom neutestamentlichen Textbefund her nicht unwahrscheinlich ist (vgl. Apg 18,3). Die klaren Belege dafür, etwa aus den Apokryphen oder archäologischer Natur, sind allerdings spärlich, was freilich nicht ausschließt, dass diese Orte – zumal sie mehr Raum boten als etwa Wohnungen – stärker genutzt wurden als bisher veranschlagt. Für ebenso wichtig hält A. zu Recht die Bedeutung von angemieteten Räumen, vor allem in Tavernen oder Bädern. Auch Vereinshäuser und vielleicht auch Speisesäle in Tempelkomplexen (wenigstens in Jerusalem) wären hier noch zu er­wägen gewesen. Wichtig sind ebenfalls die zuletzt behandelten Plätze im Freien, also Gärten – unter Umständen im Zusammenhang mit einem Privathaus –, Flussufer, Markt- oder Begräbnisplätze.
Der Band schließt mit einer Reihe von Abbildungen, Literaturverzeichnis und Indizes (leider ohne Sachverzeichnis). Seine beiden Ziele sollte A. mit seiner Monographie bei aller nötigen kritischen Diskussion der Auswertung der zahlreichen Belegtexte auf jeden Fall erreicht haben: 1) Die Diskussion über Hausgemeinden als primärer sozialer Kontext der ersten Christusgläubigen neu zu entfachen, und 2) den Blick für alternative Versammlungsorte zu öffnen. Dies hat nicht nur darin seine Bedeutung, dass nun eben auch andere Plätze genannt werden. Vielmehr hat dies Implikationen z. B. für die Untersuchungen zur frühchristlichen Mahlpraxis, zu Größe und Ausbreitung des Christentums im 1. Jh., zur Ausbildung von Funktionen und Ämtern, zur Außenwahrnehmung usw. Eine kritische Rezeption dieses Buches kann einer historischen Rekonstruktion des frühen Christentums daher nur gut tun.