Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1373–1375

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Schüngel-Straumann, Helen

Titel/Untertitel:

Eva. Die erste Frau der Bibel: Ursache allen Übels?

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 217 S. m. 35 Abb. Geb. EUR 29,90. ISBN 978-3-506-77793-5.

Rezensent:

Michaela Bauks

Unter einem neuen Titel erschien in überarbeiteter Form der Klassiker »Die Frau am Anfang. Eva und die Folgen«, 1989, 31999. Die Argumentation des exegetischen Kapitels entspricht in weiten Teilen der ursprünglichen Fassung und ist durch knappe Anmerkungen zu neueren Vorschlägen der Datierung ergänzt worden. Die wichtigsten Züge des damals sehr innovativen Ansatzes lässt sich anhand der Wortspiele und semantischen Beobachtungen folgendermaßen darlegen: Das Nomen ’adam, das den Menschen in engster Verbindung zu seiner Bestimmung, der Bebauung der ’adamah setzt, ist nicht von Beginn der Erzählung als männlich konnotiert zu verstehen, sondern bezeichnet den »Erdling, der aus der ’adamah geformt wird, [dieser] ist der Mensch schlechthin, also kein Individuum im modernen Sinn« (144). Es ist also »von einem unbestimmten, einem auf beide Geschlechter hin offenen Wesen, das mit der Erschaffung der Frau nun deutlich in zwei Geschlechtern erscheint« (146 f.), auszugehen. Erst durch die Erschaffung der Frau wird das menschliche Wesen zum Mann. Ein zweites Wortspiel (’îš-’išah) stellt vor allem das Bezogensein beider in den Vordergrund. Das Nomen ’adam ist zwar nicht grundsätzlich ge­schlechtsbezogen zu verstehen (unter Verweis auf Clines, VT 53, 2003), doch ist die Perspektivierung des Texts grundsätzlich androzentrisch, wie die Rede von ’adam und seiner Frau (und nicht etwa ’išah und ihrem ’îš) deutlich zeigt (147, Anm. 244). Mit dem wiederholt wiederkehrenden Verweis, dass die Erzählung ursprünglich nur von einem Mann gehandelt hätte und um die Frau ergänzt worden sei, was sich daraus abläse, dass das allein an den Mann gerichtete Verbot sonst nicht verständlich würde (139), widerspricht die Vfn. letztlich sich selbst – denn wenn ’adam anfangs ein androgyn gedachtes Wesen bezeichnet, dürfte sich auch das Verbot entweder an beide oder keinen richten, wenn man nicht – von narratologischen Beobachtungen herkommend – solche Auslassungen bzw. Ellipsen für geläufige Erzähltechnik hält. Auch wird in den Ausführungen nicht deutlich, auf welcher Ebene sich die verschiedenen Traditionen miteinander verbunden haben (mündlich-schriftlich) und welchem überlieferungsgeschichtlichen Modell die Vfn. sich anschließt.
Die Erschaffung der Frau aus der Rippe bzw. genauer der Seite des Erdlings, anstelle der Formung aus Erde – wie bei den Tieren –, beschreibt sie als Bild der Zusammengehörigkeit wie die zwei Hälften eines Stücks. So korrigiert sie sehr nachvollziehbar die Deutung der Schöpfung aus der männlichen Rippe im Sinne einer zweiten und minderwertigen Etappe, die dem Humanum Mann nur ausschnitthaft entspricht. Daraus entwickelte sich die verbreitete Fehldeutung von Eva als Ursache allen Übels (150). Wenn auch in feministischen Studien aus dem in 2,22 f. beschriebenen Vorgang herausgelesen wird, dass die Erschaffung der Frau als Geburt aus dem Mann beschrieben sei, dann ist das falsch: Es geht nämlich nicht um die Technik der Erschaffung, sondern um den Gedanken der materiellen Gleichwertigkeit. Dem entspricht sprachlich auch die Wendung ‘ezer kenegdô, die die Komplementarität der Ge­schlechter als »gleichwertige Partner« nochmals unterstreicht (152).
Wenn sie das Wortspiel von ‘arôm – ‘arûm, einem wichtigen Mo­tor für den Übergang von 2,25–3,1, auch in 3,1 als »nackt« deutet, macht das keinen Sinn (165). Die zahlreichen Spekulationen um den Namen der Frau, Ḥawwa, reißt sie kurz an, ohne sie für das Verständnis der »Kriminalgeschichte der Eva« auszuwerten (zur schöpferischen Kraft vgl. noch 182–185). Anhand der Begriffe wie jada‘ »erkennen«, tob we-ra‘ »gut und böse« als vermeintlicher Dualismus, dem nicht vorhandenen Apfel und den Feigenschurzen mit der Frage nach Bekleidung und Nacktheit oder den ätiologischen »Strafsprüchen« (vgl. dazu auch H. Reuling, After Eden. Church Fathers and Rabbis on Genesis 3:16–21, Leiden 2006) geht sie weiteren für die Rezeptionsgeschichte prominenten Aspekten nach. Ihr Fazit lautet, »dass der biblische Verfasser mit dem schwierigen Problem des Bösen nicht fertig wird« (171).
An dieser Stelle sind die exegetischen Überlegungen indes weitergegangen: Zielt die Dramaturgie der Erzählung, die, wie sie richtig feststellt, keinen Sündenbock bestimmt, vielleicht gar nicht auf die Frage nach der Herkunft des Bösen als vielmehr auf die Frage der Ambivalenz von Wissen/Weisheit, wie es Untersuchungen seit einiger Zeit nahelegen, auf die sie nicht weiter eingeht? Hier hätte man sich eine größere Berücksichtigung der jüngeren Forschungsdiskussionen gewünscht: D. Carr, The Politics of Textual Subversion. A Diachronic Perspective on the Garden of Eden Story, JBL 112 (1993), 577–593; K. Schmid, Die Unteilbarkeit der Weisheit. Überlegungen zur sogenannten Paradieserzählung Gen 2 f. und ihre theologische Tendenz, ZAW 114 (2002), 21–39; H. Spieckermann, Ambivalenzen. Ermöglichte und verwirklichte Schöpfung in Gen 2 f., in: Ders., Gottes Liebe zu Israel. Studien zur Theologie des Alten Testaments, Tübingen 2001, 49–61; T. Krüger, Sündenfall? Überlegungen zur theologischen Bedeutung der Paradiesgeschichte, in: K. Schmid/C. Riedweg (Hrsg.), Beyond Eden. The Biblical Story of Paradise (Genesis 2–3) and Its Reception History, Tübingen 2008, 95–109.
Allerdingst hat die Studie keine exegetischen Ambitionen, sondern präsentiert den exegetischen Befund in Hinführung auf die Rezeptionsgeschichte der Eva-Figur, wie sie bis in die Aktualität als Ursprung der Sünde, Verführerin etc. in aktueller Werbung, Kunst und Literatur der vorangehenden Jahrhunderte dargestellt ist. Das Buch enthält 35 Abbildungen, die aus der antiken wie modernen Religionsgeschichte, aus sakralen und säkularen Kontexten stammen und die verschiedenen Pattern der Rezeption illustrieren. Hinzu kommen Textbeispiele aus der antiken Rezeption (Neues Testament; Jub; 1Hen; TestXII; ApcAbr; ApcMos; VitAs), mittelalterliche Handbücher (»Hexenhammer«) bis hin zu Augustin und Thomas von Aquin und moderner Dogmatik, um die Variationsbreite der Verzeichnung des biblischen Texts zu dokumentieren. Aber auch »Andere Stimmen« finden Erwähnung: Mystikerinnen wie Hildegard von Bingen und Mechthild von Magdeburg (57–59) oder die Kirchenväter Hieronymus und Irenäus, ein armenisches Kindheitsevangelium oder der Faltonia Letitia Proba, welche ein differenziertes Bild der Vielfalt von Rezeption geben. Die Sammlung ist ergänzt durch Literaturbeispiele wie J. Milton, Paradise Lost, oder der französischen Renaissance (Christine de Pizan).
Allerdings hat die Forschung zur Rezeptionsgeschichte gerade im Bereich der Genderforschung in den letzten Jahren Aufwind erhalten, der zuletzt in dem so ambitionierten wie gelungenen Projekt von I. Fischer, J. Økland, M. Navarro Puerto und A. Valerio zu Bibel und Frauen (I. Fischer/M. Navarro Puerto/A. Taschl-Erber [Hrsg.]: Hebräische Bibel – Altes Testament Bd. 1: Tora, Stuttgart 2010) eine transdisziplinäre und transkulturelle Plattform gefunden hat, die über ein Katalogisieren von Belegen hinausführt. Einzelne Beiträge daraus finden sich zwar in der Bibliographie am Ende des vorliegenden Bandes zitiert, doch haben dort angerissene Fragestellungen und wichtige methodologische Überlegungen zur rezeptionsgeschichtlichen Forschung keinen Eingang in die Studie gefunden (so z. B. die Frage nach der angemessenen Unterscheidung von »Rezeptionsgeschichte« und »Wirkungsgeschichte«) – das ist sehr schade. Auch fehlt eine Re­flexion über die Darstellungsmodi der rezeptionsgeschichtlichen Fallbeispiele (J. F. A. Sawyer [Hrsg.], The Blackwell Companion to the Bible and Culture, Malden/Oxford 2012). Ärgerlich sind ein paar »Unfälle« bei Transkriptionen (z. B. S. 142 ’adam, wo das Aleph wie ein Komma nach unten rutscht, ruaḥ in Anm. 248 ist durch Kästchen »dekoriert«). Zudem sind die Zeichensätze uneinheitlich, was auf eine gewisse Nachlässigkeit des Verlages schließen lässt. Eine Korrektur sei mir als Mitherausgeberin von Wibilex gestattet: Wibilex und Wikipedia sind nicht zu verwechseln (Anm. 230), da Ersteres eine wissenschaftlichen Standards entsprechend lektorierte, mit einem Autor versehene und dann publizierte Online-Veröffentlichung ist, die nicht zur Fortschreibung freigeben ist.
Die Vfn. präsentiert noch einmal ihre klar gezeichneten, hie und da – zum Teil in modifizierter Form – in der Forschung aufgenommenen Thesen, die auch für Nicht-Fachtheolog(inn)en verständlich dargestellt sind.