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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1369–1370

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Jericke, Detlef

Titel/Untertitel:

Die Ortsangaben im Buch Genesis. Ein historisch-topographischer und literarisch-topographischer Kommentar.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2013. 357 S. m. 3 Tab. u. 5 Ktn. = Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, 248. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-525-53610-0.

Rezensent:

Ulrich Hübner

Das Buch ist im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekts »Die Ortsangaben im Buch Genesis« an der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg er-arbeitet worden. Unter »Ortsangaben« versteht Detlef Jericke die rund 120 »primären« Toponyme, also Orts-, Landschafts- und Ge­wässernamen, nicht aber die »sekundären« Toponyme wie Personennamen und Ethnonyme in 1Mose. Ziel der Studie ist es (13–20), diese Ortsangaben nicht nur auf dem traditionellen Weg der historischen Topographie, sondern vor allem in ihrer literarischen, kontextuellen Funktion und Bedeutung zu untersuchen. Dazu bedient sich der Vf., der sich seit seiner Mitarbeit am »Tübinger Atlas zum Vorderen Orient« immer wieder mit den Ortsangaben im Alten Testament beschäftigt hat, einerseits der üblichen historisch-topographischen und andererseits der vor allem aus der englischsprachigen Forschung bekannten literarisch-topographischen Methoden (20–24). Dadurch ist ein topographischer Kommentar zum Buch Genesis entstanden:
Der größte Teil des Buches ist eine kommentierte Auflistung der einzelnen Ortsangaben, die jeweils nach Art eines Lexikonartikels aufgebaut sind (alttestamentlich-hebräische und -griechische Na­menformen, Lokalisierungsvorschlag, alttestamentliche, altvorderorientalische und nachalttestamentliche Belege, Begründung des Lokalisierungsvorschlags) (25–259). Die Ortsangaben werden in der Reihenfolge ihrer Bezeugungen in den vier »Teilbereichen« der Genesis angeführt, nämlich Urgeschichte Gen 1,1–11,26, Abrahamgeschichte 11,27–25,18, Jakobgeschichte 25,19–37,1 und Josefgeschichte 37,2–50,26 (vgl. Karten 1–4). Durch diese Aufteilung um­geht der Vf. aus gutem Grund das ungelöste Problem der Pentateuchquellen, nur gelegentlich spricht er z. B. von »vermeintlich priester(schrift)lichen Texten«. Der lexikonartige Teil der Arbeit ist – ohne wirklich Neues zu bieten – eine sachliche und nützliche Übersicht dessen, was man zur Zeit weiß oder zu wissen glaubt. So werden mehrere Ortsnamen wie z. B. Beer-Lahai-Roï, Eden, He­noch, Morija oder Nod als symbolisch-fiktiv eingeordnet, bei anderen wie z. B. Adma, Esek, Lescha, Mescha, Resen, Pagu, Sefar, Sodom oder Zebojim wird aus guten Gründen eine Lokalisierung offen gelassen. Bei anderen realen Ortsnamen hält der Vf. z. B. an der Lokalisierung von Beerscheba auf Tell es-Seba’ fest oder identifiziert Gerar auf dem Tell Ab ū Hurēre. An jeden der kommentierten Teilbereiche schließen sich hilfreiche Zusammenfassungen zur jeweiligen »literarisch-topographischen Inszenierung« der vier Teilbereiche an, die die Einzelbeobachtungen bündeln und vor allem auch der literarischen Funktion der Ortsangaben einen an­gemessenen Raum geben (68–82; 159–179; 212–227; 244–259). Auf diesem Weg rekonstruiert der Vf. aus realen und literarisch-symbolischen Ortsangaben eine mentale Landkarte der Genesis (260–266): Die schrittweise Verengung des geographischen Horizonts entspricht dem literarischen Erzählgefälle der Genesis von der Welt- und Menschenschöpfung auf die Geschichte der Söhne Jakobs/Israels, was Karte 5 (»Der [ sic] geographische Erstreckung der Ortsangaben im Buch Genesis«) noch einmal optisch gut vor Augen führt. Während sich die Urgeschichte – von Überschneidungen und Querverbindungen abgesehen – trotz ihres weiten Horizonts vor allem auf Mesopotamien konzentriert, beziehen sich die Abrahamgeschichte enger auf das südliche Kanaan, die Jakobgeschichte auf Kanaan und die Josefgeschichte auf Ägypten. Im Buch Genesis fällt die friedliche, vertraglich-rechtlich orientierte Sicht des eigenen Lebensraums im Vergleich zu der militärischen Durchsetzung eigener Ansprüche in den ab dem Exodus-Buch deuteronomistisch geprägten Texten auf. Nach An­sicht des Vf.s spiegeln die Erzelterngeschichten die Diasporasituationen von Judäern und Israeliten bzw. Juden: Die Jakobgeschichte basiert auf den Umwälzungen im Zuge der assyrischen Westexpansion gegen Ende des 8./Anfang 7. Jh.s v. Chr., die Ur- und Abrahamgeschichte setzen die neobabylonische und wahrscheinlich auch die persische Zeit voraus, die Josefgeschichte spiegelt eventuell die frühptolemäische Zeit. Insgesamt wird im Buch Genesis die Diaspora in Mesopotamien und Ägypten ambivalent, die »kernlandnahe« Diaspora in Beerscheba, Gerar und Hebron positiv gesehen. Am Ende der Arbeit folgen ein umfangreiches Literaturverzeichnis (267–336), drei Tabellen (»Die Ortsangaben in alphabetischer Reihenfolge«; »Die Verteilung der Ortsangaben«; »Die Ortsangaben in vermeintlich priester(schrift)lichen Texten der Genesis«) (337–350) und fünf Karten (353–357).
Die umfassende Studie gibt neue Einblicke in die geographischen Vorstellungswelten der Verfasser und Tradenten der Genesis-Überlieferungen und sollte daher zukünftig in der Forschung angemessen berücksichtigt werden.