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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1364–1366

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Lange, Melanie, u. Martin Rösel[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»Was Dolmetschen für Kunst und Arbeit sei«. Die Lutherbibel und andere deutsche Bibelübersetzungen. Beiträge der Rostocker Konferenz 2013.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Stuttgart: Deutsche Bibelgesellschaft 2014. 364 S. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-374-03789-6 (Ev. Verlagsanstalt); 978-3-438-06250-5 (Dt. Bibelgesellschaft).

Rezensent:

Franz Josef Backhaus

Der von Melanie Lange und Martin Rösel herausgegebene Band bietet die ersten Ergebnisse aus dem Arbeitsprozess der gründlichen Durchsicht der Lutherbibel. Er geht zurück auf eine Konferenz, die vom 17.–19. Oktober 2013 an der Universität Rostock stattfand.
Unter der Rubrik »Die Lutherbibel in Kirche und Gesellschaft« gibt der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Nikolaus Schneider, einen Einblick in Luthers Übersetzungsarbeit als Beispiel reformatorischen Theologie-Treibens. Dabei ging Luther von einer nach Schneider nicht ganz unproblematischen Übersetzungshermeneutik des »was Christum treibet« aus, was eine gewisse Freiheit beim Übersetzen gegenüber dem Urtext nach sich zog.
Während für Matthias Kamann nicht nur öffentlichkeitsstrategische Gründe, sondern auch Luthers Poesie und sein sprachlicher Erfindungsreichtum für eine Revision sprechen, die nahe am Luthertext bleibt, widmet sich Alexander Deeg in seinem Beitrag der Perikopenrevision, die er mit der Durchsicht der Lutherbibel ins Gespräch bringt. Deeg plädiert mit Nachdruck dafür, dass die Lutherbibel die Lesebibel im evangelischen Kontext bleibt.
Melanie Lange eröffnet mit ihrem Beitrag zum Übersetzungsverständnis von Sebastian Münster und Martin Luther die Rubrik »Die Lutherbibel und ihre Geschichte«. Die beiden Namen stehen für zwei unterschiedliche Verstehensweisen christlicher Hebrais­tik des 16. Jh.s: Während Münster die Hebraistik eher philologisch auffasst und unter Zuhilfenahme rabbinischer Auslegungen lehrt, versteht sie der Autodidakt Luther eher von theologischen und christologischen Vorgaben her und setzt sie letztlich gegen eine jüdische Auslegung des ersten Teils der christlichen Bibel ein.
Stefan Michel beleuchtet anhand der Revisionsprotokolle von Georg Rörer die Revision der Lutherbibel zwischen 1531 und 1545. Die Protokolle geben intime Einblicke in die Entstehung des Übersetzungstextes. Als Vorsitzender der Übersetzergruppe hatte Lu­ther die letzte Entscheidungskompetenz.
Heinrich Assel betrachtet aus einer systematisch-theologischen Perspektive den Gebrauch der Gottesnamen und die Kernstellen der Lutherbibel von 1545. Er stellt den zweifaltigen Gebrauch des Gottesnamens bei Luther als nomen proprium dei (»HERR« für das Tetragramm und für griechisch kýrios , wenn es für das Tetragramm steht) und als nomen dei praedicatum (HErr für griechisch kýrios als göttlichen Namen, aber im christologischen Sinn) dar und sieht darin eine Innovation Luthers, der diesen zweifaltigen Gebrauch für das gesamte Alte Testament und Neue Testament inklusive Apokryphen durchführt. Hinsichtlich der Kernstellen soll nach Assel eine kritische Sichtung vorgenommen werden, die vor allem unreflektierte Vorverständnisse hinterfragt. Im Zusammenspiel des zweifaltigen Gebrauchs des Gottesnamens mit den Kernstellen zeigt sich einerseits Luthers akribische Übersetzungsarbeit, andererseits seine Kanonhermeneutik.
Anhand des Beispiels von Johannes Diecmann und seiner Stader Bibelausgaben zeigt Helmut Roscher, wie sich jemand zwischen 1690 und 1712 mit großer Akribie für die Wiederherstellung des ursprünglichen Luthertextes einsetzt.
Ursula Götz zeichnet in ihrem sprachhistorischen Beitrag nach, wie sich die Sprache Luthers vom Septembertestament 1522 bis zu seinem Tod im Februar 1546 in den Übersetzungen verändert und dadurch wesentlich zur Entstehung der neuhochdeutschen Standardsprache beiträgt.
Die Rubrik »Die aktuelle Durchsicht der Lutherbibel« hebt sich von den übrigen Rubriken formal durch ein Rede-Gegenrede-Modell ab: Der vom zuständigen Koordinator des Lutherbibel-Projekts dargebotene aktuelle Stand der Durchsicht seines Bereichs wird von einem Fachkollegen, der nicht an der Durchsicht beteiligt ist, kritisch kommentiert. So geht Christoph Kähler auf die Kriterien der Durchsicht der Lutherbibel von 1984 ein und formuliert als interne Regel des Lenkungsausschusses, dass eine Textstelle, die Luther 1545 philologisch genauer übersetzt hat als die Revision von 1984 und die heute noch gut verständlich ist, zu diesem Stand rückrevidiert wird. Als zweite Regel gilt: Je präsenter ein Text im Ge­dächtnis der Gemeinden ist, desto weniger darf an ihm geändert werden. Diese letzte Regel lässt Walter Klaiber in seinem Beitrag aber fragen, ob an dieser Stelle bei der Durchsicht das sola scriptura-Prinzip nicht verlassen und durch die Hintertür ein Traditionsprinzip eingeführt wird.
Für Christoph Levin ist Grundlage der Durchsicht des Alten Testaments die Fassung des Luthertextes von 1964/84. Diese wird mit Hilfe des gegenwärtigen Stands der Exegese am masoretischen Urtext und an der Lutherbibel von 1545 überprüft. So werden be­stimmte sprachliche Eigenarten der Lutherbibel beibehalten, auch wenn sie exegetisch eigentlich nicht haltbar sind. Dagegen zeigt Hermann Spieckermann an den von Levin aufgeführten Beispielen, dass es nicht immer weise ist, Luthers sprachliche Eigenarten zu bewahren.
Für Martin Karrer bedarf die Durchsicht des Neuen Testaments in der Lutherbibel nicht nur der aktuellsten Auflage des Nestle-Aland und der Berücksichtigung des gegenwärtigen exegetischen Forschungsstands, sondern auch der Lutherbibel von 1545, so dass tendenziell an zahlreichen Stellen die Sprache Luthers gegen die Revision von 1984 wiederhergestellt wird. Klaus Haacker fragt in seinem Beitrag allerdings, ob liturgisch geläufige oder sprichwörtlich verbreitete Texte der Lutherbibel einfach beibehalten werden dürfen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass sie fehlerhaft übersetzt sind.
Nachdem Martin Rösel den Sachstand und damit den Schadensbericht für die Apokryphen in der Version von 1970/1999 dargelegt hat, formuliert er die Grundentscheidung für die Durchsicht der Apokryphen in der Lutherbibel von 2017: Die Apokryphen werden einheitlich aus der Septuaginta (Göttinger LXX) zielsprachlich übersetzt. Diese Entscheidung bedeutet einen Bruch mit einer fast 500-jährigen Tradition des Umgangs mit den Apokryphen in der Lutherbibel. Markus Witte weist in seinem Beitrag einerseits darauf hin, dass durch diese Grundentscheidung für die proto- und deuterokanonischen Texte unterschiedliche Textgrundlagen für die Übersetzung des Alten Testaments veranschlagt werden. Er plädiert für eine vollständige Übersetzung aus der Septuaginta. Andererseits tritt er für eine durchgängige konkordante Übersetzung ein, was aber dem gewollten Sprachklang der Lutherbibel im Bereich der Apokryphen widersprechen würde.
In der letzten Rubrik »Die Lutherbibel und andere Bibelübersetzungen« stellt zunächst Klaus Wengst die »Bibel in gerechter Sprache« vor. Pieter Oussoren behandelt in seinem Beitrag die »Naardense Bijbel«, eine holländische Pfarrer-Übersetzung.
Während Hannelore Jahr die »BasisBibel« der Deutschen Bibelgesellschaft als crossmediale Antwort auf das veränderte Leseverhalten im Zeitalter der elektronischen Medien vorstellt, gibt Joachim Wanke einen Zwischenbericht (Stand Oktober 2013) zur Revision der Einheitsübersetzung. Abschließend gibt Carl S. Ehrlich einen interessanten Einblick in das christlich-jüdische Projekt der Tanach-Übersetzung im Verlag der Weltreligionen.
Ein Autorenverzeichnis und ein Bibelstellenregister beschließen den informativen und zum weiteren Nachdenken anregenden Konferenzband.