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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1356–1358

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Aitken, James K. [Ed.]

Titel/Untertitel:

The T & T Clark Companion to the Septuagint.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2015. XXX, 592 S. = Bloomsbury Companions. Geb. £ 100,00. ISBN 978-0-567-03134-1.

Rezensent:

Mogens Müller

So wie sich die Forschungslage heute darstellt, muss die Septuaginta/LXX mit den alten griechischen Übersetzungen der hebräischen biblischen Schriften und den alttestamentlichen Apokryphen selbstverständlich ihre eigene Einleitung haben. Die Zeiten sind vorbei, in denen die Septuaginta – wie z. B. in Otto Eissfeldts Einleitung in das Alte Testament – lediglich als Unterabschnitt zu einem Kapitel über »Außermasoretische Textformen« abgehandelt werden konnte. Vielmehr verhält es sich nun so, dass die Septuaginta als eine mit dem masoretischen Text gleichwertige Version des Alten Testaments angesehen werden muss. Nicht zuletzt auch deshalb ist diese Publikation als Pionierwerk äußerst willkommen zu heißen – wenn auch die meisten der Informationen dem deutschen Publikum bereits in den beiden Erläuterungs- und Kommentarbänden zur Septuaginta Deutsch zugänglich sind (siehe hierzu ThLZ 137 [2012], 1276–1287).
Dass es sich bei dem »Companion« in erster Linie um eine Einleitung zu den Übersetzungen der einzelnen Bücher handelt, geht schon daraus hervor, dass die »Introduction« mit den mehr übergeordneten Themen nicht mehr als zwölf Seiten umfasst. Das kann man als ungenügend empfinden, da sich die neue Einschätzung der Septuaginta keineswegs überall durchgesetzt hat. Den Hauptinhalt bilden also die Einleitungen zu den insgesamt 38 Schriften oder Schriftgruppen, die vom Herausgeber und von 35 Mitarbeitern, meist jüngeren Forschern, besorgt wurden, von denen ein guter Teil an den neuen Übersetzungsprojekten (NETS und LXX.D) teilgenommen hat.
Was die Großzahl der in der Biblica Hebraica enthaltenen Schriften betrifft, geht die Behandlung im vorliegenden Band nur ausnahmeweise hinter jenen Text zurück und gibt auch keine Übersicht über ihren Inhalt. Kenntnis davon wird vorausgesetzt. Das gilt nicht für die Apokryphen, zu denen hier nicht allein die von der Lutherbibel bekannten elf Schriften (darunter das Gebet Manasse = Odae 12), sondern auch 1 Esdras = 3 Esra und das 3. und 4. Makkabäerbuch gerechnet werden. Alle Schriften werden natürlich in der Reihenfolge der meisten großen LXX-Manuskripte behandelt.
Ansonsten sind die einzelnen Kapitel gleichartig aufgebaut: Nach einer Übersicht über Textausgaben und modernen Übersetzungen folgt I: generelle Charakteristika, insbesondere das Verhältnis zum hebräischen Text; II: Zeit und Ort der Komposition; III: Beschreibung der Sprache (Koine und Prägung durch den ur­sprünglichen Text); IV: nähere Beschreibung der Übersetzung und der Komposition; V: textkritische Fragen; VI: Ideologie und Exegese, d. h. die Frage, inwiefern die Wiedergabe von der »Theologie« des Übersetzers oder vom Sitz im Leben geprägt ist; und schließlich VII: kurzer Überblick über die Geschichte der Rezeption. Jedes Kapitel wird von einer Bibliographie abgerundet.
Der Leser erhält unterwegs einen Einblick in die verhältnismäßig neue Erkenntnis, dass die alte griechische Übersetzung (OG = Old Greek, um den anachronistischen Titel »Septuaginta« zu vermeiden) nicht selten einen älteren hebräischen Text widerspiegelt als der heute bekannte masoretische. Dass die Abweichungen in LXX somit nicht unbedingt und in jedem Fall auf die Interpretation oder bewusste Zurechtlegung des Textes von Seiten des Übersetzers zurückgehen, sondern nicht selten einer anderen Textgrundlage zu verdanken sind, ist eine Einsicht, die nicht zuletzt durch den Fund einer Menge von vorchristlichen hebräischen Manuskripten und insbesondere von Fragmenten zu biblischen Schriften unter den Texten vom Toten Meer ihre Bestätigung findet. Dadurch ist die Vorstellung von einem möglichen hebräischen »Grundtext« und der entsprechenden Rede von LXX als »nur« einer Übersetzung wesentlich in Frage gestellt.
Dass diese Einleitung tatsächlich der griechischen Gestalt der alttestamentlichen Bücher gilt, wird auch dadurch unterstrichen, dass die zwölf kleinen Propheten als ein Buch behandelt werden, dessen Übersetzung zudem auf eine Person zurückzugehen scheint.
Im Allgemeinen werden die durchgehend sehr informativen Charakteristiken der überraschend unterschiedlichen Übersetzungen der einzelnen Bücher den Nicht-Fachmann wohl am meisten in­teressieren. Denn die Übersetzungen reichen von einer nahezu in­terlinearen, weitgehend wortwörtlichen Wiedergabe des hebrä-ischen Textes zu einer auffallend freien, oft interpretierenden Haltung. In letzterer Hinsicht tritt insbesondere das Buch Jesaja hervor, in dem sich der Übersetzer große Freiheiten genommen hat; hier ist die Wiedergabe unter anderem tief beeinflusst von zeitgenössischen messianischen Vorstellungen. Nicht zuletzt deswegen ist gerade das Jesaja-Kapitel enttäuschend kurz, auch angesichts der Wirkungsgeschichte ebendieser Prophetenschrift.
In der Forschung herrscht im Wesentlichen Einigkeit darüber, dass die Tora zuerst übersetzt und weitgehend normativ für die späteren Übersetzungen wurde. In diesen sind die einzelnen Bü­cher in Bezug auf Qualität und Charakter der griechischen Wiedergabe jedoch sehr unterschiedlich. So ist das Buch Richter das wohl schwächste, wo andere, wie die Königebücher, sich mehr der Gattung »rewritten Bible« annähern. Die griechische Tora ist im 3. Jh. v. Chr. entstanden, während die Übersetzungen der Bücher Esra und Nehemia wie auch Kohelet im 2. Jh. n. Chr. anzusetzen sind. So sind die Übersetzungen über eine Periode von rund 400 Jahren entstanden – und nicht ausschließlich in Alexandrien.
Besondere Probleme knüpfen sich an die Bücher Hiob und Jeremia, deren griechische Fassungen auffallend kürzer sind. Im Falle von Hiob scheint die Kürzung vom Übersetzer herzurühren, der sich auch der Zielsprache weitgehend angepasst hat. Was das Buch Jeremia betrifft, war eine Mehrzahl der Interpreten der Meinung, dass die kürzere griechische Fassung eine ältere Fassung widerspiegelt, die eine Erweiterung erfuhr, um so seine spätere masoretische Textform zu erhalten. Dieses Thema – dem die Begleitbände der LXX.D eine ausführliche Behandlung widmen, mit dem Fazit, dass die Kürzungen dem Übersetzer zuzuschreiben sind – wird hier kaum angeschlagen.
Eine gewisse Ungleichheit in der Gewichtung wie im Umfang der einzelnen Kapitel ist sicherlich unvermeidlich. So nimmt z. B. die Behandlung der Psalmen weniger Platz als die der Klagelieder ein, und die unterschiedliche Zählung der Psalmen in der LXX und der Biblia Hebraica wird, soweit ich sehen kann, überhaupt nicht erwähnt. Und selbstverständlich kann die Rezeptionsgeschichte leicht ins Uferlose auslaufen, ja auch als zu kurz empfunden werden, wenn z. B. die Psalmen und Jesaja hier jeweils nicht mehr als gut eine halben Seite bekommen.
Nur wenige Druck- und andere Fehler sind mir ins Auge gefallen: So überrascht z. B. die Auskunft, dass die Septuaginta Deutsch in zwei Bänden erschienen sein soll, und nah am Schluss treten auf S. 557 ff. einige merkwürdige Wiederholungen auf. Was ich sonst vermerkt habe, sind lediglich Kleinigkeiten.
»The T & T Clark Companion to the Septuagint« erscheint als ein informationsreiches Handbuch für alle diejenigen, die eine überschaubare erste Einführung in den aktuellen Forschungsstand auf dem Gebiet der Übersetzungen der einzelnen Schriften der LXX suchen. Dem Nicht-Spezialisten wird zudem mit einem »Glossary« der wichtigsten Fachausdrücke geholfen.