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Ausgabe:

Dezember/2015

Spalte:

1355–1356

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Vasmaghi, Sedigheh

Titel/Untertitel:

Women, Jurisprudence, Islam. Transl. by M. Ashna and Ph. G. Kreyenbroek.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2014. 162 S. = Göttinger Orientforschungen. III. Reihe: Iranica. Neue Folge, 11. Kart. EUR 38,00. ISBN 978-3-447-10178-3.

Rezensent:

Roswitha Badry

Bei diesem Buch handelt es sich um eine Übersetzung aus dem Persischen. Das Original erschien im Jahre 2008 in Teheran vor dem Hintergrund der Kontroverse um Gesetzesänderungen im Familien- und Strafrecht, welche eine weitere Verschlechterung der rechtlichen Situation von Frauen in der Islamischen Republik Iran (IRI) befürchten ließen. Sedigheh Vasmaghi, damals Professorin für Islamisches Recht an der Theologischen Fakultät der Universität Teheran, doziert mittlerweile an der Universität Uppsala (Schweden); 2011 lehrte sie an der Universität Göttingen. Dort kam die Idee zur Publikation der englischen Fassung der Monographie auf.
Gegenstand der Studie ist eine kritische Auseinandersetzung mit der in der IRI vorherrschenden traditionalistischen Auslegung des islamischen Rechts, um einer zeitgemäßen, den sozio-ökonomischen Veränderungen Rechnung tragenden Deutung sowie Neubewertung der Rechtsquellen und letztlich einer Revision ge­schlechtsspezifischer Regelungen im geltenden Gesetz den Weg zu ebnen. Damit knüpft die Vfn. – auch in ihrer Argumentation – an diverse Vertreter eines Reform-Islam an, die seit über einem Jahrhundert mit Hilfe unterschiedlicher Methoden für eine Anpassung der islamischen Jurisprudenz an moderne Gegebenheiten eintreten. Für die IRI seien als Beispiele Ayatollah Sane’i und Mohsen Kadivar genannt. Die Besonderheit der vorliegenden Schrift liegt vornehmlich darin, dass sie von einer Frau stammt, denn bis heute haben sich nur wenige Frauenrechtlerinnen auf eine islamisch-rechtliche Diskussion eingelassen, und die islamische Jurisprudenz ist weiterhin eine Domäne der Männer. Das gilt insbesondere für die IRI, in der die Vormachtstellung der zwölferschiitischen Rechtsgelehrten und die Verpflichtung aller Rechtsgebiete auf die Vereinbarkeit mit den Grundsätzen des Islam in der Verfassung festgeschrieben sind. Angesichts dieser Konstellation kann eine Hinterfragung geltender Gesetze nur im islamischen Rahmen erfolgen. Aus demselben Grund setzt sich die Vfn. in erster Linie mit populären Meinungen (zwölfer-)schiitischer Juristen auseinander, ohne sunnitische Lehrmeinungen ganz außer Acht zu lassen.
Ihre Hauptargumente, die sich durch die gesamte Publikation ziehen und die sie an ausgewählten Themenbereichen des Zivil- und Strafrechts exemplifiziert, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Scharia (islamisches Gesetz) und Fiqh (islamische Jurisprudenz) sind strikt voneinander zu trennen, und die Scharia ist auf eindeutige Pflichten und Verbote sowie allgemeine Prinzipien, die aus den primären Rechtsquellen abzuleiten sind, zu beschränken. Auch wenn die Rechtsgelehrten ihre Urteile mit Verweis auf Scharia und Islam legitimieren, zeigt eine Bestandsaufnahme, dass es sich tatsächlich um spezifische Auslegungen des islamischen Gesetzes handelt, denen nicht dieselbe Beweiskraft zukommt wie Koran und Sunna. Zudem berufen sich die Gelehrten in der Regel auf widersprüchliche, fragwürdige oder situationsbedingte Überlieferungen (des Propheten bzw. der schiitischen Imame), die lokale Sitten und Bräuche zu Beginn des Islams widerspiegeln. Dass diese weder zu verallgemeinern noch sakrosankt sind, dafür sprechen konträre Rechtsmeinungen, die sich gleichermaßen als schariagemäß verstehen, ebenso wie anderslautende, aber vernachlässigte Traditionen. Mithin stellt die Ablehnung solcher juristischen Deduktionen keinen Verstoß gegen die Scharia oder gar den Islam dar. Die vorherrschenden Rechtsauslegungen entsprechen einem männlichen Blickwinkel und waren bzw. sind offensichtlich dazu gedacht, die Hegemonie der Männer gegenüber den Frauen zu be­wahren. Viele heute als diskriminierend eingestufte Regeln (Bevorzugung des Mannes im Ehe-, Scheidungs-, Erb-, Sorge-, Zeugenrecht u. a.) sind nicht vom Islam erfunden worden und waren bei der Entstehung des Islam nicht auf ihn begrenzt (vgl. jüdisches Recht, Stammesrecht). Trotz Verbesserungen im Status der Frau durch den Islam gab es Zugeständnisse an Zeit und Ort, die allerdings nicht als ewig gültige Normen vorgesehen waren (vgl. Skla venrecht, so auch Zeugenrecht u. a.). Abweichungen vom klassischen Recht in anderen Bereichen (Verfahrens-, Fundrecht u. a.) bezeugen, dass auch im Zivil- und Strafrecht eine Angleichung an Gesellschaftswandel möglich ist, und zwar unter Berücksichtigung allgemeiner religiöser Prinzipien (Gerechtigkeit, öffentliches Wohl etc.), die mit der Vernunft, neuen Erkenntnissen, Erfahrungen und Gewohnheiten in Einklang stehen und keinen Verstoß gegen explizite Bestimmungen der Scharia bedeuten.
Abgesehen von einigen Versehen (Druckfehler u. a.) sind Schwächen in der Darstellungsweise und Argumentation zu bemängeln.
Die Vfn. spricht verschiedene Probleme in kurzen Einzelkapiteln an, die durchaus zu bündeln gewesen wären. Die Rezensentin vermisst zuweilen die besonders in Rechtsfragen notwendige Präzision, Stringenz und Kohärenz. Es finden sich einerseits redundante Passagen, überflüssige Erklärungen zu eindeutigen Aussagen, historisch nicht haltbare Pauschalisierungen, teils mit nationalistischem Unterton (zu Arabern/arabischer Kultur oder Frauen/ Familienstruktur in Iran), sowie einseitige/unzureichende Erklärungen (vgl. z. B. Begründung zu Negativ-Image von Musliminnen/Usulis), andererseits nicht belegte, ungenaue Angaben (»einige Juristen« o. Ä.) oder verwirrende Erläuterungen (z. B. 42.44 f. 94. 102.103) zur Rechtslage, die für Leser ohne Vorkenntnisse zur Schia, zum zwölferschiitischen Fiqh und zum komplexen iranischen Rechtssystem (Stichwort Rechtspluralismus) schwer nachvollziehbar sind. Der Anmerkungsapparat ist dürftig. Auch die von den Übersetzern partiell ergänzten Fußnoten und das Glossar können dieses Defizit nicht ausgleichen. Sich für Aussagen zum jüdischen Recht allein auf eine persische Übersetzung von »Everyman’s Talmud« und für solche zum frühen Islam auf eine zeitgenössische Sekundärquelle zu stützen, scheint fragwürdig. Eine historische Verortung der Primärquellen und ihrer Autoren unterbleibt, so dass Quellen aus verschiedenen Jahrhunderten nebeneinanderstehen und selbst Sterbedaten zu den Autoren fehlen. Erst im Fazit betont die Vfn., der Sunna des Propheten sei Vorrang vor derjenigen der Imame einzuräumen, nachdem sie zuvor mehrere Überlieferungen der Letzteren recht detailliert analysiert hat.
Trotz der Monita bietet die Monographie einen interessanten Einblick in die Versuche muslimischer/iranischer Aktivistinnen, Op­tionen für eine gendersensible Rechtsauslegung zu entwickeln.