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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1310-1312

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Markham, Ian S., Hawkins IV, Barney, Terry, Justyn, and Leslie Nuñez Steffensen [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Wiley-Blackwell Companion to the Anglican Communion.

Verlag:

Chichester: Wiley-Blackwell 2013. XXV, 753 S. Geb. £ 126,00. ISBN 978-0-470-65634-1.

Rezensent:

Hanns Engelhardt

»What is this strange, world-wide body called the Anglican Com-munion? How did it come to be what it is? What does it stand for among the many Christian bodies that together make up the Chris­tian world? What is it that makes it work today?« So fragte Bischof Stephen Neill zu Beginn seines immer noch lesenswerten Buches »Anglicanism« (1958). Diese Fragen liegen auch dem hier anzuzeigenden monumentalen Band zugrunde, der es unternimmt, die anglikanische Kirchengemeinschaft unter verschiedenen Perspektiven zur Darstellung zu bringen.
Das Buch ist aus einem Forschungsprojekt zweier episkopalianischer Seminare in den Vereinigten Staaten hervorgegangen: des Virginia Theological Seminary (VTS) und der Trinity School for Ministry in Ambridge, Pennsylvania. So verwundert es nicht, dass nicht nur alle Herausgeber zu einem dieser beiden Seminare in Beziehung stehen, sondern diese auch unter den weiteren Mitarbeitern überproportional vertreten sind. Trinity betrachtet sich als Bewahrer der »evangelical heritage« in der Episkopalkirche; VTS sieht sich im Zentrum des anglikanischen theologischen Spektrums, wenngleich die Hervorhebung von »orthodox Christian tradition« sowie »Holy Scriptures and the historic creeds« vielleicht auf eine leichte Neigung zum evangelikalen Flügel hindeuten könnten.
In vier Hauptteilen des Buches werden behandelt: Geschichte, Strukturen der Gemeinschaft, die einzelnen Provinzen (und extraprovinzialen Diözesen) – mit über 400 von 749 Seiten – sowie Sachthemen (Theologie, Ökumenische Beziehungen, Musik, Liturgie, Predigt, Frauen, Menschliche Sexualität, Theologische Ausbildung, Interreligiöse Beziehungen, Globalisierung, Missionsarbeit, »Cross Communion«-Organisationen, Spiritualität, Auffassungen über Kolonisation, schließlich die »Global Anglican Future Conference«, GAFCON). Es ist natürlich unmöglich, alle 65 (ohne die provinzbezogenen immer noch 24) Beiträge auch nur annähernd vollständig darzustellen und zu erörtern. Der Rezensent entschuldigt sich daher vorweg für die Auswahl, die notwendigerweise subjektiv ge­färbt ist. Auch nicht näher erwähnten Beiträgen lassen sich zu­weilen – unerwartet – Informationen von allgemeiner Bedeutung entnehmen, so z. B. dem über die kleine Church of Ceylon der Hinweis auf »a third model of jurisdiction (offered) to the Anglican Communion«, neben autonomer Provinz und extraprovinzialer Diözese – was sich freilich auch als Übergangslösung darstellen könnte.
In dem an der Spitze stehenden Beitrag »Locating the Anglican Communion in the History of Anglicanism« lässt Bischof Gregory Cameron, zwischen 2003 und 2009 stellvertretender Generalsekretär der Gemeinschaft, deutlich werden, dass es, wenn auch der Begriff erst im 19. Jh. in Gebrauch gekommen ist, die Tatsache der Gemeinschaft schon seit der Reformationszeit in dem Nebeneinander der voneinander unabhängigen Kirchen von England, Irland und – später – Schottland gesehen werden kann.
Den zweiten, den Strukturen der Gemeinschaft gewidmeten Teil leitet Norman Doe, der wohl weltweit bedeutendste und bekannteste anglikanische Kanonist der Gegenwart, mit seinem grundlegenden Beitrag über »The Instruments of Unity and Communion in Global Anglicanism« ein. Er beschreibt nicht nur die Rolle des Erzbischofs von Canterbury als »focus of unity«, der Lambeth Conference aller anglikanischen Bischöfe, des Anglican Consultative Council, in dem neben Bischöfen auch andere Kleriker und Laien vertreten sind, sowie des Primates’ Meeting der leitenden Bischöfe aller Provinzen, sondern erörtert auch Entwicklung und Bedeutung der im anglikanischen Bereich geltenden Grundsätze des kanonischen Rechts, an deren Erforschung und Formulierung er selbst maßgebenden Einfluss genommen hat. Er betont, dass die »institutional instruments of unity and commun-ion enjoy only such binding authority within a church as may be prescribed by the law of that church«; d. h. »as a fundamental principle consonant with provincial autonomy, they enjoy moral authority and not coercive jurisdiction«. Daraus folgt übrigens auch, dass jede Provinz allein darüber entscheidet, ob sie mit einer anderen die volle Gemeinschaft weiterhin aufrechterhalten will; welche Folgen die Entscheidung für die Stellung der Provinz selbst in der Gemeinschaft hat, hängt freilich vom Erzbischof von Canterbury und den anderen Provinzen ab.
Diese grundlegenden Gedanken werden in Einzelbeiträgen zu den vorgenannten Institutionen sowie dem für die Entwicklung und Darstellung der anglikanischen Tradition besonders wichtigen Book of Common Prayer (BCP) und dem Vorschlag eines Anglican Communion Covenant näher ausgeführt. Die Bedeutung des BCP als geistliche Grundlage der anglikanischen Gemeinschaft kann nicht leicht überschätzt werden. Robert Wright, emeritierter Professor für Kirchengeschichte am General Theological Seminary der Episkopalkirche und ihr langjähriger »historiographer«, seit vielen Jahren eine herausragende Autorität in Fragen anglikanischer Theologie und Kirchlichkeit, insbesondere auch im Bereich der ökumenischen Beziehungen, beschreibt und analysiert in tiefgründigen Ausführungen Entstehung und Inhalt vor allem des BCP von 1549 und seiner Nachfolger.
Den Abschluss des zweiten Teils bildet ein Beitrag von Andrew Goddard über den »Anglican Covenant« – von besonderer Wichtigkeit, weil dieses Dokument die Grundlagen des Selbstverständnisses der anglikanischen Gemeinschaft berührt. Der Vf., »associate director« des Kirby Laing-Instituts für Christliche Ethik in Cambridge und Mitglied des Anglican Communion Institute, beschreibt ausführlich die Vorgeschichte und die verschiedenen Entwürfe des Covenant sowie seinen endgültigen Text und würdigt den gegenwärtigen Zustand der Anglikanischen Gemeinschaft in Bezug auf den Covenant als gespalten in Provinzen, die ihn angenommen haben, und solchen, die ihn ablehnen oder noch unentschlossen sind. Er sieht zwei alternative Entwicklungsmöglichkeiten: einmal »the confessional vision«, wie sie vor allem von südlichen Provinzen unterstützt werde, und andererseits »a looser association«, in der Autonomie und Verschiedenheit Vorrang haben und die Bemühung um ein gemeinsames Verständnis geringeres Gewicht hat.
Von den Sachbeiträgen dürften für den kontinentalen Leser be­sonderes Interesse die Ausführungen von Justyn Terry über »Theology in the Anglican Communion« beanspruchen können. Der Umstand, dass der Anglikanismus – anders als z. B. das Luthertum – nicht durch einen maßgebenden Theologen geprägt ist, aber auch kein unfehlbares Lehramt kennt, hat seine Aufgabe nicht eben einfacher gemacht. Trotzdem ist er ihr mit seiner von tiefem Verständnis getragenen Darstellung der Entwicklung der anglikanischen Theologie und ihrer – für den Anglikanismus charakteris-tischen – verschiedenen Richtungen in vorbildlicher Weise ge­recht geworden.
Mit einem hierzulande seltener behandelten Thema befasst sich Robert S. Heaney: »Views of Colonization Across the Anglican Communion.« Die enge Verbindung von anglikanischem Kirchentum und britischer Monarchie war natürlich geeignet, die Entwicklung eines »religio-imperial discourse« zu fördern, die dem Britischen Reich eine geradezu heilsgeschichtliche Bedeutung zu­zuschreiben geneigt war. Der deutsche Leser wird dies nicht zur Kenntnis nehmen können, ohne sich ähnlicher Tendenzen hinsichtlich des »deutschen Wesens« zu erinnern. Dieser Auffassung von »Colonialization as Providential« stellt Heaney die jüngere Position von »Colonization as Heresy« gegenüber und entwickelt dann seine Sicht einer »Post-Colonial Communion«.
Der abschließende Beitrag von Mark D. Thompson über die »Global Anglican Future Conference« (GAFCON), Ursachen, An­lass, Zielrichtung und Ergebnisse, macht den tiefen Graben deutlich, der sich durch die gegenwärtige anglikanische Gemeinschaft zieht, aber auch die Grenzen der Fähigkeit auf beiden Seiten, ge­gensätzliche Auffassungen zu ertragen. Schon haben einzelne Provinzen die Kirchengemeinschaft mit anderen aufgekündigt. Was das für die Zukunft der Gemeinschaft bedeutet, bleibt abzuwarten.
Die Aufgabe, die Herausgeber und Mitarbeiter sich gestellt haben, war nicht einfach. Nicht ohne Grund hat man von den »many faces of Anglicanism« gesprochen. Umso eindrucksvoller ist das vorliegende Ergebnis ihrer Arbeit. Einzelne Ungenauigkeiten wie die Verwechslung von Scheidung und Nichtigkeit der Ehe bei Heinrich VIII. scheinen auch hier unvermeidbar zu sein. Betrachtet man indes das Werk als Ganzes, so wird man davon ausgehen können, dass es für geraume Zeit ein unverzichtbares Standardwerk zu seinem Thema sein wird.