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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1308-1310

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hansson, Klas

Titel/Untertitel:

Svenska kyrkans primas. Ärkebiskopsämbetet i förändring 1914–1990. The Primate of the Church of Sweden. The Office of Archbishop in Transition 1914–1990.

Verlag:

Uppsala: Acta Universitatis Upsaliensis 2014. 508 S. = Studia Historico-Ecclesiastica Upsaliensia, 47. Kart. SEK 429,00. ISBN 978-91-554-8897-0.

Rezensent:

Dietz Lange

Klas Hansson ist in vielen hohen Verwaltungsämtern der schwedischen Kirche tätig gewesen, u. a. als Direktor der erzbischöflichen Kanzlei unter Gunnar Weman und K. G. Hammar, und hat an etlichen ökumenischen Konferenzen teilgenommen. Mit seiner Arbeit über die Veränderungen des erzbischöflichen Amtes in Schweden von 1914–1990 wurde er im Mai 2014 im Alter von fast 70 Jahren in Uppsala promoviert. Er verbindet darin seine intime Kenntnis der erzbischöflichen Behörde mit detaillierter historischer Forschung. Das Thema ist glücklich gewählt: Zwar gibt es über die Leitungsgremien und Ämter der schwedischen Kirche recht viel Literatur, nicht aber über ihr höchstes Amt, für das dieser Zeitraum höchst bedeutsam war. Er ist von starken Umbrüchen gekennzeichnet, welche die gesamte schwedische Kirche und damit auch die Stellung ihres Erzbischofs betreffen: angefangen von dem Liberalisierungsschub und der Öffnung der Kirche für weltweite ökumenische Beziehungen durch Nathan Söderblom (1866–1931) bis zur Aufhebung des Staatskirchensystems im Jahr 2000.
H.s Untersuchung ist übersichtlich gegliedert. Auf eine knappe Einleitung, die über Quellen, Forschungsstand und Methode Auskunft gibt, folgt ein Kapitel, das in gedrängter Form den kirchengeschichtlichen Hintergrund im Lande sowie die gesellschaftlichen Veränderungen des 20. Jh.s beschreibt. Der Hauptteil schildert die Amtszeiten der Erzbischöfe Nathan Söderblom (1914–1931), Erling Eidem (1931–1950), Yngve Brilioth (1950–1958), Gunnar Hultgren (1958–1967), Ruben Josefson (1967–1972), Olof Sundby (1972–1983) und Bertil Werkström (1983–1993). Eine Schlussreflexion und eine Zusammenfassung beschließen den Band.
Der Aufbau zeigt, dass H.s Hauptinteresse bei den Erzbischöfen als handelnden Personen liegt. Daneben geht es ihm auch um die sich wandelnde Struktur des Amtes. Mit Hilfe der soziologischen »structuration«-Theorie von Anthony Giddens soll beides miteinander verbunden werden. Diese wird aber lediglich einmal zitiert (18) und spielt für die Untersuchung faktisch keine Rolle. »Structuration« bedeutet den Prozess der sich stetig verändernden Selbstreproduktion einer Gesellschaft durch Interaktion ihrer individuellen und kollektiven Akteure in Zusammenwirken und Konflikt. Bei H. dagegen scheint es so, als ob die Erzbischöfe stets das Gesetz des Handelns in der Hand gehabt hätten und damit nur gelegentlich (so z. B. Sundby und Werkström) wie an einer rätselhaften Mauer gescheitert wären.
Die erzbischöfliche Tätigkeit selbst will H. mit Hilfe der soziologischen Theorie von Pierre Bourdieu beschreiben. Von dessen Leitbegriffen wird jedoch im Grunde nur der des (Betätigungs-)Feldes (bei H. »Arena«) wirklich fruchtbar gemacht. Das geschieht in ausdifferenzierter Form für die Gliederung jeder Darstellung eines Erzbischofs (z. B. Hirtenbrief, allgemeine Kirchenversammlung, Bi­schofskonferenz). Diesem wichtigsten Stück gehen jeweils ein ganz kurzer Abschnitt über formelle Veränderungen des Amtes, ein Bericht über die Forschungslage, ein biographischer Abriss, Ausführungen über die Wahl und eine Skizze der ekklesiologischen Auffassung voraus. Jedes Kapitel ist genau gleich aufgebaut. Das wirkt freilich sehr schematisch und führt zudem zu ermüdenden Wiederholungen, weil die Sachfragen naturgemäß überall wiederkehren.
Die Begrenzung des Zeitraums für die Untersuchung ist hinsichtlich des Anfangspunkts einleuchtend. Die Öffnung der Kirche für neuzeitliches Denken, für die sozialen Probleme und für die weltweite Christenheit durch Söderblom stellte in der Tat eine so tiefe Zäsur dar, dass alle folgenden Erzbischöfe, wie auch H. vermerkt, im Schatten dieser überragenden Gestalt standen. Anders steht es mit dem Endpunkt. Auffällig ist bereits, dass die Darstellung Werkströms drei Jahre vor dem Ende von dessen Amtszeit abbricht. H. begründet das damit, dass in diesem Jahr die Stelle eines Suffraganbischofs im Sprengel Uppsala geschaffen wurde, die dem Erzbischof stärkere Konzentration auf die seinen Sprengel übergreifenden reichskirchlichen Angelegenheiten ermög-lichen sollte. Das ist allzu binnenkirchlich gedacht. Wesentlich gewichtiger ist die Trennung von Staat und Kirche im Jahr 2000. Nachdem die Reformation durch Gustaf Vasa als politische Maßnahme eingeführt worden war, hatte die Kirche sich zwar auf der Synode von Uppsala 1593 gegen die Rekatholisierungsbemühungen des Königs Sigismund III. mit der Festschreibung der CA invariata Unabhängigkeit in ihren inneren Angelegenheiten gesichert. Doch behielt die Regierung z. B. über die Personalpolitik erhebliche Einflussmöglichkeiten. Gegen diese enge Verbindung hat es im 19. und 20. Jh. wiederholt radikalliberale politische Vorstöße so­wie publikumswirksame religionskritische Attacken von akademischer Seite gegeben. Für die Lösung dieses sich allmählich verschärfenden Konflikts waren insbesondere die Erzbischöfe gefragt. H. führt zwar aus, wie Sundby und Werkström auf der Grundlage eines an Einar Billing orientierten Verständnisses der Volkskirche eine Entscheidung vorbereitet haben. Doch kommen weder der grundsätzliche Charakter der Auseinandersetzung noch ihre komplexe Gestalt deutlich genug heraus.
Ein zweiter wichtiger Punkt dagegen wird von H. ausgiebig be­handelt. Er betrifft die successio apostolica. Sie ist nach seiner Meinung für Söderblom zentral. Das trifft jedoch nicht zu. Schon er, nicht erst seine Nachfolger, hat sie vorrangig als Treue zum Wort Gottes und außerdem als Stütze kirchlicher Eigenständigkeit in­terpretiert. In einem formellen Sinn dagegen hat er sie den Anglikanern gegenüber stets als nützlich, aber nicht konstitutiv be­zeichnet (was H. 63 f. sogar erwähnt). Das lässt sich von den ersten Verhandlungen über eine Abendmahlsgemeinschaft 1909 bis zur Konferenz von Lausanne 1927 verfolgen, die an dem Gegensatz zwischen der englischen High-Church-Fraktion und Söderblom gescheitert ist. Er war eben nicht der Ahnherr der in Schweden so einflussreich gewordenen Hochkirchlichkeit, des sogenannten neuen Kirchenverständnisses (ny kyrkosyn). Diese Entwicklung notiert H. nur am Rande. Man hätte gerne von ihm erfahren, was z. B. die hochkirchlichen Erzbischöfe Brilioth und Sundby zu ihr beigetragen haben.
Ein dritter Punkt betrifft das zunehmende Gewicht von Sozialethik und Weltpolitik in den erzbischöflichen Äußerungen. Dieses Gewicht lässt sich nicht allein auf die Stockholmer Konferenz von 1925 zurückführen. Sie war zwar die erste große Kirchenkonferenz, die sich intensiv mit solchen Problemen beschäftigt hat. Aber das geschah auf der Basis der eminent theologischen Frage nach dem Verständnis des Reiches Gottes. Solche Fragen sind seitdem zugunsten kirchen- und allgemeinpolitischen Fragestellungen eher in den Hintergrund getreten. H. stellt diese Entwicklung lediglich fest. Um sie zu verstehen, hätte er die Verflechtung der schwe-dischen Kirche in die weltweite Ökumene klarer thematisieren müssen.
Insgesamt handelt es sich um eine ausgesprochen fleißige Ar­beit, die eine Menge relevanter Fakten zu einem bisher kaum erschlossenen Thema bietet. Insofern wird die weitere Forschung an ihr nicht vorbeikommen. Sie ist aber einseitig vom Standpunkt des hohen Kirchenbeamten geschrieben und hätte im Übrigen erheblicher Straffung bedurft. Die soziologische und theologische Reflexion bleibt leider unzureichend.