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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1286-1288

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Zager, Werner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Tod und ewiges Leben.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 202 S. m. Abb. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-374-03902-9.

Rezensent:

Christof Gestrich

Die Beiträge von Michael Blume, Jörgen Bruhn, Michael Großmann, Erwin Martin, Wolfgang Pfüller, Martin Proescholdt, Andreas Rössler, Folkart Wittekind, Hans-Georg Wittig und Werner Zager gehen auf Vorträge zurück, die 2013 auf der Jahrestagung des Bundes für Freies Christentum in Loccum gehalten wurden. Einleitend heißt es, man könne Veränderungen bei der gelebten »christlichen Hoffnung« festmachen an den heutigen naturwissenschaftlich-medizinischen Konnotationen zu Sterben und Tod, ferner am Wandel der Bestattungskultur und schließlich an der neuerlichen Vermischung des christlichen Hoffnungspotentials mit Vorstellungen anderer Weltreligionen. Erhebliches Augenmerk richtet dieses Buch auf Einstellungen zum Tod und zum ewigen Leben jenseits des »theologischen Zirkels«. Gerade das kann die Lektüre auch zum theologischen Gewinn werden lassen.
Zunächst wird durch M. Blume mit religionsgeschichtlicher Begründung folgende These vorgetragen: Religionen haben nicht – wie doch oft angenommen wird – den hauptsächlichen Zweck, über den Tod hinaus in die Ewigkeit hinüberzuleiten. Selbst ihre Bilder vom Jenseits unterstützen diesseitige Kulturprozesse. Sie dienen im Durchgang durch immer neue geschichtliche Herausforderungen der innerweltlichen Mehrung des Menschlichen. Hierbei ändert sich allerdings die Art ihrer Ausrichtung auf die letzten Dinge immer wieder. Dieser Buch-Auftakt soll wohl davon entlasten, in den Veränderungen heutiger christlicher Jenseitshoffnungen und evangelischer Eschatologien womöglich ein gegen die Grundfesten des Glaubens gerichtetes Sakrileg sehen zu müssen.
Eine weitere, ergänzende These: Nicht auf die Ewigkeit bezogene religiöse Bilder und Glaubenslehren, aber große Entwürfe der Philosophie zielen darauf, die Furcht vor dem Tod abzubauen. Was hierbei philosophisch-rational geleistet wird, stärkt allerdings gerade das diesseitige Leben (H.-G. Wittig). – Eher umgekehrt verhält es sich in der Theologie: Sie windet menschliches Denken und Hoffen aus diesseitigen Verstrickungen, Verengungen und Verbiegungen heraus und stellt es in den Raum des Ewigen. Doch gibt es hierbei heute erhebliche Veränderungen gegenüber der Tradition. W. Zager stellt zusammen: Galt der Tod in vormodernen christlichen Glaubenslehren durchweg als »der Sünde Sold« (vgl. Röm 6,23), so war F. Schleiermacher auf dem Hintergrund fortgeschrittener Naturwissenschaften am Anfang des 19. Jh.s genötigt, den Tod als etwas von Natur aus zum Leben ohne Ausnahme Hinzugehörendes zu begreifen. Das Todesverhängnis musste von der einseitigen Bindung ans Sündigen gelöst werden. Auch mussten die »Übel«, von denen die Menschen erlöst werden wollen, deutlicher in selbstverschuldete und in nicht selbstverschuldete, nämlich »natürliche« oder »soziale« Übel eingeteilt werden (was die Eschatologie und die Ethik des Christentums veränderte). D. F. Strauß hat die ethische Notwendigkeit einer »jenseitigen Vergeltung« von Handlungen (Jüngstes Gericht) überhaupt bestritten, weil der Sittlichkeit ein entsprechender »Lohn« wie z. B. »Glückseligkeit« immer schon immanent sei. Ferner zerbrach die metaphysische Vorstellung einer unsterblichen menschlichen Seele, die den Tod des eigenen Körpers überlebe und dann ihrerseits – körperunabhängig – Bewusstsein und Gefühl haben könne. Hinzu kamen noch die Auswirkungen einer »Entmythologisierung« biblischer Texte (D. F. Strauß, R. Bultmann), durch welche die »jenseitigen« Bezugspunkte des Glaubens herausgenommen wurden aus alten »Denkschienen«, die linear-chronologisch von der Zeit bis in die Ewigkeit reichten. – Alle diese hier als unvermeidlich betrachteten Veränderungen waren (und sind) in den Eschatologien im 20./21. Jh. zu verarbeiten.
Wie dieser einen Schwerpunkt setzende Überblick Zagers haben auch weitere Beiträge vor allem informierenden Charakter: etwa das Panorama literarischer Beleuchtungen des Todes in Geschichte und Gegenwart (E. Martin); der Beitrag von J. Bruns über »Nahtoderfahrung«, die heute auch wissenschaftlich zunehmend ernstgenommen werde und sich als religiös äußerst wertvoll erweise; M. Proescholdts Ausführungen über die Verschränkungen von Leben und Sterben aus heutiger medizinischer Sicht; der von W. Pfüller verfasste Essay über Tod und ewiges Leben in der Musik Richard Wagners (»Tod als erlösendes Selbstopfer«) und Johannes Brahms’ (Requiem und Vier Ernste Gesänge lehnen sich auf gegen die Todesmacht).
Den Charakter einer kritischen innertheologischen Auseinandersetzung trägt die Abhandlung von F. Wittekind »Tod, Auferstehung, ewiges Leben in der gegenwärtigen Theologie«. Der Ausgangspunkt ist: Noch immer bestimmt die evangelischen Eschatologie-Entwürfe der Versuch einer Überwindung der »strikten Trennung« von Gott und Welt in der sogenannten Dialektischen Theologie (die ihrerseits auf Aussagen über die Zukunft der Welt überhaupt verzichtet hat). Aber keiner der bisherigen Versuche (von Jürgen Moltmann, Wolfhart Pannenberg und Dorothee Sölle bis hin zu Eberhard Jüngel, Stephan Schaede, Christan Link, Günter Thomas, Eilert Herms und Markus Mühling) einer Überwindung jener Diastase sei ganz überzeugend. Viel Verständnis hat Wittekind zwar insbesondere für Gerhard Sauters theologische Bemühung, die christliche Hoffnung über den Tod hinaus nicht »weltlos« nur auf das Gott-Mensch-Verhältnis zu beziehen, sondern sie als Vollendung der ganzen Schöpfung zu verstehen. Aber im Ergebnis meint Wittekind, überall auf Spuren eines – aus der Christologie geschöpften? – theologischen Geheimwissens über das wahre Wesen und die Bestimmung der Welt zu stoßen, das in der heutigen Geistes- und Wissenskultur nicht mehr vermittelbar sei.
A. Rössler bündelt abschließend in acht weise zu nennenden Thesen den Stand der Lehre von den Letzten Dingen im Bereich des Bundes für Freies Christentum. Anschlussfähig nach vielen Seiten der »evangelischen Landschaft« wird formuliert. Künftiges ewiges Leben (ob verstanden als Auferstehung des Leibes oder als Unsterblichkeit der Seele) wird in keinem Fall mehr gedacht als »Streckung des irdischen Daseins«, sondern stets als »Eingehen in eine andere Dimension«, nämlich »in die göttliche Ebene« bzw. in den transpersonalen Bereich dessen, »was dem Universum zugrunde liegt«. »Die christliche Hoffnung richtet sich dabei auch über das jeweils individuelle Schicksal hinaus auf die Gemeinschaft im vollendeten Reich Gottes.« (194) Anregend erinnert Rössler an Vertreter der liberalen Theologie im 19. und 20. Jh. wie Alois E. Biedermann, Richard A. Lipsius oder Otto Pfleiderer, Albert Schweitzer, Martin Werner, Fritz Buri und andere, die erfragt haben, was neuzeitliches Wahrheitsbewusstsein von der christlichen Lehre über Tod und jenseitiges Leben noch übrig ließ – nämlich generell: die Hoffnung auf Vollendungsmöglichkeiten, ja, auf Seinswandlung. Denn es ist, mit Lipsius gesprochen, die »Annahme einer pneumatischen Leiblichkeit […] keineswegs so unausdenkbar, wie sie vielleicht erscheint« (182).