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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1279–1281

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Henriksen, Jan-Olav

Titel/Untertitel:

Life, Love, and Hope. God and Human Experience.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2014. XII, 372 S. Kart. US$ 40,00. ISBN 978-0-8028-7149-7.

Rezensent:

Hartmut von Sass

Vielleicht lässt sich die Reformation als ein folgenreicher Transfer beschreiben, der an die Stelle des scholastischen Duals von Natur und Gnade jenen von Sünde und Gnade gesetzt hat. Die Natur als wesentlich sündige zu werten, könnte erklären, warum der theologische Primat seither nicht mehr auf der Schöpfung, sondern auf dem Heil, nicht mehr auf der Totalität des Seienden, sondern auf der »Innerlichkeit« des Daseins liegt. Diese ideengeschichtliche Vermutung kann als der kritische Ausgangspunkt gelten, den Jan-Olav Henriksen für sein neues Buch gewählt hat (307 f.). H., Professor für Systematische Theologie in Oslo und Kristiansand, geht es in diesem dritten Teil seiner Trilogie zu Hauptproblemen der Dogmatik um die Wiedergewinnung des Natürlichen als einem theologischen Thema. Dies geschieht, indem die menschliche Er­fahrung Gottes unter evolutionstheoretischen Prämissen rekapituliert wird. Damit ist eine Bestimmung des stets prekären Verhältnisses zwischen Religion und Naturwissenschaften anvisiert, wobei in fünf Kapiteln zwei theologische Stränge miteinander verwoben werden: ein panentheistischer, der »Natur und Gnade« von der Natur her entwickelt, und ein hermeneutischer, der »Natur und Gnade« von der Gnade her entfaltet.
Von Beginn an macht H. deutlich, dass eine zeitgemäße Theologie das Gespräch mit den Naturwissenschaften zu suchen habe (1). Eine potenzielle Rivalität zu befürchten, lebe von einem tiefsitzenden Missverständnis, das nahelege, Theologie konkurriere mit ihrem vermeintlichen Gegenüber im Sinne einer explanatorischen Alternative. Hingegen gilt nach H.: »theology does not explain everything, but it explores possible ways to understand the total-ity of all there is. Theology is more of a hermeneutical than an ex­planatory endeavor« (25). Daher befindet sich H. in einer doppelten Frontstellung; denn einerseits grenzt er sich von natürlich-theologischen Ansätzen ab, die dem skizzierten Missverständnis erliegen (vgl. aber 255); andererseits kritisiert er Auffassungen, die auf eine dialektisch-theologische Entgegensetzung von Gnade gegen Natur hinausliefen (77–89).
Gegen beide Ansätze sei daran zu erinnern, dass Gott nicht nur »alles in allem« sei, sondern dass sich zugleich alles in Gott befinde (107). Dabei bietet H. ein recht affirmatives Bild der Evolution, das erst sekundär mit theologischen Erwägungen verbunden wird: »Evolution is the only game in town when it comes to understand­ing the development of nature and life in the vast time span of millions of years.« (7) Auch unsere Fähigkeiten als Menschen seien folglich evolutiv zu bestimmen, wodurch human zu sein bedeute, »to take part in biocultural evolution« (36). Zudem basiere die Erfahrbarkeit Gottes auf Evolution (113), womit sich H. an Prämissen der natürlichen Theologie scheinbar annähert. Doch auch hier spielt H. eine Gegenstimme ein, die zum einen die Grenzen der Evolutionsbiologie benennt (besonders in der Diskussion um Selbstlosigkeit; vgl. 175–181) und zum anderen Evolution als Element der Schöpfung ansieht: »God creates and is therefore also the source of evolution. Creation and evolution must be distinguished, but not separated, as evolution is only one dimension of the crea-tive process.« (11)
Doch es bleibt unklar, ob Gott seinerseits evolutiv gedacht werden muss oder ob die Schöpfung kausal auch die Evolution umfasst, in ihr aber nicht aufgeht. Dieses zweite Verständnis legt H. nahe, wenn er behauptet, Moral sei ein Produkt der Evolution – aber eben nicht der Evolution allein (191). Das erste Verständnis scheint hingegen dasjenige zu sein, das zu H.s Gesamtprojekt viel besser passt: ein theologisch verantwortbarer Panentheismus. »Verantwortbar« bedeutet zunächst, zwei Probleme zu umgehen, nämlich Gott theistisch zu vergegenständlichen (160–173 bzw. 192–216) sowie Gott pantheistisch zu verweltlichen. Hingegen gelte, Gott sei nicht die Welt, vielmehr sei er in ihr (193). Zwar brauche Gott die Welt nicht, manifestiere sich aber quasi sakramental »in, mit und unter« ihren Elementen (334).
Nun verbindet H. diesen Panentheismus mit einer stärkeren Zutat, die er (im Anschluss an N. H. Gregersen) als »deep incarna-tion« etikettiert. Demnach wird das Attribut der Inkarnation nicht für die zweite Person der Trinität reserviert, sondern der dreieine Gott gehe in alle Schöpfung ein. Inkarnationstheologie wird hier ohne Christozentrik betrieben (233 f.), so dass das dritte Kapitel einem »Embodied God« nachdenkt und das Anliegen einer doppelten Perichorese verteidigt: Die trinitarischen Bestimmungen zum Austausch der drei Personen werden nun auf das Verhältnis zwischen Gott und Welt angewendet (11.299). Gott nehme konkret an der Welt und ihrer evolutiven Entwicklung teil (339), wobei H. die Perichorese einschränken muss, zumal die symmetrische Durchdringung der immanenten Trinität nicht auf die wesentliche Asymmetrie zwischen Gott und Welt angewendet werden kann (345).
Spätestens hier aber wird das stete Oszillieren H.s zwischen zwei Positionen deutlich: Ist Gott und seine Schöpfung der Evolution (partiell) entnommen? – was aber könnte dann die panentheistische These noch bedeuten? Oder aber: Geht der dreieine Gott wirklich in die evolutive Schöpfung ein? – wie aber steht es dann um das Verhältnis von Gottes inhabitatio und potentia?
Dabei redet H. nirgends einer der reduktionistischen Positionen das Wort, sondern grenzt sich ausdrücklich von Thesen ab, die in der Evolution(stheorie) ein explanatorisches Allheilmittel sehen. Hier nun kommt der zweite Strang ins Spiel. Ähnlich wie Tillich in seiner frühen Kulturtheologie unterscheidet H. »different realms of experience« (39), die aufeinander gerade nicht reduzibel sind. Dabei verstehen wir uns, so. H., auf sehr divergente, symbolisch kodierte Weisen, wobei auch die »Religion as a Symbolically Mediated Mode of Being in the World« gelte (57). Aber auch hier schillert H.s Sicht zwischen zwei Versionen: Entweder ist gemeint, dass Religion eine gesonderte Existenzweise neben anderen – der Kunst, Politik, Wissenschaft etc. – sei; oder aber in der Religion werden alle diese Bereiche in bestimmter Weise noch einmal zum Thema (63). H. scheint dieser zweiten Version den Vorzug zu geben, wenn er hervorhebt, Theologie biete einen totalen Blick auf die Welt, oder wenn er die Vorstellung einer genuin religiösen Erfahrung ab­weist, weil sie nahelege, es gebe einen abgrenzbaren Bereich des Religiösen ohne Bezug zu jenen anderen Bereichen (9.26). Vielmehr gehe die Theologie auf’s Ganze, indem sie alles zum Zeichen wandle und dazu einlädt, eine andere Sicht auf die Welt zu gewinnen (148).
Bei aller Wertschätzung für H.s Ansatz bleiben doch Zweifel, ob die erhoffte Amalgamierung gelungen ist: Der hermeneutische Perspektivismus bleibt weitgehend unverbunden mit der panentheistischen Rahmenhandlung; diese wiederum ist nicht auf ihre hermeneutische Unterstützung angewiesen; und auch die zahlreichen theologischen Topoi, die H. gegen Ende einer Relektüre un­terzieht – darunter Auferstehung und Opfer (besonders 274–276), Sakramente (326) und ewiges Leben als Kapitel eines »soteriological panentheism« (333) –, profitieren kaum von dem, was zuvor vorbereitet worden ist. H. haben wir eine hilfreiche Problembeschreibung zu verdanken, wie man Panentheismus und Hermeneutik miteinander verbinden könnte. Dass man auf der dabei gelegten Fährte weitergehen kann, mag ein Beweis dafür sein, dass es auch eine Evolution des Theologischen gibt.