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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1277-1279

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Hall, Eric E., and Hartmut von Sass [Eds.]

Titel/Untertitel:

Groundless Gods. The Theological Prospects of Post-Metaphysical Thought.

Verlag:

Eugene: Wipf & Stock (Pickwick Publications) 2014. XII, 314 S. Kart. US$ 36,00. ISBN 978-1-62564-015-4.

Rezensent:

Folkart Wittekind

Der Band sammelt im Wesentlichen Beiträge jüngerer Theologen aus Amerika und Europa, die – wie die Herausgeber – durch Ingolf Dalferth beeinflusst sind oder in Zürich geforscht haben. Es geht um die – gegen die generelle Metaphysikkritik in der Nachfolge der französischen Heideggerrezeption – neu herauszuarbeitenden on­tologischen Implikationen einer hermeneutischen (Offenbarungs-) Theologie.
Nach der Einleitung finden sich im ersten Teil des Bandes drei Aufsätze mit Gegenentwürfen zur metaphysischen Theologie(Hart, Pattison, Goodson), im zweiten Teil (dem eigentlichen Kern des Bandes) fünf Beiträge zu Theorien im 20. Jh., die im Sinne einer postmetaphysischen Theologie weitergeführt werden können (Rod- ­gers, Heinsohn, Zane Yi, Hall und von Sass), und im dritten wiederum drei Aufsätze, in denen (entgegen dem Ansatz des Bandes) Metaphysik theologisch neu formuliert wird (Neugebauer, Eikrem, Wabel).
Die ausführliche Einleitung klärt die Fragerichtung der Herausgeber. Verschiedene postmetaphysische Positionen der Gegenwart werden vorgestellt. Die Kritik an der klassischen Metaphysik bleibt die Grundlage, auf der dann die eigenen metaphysischen Implikationen dieser Kritik bedacht werden. Für die Theologie wird damit gefordert, dass sie (1.) vom lebendigen Glauben (und nicht dem »gedachten« Gottesgedanken) ausgeht, (2.) nicht an eine philosophische Theorie gebunden ist und Glauben nur als deren Ausdruck liest, (3.) Gott nicht für das eine Sein hält, sondern ihn als Inbegriff pluraler Möglichkeiten sieht, und (4.) Gott nicht welt transzendent, sondern als personhaft inkarnierten Teilhaber an ihrem Geschick vorstellt. So soll das theologische (metaphysikkritische) Befolgen der »Grammatik des Glaubens« mit einer starken (postmetaphysischen) Begründung der Geltung dieser Grammatik verbunden werden.
Die im ersten Teil des Buches vorgestellten Theologieentwürfe sind allerdings im Hinblick auf diese Begründung enttäuschend. Kevin Hart schlägt eine phänomenologische Grundlegung des Gottesglaubens in einer vordogmatischen Wahrnehmung der Person Jesu vor und liest alle klassischen Inhalte der Dogmatik in sie hinein. Der anglikanische Theologe George Pattison beschreibt als gemeinsame Grundlage aller Wissenschaften (nach Vattimo) eine »schwache« (post?)metaphysische Bindung an Wahrheit. Diese wird fundamentalexistenzialistisch in der vorbegrifflichen Körperlichkeit des Menschen verortet. Jacob Goodson benutzt Habermas, um den (eigentlichen) Wahrheitsanspruch der Theologie zu zähmen und eine interdisziplinäre Diskursoffenheit der Theologie zu ermöglichen.
Der zweite Teil umfasst eine weite Suche nach »postmetaphysischer« Theologie, es werden Denker des 20. Jh.s wie Camus (und Nietzsche), Simone Weil, Charles Taylor, Caputo und Jüngel, Bultmann und der späte Heidegger befragt. Michael Rodgers geht von einer soziologischen Studie zum gegenwärtigen Atheismus in der Welt aus und bezieht die Religionskritik Camus’ und Nietzsches darauf. Alle Nichtglaubenden als Atheisten zu klassifizieren, sei selbst eine metaphysische Annahme. Das moderne Denken bestreite nämlich eigentlich (nur) den Glauben als sinnvolle menschliche Haltung und lasse die Frage, ob und wie es Gott »gibt«, offen.
Nina Heinsohn fasst ihre in ihrer Assistentenzeit am Lehrstuhl von Michael Moxter in Hamburg geschriebene (noch nicht veröffentlichte) Dissertation zu Simone Weil zusammen. Es gibt sowohl klassisch metaphysische, platonisch-augustinische (Springsted) als auch entschieden post- (oder anti-)metaphysische, auf Wittgenstein sich beziehende Deutungen (D. Z. Phillips). Bei Weil ›ist‹ Gott sein Eingehen in die Schöpfung zugunsten von deren menschlicher Deutung. Damit wird keine Reduktion auf Immanenz ausgesagt, sondern ein notwendiges Zurückgehen des Menschen in seinem Selbstverständnis hinter sich selbst.
Yane Zi untersucht Charles Taylors Argumente für eine Weiterführung der Religion in den modernen ethischen Überzeugungen. Zwar verzichte Taylor postmodern auf letzte Gründe. Er meine aber trotzdem, dass nur mit Bezug auf Gott eine überzeugende Begründung ethischen Handelns möglich sei. So habe auch Kant argumentiert: Die praktische Vernunft braucht Gott. (Ich halte diese Deutung weder für angemessen noch für pluralismusoffen.)
Eric Hall setzt (mit Caputo) gegen das aktual Mögliche der Metaphysik das unmögliche Mögliche (oder messianische). Der Sinn dieses Gedankens kann aber (gegen Caputo) nur in einer ge­schichtlich lebendigen Sprachgemeinschaft wie dem christlichen Glauben erfahren werden. Jüngel rezipierend entwirft Hall eine trinitarisch-christologische Theorie des Absoluten als des ganz Anderen. Die Denkmöglichkeit des Un/Möglichen muss als dessen ereignishafte Selbsterschließung in der Geschichte gedacht werden. Die messianische Christologie ist damit nicht bloß Theorie, sie denkt nicht die Idee des Ereignisses, sondern sie ist sakramen-taler Ausfluss seiner Faktizität. Diese Form postmetaphysischer Theologie sieht offenbar sich selbst als offenbarungstheologisch weitergeführten ontologischen Gottesbeweis.
Bei Hartmut von Sass werden mit Bultmann Metaphysik und Religionstheorie überwunden in einem dritten (hermeneutischen) Weg der Theologie. Er korrigiert implizit den Barthianismus der Jüngelschule durch Anleihen an der Wittgensteinschen Sprachspieltheorie einerseits und durch die Betonung der spätheideggerianischen (ontologischen) Elemente bei Jüngel andererseits: Sein wird als Ermöglichungsgrund differenter Interpretationshinsichten auf Seiendes verstanden. Gott ist der hermeneutische Operator, der neues (nicht selbst gemachtes) Selbstverständnis (= Glauben) ermöglicht. Der Begründungsanspruch wird damit allerdings unklar: Ist Gott-an-sich zu lesen als Ermöglichungsgrund für Glauben, oder ist er (»nur«) der Ausdruck für das Vorliegen eines religiösen Sprachspiels, indem er als Gegenstand in diesem auftaucht?
Im dritten Teil werden gegensätzliche (nichthermeneutische) Erneuerungen der Metaphysik dargestellt. Matthias Neugebauer fasst seine Arbeit zu Ritschl und Lotze zusammen und erweitert die subjektivitätstheoretische Grundlegung der Theologie durch das Beharren auf einem metaphysischen Geistbegriff; der norwegische Theologe Asle Eikrem stellt Lorenz Puntels (die Differenz von Gott und Welt aufhebende) Zurückweisung der Metaphysikkritik Heideggers dar; und Thomas Wabel rekonstruiert Peirces semiotische Grundlegung und deren theologische Rezeption bei Hermann Deuser. Wabel selbst allerdings versteht Religion luhmannianisch-systemtheoretisch und setzt der semiotischen Begründungstriade Deusers mit Matthias Jung eine kommunikationsbezogene entgegen: Religion besteht in der Abhängigkeit individueller Überzeugungen (1.) von dem sprachlichen Inhalt (2.) einer religiösen Kommunikation, die von der Kirche geteilt wird (3.). Damit ist in der Tat, wie Wabel reklamiert, eine Alternative zur post/metaphysischen Ontologie benannt.
Denn eine zusammenfassende Anfrage sei erlaubt: Muss, wer bereit ist, theologisch-dogmatisch der Grammatik des Glaubens zu folgen, den Gottesbegriff als realistische Form ereignishafter Selbsterschließung denken? Oder handelt es sich dabei nicht gerade um eine theologische (Voraus-)Setzung, die die kommunikativ-sprachspielbezogene Selbstbezüglichkeit von Glaubensaussagen übergeht? Wenn die gegenwärtige Dogmatik zu einer solchen Partikularisierung und Pluralisierung von religiösen Wahrheitsansprüchen tendiert, dann ist die hier angezielte offenbarungstheologisch-ontologische Variante nicht der eine Dritte Weg, sondern nur eine der (postmodernen) Möglichkeiten. Aber wegen ihres am­bitionierten Begründungsprogramms wiederum eine, mit der es sich besonders auseinanderzusetzen lohnt.