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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1274-1276

Kategorie:

Philosophie, Religionsphilosophie

Autor/Hrsg.:

Whistler, Daniel

Titel/Untertitel:

Schelling’s Theory of Symbolic Language. Forming the System of Identity.

Verlag:

Oxford u. a.: Oxford University Press 2013. XXVII, 261 S. = Oxford Theology and Religion Monographs. Geb. £ 74,00. ISBN 978-0-19-967373-5.

Rezensent:

Christian Danz

Im Jahre 1801 veröffentlichte Friedrich Wilhelm Joseph Schelling in der von ihm selbst herausgegebenen Zeitschrift für spekulative Physik seine Schrift Darstellung meines Systems der Philosophie. Die hier ausgearbeitete Systemkonzeption bricht mit dem Parallelismus von Natur- und Transzendentalphilosophie, wie er noch für das System des transzendentalen Idealismus von 1800 signifikant war. Zugleich markiert die Schrift von 1801 eine deutliche Distanz zum Idealismus der Wissenschaftslehre Fichtes. Sein System, so der junge Philosoph, stehe im Standpunkt des Absoluten bzw. der absoluten Identität. In den folgenden Jahren hat Schelling das von ihm sogenannte Identitätssystem zunächst in Jena und später in Würzburg und München weiter ausgeführt. Wie lange sich die identitätsphilosophische Phase seines Denkens erstreckt, ist in der einschlägigen Forschung ebenso umstritten wie die Systemkonzeption selbst. Das liegt vor allem daran, dass Schellings Philosophie nach 1801 entweder an dem Systementwurf seines Jugendfreundes Hegel gemessen wird, der im Jahre 1801 nach Jena kam, oder in den identitätsphilosophischen Schriften nach Ansatzpunkten von dessen Weiterführung in der Freiheitsphilosophie und des Spätwerkes gefragt wird. Die Identitätsphilosophie und die mit ihr verbundene Systemkonzeption wurden dadurch lange Zeit kein eigenes Thema der Forschung. Erst in den letzten Jahren kam vor allem durch die Studien von Paul Ziche die Eigenart dieser theoretischen Konzeption und ihrer methodischen Voraussetzungen in den Blick. Die hier anzuzeigende Studie von Daniel Whistler mit dem Titel Schelling’s Theory of Symbolic Language. Forming the System of Identity gehört in diesen Kontext, auch wenn sie (leider) die neuere deutschsprachige Forschung zum Identitätssystem nicht zur Kenntnis genommen hat.
W. diskutiert Schellings Verständnis der symbolischen Sprache, wie er es in seinen Vorlesungen über Philosophie der Kunst ausgeführt hat, vor dem Hintergrund der symboltheoretischen Debatten der Goethezeit. Hierzu rekonstruiert er sowohl den problemgeschichtlichen Kontext als auch die methodischen und systematischen Grundlagen der Identitätsphilosophie Schellings. Diese wiederum bilden die Grundlage für seine Analyse des Symbolbegriffs und des Sprachverständnisses in der Philosophie der Kunst. Die Bedeutung des Buches für die Forschung besteht darin, dass es das Identitätssystem als solches in den Fokus der Untersuchung rückt und es somit nicht als Übergangsphase zu dem Spätwerk behandelt. Dadurch kommt W. zu einer Einschätzung dieser Phase von Schellings Philosophie, die neue Maßstäbe der Deutung setzt.
Der Aufbau der Untersuchung resultiert aus dem Anliegen, Schellings symboltheoretisches Sprachverständnis vor dem problemgeschichtlichen Hintergrund der Goethezeit sowie der identitätsphilosophischen Systemkonstruktion zu analysieren. Im ersten Teil – Context (3–53) – werden der Symbolbegriff (3–29) sowie das Sprachverständnis (30–53) der Goethezeit dargestellt. W. schlägt einen weiten Bogen und erörtert die Symbolbegriffe von Kant, Goethe sowie der Jenaer Romantiker. Sodann werden im zweiten Abschnitt die Sprachtheorien von Locke, Kant und Goethe diskutiert. Dadurch wird der problemgeschichtliche Kontext von Schellings eigenen Überlegungen erschlossen. Dieser findet seinen zu­sammenfassenden Ausdruck in dem romantischen Symbolverständnis, gegen das sich Schellings Konzeption wendet. Im Kern ist es die Verweisstruktur des Symbols, die für das romantische Verständnis grundlegend ist. Ihm setzt Schelling einen tautegorischen Symbolbegriff entgegen: die Identität des Idealen und Realen.
Der zweite Teil rekonstruiert in vier Unterabschnitten Schellings identitätsphilosophisches Verständnis des System[s] (57–137). Hier werden die systematischen und methodischen Grundlagen von Schellings Symbolverständnis erarbeitet. W. diskutiert zu­nächst The Symbol and the Identitätssystem (57–69). Dabei macht er von vornherein deutlich, dass Schellings Systemkonzeption von der Hegels zu unterscheiden ist. »Schelling’s Identitätssystem is irreducible to and incomparable with Hegel’s system« (67). Grundlegend für das identitätsphilosophische System ist ein durchgehender Monismus, der alle Hierarchisierungen auflöst. Damit wird die Kritik an transzendentalphilosophischen Konzeptionen, wie denen von Kant und Fichte, verständlich. Mit dem transzendentalen Subjekt setzen beide einen Aspekt der Wirklichkeit über andere. Die monistische Grundstruktur des Identitätssystems wird in dem Abschnitt Schelling’s Metaphysics (70–93) in einer problem-geschichtlichen Perspektive als moderne Form einer Immanenz-metaphysik erörtert. Dem für diese Phase von Schellings Denken grundlegenden Potenzbegriff ist der Abschnitt Quantitative Differentiation (94–116) gewidmet. Während die meisten Interpreten des Identitätssystems in der von Schelling behaupteten quantitativen Differenz ein Problem sehen, macht W. diese Konzeption stark. Durch sie werden binäre Systemkonstruktionen ebenso unterlaufen wie dualistische oder kausaltheoretische. Differenzierungen resultieren aus der Form, die von Schelling gegenüber dem Wesen nicht als defizitär angesetzt wird. »Schelling’s theory of quantita-tive differentiation is neither analogical nor dialectical, and this is because there is no qualitative differentiation in Schelling’s phi-losophy, or in other words there is no negation in Schelling’s philosophy.« (106) Die besondere Form ist die Darstellung des Allgemeinen. Das Absolute kommt mithin allein in den Formen (Ideen) in den Blick. Hierzu muss das Besondere im Medium des Absoluten konstruiert werden. Der Methode der Konstruktion, die für das Identitätssystem schlechterdings konstitutiv ist, wendet sich der letzte Abschnitt dieses Teils zu (Construction, 117–137). W. beleuchtet hier den problemgeschichtlichen Hintergrund des Konstruktionsbegriffs, die Differenz von Schellings Verständnis der Konstruktion zu dem Kants und vor allem die Bedeutung der intellektuellen Anschauung für das Identitätssystem. Diese sei in dieser Phase seines Denkens, wie W. zu Recht notiert, »subordinated to the method of construction« (132).
Im dritten Teil seiner Untersuchung widmet sich W. dem Symbol (141–193) in den in Würzburg gehaltenen Vorlesungen über Philosophie der Kunst. Er setzt mit dem Paragraphen 39 der Vorlesung ein, der dem Symbolbegriff gewidmet ist (141–164), geht dann über zur Language in the Identitätssystem (165–180) und erörtert schließlich die in dem Paragraphen 73 der Philosophie der Kunst ausgeführte Sprachtheorie (181–193). Die hier vorgestellten Überlegungen zu Schellings symboltheoretischer Fassung der Sprache bilden das Zentrum der Untersuchung. Der identitätsphilosophische Symbolbegriff ist strikt selbstbezüglich gefasst. Das Symbol verweist nicht auf etwas anderes, Bedeutung und Sein fallen in ihm zusammen. In ihm kommt somit die absolute Identität zur Darstellung. »The symbol is one name for the absolute mode in which the absolute exhibits itself.« (150) Damit ist der romantische Symbolbegriff unterlaufen (vgl. 161–163). Vor diesem theoretischen Hintergrund hebt W. die Bedeutung der Sprachphilosophie Schellings hervor, die in der bisherigen Forschung eher marginal behandelt wurde. Wenn Philosophie Darstellung der absoluten Identität des Allgemeinen und Be­sonderen im Allgemeinen sein soll, dann muss dies Konsequenzen für das Verständnis der Sprache haben. »The Identitätssystem is therefore a symbol of the absolute, in the technical sense I explored in the previous chapter – and so it requires a form of language that can be symbolic as well.« (167) Damit wird deutlich, für das Identitätssystem ist ein symbolisches Sprachverständnis konstitutiv (vgl. 189: »His system culminates in language.«).
Den Konsequenzen für das Sprachverständnis geht der vierte Teil Metaphilosophy (197–243) nach. Zunächst werden die Implikationen des symbolischen Sprachverständnisses in dem Abschnitt Science Without Reference (197–221) diskutiert und sodann Schellings identitätsphilosophisches Verständnis der Theologie (Systematic Eclecticism, 222–243). Der identitätsphilosophische Symbolbegriff ist tautegorisch. Er verweist nicht auf etwas außerhalb seiner selbst. Sein und Bedeutung, Ideales und Reales sind identisch. Mit dieser Fassung der Sprache wird deren Referenz eliminiert. Die Sprache verweist nicht auf Gegenstände, sie produziert das Absolute. »Symbolic lanquage does not refer to reality; it produces reality, and does so only the condition it does not refer.« (202) Das hat Konsequenzen für das Verständnis der Theologie. Als eine Wissenschaft von transzendenten göttlichen Dingen kann sie im Horizont des Identitätssystems nicht mehr verstanden werden. Schelling transformiert sie zu einer Darstellung des Absoluten in symbolischen Formen.
»Symbolic practices are therefore aids in the becoming absolute of theology, but only if theology is understood as a science which has renounced reference, which is open to speculative transformations and mutations of its traditional content – only, that is, if it is understood as a science that embraces the eclecticism of forms. Theology – and by extension science in general – must become promiscuous to become absolute.« (242)
W. nimmt in seiner Studie die Identitätsphilosophie Schellings als solche in den Blick und rekonstruiert deren systematische Aufbauelemente. Dadurch gelingt es ihm, ihren monistischen Grundgedanken herauszuarbeiten und mit zahlreichen Missverständnissen dieser philosophischen Konzeption aufzuräumen. Für die weitere Forschung zu dieser Phase von Schellings Denken gibt das Buch wichtige Anstöße, so dass man ihm nur die Aufnahme wünschen kann, die es verdient.