Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1259-1261

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Balders, Günter, u. Christian Bunners [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

»… die Edle und niemals genug gepriesene MUSICA«. Johann Crüger – (nicht nur) der Komponist Paul Gerhardts.

Verlag:

Berlin: Frank & Timme 2013. 254 S. m. Abb. = Beiträge der Paul-Gerhardt-Gesellschaft, 8. Kart. EUR 19,80. ISBN 978-3-7329-0019-0.

Rezensent:

Johannes M. Ruschke

Der Komponist Johann Crüger (1598–1662) hat als einer der Ersten dazu beigetragen, dass Berlin zu einer Musikstadt wurde. Bisher wurde sein Wirken stiefmütterlich behandelt beziehungsweise auf seine Tätigkeit der Vertonung von Gedichten Paul Gerhardts reduziert. Diese Einengung korrigieren die neun Forschungsbeiträge des vorliegenden Sammelbandes, der die Berliner Jahrestagung 2012 der Paul-Gerhardt-Gesellschaft dokumentiert.
Nach einem Vorwort, das die bisherige Forschungsliteratur zu Crüger knapp zusammenfasst, stellt der Berliner Theologe und Musikwissenschaftler Christian Bunners den Leserinnen und Le­sern eine lebensgeschichtliche Skizze vor Augen. Der Beitrag, in den Bunners die wichtigsten Erkenntnisse seiner eigenen Arbeit zu Crüger einfließen lässt, stellt in prägnanter Kürze dar, weshalb Crü­ger schon zu Lebzeiten als »Orpheus« von der Spree tituliert wurde. Durch seine Musik vermochte er es, »in den Abgründen und Trostlosigkeiten der Zeit von Rettung und Hoffnung zu künden« (15).
Der Berliner Germanist Wolfgang Miersemann zeigt sodann anhand des Beispiels des Paul-Gerhardt-Liedes »Das alte Jahr vergangen ist«, inwiefern Crüger auch als Textredaktor gearbeitet hat. Er gibt dabei zugleich einen Einblick in die bei den Franckeschen Stiftungen zu Halle angesiedelte Editionsarbeit zu Crügers »Praxis Pietatis Melica«.
Der Hallenser Musikwissenschaftler Hans-Otto Korth, ebenfalls Mitarbeiter an diesem Editionsprojekt, zeigt in seinem hymnologischen Beitrag anhand eines Beispiels fundiert auf, wie Crüger und Paul Gerhardt bei der Vertonung Gerhardtscher Text zusammengearbeitet haben.
Besonders lesenswert ist der Beitrag von Bodo Bischoff vom In-s­titut für Musik der Universität Kassel. Er zeigt auf, welche Bedeutung und Funktion jene Choralmelodien Crügers haben, die Johann Sebastian Bach in sein Werk aufgenommen hat. Er konzentriert sich dabei vor allem auf die »kerygmatische[] Funktion« (68). Bischoff schließt auch durch die Auflistung aller 23 Choralmelodien Crügers in einzelnen Werken Bachs eine Kenntnislücke.
Der Berliner Hymnologe Günter Balders gibt in seinem Beitrag einen Einblick in seine Forschungen zur weltweiten Rezeption der Melodien Crügers. Dabei stellt er »vier Hauptwege grenzüberschreitender Rezeption« (97) dar und kommt zu interessanten Zwischenergebnissen. Es bleibt zu hoffen, dass endgültige Forschungserkenntnisse ohne die derzeit noch vorhandenen und be­nannten Schwächen auskommen werden: Als Quelle fungiert ausschließlich seine eigene Gesangbuchsammlung; bei vielen Liedern stellt sich die Frage, ob sie überhaupt von Crüger stammen; es handelt sich auch darum »um ein Fallstudie, die nicht allen wissenschaftlichen Voraussetzungen genügen kann« (99). – In einem weiteren Beitrag erläutert Balders seine Forschungsergebnisse zu einem Gedicht von Michael Schirmer über Crüger.
Auch Christian Bunners widmet sich der Dichtung auf Crüger und zeigt anhand eines bisher unbekannten Sonetts von Nicolaus Peucker die reichen »künstlerischen und spirituellen Beziehungen, die zwischen Poeten und Musikern in Berlin im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts bestanden haben« (129) auf. Bunners’ Analyse legt dar, wie die Dichtung Peuckers auch politische Absichten verfolgte, nämlich die Unterstützung der politisch-militärischen Ziele des Großen Kurfürsten.
Den Hauptteil dieses Bandes bildet die beachtliche Studie der Berliner Archivarin Susanne Knackmuß, in welcher sie die Rolle Crügers als Schüler (1616–1620) und als Lehrer (1622–1662) am Berlinischen Gymnasium zum Grauen Kloster untersucht. Meistens werden in Lebensläufen Crügers 40-jährige Lehrtätigkeit ebenso wie seine musiktheoretischen Werke für den Schulgebrauch nicht hinreichend beachtet. Diese Forschungslücke schließt Knackmuß fundiert anhand vieler bisher unbeachteter Quellen aus dem Schularchiv. Zunächst erfasst sie Crügers Mitschüler, Widmungsempfänger, Paten seiner Kinder sowie die Verfasser der Ehrengedichte auf ihn systematisch, um »Einblicke in das Beziehungsgeflecht […] und seine Verankerung im residenzstädtischen Gefüge« (148) aufzuzeigen. Knackmuß’ »Ad-fontes-Beitrag« (148) bietet so­mit eine gute Grundlage für weitere biographische Forschungen. Die Berliner Mitschüler, Wittenberger Kommilitonen und Berliner Kollegen Crügers werden in einem bemerkenswerten Anhang vorgestellt, in welchem die Schulschriften und sonstigen Quellen benannt werden. Dazu sind Epithalamien für und von Crüger erwähnt und eingeordnet. Auf diese Weise zeigt Knackmuß unter anderem auf, »wie eng der Crügersche und Gerhardtsche Freundes- und Bekanntenkreis miteinander verbunden war bzw. sich überschnitt« (199); es gelingt ihr dabei zugleich, »ein bis dato nicht als Werk von Gerhardt erkanntes lateinisches Hochzeitsgedicht zu identifizieren« (199). Die Edition, Übersetzung und Interpretation dieses Gedichtes »QVam sibi purpureo purgavit« von 1643 ist ein höchst erfreuliches Ergebnis dieser fundierten Quellenstudie. Abgerundet wird sie durch eine Quellenedition einiger Gedichte und Werke Crügers sowie durch Biogramme wichtiger Personen aus seinem Umfeld.
Anschaulich wird dieser Band durch Abbildungen und Notenbeispiele. Das Aufzeigen mannigfacher Forschungsdesiderate in den meisten Beiträgen macht deutlich: Es bedarf weiterer Forschungsarbeiten zu Crüger. Dazu gibt dieser informative Sammelband mancherlei Anregungen.