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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1257-1259

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Schönberger, Dennis

Titel/Untertitel:

Gemeinschaft mit Christus. Eine komparative Untersuchung der Heiligungskonzeptionen Johannes Calvins, John Wesleys und Karl Barths.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2014. XI, 430 S. = Forschungen zur Reformierten Theologie, 2. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-7887-2787-1.

Rezensent:

Christoph Raedel

Im Vergleich zur Rechtfertigungslehre erfährt die Lehre von der Heiligung auf der Ebene akademischer Theologie weit weniger Beachtung und auch über ihren Ort innerhalb der Dogmatik besteht Unsicherheit. Die hier vorliegende Siegener Dissertation von Dennis Schönberger möchte die Heiligung als »soteriologischen Zentralbegriff« wiedergewinnen und sie dabei in der Chris-tologie verankern, gehe es doch in der Rechtfertigung um die Annahme in Jesus Christus, in der Heiligung um die Inanspruchnahme durch ihn (4). In dieser Absicht werden die Heiligungslehren von Calvin, Wesley und Barth einem Vergleich unterzogen, der durch biblisch- und systematisch-theologische Reflexionen vorbereitet wird.
In diesen Reflexionen (Teil A.) wird zunächst die Auswahl dieser drei Theologen begründet und ein Überblick über exegetische und theologische Perspektiven der Forschung gegeben. Damit ist ein enormer, im Rahmen eines als »Anbahnungen« titulierten Kapitels, das der Hinführung dienen soll, eigentlich nicht zu bewältigender Anspruch gesetzt. Wer hier eine Auseinandersetzung mit der neueren exegetischen Forschung (bei Paulus z. B. mit der für das Thema wichtigen »New Perspective«) sucht, wird enttäuscht werden. Im exegetischen Ertrag hält der Vf. u. a. fest, dass im Neuen Testament von einer »christologischen Zuspitzung der Heiligung« gesprochen werden kann (77), doch wird diese für die Leitthese der Arbeit zentrale Einsicht in der Zusammenstellung der Ergebnisse nicht weiter profiliert. Leider wird auf die Ergebnisse dieses Abschnitts in den nachstehenden Teilen faktisch kein Bezug mehr genommen (es werden lediglich einzelne Texte, am häufigsten Kol 3,3, zitiert).
Die sich anschließenden Kapitel zur Heiligung in lutherischer, reformierter, römisch-katholischer und methodistisch-evangelikaler Theologie sind recht unterschiedlich konzipiert. Zur lutherischen und römisch-katholischen Theologie wird lediglich (sehr) knapp auf die einschlägigen Abschnitte in Dogmatiken des 20. Jh.s verwiesen, während zu Calvin und Barth, in durchaus instruktiver, auch die englischsprachige Literatur berücksichtigender Weise der Forschungsstand vorgestellt wird. Der Forschungsüberblick zum Methodismus, welcher hier als Erscheinungsweise eines nicht näher erläuterten »Evangelikalismus« aufgefasst wird, zeigt, dass der Vf. keine Kenntnis der äußerst produktiven und akademisch profilierten angelsächsischen Wesley-Forschung hat, sondern lediglich die wenigen auf Deutsch zugänglichen und zumeist schmalen Beiträge zur Heiligungs-Thematik zur Kenntnis nimmt, was wissenschaftlichen Maßstäben nicht genügen kann.
Teil B. untersucht Calvins »staurologische Heiligungskonzeption«, wobei nach der Bedeutung des Heiligen Geistes im Leben des Erlösers und sodann im Leben der Erlösten gefragt wird. Der Vf. entwickelt die pneumatologische Architektur von Calvins Ämterlehre und arbeitet überzeugend heraus, dass Rechtfertigung und Heiligung bei ihm im Verhältnis von »Grund und Ziel« (185) zueinander stehen, folglich weder miteinander identifiziert noch voneinander getrennt werden dürfen. Das (primäre) Subjekt von beidem ist der dreieinige Gott, wobei Calvin hinsichtlich des Lebens des Erlösers das Kreuz gegenüber der Auferstehung betone, was dann in seiner Beschreibung der Buße einer Tendenz zur Vorordnung der mortificatio vor die vivificatio entspricht. Die Weise, in der auf Calvins Theologie Bezug genommen wird, wirkt allerdings uneinheitlich. So wird seine Prädestinationslehre entschieden zurückgewiesen, während in der davon kaum ablösbaren Versöhnungslehre der von Calvin vertretene Aspekt des stellvertretenden Sühneopfers (vgl. Inst. II,12,2–5) zwar nicht ausdrücklich zurückgewiesen, aber doch sachlich unterbestimmt und lediglich gegen Anselms Satisfaktionslehre abgegrenzt wird. Im Fazit stellt der Vf. fest, dass Heiligung bei Calvin »ganz und gar ein Werk Gottes« (240), also unter Absehung vom Glaubenden beschrieben werden kann, womit der Ertrag einer pneumatologisch durchgearbeiteten Christologie, wie sie umrisshaft herausgearbeitet wurde, sofort wieder preisgegeben wird.
Eine Enttäuschung ist der sich anschließende Teil C. zu Wesleys »synergistisch-perfektionistische[r] Heiligungskonzeption« (240). Bis in die damit angedeutete Begriffswahl hinein lässt der Vf. erkennen, dass Wesleys Theologie im Rahmen dieser Arbeit lediglich als dunkle Folie dient, von der sich die reformierte Theologie (insbesondere die Barths) leuchtend abheben soll. Der Vf. sieht richtig, dass sich in Wesleys »heilsordnungshafter« (!) Soteriologie unterschiedliche theologische Einflüsse bemerkbar machen. Allerdings werden diese nur ungenau identifiziert (Luther und die Puritaner fallen als Quellen gänzlich aus) und Wesleys Zuordnung von Rechtfertigung und Heiligung wird einseitig als »ein temporales Nacheinander im Sinne des Grund-Folge-Schemas« gedeutet (258), während bei Wesley der theologische dem temporalen Sachzusammenhang vorgeordnet ist (»[Justification] implies what God does for us through his Son; [sanctification] what he works in us by his Spirit«; The Works of John Wesley, Bd. 1, 187). Angesichts der Tatsache, dass für diese Darstellung keine einzige in neuerer Zeit zu einschlägigen Aspekten der Soteriologie Wesleys veröffentlichte Dissertation herangezogen wurde, wirken die massiven Urteile des Vf. völlig unverhältnismäßig: Wesley habe den Semipelagianismus wiederbelebt, eine mystische Einigung des Glaubenden mit Gott gelehrt, die römisch-katholische Gnadenlehre ungebrochen übernommen, seine Heiligungslehre habe eine pragmatische, keine soteriologische Stoßrichtung (272) und sei somit, in summa, nicht reformatorisch (404 f.). Hier bleiben nicht nur manche Aussagen sprachlich unklar, auch sachlich ist ein Rätsel, dass an Wesley scharf die Satisfaktionslehre kritisiert wird, obwohl er in der Versöhnungslehre tatsächlich nicht mit Anselm übereinstimmt, sondern Calvins Lehre vom stellvertretenden Strafleiden folgt.
Verglichen damit stehen die Ausführungen zu Barth (Teil D.) auf festerem Grund. Der zentralen These dieses Teils zufolge hat Barth die reformatorische Soteriologie durch eine stärkere Betonung der Auferstehung gegenüber dem Kreuz Christi betont. Erst an dieser Stelle wird ein wirklich komparatives Moment der Arbeit greifbar. Die Heiligungslehre Barths, so wird argumentiert, ruht auf der Lehre von der Gnadenwahl sowie auf der Lehre von der Auferstehung Christi. Wer mit Barths Theologie vertraut ist, wird hier viel Bekanntes finden, der Ertrag für die Untersuchung insgesamt dürfte darin liegen, dass Barth die Heiligung als »Sieges- und Leidensgemeinschaft« mit Christus interpretiert, von ihm also die vivificatio gegenüber der mortificatio stärker gewichtet wird. Hinsichtlich der Gesamtarchitektur von Barths Versöhnungslehre wird zudem deutlich, dass die Heiligung in der Kirchlichen Dogmatik als Scharnier zwischen Rechtfertigung und Berufung fungiert (339). Eingehend wird schließlich Barths Kritik am Pietismus ausgewertet, in der Barths Ablehnung einer das Versöhnungsgeschehen auf die Erfahrungsebene ziehenden Theologie deutlich wird. Leider tragen diese Ausführungen für eine komparative Studie wenig aus, da sich der Vf. zuvor für Wesley als Vertreter einer Erfahrungstheologie entschieden hatte und nicht für einen der pietistisch-erwecklichen Theologen, die Barth bei seiner Kritik literarisch vor Augen standen.
Der Band hinterlässt im Ganzen einen zwiespältigen Eindruck. Der These der Untersuchung, dass die Heiligung christologisch begründet sein muss, kann man ohne Weiteres zustimmen. Dass Gott und Mensch sich nur in pneumatologischer Perspektive differenziert als Akteure in der Heiligung erfassen lassen, klingt verschiedentlich an, wie das im Einzelnen vorzustellen ist, wird aber nicht überzeugend entfaltet. Die Arbeit hätte gewonnen, wenn der Vf. im Vergleich (nur) Calvins und Barths auf deren unterschiedliche Gewichtung von Kreuz und Auferstehung resp. mortificatio und sanctificatio abgehoben und alles Weitere von dort aus entfaltet hätte. Das Kapitel zu Wesley erscheint als vollständig verzichtbar und rückt die in einzelnen Hinsichten ertragreichen Überlegungen – ohne Not – in ein ungünstiges Licht.