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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1252-1254

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Meyer-Blanck, Michael [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Erik Peterson und die Universität Bonn.

Verlag:

Würzburg: Ergon-Verlag 2014. 345 S. = Studien des Bonner Zentrums für Religion und Gesellschaft, 11. Geb. EUR 42,00. ISBN 978-3-95650-044-2.

Rezensent:

Konrad Hammann

Als die evangelische Theologie nach dem Ersten Weltkrieg aufbrach, um nach neuen Begründungen ihrer Sache zu suchen, gehörte Erik Peterson zu ihren anregendsten und vielseitigsten Vertretern. Der Grenzgänger zwischen verschiedenen theologischen Disziplinen, der sich selbst zum Außenseiter sowohl der bürgerlichen Welt als auch des akademischen Betriebes stilisierte, hatte 1924 einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Kirchengeschichte und Neues Testament in Bonn angenommen. Dort wirkte er bis 1929. Das Denken und Wirken Petersons in seinen Bonner Jahren ist Gegenstand des von Michael Meyer-Blanck herausgegebenen Bandes, der die Beiträge zu einer im Februar 2013 in Bonn abgehaltenen ökumenischen Tagung wiedergibt. Der Sammelband soll – so der Herausgeber in seiner Einleitung – »die soziokulturellen Bedingungen einer Theologie beleuchten, die später eine konfessionell unerwartete Entwicklung nahm, wenngleich sich vieles bereits zu Beginn der Bonner Zeit abzeichnete« (7). Diese übergreifende Fragestellung verbindet die elf Beiträge, die Meyer-Blanck vorab durch Paraphrasen ihres Inhalts vorstellt (15–26), miteinander.
In einer detaillierten Skizze beschreibt zunächst Barbara Nichtweiß das Leben, die professorale Tätigkeit und das Umfeld Petersons in Bonn (27–59). Sie geht dabei auch auf seinen berühmten Vortrag »Was ist Theologie?« aus dem Sommer 1925 ein, der mit seiner Kritik an der Dialektischen Theologie für einiges Aufsehen sorgte. Ebenfalls berücksichtigt sie Petersons Vortrag »Die Kirche« aus dem Herbst 1928, der bereits wie ein Vorbote seiner Konversion zum Katholizismus im Dezember 1930 erscheint. Anschließend gibt Siegfried Hermle einen Überblick über einige wichtige theologische Richtungen in der Weimarer Republik, das Verhältnis der evangelischen Kirche zum demokratischen Staat, die kirchliche Neustrukturierung sowie die innerhalb der Kirche diskutierten Themen der Zeit (61–95). Diese »Jahre großer Unsicherheit« forderten die evangelischen Kirchen heraus, »sich auch im Blick auf die Theologie neu auszurichten und sich angesichts vielfältiger weltanschaulicher Strömungen zu behaupten« (95). Die lokalen Voraussetzungen für Petersons Tätigkeit in Bonn stellt Thomas Becker in seinem Beitrag über die Entwicklung der beiden Theologischen Fakultäten sowie der Philosophischen und der Juristischen Fakultät an der Bonner Universität in der Weimarer Ära dar (97–112).
Dem Einfluss des Neutestamentlers Peterson auf Ernst Käsemann geht Günter Röhser nach (113–143). Er zeigt die prägende Wirkung, die Peterson auch langfristig auf Käsemann ausübte, an einzelnen »Leitmotiven« wie dem eschatologischen Vorbehalt, dem vom Rechtsdenken präjudizierten Verständnis der Gerechtigkeit Gottes als einer Macht sowie an der politischen Dimension der Theologie und der Kirche auf. Dem Patristiker Peterson attestiert Wolfram Kinzig im Hinblick auf die Bonner Jahre, in seiner eigentlichen wissenschaftlichen Fachdisziplin keine substanziellen Publikationen hervorgebracht zu haben (145–180). Er habe sein generell ungeschichtliches und restauratives Traditionsverständnis auf dem Gebiet der Dogmengeschichte in Gestalt eines ganz unhistorischen Dogmenbegriffs mit autoritären Zügen zu konkreter Anwendung gebracht. Kinzig führt die bei Peterson zu beobachtende Tendenz, der Kirchengeschichte als vorkritisch aufgefass ter Geschichte des Konsenses mit dem Dogma jegliches eigene Recht zu nehmen, vermutungsweise auf seinen vor- und außertheologischen »Wunsch nach Stabilität und Autorität« zurück (180). Martin Wallraff rückt Petersons Monotheismus-Studien in den Kontext der zeitgenössischen religionsgeschichtlichen Forschung und weist auf den expressionistischen Charakter seiner an­tihistoristisch ausgerichteten Aussagen zum Monotheismus hin, den Peterson letztlich ganz im Offenbarungsglauben gegründet sah (181–193).
Aus den beiden schon genannten Traktaten »Was ist Theologie?« und »Die Kirche« erhebt Thomas Ervens die Auffassung Petersons von der Theologie als Wissenschaft (195–208). Danach setzt die Theologie argumentativ nur fort, was sich bereits in dem (an den göttlichen Logos Jesus Christus zurückgebundenen) Dogma artikuliert hat (200). Zwei weitere Beiträge beschäftigen sich mit dem Staatsrechtler Carl Schmitt und mit dessen Beziehung zu Peterson. Reinhard Mehring rekonstruiert akribisch das Verhältnis zwischen dem Theologen und dem Juristen von den Anfängen 1924 bis hin zum endgültigen Bruch 1951 (209–235). Berührten sich anfangs die Interessen beider – besonders bei dem Versuch, den Historismus und Positivismus in ihren Wissenschaften zu überwinden –, so schieden sich ihre Wege, als Peterson 1935 die Möglichkeit einer politischen Theologie in Abrede stellte bzw. das politische Handeln des Christen exklusiv im Glauben an den dreieinigen Gott begründet wissen wollte (220 f.) Mathias Schmoeckel ergänzt diese Ausführungen durch eine Darstellung der Bonner Juristischen Fakultät in den 20er Jahren und des Wirkens Schmitts in Bonn bis 1928 (237–268). Er plädiert dafür, die Publikationen des Staatsrechtlers bis 1928 streng kontextgebunden und nicht von seinem späteren Engagement für das Dritte Reich her zu lesen. Diese Lektüre ergibt, dass »der sonst so eigenwillige Carl Schmitt zwischen 1922 und 1928 auch nur dem allgemeinen Bild eines Bonner Professors der Rechtswissenschaft entsprach« (268).
In den zeitgenössischen Diskurs über die philosophische An­thropologie zeichnet Giancarlo Caronello die von Max Scheler entwickelte gnostische Metaphysik der Selbsterlösung oder Selbstvergottung des Menschen und deren kritische Würdigung durch Peterson ein (269–316). Peterson, der sporadische Kontakte mit dem Philosophen hatte und ihm nach seinem Tod einen Nachruf widmete, erkannte in der Metaphysik Schelers eine Erneuerung der gnostisch-manichäischen Häresie, ohne freilich seinen eigenen Gnosis-Begriff hier näher zu explizieren. Gegenüber dem Scheler unterstellten Dualismus trat Peterson in den 30er Jahren für »das Ineinander von zwei anthropotheologischen Paradigmen […], dem christologischen und dem schöpfungstheologischen« ein, um die starke eschatologische Sehnsucht seiner Zeit in die Anthropologie aufnehmen zu können (316). Im abschließenden Beitrag beschreibt Albert Gerhards die schwierige Beziehung zwischen Peterson und Maria Laach, besonders hinsichtlich der von dort ausgegangenen Impulse für die liturgische Bewegung und die katholische Liturgiewissenschaft (317–333). Gerhards sieht die liturgiewissenschaftlichen Anstöße Petersons zu drei Themen als bedeutsam an, nämlich seine Anregungen zu den Engeln und damit zur »himmlischen Liturgie«, zu der im Gebet sich verdichtenden eschatologischen Dimension der Liturgie und zur Bedeutung der Akklamationen respektive der rechtlichen und sozialen Verfasstheit des öffentlichen Kultes.
Der Band, der neben einem Autorenverzeichnis auch ein Na­menregister enthält, gibt einen instruktiven Einblick in das facettenreiche theologische Denken des jungen Peterson. Er zeigt einen Theologen, der wie viele seiner Zeitgenossen die Aporien des His-torismus zu überwinden suchte, den diese Suchbewegung dann aber nach Rom, in das Dogma der römisch-katholischen Kirche, führte.