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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1247-1248

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Weide, Christine

Titel/Untertitel:

Georg Spalatins Briefwechsel. Studien zu Überlieferung und Bestand (1505–1525).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2014. 293 S. = Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie, 23. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-374-03626-4.

Rezensent:

Volker Leppin

Briefwechsel gehören zu den interessantesten Quellengruppen für die Erforschung der Frühen Neuzeit. Editionen wie die von Bucer, Bullinger und Melanchthon zeigen – von Luther einmal ganz abgesehen –, welche Fülle an Einsichten in die Prozesse reformatorischer Meinungsbildung und Umsetzung man durch sie gewinnt. Besondere Bedeutung gewinnen dabei auch Entscheidungsträger, seien es Stadtschreiber oder, wie derzeit in einem an der Sächsischen Akademie von Armin Kohnle geleiteten Projekt, die sächsischen Kurfürsten der Reformationszeit.
Zu den wichtigen Vermittlerfiguren zwischen reformatorischer Bewegung und politischer Umsetzung gehört Georg Spalatin, der lange Zeit am kursächsischen Hof tätig war und immer wieder Brücken zwischen Kurfürst und Reformator schlug. Daher ist es eine Freude, dass nun Christine Weide in ihrer von Johannes Schilling in Kiel betreuten Dissertation erstmals eine umfassende Sichtung seines Briefwechsels vorlegt und ihre Studien ausdrücklich als »Vorarbeiten einer zukünftigen, längst überfälligen Edition des Briefwechsels Spalatins« versteht (23). Tatsächlich steht das gesamte Werk im Dienst einer solchen Aufgabe. Das eigentliche Corpus der Arbeit umfasst eine mehrfach erschlossene Liste der Briefe von und an Spalatin, wobei letztere drei Viertel des Gesamtbestandes ausmachen: Spalatin war, wie W. zeigen kann, ein ordentlicher Sammler. Von seinen Partnern galt das offenbar nicht im selben Maß – so sind die von ihm empfangenen Briefe weit umfangreicher erhalten als die versandten.
Auffällig – und prima facie enttäuschend – ist dabei allerdings auch, wie viele dieser Briefe bereits bekannt und gut zugänglich sind: Etwa 40 Prozent der Korrespondenz für die erfassten Jahre – bis 1525 – entstammen der Feder Luthers und Melanchthons (261) und sind entsprechend in den Ausgaben gedruckt. Allerdings stellt W. an dieser Stelle wie sonst auch die Bedeutung ihrer Arbeit zu sehr unter den Scheffel, wenn sie diese Menge zu »fast die Hälfte« aufrundet (ebd.). So viel ist es eben nicht – und so wenig bleibt dann auch nicht übrig.
Sichtet man das gebotene Material, so wird deutlich, was eine Edition der Spalatin-Korrespondenz leisten könnte: Immerhin etwa ein Siebtel der Briefe, 136 insgesamt, sind noch nicht gedruckt (262). Das ist ja für 20 Jahre auch nicht eben wenig. Darunter befinden sich neben Schreiben Spalatins selbst interessante Stücke von Scheurl, Wenzeslaus Linck, König Christian von Dänemark oder Eobanus Hessus. Auch die gedruckten Briefe sind nicht alle in modernen Editionen zugänglich. Dies sollte auf jeden Fall möglichst bald nachgeholt werden.
Nimmt man also W.s reizvollen Gedanken auf, eine Edition anzugehen, so könnte diese in umfassender Weise das Netzwerk um Georg Spalatin erschließen und so wesentliche Einsichten in den Prozess der frühen Reformation bieten. Das Corpus würde dabei deutlich umfangreicher, wenn man die folgenden Jahrzehnte hinzunähme: W. veranschlagt insgesamt für die Jahre bis 1545 noch einmal etwa ebenso viele Briefe wie bis 1525 (23). Ob freilich eine vollständige Edition sinnvoll ist, wie sie W. offenbar vorschwebt (ebd.), oder nicht doch auf die schon edierten oder – etwa im Falle Karlstadts – in Edition begriffenen Briefe per Regest (ggf. mit Korrekturen) hingewiesen werden sollte, dürfte zu den entscheidenden Fragen für die nächsten Arbeitsschritte und auch deren Durchführbarkeit gehören.
Blickt man auf W.s Dissertation, so kann man wohl sagen: Diese Arbeit könnte jedenfalls für die Zeit bis 1525 sofort beginnen. W. hat geleistet, was man als Vorarbeit erwarten kann: Sie hat umfassend in Ausgaben und Archiven nach Teilen der Spalatin-Korres­pondenz geforscht. Hiervon legen nicht nur positive Nachweise in Weimar, Bretten oder Basel Zeugnis ab, sondern auch die Negativliste von Archiven, in denen W. nicht fündig wurde (98). Natürlich bleiben bei dergleichen immer auch Möglichkeiten für Zufallsfunde erhalten – aber was man realistischerweise erwarten darf, ist offenkundig in den Blick gekommen.
Die einzelnen Stücke hat W. lokalisiert, datiert und je nach Möglichkeit als Autograph, Abschrift oder Druck nachgewiesen. Die stattliche Liste von 995 Stücken umfasst die Seiten 102–219 im vorliegenden Buch. Adressaten- und Korrespondenzpartnerverzeichnis (228–231) weisen das Netzwerk nach, sind allerdings leider nicht registerartig angelegt, sodass die Einzelidentifikation etwas Mühe bereitet. Dafür hätte die knapp zusammenfassende Übersicht über die gesamte Liste (232–253), die keine zusätzlichen Informationen bietet, eingespart werden können.
Doch ändern solche Hinweise nichts an der Substanz dieses Bu­ches, das auch über die Vorarbeit für eine Edition hinaus nutzbar ist: Nach der Einleitung bietet W. in Abschnitt II. eine sorgfältig erarbeitete, informative Biographie Spalatins für die Jahre bis 1525. Der dritte Abschnitt führt anhand von Spalatin in die humanistische Briefkultur ein. Beides sind solide Zusammenfassungen des Standes der Forschung, der vor allem im Blick auf Spalatin als Korrespondent und Sammler durch W. wichtige Ergänzungen und Differenzierungen erfahren hat.
Man legt den Band beiseite in der Hoffnung, dass nun bald die projektierte Edition angegangen werden kann. W. weist auf einen Fundus hin, der für die reformationsgeschichtliche Forschung noch unzureichend erschlossen ist und elementare Bedeutung hat. Ihre Vorarbeiten geben die Möglichkeit, hier einen entscheidenden Schritt voranzukommen.