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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1245-1246

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Posset, Franz

Titel/Untertitel:

Unser Martin. Martin Luther aus der Sicht katholischer Sympathisanten.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2015. 177 S. m. Abb. = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte, 161. Geb. EUR 32,00. ISBN 978-3-402-10526-9.

Rezensent:

Albrecht Beutel

Es gehört zu den Binsen der Reformationsgeschichte, dass sich die Konfessionalisierung der abendländischen Christenheit nicht schlagartig, sondern prozesshaft vollzog. Insofern markiert der 31. Oktober 1517, auch wenn seine Dignität als protestantisches Me­morialdatum außer Frage steht, durchaus nicht den tagesscharfen Aufzug einer neuen Epoche. Zwar traf Luther, seitdem er zu publizieren begonnen hatte, auch auf erbitterte Gegner. Demgegenüber war die Gruppe seiner frühen Anhänger und Sympathisanten un­gleich heterogener: Manche wurden zu treuen Mitarbeitern und Parteigängern, andere wandten sich nach anfänglich solidarischer Zustimmung wieder ab und suchten fortan eigene Wege. Da­neben gab es auch eine nicht zu unterschätzende Anzahl römisch-katholischer Theologen, die den jungen Luther verehrten, ohne sich da­durch zu einer Abkehr von der eigenen Amtswaltung veranlasst zu sehen. Vier Repräsentanten dieser letztgenannten Gruppe werden in der Studie von Franz Posset nach ihrem Werdegang und ihrem Verhältnis zu Luther eindrucksvoll porträtiert.
Als Ordensgeistliche und Weltpriester wirkten sie allesamt in oder nahe der wenig später bikonfessionell werdenden Stadt Augsburg, für die sich in den frühen 1520er Jahren die meisten Lutherdrucke nachweisen lassen. Am Beispiel dieser Theologen zeigt der Vf. einleitend, wie problemträchtig die eingespielten gruppenspezifischen Etikettierungen sein können, da doch der Terminus reformatio auf römisch-katholischer wie evangelischer Seite reklamiert wurde und den »altgläubig« Genannten nicht etwa die »neugläu-bigen« Lutheraner entgegenstanden, vielmehr eine religiöse Re­formbewegung, die sich ihrerseits als Traditionshüter der wahren »alten« Kirche verstand.
Der Bedeutendste unter den vier Augsburgern war zweifellos der adelige Domkapitular und Humanist Bernhard Adelmann von Adelmannsfelden (1459–1523). Als Schüler von Johannes Reuchlin verkehrte er in dem um Konrad Peutinger entstandenen Zirkel der »Sodalitas litterarum« und war mit Willibald Pirckheimer befreundet. Adelmann teilte das von Luther betriebene Anliegen einer evangeliumsgemäßen Seelsorge- und Predigtreform, auch missbilligte er seinerseits das florierende Ablassgeschäft. Im Oktober 1518, als der Wittenberger Augustinermönch und Professor auf den Augsburger Reichstag zitiert worden war, kam es mehrfach zu persönlichen Begegnungen, die beiderseits das Gefühl der Verbundenheit stärkten. Der rege briefliche Austausch, der zwischen ihnen stattfand, ist vielfach bezeugt, aber nicht mehr erhalten. Mit anhaltendem Interesse rezipierte Adelmann, darin nicht selten durch Wenzeslaus Linck unterstützt, die von »noster Martinus« (38) ausgehende Publikationstätigkeit. Aus ihm, attestierte er, spreche nichts als »tzarte warheyt und unverruckte tugent« (40). Bald geriet Adelmann in scharfen Gegensatz zu Johann Eck und sah sich veranlasst, Luther vor diesem hartnäckigen Verfolger zu warnen. Am Silvestertag 1519 trafen Adelmann und Eck im Hause des Johann von Schwarzenberg, einem frühen Anhänger Luthers, zusammen, und unter dem Einfluss der geistigen Getränke, die dabei gereicht wurden, wäre es, wie ein Augenzeuge berichtet, beinahe zu Handgreiflichkeiten gekommen (46). Kein Wunder also, dass der Inquisitor daraufhin den Namen des Augsburger Kanonikers in die gegen Luther gerichtete Bannandrohungsbulle »Exsurge Domine« einfügte (42).
Die weiteren Studien des Bandes gelten zunächst dem Augsburger Augustinerprior Caspar Amman (um 1450–1524[?]). Dessen 1523 veröffentlichte deutsche Übersetzung des hebräischen Psalters, durch die er sich zu loyaler Detailkritik an Luthers Septembertestament autorisiert sah (160), wird vom Vf. eingehend analysiert. In seiner Verehrung Luthers, der ihm als »unser Apostel« (51) galt, kam Amman mit dem Augsburger Benediktinermönch Vitus Bild (1481–1529) fugenlos überein. Dieser wiederum empfand es offenbar nicht als Widerspruch, dass er selbstverständlich an seiner Ordensangehörigkeit festhielt und gleichwohl im August 1522 an Georg Spalatin schreiben konnte: »Das Evangelium, in welchem mich Gott durch Martin, den treuesten Knecht seines Weinbergs, unterrichtet, ist in meinem Herzen so festgewurzelt, dass mir zum Ekel ist Alles, worin ich früher meine Tage unnütz hingebracht« (134). Der Weltpriester Kaspar Haslach (um 1485 – um 1540) wiederum zog sich aufgrund seiner Liebe zu Luther, in dem er einen » apostolischen Mann mit überaus wahren Predigten« (140) und den »aufrichtigste[n] Herold der evangelischen Wahrheit« (135) erkannte, ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Wormser Edikt auf den Hals, aus dem er erst nach langen Verwicklungen halbwegs unbeschadet hervorging.
Die vom Vf. geleistete prosopographische Detailarbeit, die einen bedeutenden Aspekt der frühen Reformationsgeschichte erhellt, verdient hohes Interesse. Die vier von ihm vorgeführten Sympathisanten Luthers leisteten dem Wittenberger keineswegs blinde Ge­folgschaft, schienen sein Wirken vielmehr in kritischer Selektion rezipiert zu haben. Auffällig ist jedenfalls, dass sie alle nicht müde wurden, die Druckwerke Luthers zu sammeln und zu studieren, und gleichwohl ausgerechnet, vielleicht gar bezeichnenderweise, dessen sogenannte reformatorische Hauptschriften des Jahres 1520 davon ausnahmen (163).
Die Drucklegung des verdienstvollen Bandes wurde durch Zu­schüsse des Bistums Augsburg und der VELKD unterstützt. Möge sich in dieser ökumenisch-ökonomischen Kooperation zugleich die Chance ankündigen, dass künftig hüben wie drüben nicht allein »unser Martin«, sondern auch »unsere Kirchengeschichte« noch in­tensiver gemeinsam wahrgenommen und erforscht werden kann.