Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1227-1230

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eberhart, Christian A.

Titel/Untertitel:

Kultmetaphorik und Christologie. Opfer- und Sühneterminologie im Neuen Testament.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2013. XVI, 328 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 306. Lw. EUR 99,00. ISBN 978-3-16-151882-9.

Rezensent:

Martin Vahrenhorst

Bei dieser Studie von Christian Eberhart handelt es sich um eine überarbeitete Habilitationsschrift, die im Sommer 2011 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz angenommen wurde. Sie untersucht diejenige »Metaphorik, die dem bildspendenden Bereich des Kultbetriebes entnommen ist, um historische Ereignisse in Jesu Leben und Sterben in einem kreativen Prozess interpretierender Sinnzuschreibung soteriologisch zu deuten« (8). Dazu gehören die »Bezeichnung Jesu als ›Opfer‹, die Rede vom ›Blut Jesu‹, das Lexem ἱλάσκομαι und die Prädikation Jesu als ›Lamm‹« (6 f.). Weil der Hebräerbrief traditionsgeschichtlich der Welt des Kultes in besonderer Weise verbunden ist, wird ihm ein eigenes Kapitel gewidmet.
Wie E. in seinem Methodenkapitel (10 ff.) überzeugend darlegt, ist für das Verständnis metaphorischer Rede eine möglichst genaue Kenntnis des Bildspendebereichs unerlässlich. Daraus ergibt sich, dass der Darstellung der Welt des Kultes im Alten Testament und im frühen Judentum besonders breiter Raum gegeben wird. Darin liegt die besondere Stärke der vorliegenden Studie.
Schon in der Einleitung zeigt sich der Akzent von E.s Zugang zur Welt des biblischen Opferkultes. E. definiert Opfer »als kommunikative Begegnungsvorgänge zwischen Mensch und Gott«, die »aufgrund der Ritualhandlung der kultischen Verbrennung« zustande kommen. Die dazugehörigen Metaphern bringen »vor allem den Aspekt der Akzeptanz durch Gott zur Sprache« (7). Im Zentrum der Aufmerksamkeit E.s stehen dabei die Opferbestimmungen aus Lev 1–7. Diese Kapitel haben vor allem den Vollzug der Opfer im Blick, schweigen sich aber über deren Bedeutung weitgehend aus. Daher gibt es in der Forschung verschiedene Theorien darüber, was das Wesen des Opfers ausmache. Nach E.s Darstellung stellen sie vor allem den Akt der Tötung »z. T. in Verbindung mit nachfolgenden Blutriten« ins Zentrum (39). Diese Deutung stellt E. mit guten Gründen in Frage: 1. Wie kann die Tötung des Opfertieres im Zentrum des Geschehens stehen, wenn sie sowohl im Blick auf den Ort als auch im Blick auf das ausführende Personal den profansten Teil des Rituals darstellt? 2. Wie können Blutapplikationsriten deutungsleitend sein, wenn sie allein beim Sündopfer vorkommen? 3. Wie ist die Exis­tenz vegetabiler Opfer, also der Mincha, zu erklären, wenn es beim Opfer zentral um den Akt der Tötung gehen soll (39 f.)?
In Weiterführung seines schon in seiner alttestamentlichen Dissertation (Studien zur Bedeutung der Opfer im Alten Testament. Die Signifikanz von Blut und Verbrennungsriten im kultischen Rahmen, WMANT 94, 2002) vorgestellten Zugangs seien die Opfer in Lev 1–7 vor allem als Gabe zu verstehen. Die Gabe werde der Gottheit durch den Akt der kultischen Verbrennung übereignet. Diese symbolisiere die »Transformation der Opfermaterie« und deren »Transport« (44). Die darauf verweisenden Begriffe (חוחינ חיר, השא und vor allem רטק [hi.]) begegnen bei allen Opferarten. Sie seien darum das kontinuierliche Element, während andere Ritualelemente den Opfern zusätzliche Deutungen – z. B. bezogen auf deren Anlässe – geben. Alle Opfer schaffen und symbolisieren eine »Begegnung und Beziehung zwischen Mensch und Gott« (46). Die Tötung eines Opfertieres stehe dabei nicht im Vordergrund.
Nach diesen Klarstellungen und einigen Erwägungen zur Vieldeutigkeit des Opferbegriffs wendet sich E. der Rede vom Opfer Jesu im Neuen Testament zu und untersucht als zentralen Beleg dafür Eph 5,2. Ausgehend von Beobachtungen zu Phil 4,18, die zeigen, dass auch dort die Begriffe »Opfer« und »Wohlgeruch« nichts mit Tötung zu tun haben, sondern einen Lebensvollzug beschreiben, führt E. aus, dass auch in Eph 5,2 nicht auf den Tod Jesu abgehoben werde, sondern auf dessen Lebensweg, der von »außerordentlicher Qualität« gewesen sei, weshalb er »von Gott nicht verworfen, sondern akzeptiert worden« sei (57). In seiner in kultischer Sprache geschilderten »Proexistenz« könne Jesus für die Leserschaft des Eph als Vorbild fungieren (33.58 ff.).
Traditionsgeschichtliche Erwägungen zur Bedeutung des Blutes in Welt und Umwelt der Bibel (Blut wird mit Leben assoziiert und Blutvergießen mit Lebensverlust) eröffnen das Kapitel über das Blut Jesu im Neuen Testament (81 f.). »Kultische Blutapplikationsrituale im Alten Testament« seien »überwiegend als Riten zum Zweck der Reinigung bzw. Weihe von personellen und dinglichen Objekten« zu verstehen (86). Auf dieser Linie sei auch die Verwendung von Blut beim Sühnopfer zu deuten (»Sühne« deutet E. von den biblischen Parallelbegriffen her vor allem als Reinigung oder Weihe), aber auch die Blutriten in Ex 24 und Lev 8,23 ff. Sie sind »kultische Reinigungs- und Weihezeremonien«, die Annährung an Gott ermöglichen (88). Vor diesem Horizont werden zunächst Texte wie Röm 5,8 ff. und Kol 1,19 f. untersucht, in denen der Tod Jesu ohne kultische Konnotationen bedacht wird (112). In 1Petr 1,2.18 f.; Eph 2,13 und Röm 3,25 liegen solche nach E. jedoch eindeutig vor. Dort stehe jeweils der Zugang zu Gott im Vordergrund, der in Analogie zu Ex 24 eröffnet werde (114 f.). Hermeneutisch bedeutsam ist E.s Zwischenfazit: »Auf diese Weise wird das klägliche Scheitern Jesu alternativ als Sieg artikuliert, so dass sich von hierher Jesu gesamte Existenz als Mission Gottes erkennen lässt. Kultische Metaphern wie die vom Blut Jesu stiften also eine wirksame Gegenwelt zur Realität des qualvollen und grausamen Todes am Kreuz.« (116)
Im Anschluss wendet sich E. der Abendmahlsüberlieferung zu. Anders als beim Brotwort liege seines Erachtens beim Kelchwort ein kultischer Horizont vor – freilich ohne dass sich eine einzelne alttestamentliche Referenzstelle benennen ließe. Der wahrscheinlichste Pate sei wohl der »Sinaibund, bei dem die Israeliten durch Besprengung mit dem ›Blut des Bundes‹ […] geweiht und so auf die Begegnung mit Gott vorbereitet wurden« (121). In Analogie dazu »vermitteln die Einsetzungsworte, dass die Teilnehmer der Feier bei diesem Vorgang – also durch physischen Kontakt mit dem Wein – Reinigung von Sünden erfahren«. Das »Trinken aus dem Abendmahlskelch weihe und reinige Menschen« (122 f.). Damit werde ein neuer Bund geschlossen, der die Reihe der vielen Bundesschlüsse im Alten Testament nicht ablöse, sondern fortsetze (127 f.).
Im Zentrum der Kulttheologie des Hebräerbriefes sieht E. die Verbindung zweier Argumentationsstränge, nämlich den des Ho­hepriesteramtes Jesu und den des kultischen Opfers (143). »Durch sein ›Blut‹ also durch seinen Tod, konnte er in das himmlische Heiligtum eintreten, um immerwährend bei Gott zu sein. Jesu ›Blut‹ ermöglicht infolgedessen gleichzeitig sein transzendentes Leben. Da Jesus im himmlischen Heiligtum Fürsprache für die Menschen hält, ist sein Selbstopfer Ziel und Ende des levitischen Opferkultes« (155). Die Zuspitzung der Kultvorgänge auf den Tod Jesu habe, so E., die Wahrnehmung der Opfer vornehmlich unter dem Tötungsaspekt maßgeblich beeinflusst (156).
Im Corpus Paulinium ist Röm 3,25 die einzige Stelle, die den Tod Jesu im Horizont der kultischen Sühne deutet. »Trotz der abbreviatorischen Kürze der christologischen Aussage […] wird der Bezug von ἱλαστήριον auf die תרופכ bzw. auf eine wichtige Komponente des Heiligtums in der Forschung mittlerweile mehrheitlich angenommen. Für die konkrete Übersetzung« empfehle sich »Sühneort« (167). »Jesus ist also ›in seinem Blut‹ ein Ort der Sühne, durch den Menschen ›umsonst‹ geweiht und gerechtfertigt werden« (177).
Schließlich setzt sich E. mit der Annahme auseinander, die Bezeichnung Jesu als Lamm ebenso wie seine Identifikation mit dem Passalamm evoziere die Vorstellung des Sühneopfers (178). Nach einem instruktiven Durchgang durch die alttestamentlichen Opfertexte sei festzuhalten: »im Umfeld der Rezipientinnen und Rezipienten neutestamentlicher Schriften hätte diese Bezeichnung […] nicht unbedingt Assoziationen an die primär sühnenden Op­ferarten, also an Sünd- und Schuldopfer, geweckt. Sie wäre eher als Anspielung auf die ›regelmäßigen Brandopfer‹ verstanden worden« (181). Auch die Pessachmotivik vermag nicht überzeugend im Licht der kultischen Sühne gedeutet zu werden, denn wie schon im Alten Testament bleibt auch in der frühjüdischen Überlieferung »der Unterschied zwischen Passa und sonstigen sühnenden Ritualen bewusst, da den Blutriten des Passa im Alten Testament nie eine reinigende Wirkung zugeschrieben wird« (186). In 1Kor 5,7 gehe es– wie auch an den einschlägigen Stellen der Apk darum, »dass der Tod Jesu Schutz vor aller den Menschen bedrohenden Todesmacht erwirkt hat« (189).
Im Blick auf die in der Forschung diskutierten Alternativen bezüglich der Deutung der Lamm-Prädikation im Johannesevangelium (Jes 53 oder Pessach) plädiert E. dafür, »in Joh 1,29.36 vorzugsweise« ein »mehrsinniges Motiv« zu sehen, das Anknüpfungen an beide Motivkreise ermögliche (192). Entsprechend dazu beziehe sich die Wendung vom Tragen der Sünde der Welt nicht auf den Tod Jesu allein, sondern auf dessen »gesamte Mission« (196).
E.s Studie zeichnet sich vor allem durch die sorgfältige Erhellung der traditionsgeschichtlichen Hintergründe der behandelten neutestamentliche Motivkomplexe aus, die dazu angetan sind, manches zum Teil durch lange Tradition geadelte Fehlurteil zu revidieren. Das gilt sicherlich im Blick auf die Rede vom Opfer Jesu, bei dem man bedenken sollte, dass im Neuen Testament damit eben nicht allein der Tod Jesu in den Blick tritt, sondern sein gesamtes Wirken. Es gilt ferner im Blick darauf, dass in der Welt des Kultes mehr und anderes geschieht als nur die Bewältigung menschlicher Schuld. E. ist nicht der Erste, der darauf hingewiesen hat, dass die Deutungen des Todes Jesu im Neuen Testament vielfältige Hintergründe haben und dass kultische Sühne nur einer davon ist – noch dazu einer, der nicht besonders breit verwendet wurde (vor allem im Hebr). E. sind durchgehend die hermeneutischen Dimensionen des von ihm verhandelten Themas bewusst. Man kann von einer neutestamentlichen Studie nicht erwarten, dass diese extensiv reflektiert werden. E.s Studie weist aber immer wieder Wege dazu auf, so auch auf der letzten Seite: Kultische Deutungskategorien weisen »eo ipso über das Faktische hinaus und zeigen unentdeckte Wirklichkeiten auf, so dass nicht zuletzt Gegenwelten zur Verarbeitung problematischer oder traumatischer Erfahrungen imaginiert werden können« (204).