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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1215-1217

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Toepel, Alexander

Titel/Untertitel:

Das Protevangelium des Jakobus. Ein Beitrag zur neueren Diskussion um Herkunft, Auslegung und theologische Einordnung.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2014. VI, 321 S. = Frankfurter Theologische Studien, 71. Geb. EUR 52,00. ISBN 978-3-402-16059-6.

Rezensent:

Monika Schärtl

Das Protevangelium des Jakobus ist ein pseudepigraphischer Be­richt, der in legendenhafter Form über Geburt und Kindheit Mariens bis zur Geburt Jesu erzählt. Die Schrift ist eines der frühesten Zeugnisse der christlichen Marienfrömmigkeit und wurde in diesem Kontext insbesondere in der Ostkirche rezipiert. Mit seiner Studie zum Protevangelium des Jakobus will Alexander Toepel laut Untertitel einen »Beitrag zur neueren Diskussion um Herkunft, Auslegung und theologische Einordnung« leisten. Wie er im Vorwort festhält, ist der Text sowohl in Abgrenzung gegenüber der »jüdischen Herkunftskultur« als auch der »hellenistischen Zielkultur« (V) zu lesen, was Anlass seiner Untersuchung ist.
Die Einleitung der Untersuchung ist dem Forschungs- und Überlieferungsstand sowie der Einordnung des Textes in den literarischen Kontext gewidmet. Er datiert den Text mit Émile de Strycker (1961) und Willem Vorster (1986) an das Ende des 2. Jh.s, zwischen 180 und 200 n. Chr. Die Frage der Herkunft wird in einem relativ kurzen Abschnitt ebenfalls im Rahmen der Einleitung diskutiert. Als Entstehungsort sieht T. mit Harm Reinders Smid (1965) den syro-palästinischen Raum gegeben und verortet den Text in einem städtisch-heidenchristlichen Umfeld. Zu diesem Aspekt wäre eine umfangreichere Analyse zu erwarten gewesen, bildet er doch explizit ein Element des Untertitels.
Der Schwerpunkt der Studie liegt dagegen in einem ausführlichen Kommentar des Protevangeliums, welches dazu in thematische Abschnitte gegliedert wird. Jedem Abschnitt ist eine Paraphrasierung des Inhaltes vorangestellt. Einzelne Aspekte werden durch kleineren Druck als Exkurse gekennzeichnet.
In seinem umfangreichen Kommentar bereitet T. das Protevangelium mittels unterschiedlicher Methoden der literarischen wie theologischen Schriftanalyse kleinteilig auf und zieht eine Vielzahl von Texten heran. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Untersuchung möglicher Parallelen und Bezüge in biblischen, christlichen und nicht-christlichen – jüdischen wie paganen – Texten. Das Protevangelium wird dazu bis in einzelne Begriffe lexemisch untersucht. Dabei stehen mögliche Vorbilder wie rezeptive Texte nebeneinander, wobei die Relevanz der einzelnen Texte nicht immer deutlich wird. Belege für griechische Worte und Wortgruppen wie auch einzelne Erzählelemente finden sich demnach insbesondere in den biblischen Schriften des Alten Testaments, in der Septuaginta, der christlichen Evangelienliteratur, in den frühchristlichen Texten bei Hippolyt, Justin, Origines, Irenäus von Lyon und anderen, aber auch bei Josephus, in jüdischem Schriftgut und bei paganen Schriftstellern wie Apuleius. Zudem wird anhand unterschiedlicher Handschriften eine textkritische Untersuchung vorgenommen, die Vorschläge zur Übersetzung anbietet. Hilfreich wäre hier der Abdruck des griechischen Textes gewesen, der es dem Leser erleichtert hätte, den Ausführungen zu folgen. Der wiederholte Verweis auf das »Neue Testament« ist in Anbetracht des Un­tersuchungsgegenstandes irritierend, da das Protevangelium nach T. einer Zeit entstammt, in welcher die Festlegung des Kanons noch nicht abgeschlossen war; ein Umstand, den T. in der Diskussion der Schrift unbeachtet lässt und das Neue Testament als Autorität dem Protevangelium gegenüberstellt. Hier wäre eine Differenzierung sinnvoll gewesen, sind doch sowohl das Christentum als auch das Neue Testament im 2. Jh. noch weit von einer Einheit entfernt, was gerade für die theologische Einordnung von Bedeutung ist.
T. sieht den Anlass des Textes − anders als noch Silvia Pellegrini (2012) − vornehmlich in der Christologie begründet, die sich in der Geburtserzählung in den letzten Kapiteln widerspiegelt. Die ausführliche Beschreibung des Lebens Marias diene demnach hauptsächlich der Legitimierung Jesu als Gottessohn. Eine hagiographische Absicht sei noch nicht intendiert, gleichwohl der Text in den folgenden Jahrhunderten als solcher aufgefasst und im Kontext hagiographischer Schriften überliefert wurde.
Bedauerlicherweise werden historisch-kritische Aspekte oft nur gestreift, was auch für die theologische Dimension und Bedeutung des Textes wiederum wichtige Erkenntnisse erwarten ließe. So wären die unterschiedlichen Legenden um Jesu Illegitimität stärker heranzuziehen, die eine Einordnung in den Kontext gegenüber der paganen und jüdischen Umwelt wie auch christlicher Strömungen ermöglicht hätten. Zumal das Protevangelium in einer Zeit der zunehmenden Entfernung von der »jüdischen Herkunftsreligion« Christus nochmals im Judentum verankert und ihn durch Maria und Josef in enge Verbindung zum jüdischen Tempel und den Hohepriestern bringt.
Der Schluss der Untersuchung ist in drei Teile gegliedert: 3.1 Ergebnisse, 3.2 Theologiegeschichtliche Relevanz des Protevangeliums und 3.3 Das Protevangelium in der antiken und frühchristlichen Literatur.
In 3.1 stellt T. in stark verkürzter Weise die Ergebnisse seines Kommentars dar, wobei er den Text noch einmal paraphrasiert wie­dergibt, sich dann den handelnden Personen widmet und schließlich einzelne Aspekte – die Rolle des Jerusalemer Tempels, die Paradiestypologie und die Frage eines »Kalenders« der Ereignisse – jeweils in einem Absatz zusammenfasst. Hier wäre eine ausführlichere Diskussion wünschenswert gewesen, welche die im Rahmen des Kommentars erörterten Einzelaspekte zusammenführt. Auch fehlen Ausführungen zu der im Vorwort angesprochenen Bedeutung des Textes im Kontext der Abgrenzung gegenüber der »jüdischen Herkunftskultur und der umgebenden hellenistischen Zielkultur«. Ebenso hätte ein Ausblick auf die Rezeption des Textes, insbesondere da entsprechende Texte zitiert werden, aufgezeigt werden können, zielt doch die Deutung T.s darauf ab, den Text gerade nicht als klassische Hagiographie Mariens darzustellen.
In den Abschnitten 3.2 und 3.3 wird das Hauptaugenmerk darauf verwandt, inwieweit das Protevangelium des Jakobus sowohl aus theologischer als auch aus literaturwissenschaftlicher Sicht der Gattung der Aretalogie zuzuordnen sei und wie der Text damit gegenüber der Literatur seines Umfeldes eingeordnet werden kann. T. stellt die unterschiedlichen Forschungsmeinungen vor und diskutiert an diesen die Besonderheiten des Protevangeliums. Diese Diskussion kommt für den Leser unerwartet, da doch bereits in der Einleitung der Text als Aretalogie festgelegt wurde.
Trotz der Kritik ist abschließend festzustellen, dass T. mit seiner Studie eine umfangreiche Analyse des griechischen Textes vorgelegt hat, die sich durch eine Fülle an möglichen Beleg- und Parallelstellen christlicher, paganer und jüdischer Schriften auszeichnet. Beeindruckend sind die Vielzahl der herangezogenen Schriften und die Diskussion einzelner Begrifflichkeiten und ihrer Übersetzungsmöglichkeiten im Kontext der Erzählung. Neben der theologischen Bedeutung wird in der Diskussion des Textes die literar-historische Dimension besonders beleuchtet.