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Ausgabe:

November/2015

Spalte:

1190–1207

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Peter Zimmerling

Titel/Untertitel:

Die Theologie pfingstlich-charismatischer Bewegungen

Annäherungen

Der folgende Artikel will ein systematisch-theologischer Beitrag zur Diskussion pfingstlich-charismatischer Bewegungen sein. Sein Fokus liegt auf dem deutschsprachigen Raum. Entsprechend wird vor allem deutschsprachige Literatur berücksichtigt. Angesichts der globalen Ausbreitung und internationalen Vernetzung der Bewegungen verwundert es nicht, dass es sich bei einem Großteil der Literatur um Übersetzungen aus dem angelsächsischen Raum handelt. Neue theologische Erkenntnisse werden häufig aufgrund von Fremdheitserfahrungen gewonnen. Daher lautet meine Ausgangsfrage: Wo liegen in den pfingstlich-charismatischen Bewegungen Erfahrungen und Erkenntnisse vor, die im theologischen Mainstream wenig oder gar nicht thematisiert werden? Ich setze damit einen Weg fort, den ich vor bald 20 Jahren mit der Arbeit an meiner Habilitation begonnen habe. 1 Folgende Themen erscheinen mir im Hinblick auf die wissenschaftlich-theologische Auseinandersetzung besonders lohnend: Lässt sich von der theologischen Bedeutung lernen, die die Kategorie der Erfahrung in pfingstlich-charismatischen Bewegungen besitzt? Wie verhält sich die pneumatische Orientierung von Theologie und Spiritualität zur traditionellen christologischen Ausrichtung im Abendland? Welche Konsequenzen ergeben sich aus der Wiederentdeckung der charismatischen Dimension für das individuelle Christsein und für die Ekklesiologie? Der Gottesdienst wird in pfingstlich-charismatischen Bewegungen als pneumatisches Geschehen erlebt und interpretiert. Das führt nicht nur zur Hochschätzung von Lobpreis und Anbetung, sondern auch zur Rückkehr des ekstatischen Moments in den Gottesdienst. Welche Erkenntnisse lassen sich daraus für gegenwärtige Diskurse zum Gottesdienst gewinnen? Letztlich geht es um die Aufgabe, die in den pfingstlich-charismatischen Bewegungen bezeugten Geisterfahrungen systematisch-theologisch zu reflektieren und ekklesiologisch zu verorten und auf diese Weise mit der traditionellen Theologie und Kirche zu vermitteln.

Methodisch gehe ich bei den einzelnen Themen folgendermaßen vor: Ich unterscheide zwischen einer pfingstlichen bzw. neopentekostalen und einer charismatisch-innerkonfessionellen Position. Nach der jeweiligen Darstellung formuliere ich weiteren theologischen Klärungsbedarf und frage schließlich nach Ge­sprächsanstößen, Impulsen und Integrationsmöglichkeiten in die evangelische Theologie und Kirche.

I Unterschiedliche regionale Verbreitung –

ein Phänomen trotz verschiedener Strömungen


Pfingstlich-charismatische Bewegungen bilden nach dem übereinstimmenden Urteil von Beobachtern den gegenwärtig am schnells­ten wachsenden Zweig der Weltchristenheit, wobei sich dieses Wachstum regional sehr unterschiedlich darstellt: Momentan stellen Lateinamerika, Afrika und bestimmte Regionen Asiens (wie etwa Südkorea) ihre Zentren dar.2 Im deutschsprachigen Raum sind die Bewegungen immer klein geblieben.3 Verantwortlich dafür ist ein ganzes Bündel von theologischen, soziologischen und politischen Ursachen, die im Folgenden nur angedeutet werden können. Die Geistorientierung der pfingstlich-charismatischen Bewegungen unterscheidet sich signifikant von der christologischen Prägung des Mainstreams der abendländischen Kirchen- und Theologiegeschichte. Durch die Berliner Erklärung von 1909, in der sich die deutsche Gemeinschaftsbewegung von der jungen Pfingstbewegung trennte, verschloss sich dieser in Deutschland das natürliche Mitgliederreservoir.4 Die pfingstlich-charismatische Erfahrungsorientierung stand seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in einem markanten Gegensatz zur Dialektischen Theologie Karl Barths, die bis Ende der 1960er Jahre die deutsche Theologie maßgeblich prägte. Dadurch, dass nach dem Ende des Dritten Reichs in der Bundesrepublik die staatliche Privilegierung der Großkirchen noch einmal verstärkt wurde, hatten es alle anderen christlichen Bewegungen schwer, sich durchzusetzen. In der DDR wurden die pfingstkirchlichen Bewegungen 1951 verboten.5 Auch der Verlust des religiösen Monopols der Großkirchen in den vergangenen Jahrzehnten brachte den anderen christlichen Kirchen keinen wirklichen Gewinn: Die zunehmende Säkularisierung betrifft sämtliche christliche Gruppierungen in Deutschland. Eine Ausnahme bilden Migrationsgemeinden. Entsprechend stellen pfingstlich-charismatische Migrationsgemeinden die einzigen Gemeinden dar, die im deutschsprachigen Raum signifikant wachsen.6

Beim Blick über das weite Feld der pfingstlich-charismatischen Gruppen lassen sich drei bzw. vier Hauptströmungen ausmachen:7 1. Die traditionellen selbständigen Pfingstkirchen, hervorgegangen aus dem Aufbruch der modernen Pfingstbewegung 1906 in Los Angeles.8 Auch wenn es Vorläufer und parallel ähnliche Aufbrüche gab, bildete der farbige Prediger W. J. Seymour (1870–1922) in der Azusa-Street-Mission von Los Angeles den Auslöser der Erweckung. Seine Botschaft gipfelte darin, dass die Zungenrede das äußere Kennzeichen für die Taufe mit dem Heiligen Geist sei (im Sinne von Apg 2,4: »und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen«). Die Zeit war vom Imperialismus geprägt und man erwartete in der politisch, geistig und geistlich hochgespannten Situation um die Jahrhundertwende diesseits und jenseits des Atlantiks in den von der Heiligungsbewegung geprägten christlichen Kreisen die »Geistestaufe« als eine von Bekehrung und Wiedergeburt unterschiedene Erfahrung des Geistes. Man ersehnte ein neues Pfingsten. Die Pfingsterweckung von Los Angeles hielt mehrere Jahre an. Sie wurde von Predigern aus allen Teilen der Vereinigten Staaten und darüber hinaus aus der ganzen Welt besucht. Viele von ihnen erlebten in Los Angeles eine von der Zungenrede begleitete Geistestaufe und wurden dadurch in ihren Heimatländern zu Inspiratoren pfingstlich geprägter Gruppen. Aus diesem Grund kann die Azusa-Street-Mission als Ausgangspunkt der weltweiten traditionellen Pfingstbewegung betrachtet werden. Diese Pfingstkirchen können als vierte Denomination neben Orthodoxie, Katholizismus und den reformatorischen Kirchen betrachtet werden. 2. Die neuere, am Beginn der 1960er Jahre in den USA entstandene charismatische Bewegung, die im Rahmen der traditionellen Kirchen und Freikirchen verblieb. 9 Die Initiatoren und viele führende Mitglieder erlebten ihre charismatische Grunderfahrung im Zusammenhang mit den traditionellen Pfingstkirchen. Das gilt sowohl für den episkopalen Pfarrer Dennis Bennett, durch den die innerkirchliche charismatische Bewegung in den USA 1959/60 ausgelöst wurde, als auch für Pastor Larry Christenson, lange Zeit der leitende Theologe der charismatischen Bewegung innerhalb der lutherischen Kirchen. Vorbereitet wurde dieser zweite charismatische Aufbruch, der schließlich auch die katholische Kirche in den USA erreichte, durch Heilungsevangelisten wie William Branham, Oral Roberts, Gordon Lindsay und T. L. Osborn und durch die pfingstliche Laienorganisation »Geschäftsleute des vollen Evangeliums«, deren Aktivitäten weit über die traditionellen Pfingstkirchen hinausreichten. 3. Die sogenannte »Dritte Welle«, die vor allem mit den Namen von C. Peter Wagner, John Wimber und P. Yonggi Cho verbunden ist. Wagner z. B. bezeichnet sich trotz eigener charismatischer Erfahrungen nicht als Charismatiker, sondern weiterhin als Evangelikaler. Die Anhänger der »Dritten Welle« haben bestimmte Aspekte charismatischer Frömmigkeit kennen gelernt, wozu vor allem die Betonung der Charismen einschließlich des Gebets für Kranke gehört, die sie in ihre Theologie und Spiritualität integrierten.10 4. Ein schnell wachsendes, aber schwer zu fassendes Neupfingstlertum, das lehrmäßig den traditionellen Pfingstkirchen nahesteht, sich aber in unabhängigen Zentren und Gemeinden organisiert. Frühe Vertreter in Deutschland waren in den 1970er Jahren der amerikanische Jugendpastor David Wilkerson, der in den USA die Teen-Challenge-Arbeit be­gründet hatte, und der ehemalige Berliner Jesus-People-Pastor Volkhard Spit-zer. Ein wichtiger Vertreter heute ist der Pastor der »Christlichen Glaubensgemeinde« in Stuttgart Peter Wenz. Die neopenteckostalen Grup­pen legen – wie die traditionelle Pfingstbewegung – großen Wert auf die Zungenrede als äußerlich sichtbares Zeichen des Er­fülltseins mit dem Heiligen Geist und vertreten ein stark fundamentalistisch geprägtes Bibelverständnis.

Den Anfang jedes neuen charismatischen Aufbruchs bestimmten ungewöhnliche Geisterfahrungen. Bis heute liegen die charismatischen Charakteristika vor allem im Bereich der Spiritualität: Man erwartet eine persönliche Erfahrung mit dem Heiligen Geist, betont die neutestamentlichen Charismen und pflegt Anbetung und Lobpreis als wesentliche Bestandteile des Gottesdienstes. Damit einher gehen gemeinsame theoretische Überzeugungen: die Entdeckung eines besonderen Wirkens des Heiligen Geistes neben Jesus Christus, die Kritik an einem geschlossenen rationalistischen Wirklichkeitsverständnis und das Selbstverständnis, Teil eines geistlichen Aufbruchs zu sein, der weltweit und ökumenisch ist und dem eine heilsgeschichtliche Bedeutung zugesprochen wird.

II Die umstrittene Rolle der Theologie


Kann es eine eigenständige Theologie der pfingstlich-charismatischen Bewegungen überhaupt geben? Muss eine Bewegung, die so stark auf das unmittelbare Wirken des Geistes Gottes setzt, nicht naturgemäß eine Aversion, zumindest jedoch eine Distanz gegenüber wissenschaftlich-theologischer Reflexion kultivieren? Tatsächlich distanzierte sich die klassische Pfingstbewegung zunächst von der traditionellen Schultheologie und bezog einen nicht unbeträchtlichen Teil ihrer Identität aus ebendieser Abgrenzung. 11 Seitdem sind über 100 Jahre vergangen. Inzwischen hat sich eine pfingstlich-charismatische Theologie entwickelt, die allerdings in den unterschiedlichen Strömungen verschieden stark ausgeprägt ist. Dazu kommen geographische Unterschiede. »Wie die protestantische wird auch die pfingstliche Theologie stark von Vertretern aus Nordamerika und Europa dominiert. Für die Pfingstbewegung ist dies besonders bedauerlich, weil ihre gegenwärtigen Zentren eindeutig in Afrika, Asien und Lateinamerika liegen. Es kann kein Zweifel bestehen, dass theologische Stimmen aus diesen Regionen sich zunehmend Gehör verschaffen und vielleicht die Diskussion noch einmal in herausfordernder Weise verschieben werden.« 12 Pfingstlich-charismatische Theologie wird zum einen von einer langsam, aber stetig wachsenden Anzahl von Theologen vertreten, die aus den Bewegungen selbst stammen (von denen sich manche im Lauf ihrer theologischen Arbeit einer der traditionellen Kirchen angeschlos-sen haben). Zum anderen gibt es eine beachtliche Anzahl akademischer Theologen, die zwar nicht selber aus der pfingstlich-charis-matischen Bewegung stammen, gleichwohl aber das Projekt einer pfingstlich-charismatischen Theologie vorantreiben. 13 Beide Gruppen von Theologen haben mit Vorurteilen und Vorwürfen von Seiten ihrer Herkunftsgruppen zu kämpfen: Geistunmittelbarkeit verbietet theologische Reflexion oder lässt sie zumindest als überflüssig erscheinen – so der Vorwurf an die erste Gruppe von Theologen von Seiten vieler Mitglieder pfingstlich-charismatischer Bewegungen. In den Augen eines Großteils der traditionellen wissenschaftlichen Theologie aber stellen Pfingstler und Charismatiker nicht mehr als eine Frömmigkeitsbewegung dar, die eine ernsthafte wissenschaftlich-theologische Auseinandersetzung nicht lohnt.

Dennoch konnten sich beide Gruppen von Theologen gegen die genannten Vorwürfe behaupten. Eine entscheidende Ursache dafür war die Entstehung innerkirchlich-charismatischer Bewegungen in den 1960er Jahren. Diese Bewegungen waren gezwungen, die besonderen Geisterfahrungen mit der traditionellen theologischen Lehre ihrer jeweiligen Herkunftskirchen in Einklang zu bringen, wenn sie auf Dauer in ihren Denominationen verbleiben wollten. Umgekehrt war die traditionelle Pfingstbewegung gezwungen, sich zu diesem zweiten charismatischen Aufbruch und vor allem zu dessen theologischen Überlegungen zu positionieren. Die akademische Theologie schließlich konnte ihrerseits angesichts größer werdender charismatischer Gruppen in den traditionellen Kirchen nicht umhin, damit zu beginnen, deren Spezifika theologisch zu reflektieren.

III Erfahrungsbezogene Theologie und Spiritualität

Im Zentrum pfingstlich-charismatischen Christseins steht die Erfahrung.14 Das gilt gleichermaßen im Hinblick auf die Theologie und die Spiritualität. Die herausragende Bedeutung der Erfahrung führt in pfingstlich-charismatischen Bewegungen zu einer Betonung der fides qua creditur gegenüber der fides quae creditur. Den Bewegungen geht es nicht primär um die Inhalte des Glaubens wie Dogmen und Bekenntnisse, sondern um den gelebten Glauben mit dem Ziel, die Wirkungen des Geistes Gottes zu erfahren.

Wie ist die Fokussierung der Bewegungen auf die Erfahrung des Glaubens zu bewerten? Der Erfahrungsbegriff gehört zu den umstrittensten und unklarsten Begriffen überhaupt. Hans-Georg Gadamer wies bereits 1960 auf seine Problematik hin: »Der Begriff der Erfahrung scheint mir – so paradox es klingt – zu den unaufgeklärtesten Begriffen zu gehören, die wir besitzen.«15 Eine wesentliche Schwierigkeit des wissenschaftlichen Umgangs mit der Erfahrung besteht darin, dass sie »nicht beobachtet, sondern nur be-richtet werden […]« kann.16 Gleichwohl ist der Erfahrungsbegriff unersetzbar. In den meisten theologischen, philosophischen und lebensweltlichen Diskursen der Gegenwart lässt sich ein Doppeltes beobachten: Der Begriff ist meist positiv konnotiert; gleichzeitig wird er vom bloßen »Erlebnis« im Sinn eines reflektierten und fruchtbar gemachten Erlebens unterschieden.

Die pfingstlich-charismatische Betonung der Erfahrung sollte nicht grundsätzlich abgelehnt werden – allerdings unter der Voraussetzung, dass sie sich deren rechtfertigungstheologischer Deutung nicht verschließt. Geisterfahrungen verbürgen weder Freude noch Gesundheit oder Erfolg. Emotional geprägte Geisterfahrungen sind im Glaubensalltag vielmehr in das Nichtfühlen hinein zu überschreiten. Zum Glauben gehören Nachterfahrungen konstitutiv dazu.17 Das entspricht paulinischen Einsichten in das Wesen christlicher Existenz: »Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwengliche Kraft von Gott sei und nicht von uns« (2Kor 4,7); »Wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen« (2Kor 5,7). Martin Luther nimmt diese Erkenntnisse auf, indem er von Gottes Offenbarung sub specie contraria spricht.

Analoges gilt im Hinblick auf den pfingstlich-charismatischen Spiritualitätsbegriff: Er ist nur dann theologisch angemessen verstanden, wenn er die Reflexion einschließt.18 Die Betonung der spirituellen Erfahrung darf nicht zur Vermeidung oder gar Verhinderung theologischer Reflexion führen. Beides bedingt und befruchtet sich gegenseitig. Anselm von Canterburys Diktum von der »fi­des quaerens intellectum« sollte in pfingstlich-charismatischen Bewegungen in Zukunft stärker berücksichtigt werden. Genauso ist Philipp Melanchthons reformatorische Zuordnung von Frömmigkeit und Bildung deutlicher zur Geltung zu bringen: »Zwei Begriffe sind es, auf die gleichsam als auf das Ziel das ganze Leben ausgerichtet ist: Frömmigkeit und Bildung.« 19 Pfingstlich-charismatische Spiritualität bleibt unbegriffen, dunkel und vage, wenn sie nicht reflektiert und artikuliert wird.

Die Bewegungen brauchen die Theologie als kritische Instanz, um nicht dem Sog des Faktischen zu erliegen.20 Es gibt eine Übermacht der Erfahrung, die jede kritische Distanz zu sich selbst auflöst und eine Selbstkorrektur unmöglich macht. Analog zu ähnlichen Entwicklungen im postmodernen säkularen Lebensraum21 lässt sich in den Bewegungen eine Überschätzung von Erfahrungen beobachten. Das gilt etwa im Hinblick auf Gewichtung und Deutung der spektakulären Charismen Zungenrede, Prophetie und Heilung.22 Gesamtgesellschaftlich fällt eine Sehnsucht nach dem Außerordentlichen auf. Entsprechend besteht beim pfingstlich-charismatisch geprägten Christsein die Gefahr, dass das Interesse an spektakulären Erfahrungen in das Zentrum tritt. Häufig werden Geisterlebnisse im Schnellverfahren gesucht. Der christliche Glaube erfordert jedoch ein wirkliches Sich-Einlassen, wozu Langfristigkeit bzw. Kontinuität und die Offenheit für Fremdheitserfahrungen gehören. Der Glaube ist ein das ganze Leben umfassender Prozess. Wirkliche Begegnung zwischen Menschen ist nur möglich, wenn ich mir Zeit nehme und bereit bin, die Fremdheit des anderen auszuhalten. Das gilt genauso im Hinblick auf die Begegnung mit dem Geist Gottes.

Unter den eben genannten Voraussetzungen besitzt die pfingstlich-charismatische Orientierung an der Erfahrung durchaus Vorteile. Die fides quae creditur drängt zur fides qua creditur, ja, sie erreicht ihr Ziel erst in der fides qua creditur.23 Erst wenn die Glaubensinhalte zur Sache der eigenen Erfahrung werden, beginnen sie lebendig zu werden und die ganze Existenz zu durchdringen. Die Betonung der Erfahrungsseite des Glaubens ist überdies als Gegengewicht zur spätmodernen Verlockung zum Fundamentalismus wichtig:24 Die Erfahrung des Geistes kann vor fundamentalistischen Verhärtungen bewahren bzw. helfen, diese zu überwinden.

Die Betonung der Erfahrungsseite des Glaubens durch die pfingstlich-charismatischen Bewegungen öffnet den Glauben für nicht-intellektuelle Dimensionen. Die Bewegungen beziehen neben Intellekt und Willen auch Emotion und Körper in Spiritualität und Theologie mit ein. Pfingstlich-charismatisches Christsein plädiert für ein Christentum mit Leib und Seele.25 Es stellt eine Antwort auf die spirituelle Sehnsucht vieler Menschen dar, die den Glauben nicht bloß denken, sondern mit allen Sinnen spüren wollen.26 Damit entspricht sie der neuen Suche nach Ganzheitlichkeit, die in den 1960er Jahren begann, als man in den westlichen Indus­trienationen wieder legitim von Gefühlen reden durfte.27 Sie korrespondiert außerdem mit der Einsicht in die Relativität und Fehlbarkeit wissenschaftlich-technisch bestimmter Wirklichkeitsaneignung.28 Ein auf die rationale Dimension des Menschseins be­schränkter Glaubensbegriff muss notwendig weniger stark in­tellektuell geprägte Menschen ausschließen. Zudem suchen heute gerade auch geistig beanspruchte Menschen in der Religion mehr als eine weitere intellektuelle Anstrengung.29

Die Betonung der Erfahrungsseite des Glaubens korrespondiert mit der gegenwärtigen gesellschaftlichen Gemütslage. Pfingstlich-charismatisches Christsein besitzt eine innere Nähe zu der von Sehnsucht nach Erlebnissen geprägten Spätmoderne.30 Dass Grundeinstellungen des in den Bewegungen gelebten Christseins heutigen gesellschaftlichen Entwicklungen entsprechen, ist ein wesentlicher Grund für ihre Attraktivität und das wissenschaftliche Interesse an ihnen etwa von Seiten der Sozial- und Religionswissenschaften. Diese Korrespondenz sollte nicht misstrauisch beäugt werden – im Gegenteil. Neben dem Aspekt der Kontrakulturation gehört auch der der Inkulturation wesensmäßig zum christlichen Glauben. Erfahrungen des Geistes bilden ein Gegengewicht zur Erlebnisarmut des Alltags vieler Zeitgenossen. Gerade spektakuläre Geisterfahrungen haben einen hohen Erlebniswert. Sie bieten den »Kick«, den viele Zeitgenossen ersehnen. Die Möglichkeit, Nicht-Alltägliches zu erfahren, fasziniert viele Zeitgenossen. Hier findet die Suche nach »dem Transzendenten« eine Antwort.

IV Pneumatische Orientierung


Das theologisch Neue pfingstlich-charismatischer Bewegungen gegenüber den traditionellen westlichen Kirchen konzentriert sich in der pneumatischen Orientierung ihrer Theologie und Spiritualität.31 Zum einen zeigt sich diese Orientierung im Wunsch nach einem bewussten und persönlichen Glaubensbezug zum Geist Gottes. Die Ursprungserfahrung des Geistes, traditionellerweise Geistestaufe genannt, führt zu einer neuen Sicht des Heiligen Geistes. Dass der Geist bei der Geistestaufe einmal seine Anonymität verlassen hat, aus seiner Verborgenheit hinter Christus hervorgetreten ist, lässt den Geistgetauften auf weitere bewusste Geist-erfahrungen hoffen. Eine Konsequenz ist die grundsätzliche Offenheit für das Wirken des Geistes in den Charismen.

Zum anderen hängt die Konzentration auf den Geist mit einer bestimmten eschatologischen Sicht der Gegenwart zusammen. Die Bewegungen sind der Überzeugung, dass in der Zeit nach Pfingsten die anderen trinitarischen Personen – was deren Wirken betrifft – hinter den Heiligen Geist zurückgetreten sind. Das gelte insbesondere seit dem Beginn der Pfingstbewegung am Anfang des vergangenen Jahrhunderts. Damals sei der Heilige Geist zum letzten Mal vor der unmittelbar bevorstehenden Wiederkunft Jesu Christi in überwältigender Weise auf die Gläubigen ausgegossen worden. 32

Die Ersterfahrung des Geistes stellt die conditio sine qua non pfingstlich-charismatischer Spiritualität dar.33 Allerdings wird sie von den einzelnen Bewegungen theologisch sehr verschieden in­terpretiert, was schon am Gebrauch unterschiedlicher Begriffe erkennbar ist. Traditionelle Pfingstler sprechen meist von »Geistestaufe« als einem punktuellen und damit datierbaren Ereignis, das als zweites fundamentales Glaubenserlebnis von Bekehrung und Wiedergeburt unterscheidbar ist. Begleitet vom »initial sign« der Glossolalie ist die »Geistestaufe« von außen wahrnehmbar und kann prinzipiell von jedem Christen erfahren werden, vorausgesetzt, er ist offen dafür. Indem sie in Parallele zur Wassertaufe ge­setzt wird, bekommt sie sakramentalen Rang und eine Sonderstellung für den Glaubensvollzug.

Die innerkirchlichen charismatischen Bewegungen, aber auch Vertreter der »Dritten Welle«, haben von Anfang an sowohl die pfingstliche Verknüpfung der Geisterfahrung mit einer scharfen Zwei-Stufen-Lehre als auch deren Normierung durch die Zungenrede relativiert. Besonders die katholische charismatische Bewegung hat darauf hingewiesen, dass außerordentliche Durchbruchserfahrungen nicht für alle Christen verbindlich gemacht werden dürfen. Darüber hinaus waren innerkirchliche Gruppen gezwungen, die Grunderfahrung des Geistes zu Wassertaufe bzw. Firmung in Beziehung zu setzen, die als Ort des Geistempfangs in ihren Konfessionen theologisch feststanden. Lutherische und katholische Charismatiker sind gemeinsam der Überzeugung, dass der Geist nicht durch die Geistestaufe verliehen wird, sondern bereits vorher im Getauften bzw. Gefirmten anwesend ist. Die Grunderfahrung stellt als Tauf- bzw. Firmerneuerung ein Be­wusst- und Wirksamwerden des Geistes auf der Erfahrungsebene dar.

Fragt man nach dem neutestamentlichen Befund, wird in den Texten schnell eine Fülle von sehr unterschiedlich geprägten Geisterfahrungen erkennbar. Allerdings wird nirgends, auch in der Apostelgeschichte nicht, eine allgemeine Lehre von der Geistestaufe entwickelt. Insgesamt überwiegen im Neuen Testament Begriffe, die auf einen nicht-spektakulären Geistempfang deuten. Lukas nennt in der Apostelgeschichte mannigfaltige – natürliche und übernatürliche – Kennzeichen des Geistempfangs, die gleichberechtigt nebeneinandergestellt werden: Reden in neuen Zungen, Lob Gottes, Weissagen, Heilung von Blindheit, Eingliederung in die Gemeinde, Beben des Versammlungsorts, Freimut zur Verkündigung, Übernahme von sozialer Verantwortung. Wo spektakuläre Formen des Geistempfangs beschrieben werden, scheinen sie mit besonderen Umständen zusammenzuhängen. So findet zu Pfings­ten der im Alten Testament für das Eschaton verheißene allgemeine Geistempfang statt: Unabhängig von Geschlecht, Stand und Alter erhalten Menschen den Geist Gottes (Apg 2). Für die Berichte über den Geistempfang mit spektakulären Begleiterscheinungen gilt genauso wie für diejenigen ohne spektakuläre Erscheinungen, dass in ihnen der Glaube an Jesus als den Auferstandenen, Wassertaufe, Geistempfang und Gemeindezugehörigkeit unmittelbar aufeinander bezogen sind. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte können Wassertaufe und Geistempfang auch zusammenfallen. 34 Exegetische Einsichten bestätigen somit die Forderung innerkirchlicher Charismatiker nach einer Überwindung der pfingstlerischen Normierung und Schablonisierung des Geistempfangs zugunsten der Integration der Geistestaufe in den Glaubensvollzug und ihrer Öffnung für unterschiedliche Formen.

Zweifellos bleiben nicht nur traditionelle Pfingstler, sondern auch die Großkirchen hinter den neutestamentlichen Erkenntnissen zurück. Luthers radikale Ablehnung jedes Geisteswirkens außerhalb von Wort und Sakrament im Kampf mit den sogenannten Schwärmern verhinderte gerade in den lutherischen Kirchen die Ausbildung einer positiven Lehre von enthusiastisch-charismatischen Erlebnissen. Diese Entwicklung wurde noch dadurch verstärkt, dass sich in der Auseinandersetzung mit der Gegenreformation das ganze Interesse der reformatorisch geprägten systematischen Theologie auf die im Glauben gewährte Rechtfertigung des Sünders richtete. Erst neuere pneumatologische Entwürfe lassen hier ein Umdenken erkennen. 35 Sie haben den Weg freigemacht, die charismatische Erfahrung des Geistempfangs unter Einschluss spektakulärer Formen als wichtigen Kontrapunkt gegenüber der Geistvergessenheit weiter Teile der westlichen Christenheit angemessen zu würdigen. Es wird in evangelischer Theologie in Zu­kunft darum gehen, Wort und Sakrament als Kriterien des Geisteswirkens weniger kausativ, als vielmehr kriteriologisch zu verstehen.36 Nur wenn Wort und Sakrament den Resonanzboden, d. h. das Inspirationsfeld, und den kritischen Maßstab bilden, ist eine angemessene Beurteilung charismatischer Erfahrungen möglich. Damit ist der Weg frei, auch das Wirken des Geistes Gottes neben Bibelwort und Sakrament theologisch zu würdigen.

In pfingstlich-charismatischen Bewegungen scheint mir die Integration der charismatischen Geisterfahrung in den Glaubensvollzug unerlässlich zu sein, um die Gefahr eines Zwei-Stufen-Christseins zu bannen. Die Geisterfahrung ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Aspekt des christlichen Glaubens. Dieser umfasst neben dem Geistempfang z. B. Umkehr (»Buße«), Taufe und Eingliederung in die Gemeinde. Kein Aspekt darf isoliert von den anderen gedacht werden. Die Geisterfahrung ist an den Chris-tusglauben zurückzubinden, der den zentralen Aspekt des Geisteswirkens darstellt. Dann ist es auch nicht länger nötig, dass jeder einzelne Aspekt des Glaubens jedem Christen zur bewussten Erfahrung wird.

V Wiederentdeckung der charismatischen Dimension des Christseins


Pfingstlich-charismatische Bewegungen haben die Charismen, einschließlich der spektakulären Gnadengaben wie Zungenrede, Heilung und Prophetie, wiederentdeckt.37 Für sämtliche Strömungen ist eine grundsätzliche Offenheit für die Praktizierung aller im Neuen Testament genannten Charismen charakteristisch. Unterschiede werden in der Bedeutung der einzelnen Gaben für den Frömmigkeitsvollzug und in ihrer theologischen Bewertung sichtbar.

Die traditionelle Pfingstbewegung hat mit den transrationalen Geistphänomenen Zungenrede, Heilung und Prophetie in Vergessenheit geratene biblische Erfahrungsbereiche in Theologie und Spiritualität zurückgeholt. Vor allem am Beginn ihres Auftretens am Anfang des 20. Jh.s unterschied sie sich damit vom Mainstream der Weltchristenheit. Mit der Erwartung des »Übernatürlichen in der Gegenwart« stand sie im Gegensatz sowohl zum vom Glauben an das »Übernatürliche in der Vergangenheit« geprägten christlichen amerikanischen Fundamentalismus als auch zur stark intellektuell bzw. ethisch geprägten volkskirchlichen Religiosität in Europa. 38 Traditionelle Pfingstler verstehen den Geist nach dem Pfingstbericht in Apg 2 – dem Basistext der Bewegung – als »Kraft aus der Höhe«39. Die Charismen werden als Ausweis der Geist-erfülltheit von ihrer Bedeutung für die Steigerung der Fröm-migkeit des Einzelnen her interpretiert. Die nicht-spektakulären Charismen treten zurück, ebenso ihre ekklesiologische und gesellschaftliche Dimension.

Ein anders akzentuiertes Charismenverständnis als die traditionellen Pfingstkirchen lassen die innerkirchlichen charismatischen Bewegungen erkennen. Zwar stand auch hier am Anfang die Erfahrung spektakulärer Charismen. In deren Gefolge haben die Bewegungen jedoch die ekklesiologische Ausrichtung der Charismen bei Paulus entdeckt.40 Zum Basistext wurde 1Kor 12–14, zum Ziel des Charismengebrauchs die Verwirklichung der charismatischen Ge­meinde.41 Die Bemühungen der innerkirchlichen Charismatiker um eine charismatische Erneuerung der Kirchen und Gemeinden seit Anfang der 1970er Jahre entsprachen etwa zeitgleichen Entwicklungen in Theologie, Kirche und Gesellschaft, die in Richtung von mehr Partizipation führten.42

Mit der Wiederentdeckung der Charismen haben pfingstlich-charismatische Bewegungen einen Beitrag zur praktischen Umsetzung der reformatorischen Erkenntnis vom »allgemeinen Priestertum«43 geleistet. Damit dieser Prozess mit Hilfe der Charismen in der Gesamtkirche vorankommen kann, ist eine Reihe von Erkenntnissen zur Geltung zu bringen, die in den Bewegungen nur teilweise berücksichtigt werden: dass Charismen einen ekklesiologischen Zielhorizont haben, dass spektakuläre Charismen entzaubert werden müssen, dass die Charismen ein identitätsstiftendes Potential besitzen, dazu aber ihre Integration in die Gesamtpersönlichkeit notwendig ist, dass eine Theorie und Praxis der Erwe-ckung von Charismen zu entwickeln ist und dass Charismen eine gesellschaftliche Dimension haben können.

Voraussetzung dafür, dass die Charismen den angemessenen Platz im Rahmen des individuell und gemeinsam gelebten Christseins bekommen, ist paradoxerweise ihre Relativierung. Sie gehören systematisch-theologisch in den Bereich der Heiligung, sind der Frage nach der Erlösung also nachgeordnet; sie stehen unter eschatologischem Vorbehalt und werden darum mit der Neuschöpfung aufhören; sie sind dem kulturellen Wandel unterworfen, wodurch sich ein schablonenhaftes Repristinieren der ur­christlichen Charismen verbietet. Von dem allen ist in charismatischen Bewegungen kaum die Rede. Darum möchte ich statt der dort üblichen pneumatologischen eine trinitätstheologische Be­gründung der Charismenlehre vorschlagen. Sie bietet die Möglichkeit, Einseitigkeiten des in pfingstlich-charismatischen Bewegungen anzutreffenden Charismenverständnisses im Ansatz theologisch zu überwinden.

Bereits bei Paulus lässt sich in 1Kor 12,4 ff. eine triadische Sicht des Charismenursprungs erkennen, indem der Apostel die verschiedenen Charismen gleichermaßen auf den Geist, auf Christus und auf Gott den Vater zurückführt.44 Der pneumatische Ur­sprung der Gaben offenbart, dass der Geist die Gaben souverän austeilt (V. 11). Paulus will damit Manipulation und Suggestion im Zusammenhang mit dem Charismenempfang ausschließen. Das Bild von der Gemeinde als Leib Christi deutet auf den christologischen Ursprung der Charismen (1Kor 12,12 ff.). Damit ist die Wertschätzung der scheinbar unbedeutenden Charismen christologisch begründet: Wie der irdische Jesus die Zöllner und Sünder geliebt hat, so gehören gerade die Träger unbedeutender Gaben zur christlichen Gemeinde. Der Ursprung der Charismen im Schöpfer wird sichtbar in der Analogie zwischen der schöpfungsmäßigen Verschiedenheit der Glieder eines natürlichen Leibes und der Verschiedenheit der Charismen des Leibes Christi (1Kor 12,12 ff.).

Der triadische Charismenursprung in 1Kor 12,4 ff. impliziert die pneumatologische, christologische und schöpfungstheologische Begründung der Mannigfaltigkeit der Charismen. Es ist derselbe Geist, der unterschiedliche Charismen verleiht (V. 7 ff.). Die Ge­meinde Jesu Christi existiert nicht anders als in der Gemeinschaft unterschiedlich begabter Menschen (V. 12 ff.). Wie der von Gott ge­schaffene menschliche Leib durch seine unterschiedlichen Glieder konstituiert wird, gehören auch zur Gemeinde, zum Leib Chris­ti, Menschen mit den unterschiedlichsten Charismen (V. 12ff.). In­dem ein in sich unterschiedener, dreieiniger Gott Ur­sprung der Charismen ist, wird die notwendige Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Charismen von der Gotteslehre her begründbar: Die Verschiedenartigkeit der Gnadengaben ist nicht zugunsten von Uniformität zu überwinden, etwa dadurch, dass alle die gleichen »spektakulären« Gaben besitzen, sondern spiegelt die Selbstunterschiedenheit des göttlichen Gebers der Charismen wider. Zur Be­geisterung für die Charismen gehört die Pflege ihrer Verschiedenheit. Das Bild von der Gemeinde als dem Leib Jesu Christi weist darauf hin, dass sämtliche Glieder des Leibes der Pflege bedürfen. Würde man sich auf wenige Glieder oder gar nur auf ein Glied konzentrieren, hätte das über kurz oder lang nicht nur den Tod der anderen Glieder, sondern des ganzen Leibes zur Folge.

Eine trinitarisch konzipierte Charismenlehre nötigt dazu, die Charismen in Beziehung zu Schöpfung, Erlösung und Heiligung zu denken. Nach dem Grundsatz der altkirchlichen Trinitätslehre »opera trinitatis ad extra sunt indivisa« wirken Vater, Sohn und Heiliger Geist nach außen immer gemeinsam. Der Geist handelt in den Charismen nicht ohne den Vater und den Sohn.45 Indem das Wirken des Geistes auch in den Charismen auf die Schöpfung bezogen bleibt, dienen diese der Erneuerung, nicht der Überwindung des geschöpflichen Lebens. Der Geist wirkt in den Charismen nicht unabhängig von den schöpfungsmäßigen Voraussetzungen des Charismenträgers. Er steht nicht im Gegensatz zu den menschlichen Fähigkeiten, sondern nimmt sie im Charisma in Dienst.46 Auch die spektakulären Gnadengaben sind kein »schöpfungsfreier« Ort, an dem der Geist unmittelbar erfahren werden könnte. Es gibt kein »pneumatisch reines« Charisma. Es gibt nur »vermittelte Un­mittelbarkeiten«, wie Karl Rahner betont.47 Die »persönliche Note« eines Charismas ist gerade das Kennzeichen seiner Echtheit. Jedes Charisma stellt den Gabenträger vor die Aufgabe, es in die Gesamtpersönlichkeit zu integrieren. Das gilt besonders für die spektakulären Charismen, die den Charismatiker über seine natürlichen Fähigkeiten hinausführen.

Neben dem Schöpfungsbezug ist für die Charismen ihr Bezug zu der in Jesus Christus vollbrachten Versöhnung konstitutiv. Zum einen sind die Charismen Konsequenz der Versöhnung. Charismen konstituieren das Christsein nicht. Sie sind Folge des Glaubens, ihm also nachgeordnet (1Kor 12,3.13). Vor allem Gruppen mit traditionell pfingstlicher oder neopentekostaler Theologie stehen demgegenüber in Gefahr, die Charismen als Beweis für das Versöhntsein zu interpretieren. Ein Rückschluss von den Charismen auf den Glauben zerstört jedoch die Gewissheit des Glaubens. Der Glaube setzt Charismen frei, aber die Charismen sind kein Beweis für den Glauben. 48 Zum anderen hält der Bezug zur Erlösung die Tatsache im Bewusstsein, dass auch die Charismen der Irrtumsfähigkeit und der Missbrauchsmöglichkeit unterworfen bleiben.

Schließlich sollten die Charismen nicht unabhängig von ihrem Bezug zur Heiligung durch den Geist gedacht werden. Paulus hat in 1Kor 12,7 und 1Kor 14,26 (aber auch insgesamt in 1Kor 12–14 und in Röm 12) für die weitere Geschichte der Christenheit deutlich ge­macht, dass die Charismen dem Aufbau der Gemeinde dienen sollen: Die Charismen sind »zum Nutzen aller« gegeben. Die christliche Gemeinde ist der Raum, in dem sich die Charismen entfalten sollen und auf den sie bezogen bleiben. Es gehört zum Wesen der Charis men, dass keiner über alle verfügen muss. Durch die Charismen führt der Geist den Einzelnen aus der Fixierung auf sich selbst heraus und befreit ihn zu einem Leben in Beziehungen mit anderen Menschen und darüber hinaus mit der übrigen geschaffenen Welt.49

VI Rückkehr des ekstatischen Moments in den Gottesdienst


Der Gottesdienst stellt auch in der Außenwahrnehmung ein entscheidendes Kennzeichen pfingstlich-charismatischer Bewegungen dar: Als typisches Bild in den Medien werden Menschen mit zur Anbetung erhobenen Händen gezeigt. Konkret sehen Lob und Anbetung im Gottesdienst der Bewegungen so aus, dass die Gottesdienstteilnehmer entweder sitzen, knien, stehen oder tanzen, die Hände falten oder erheben, in einem längeren Zeitraum zwischen 30 und 60 Minuten vor allem in neuerer Zeit entstandene, meist einstrophige Chorusse singen, die durch einen Beamer (früher: Overheadprojektor) für alle sichtbar an die Wand geworfen werden. 50 Das Singen wird immer wieder unterbrochen von Zeiten der Stille oder Gebeten in freier Form. Dabei ist auch Gelegenheit, Charismen – wie etwa die Glossolalie, Prophetie und das Gebet um Heilung – zu praktizieren.

Vergleicht man die charismatischen Lobpreiszeiten mit dem Lob Gottes in der traditionellen Liturgie, so werden schnell die Charakteristika charismatischer Lobpreiskultur erkennbar. Im Gegensatz zum traditionellen evangelischen Gottesdienst ist bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Vielfalt von körperlichen Ausdrucksmöglichkeiten zu beobachten. Während das Lob Gottes die ganze traditionelle Liturgie durchzieht, ist es im charismatischen Gottesdienst in einer einzigen Anbetungsphase konzentriert, was de facto einer Aufwertung von Lobpreis und Anbetung gleichkommt (und häufig gleichzeitig eine Abwertung des übrigen Gottesdienstes impliziert). Am auffälligsten ist das Bemühen, im Lobpreisteil dem spontanen Wirken des Geistes Raum zu geben, in­dem keine ein für alle Mal festgelegte Ordnung für die Lieder und anderen Beiträge vorgesehen ist. Jeder Gottesdienstteilnehmer soll die Möglichkeit haben, das einzubringen, wozu der Geist ihn un­mittelbar bewegt.

In der pfingstlich-charismatischen Lobpreisliteratur, in Lobpreisseminaren und im gottesdienstlichen Lobpreisteil wird häufig auf bestimmte biblische Aussagen Bezug genommen, um damit die eigene Lobpreispraxis zu legitimieren. Dazu gehört Ps 22,4, wo es heißt: »Du aber bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.« Die Bewegungen begründen mit diesem Vers die epikletische und offenbarungstheologische Funktion von Lobpreis und Anbetung. Indem Gott gelobt und angebetet wird, soll ein Raum seiner Gegenwart entstehen, in dem er sich im Geist offenbart. 51 Lobpreis und Anbetung sind für Charismatiker ein pneumatisches Geschehen.52 Das Gebet ist für sie nicht nur Bitte des Menschen an Gott (wovon unser Wort »Gebet« etymologisch abgeleitet ist), sondern ein pneumatisch gewirktes Gespräch zwischen dem Betenden und Gott, in dem Reden mit Gott und Hören auf Gott zusammengehören.53 Charismatiker wollen durch das Gebet die charismatischen Kräfte des Geistes Gottes für sich in Anspruch nehmen. Indem sie auf die großen Möglichkeiten des Geistes verweisen, tritt der Gedanke an Schuld und Versagen zurück.

Auch für die Ganzheitlichkeit als Kennzeichen charismatischer Anbetung berufen die Bewegungen sich auf Vorbilder des Alten Testaments, wo Gott mit Flehen (1Kön 8,33), unter Tränen (Jer 31,9), unter Schreien (Esr 3,11–13), lachend (Ps 126,2), im Geist (Sach 12,10), fastend (Ps 35,13), unter Handauflegung (Ps 63,5; 134,2), im Stehen (Ps 134,1; 135,2), im Knien (Jes 45,23), auf dem Boden liegend (Dan 9,18), mit erhobenen Augen (Ps 121,1) und mit ausgebreiteten Händen (1Kön 8,22) angebetet wird. 54 Charismatische Theologen wollen für die Anbetungspraxis die Erkenntnis fruchtbar machen, dass die hebräische Kultur im Gegensatz zur griechischen keine Trennung zwischen Geistigem und Körperlichem kennt. Sie haben die Körpersprache für die Anbetung neu entdeckt.55 Dahinter steht ein Plädoyer für ein Christentum mit Leib und Seele: »Der Betende soll auch in seiner Gestik zum Ausdruck bringen dürfen, was ihn innerlich bewegt.«56 Charismatiker weisen in diesem Zusammenhang auf Claus Westermann hin, der schon vor Jahren im Hinblick auf das alttestamentliche Gotteslob festgestellt hat: »Schroff ausgedrückt: der Intellekt kann nicht Gott loben, nur der atmende, sich freuende, singende Mensch.«57

Der Lobpreisgottesdienst soll nach charismatischer Auffassung zur Anbetung Gottes um seiner selbst willen führen.58 Diesem Ziel entspricht der Charakter des überwiegenden Teils des genuin charismatischen Liedgutes. Die Lieder sind geprägt von der Freude an Gott, der Dankbarkeit über sein Heilshandeln und dem Aussprechen seiner Größe.59 Das theozentrische Gefälle charismatischer Lobpreis- und Anbetungslieder korrespondiert paradoxerweise mit einer stark anthropozentrischen Zielrichtung, was sich an Formulierungen zeigt wie: »ich komme zu dir«, »du liebst mich«, »du versorgst mich«, »du bist groß und vergibst mir« etc.

Was ist von der pfingstlich-charismatischen Gottesdienstkultur zu halten? Traditionelle Theologie und Kirche tun sich schwer mit der ekstatischen Dimension des pfingstlich-charismatischen Gottesdienstes. Für den christlichen Glauben ist die Ekstase jedoch insofern von Bedeutung, als sie ein Phänomen beschreibt, durch das Kommunikation mit einer die alltägliche Welt transzendierenden Welt Gottes möglich wird. Schon ein flüchtiger Blick auf die biblischen Überlieferungen zeigt, dass sowohl dem jüdischen als auch dem christlichen Gottesdienst ekstatische Phänomene ur­sprünglich nicht fremd waren. Der tanzende König David vor der Bundeslade mit den Zehn Geboten ist vielleicht das bekannteste Beispiel aus dem alten Israel (2Sam 6,16: »Als die Lade des Herrn in die Stadt Davids kam, guckte Michal, die Tochter Sauls, durchs Fenster und sah den König David springen und tanzen vor dem Herrn und verachtete ihn in ihrem Herzen«). Zungenrede (Glossolalie) und andere ekstatische Phänomene wie Prophetien und Heilungswunder prägten den Gottesdienst der jungen Gemeinde von Korinth (1Kor 12–14). Bemerkenswert ist, dass Paulus in seinem Brief an die von ihm gegründete Gemeinde deren Gottesdienst differenziert beurteilt. Er ermahnt die Gemeinde, Ordnung und Verständlichkeit als wesentliche Kriterien des gottesdienstlichen Handelns zur Geltung zu bringen (1Kor 14,33: »Denn Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens«; V. 40: »Lasst aber alles ordentlich zugehen«) und ekstatische Phänomene nicht zu überschätzen (1Kor 13,8: »Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird«). Nirgends jedoch lehnt der Apostel ekstatische Phänomene an sich ab (1Kor 14,5: »Ich wollte, dass ihr alle in Zungen reden könntet; aber noch viel mehr, dass ihr prophetisch reden könntet«).

Spätestens seit dem 2. Jh. dominierte im christlichen Gottesdienst eine vorgegebene Ordnung, auch wenn sich in der Alten Kirche gelegentlich noch ekstatische Formen finden.60 Genauso kam es während der Aufbruchszeiten von neuen geistlichen Bewegungen im Verlauf der Kirchengeschichte zu ekstatischen Formen der Anbetung im Gottesdienst. Die Prägung der abendländischen Christenheit durch die Aufklärung hat jedoch vor allem im Protes­tantismus die Tendenz verstärkt, ekstatische Formen des Glaubens in den Hintergrund zu drängen. Die Abwertung des Körpers durch die Philosophie René Descartes’ und der Siegeszug eines einseitig rationalistischen Wirklichkeitsparadigmas haben zu dem in Mittel- und Nordeuropa weitverbreiteten Eindruck geführt, dass das ekstatische Moment etwas dem Christentum Wesensfremdes darstellt.

Mit der Entstehung des modernen pfingstlich-charismatischen Christentums zu Beginn des 20. Jh.s setzte eine Gegenbewegung zur rationalistischen Orientierung des Gottesdienstes ein. Durch die rasante Ausbreitung der Pfingstbewegung vor allem in den Ländern der sogenannten Dritten Welt in Lateinamerika, Afrika und Asien ist das Ekstatische in den christlichen Gottesdienst zu­rückgekehrt. Auch die nicht-charismatischen Teile der Christenheit sind davon nicht unbeeinflusst geblieben. Das zeigt sich am deutlichsten an der Veränderung des Musikstils in vielen kirch-lichen Jugendgruppen: Band und Lobpreislieder sind hier an die Stelle der klassischen Orgel und des traditionellen evangelischen Chorals getreten. Charismatisch geprägte, gefühls- und körperbetonte rhythmische Lieder bestimmen die Atmosphäre auch in vielen landeskirchlichen Jugendgottesdiensten.

Erstaunlicherweise hat auch Martin Luther trotz seines Kampfes gegen die Spiritualisten die Bedeutung der Ekstase für den Glauben nicht grundsätzlich abgelehnt. Wie er sich etwa die Integration der Ekstase in das Gebet vorstellte, zeigt er konkret in dem Gebetskurs für seinen Barbier »Meister Peter. Eine einfältige Weise zu beten« von 1535.61 Luther geht in der Schrift davon aus, dass die Meditation eines vorformulierten Gebets wie das Vaterunser als Feuerzeug für das frei formulierte Gebet wirkt: »Sondern ich will das Herz damit angeregt und unterrichtet haben, was es für Gedanken im Vaterunser fassen soll. Solch Gedanken aber kann das Herz (wenn’s recht erwärmt und zu beten begierig ist) wohl mit vielen anderen Worten, auch wohl mit weniger oder mehr Worten aussprechen.«.62 Der Reformator geht noch einen Schritt weiter, wenn er von seinen ekstatischen Gebetserfahrungen berichtet: »Es kommt wohl oft vor, dass ich mich in einem Stück oder Bitte in so reiche Gedanken verliere, dass ich alle anderen sechs anstehen lasse. Und wenn auch solche reichen, guten Gedanken kommen, so soll man die anderen Gebete fahren lassen und solchen Gedanken Raum geben und mit Stille zuhören und sie beileibe nicht hindern; denn da predigt der Heilige Geist selbst, und ein Wort seiner Predigt ist besser als tausend unserer Gebete. Und ich habe auch so oft mehr gelernt in einem Gebet, als ich aus viel Lesen und Nachsinnen hätte kriegen können.« 63

Christoph Bizer spricht von »wittenbergisch-gemäßigter Ekstase«64. Martin Nicol schreibt: »Es handelt sich […] um eine worthafte Erfahrung des Heiligen Geistes im Vollzug der Schriftmeditation.«65 Auch für den Reformator gibt es ein theologisch ernstzunehmendes Reden des Geistes Gottes im menschlichen Herzen. Wichtig zur Interpretation der zitierten Stelle ist Luthers Aussage, dass ihm solche Erfahrungen häufig zuteilwürden.66 Überdies ist er der Überzeugung, dass sie auch andere Beter, die sich in ihrem Gebet nach seinen Anleitungen richten, machen werden.67 Es geht Luther also um eine Erfahrung, die für das Gebet existenziell ist und die deshalb auch jeder Beter machen kann. Voraussetzung dafür ist, dass neben dem Verstand das Herz des Betenden angeregt wird. Die mit dem Gebet verbundene Geisterfahrung ist ein Erleben, das die Affekte des Beters ergreift.

Der charismatische Gottesdienst mit seiner Öffnung für ekstatische Elemente ist also nicht grundsätzlich abzulehnen. Vielmehr ermöglicht er die Korrektur einer einseitigen Orientierung des traditionellen evangelischen Gottesdienstes an der Kategorie der Erinnerung. Problematisch wird es in dem Moment, wo Gottesdienstteilnehmer auf manipulative Weise in eine bestimmte Stimmung versetzt werden und der Gebrauch spektakulärer Charismen die Gegenwart des Geistes garantieren soll. Ekstatische Phänomene wie die Zungenrede sind an sich noch kein Beweis für das Geisteswirken im Gottesdienst, sondern erfüllen erst dann ihre Bestimmung, wenn sie der Kommunikation des Evangeliums dienen.

Ich hoffe gezeigt zu haben, dass pfingstlich-charismatische Theo­logie in einer Reihe von Themenfeldern sowohl eine Herausforderung als auch eine Bereicherung gegenwärtiger theologischer Diskurse darstellt.

Abstract


This contribution asks about the theological insights that can be gained from the encounter with Pentecostal-Charismatic Chris-tianity. The author takes the charisma teaching as an example and draws consequences in view of the issues of experience and holis-tic spirituality, the corporality of worship and the general priesthood of all believers. Zimmerling shows that a critical view on Pen-tecostal-Charismatic theology which has become representative for Christianity outside Europe can inspire a western theology shaped by Christology to new insights. But it is also crucial to transcend the pneumatological orientation of the Pentecostal-Charismatic movements: namely towards a new Trinitarian theological perspective for theology, spirituality and ecclesial practice.

Fussnoten:

1) Peter Zimmerling, Die charismatischen Bewegungen. Theologie, Spiritualität, Anstöße zum Gespräch, Göttingen 22002; eine gekürzte Neuauflage stellt dar: Ders., Charismatische Bewegungen, UTB 3199, Göttingen 2009 (mit aktualisierter Literatur). Damit gehe ich einen anderen Weg als die beiden Herausgeber des jüngst erschienenen »Handbuchs pfingstliche und charismatische Theologie« – ohne deswegen das Verdienst dieser Veröffentlichung schmälern zu wollen. Jörg Haustein und Giovanni Maltese haben die weltweiten wissenschaftlich-theologischen Veröffentlichungen – vorwiegend aus dem angelsächsischen pfingstlich-charismatischen Bereich – nach Themen abgesucht, die im Zentrum des Interesses gegenwärtiger Diskurse im theologischen Mainstream stehen: Exegese, Geschichte, Ethik, Ekklesiologie, Ökumene, Mission und interreligiöser Dialog. Ich habe die Vermutung, dass die Stärken pfingstlich-charismatischer Theologie jedoch nicht in diesen Themen liegen. Dabei ist leicht zu erklären, wieso im Handbuch die Themen dominieren, die den theologischen Mainstream bestimmen: Pfingsttheologen, die sich an wissenschaftlich-theologischen Diskursen beteiligen, werden entsprechende Themen aufnehmen, schlicht weil sie wahrgenommen werden wollen und zeigen möchten, dass sie sich theologisch auf der Höhe der Zeit befinden (vgl. Jörg Haustein/Giovanni Maltese [Hrsg.], Handbuch pfingstliche und charismatische Theologie, Göttingen 2014).
2) Vgl. dazu David B. Barrett, World Christian Encyclopedia. A Comparative Survey of Churches and Religions in the Modern World. A. D. 1900–2000, Oxford 22001; Allan Heaton Anderson/Michael Bergunder (Hrsg.), Studying Global Pentecostalism. Theories and Methods, Berkeley/California u. a. 2010, 1 f.
3) William K. Kay/Anne E. Dyer (Hrsg.), European Pentecostalism, Global Pentecostal and Charismatic Studies, 7, Leiden-Boston 2011, nennen im Anhang für Deutschland 1 660 000, für Österreich 240 000 und für die gesamte Schweiz 290 000 Mitglieder. Die Auflistung insgesamt zeigt, dass die pfingstlich-charismatischen Bewegungen in Europa insgesamt ein marginales Phänomen darstellen.
4) Vgl. dazu im Einzelnen Zimmerling, Charismatische Bewegungen, 16 f.
5) Carl Simpson, The Development of the Pentecostal and Charismatic Movements in the Germanic Countries, in: Kay/Dyer, European Pentecostalism, 74.
6) Zum Phänomen pfingstlich-charismatischer Migrationsgemeinden vgl. Moritz Fischer, Pfingstbewegung zwischen Fragilität und Empowerment. Beobachtungen zur Pfingstkirche »Nzambe Malamu« mit ihren transnationalen Verflechtungen, Göttingen 2011.
7) Vgl. im Einzelnen Zimmerling, Charismatische Bewegungen, 21–28; Walter J. Hollenweger, Handbuch der Pfingstbewegung, 10 Bde., Genf 1965/67 (vervielf.); Stanley M. Burgess/Eduard M. van der Maas (Hrsg.), The New International Dictionary of Pentecostal and Charismatic Movements, Grand Rapids/Michigan 2002.
8) Dazu immer noch grundlegend Walter J. Hollenweger, Enthusiastisches Christentum. Die Pfingstbewegung in Geschichte und Gegenwart, Wuppertal-Zürich 1969 (engl.: The Pentecostals, London 1972), besonders 20 ff.; zur neueren Diskussion des Ursprungs der traditionellen Pfingstbewegung vgl. Michael Bergunder, Der »Cultural Turn« und die Erforschung der weltweiten Pfingstbewegung, in: Evangelische Theologie 69 (2009), 252–263.
9) Vgl. Hans-Diether Reimer, Wenn der Geist in der Kirche wirken will. Ein Vierteljahrhundert charismatische Bewegungen, Stuttgart 1987.
10) Vgl. C. Peter Wagner, Der gesunde Aufbruch. Wie Sie in Ihrer Gemeinde für Kranke beten können und trotzdem gesund bleiben, Lörrach 1989; ders., Die Gaben des Geistes für den Gemeindeaufbau. Wie Sie Ihre Gaben entdecken und einsetzen können, Neukirchen-Vluyn 41990; John Wimber/Kevin Springer, Vollmächtige Evangelisation. Zeichen und Wunder heute, mit einem Vorwort von Wolfram Kopfermann, Hochheim 21987.
11) »Während die ›stummen Besessenen‹ der Universitäten auf ihren Marmorkathedern um jedes Wort ringen müssen, fließen von den gesalbten Lippen des Bus-Schaffners die leichtfaßlichen, göttlich beglaubigten Trostworte zum Heil und zur Befreiung« (H. Horton, Gifts, 61960, 209, zit. nach Hollenweger, Enthusiastisches Christentum, 538). Zum antiintellektuellen Einfluss der Bewegung, dargestellt am Beispiel Myanmars, vgl. auch Saw Tint Sann Oo, The History of the Assemblies of God. Theological Education in Myanmar: Development of the Assemblies of God Bible Schools, in: JAPS 17 (2014), 188.
12) Michael Bergunder, in seinem Vorwort zu: Haustein/Maltese, Handbuch, 13.
13) In Europa: European Research Network on Global Pentecostalism (www.glopent.net) mit der Zeitschrift »PentecoStudies«.
14) Vgl. z. B. Keith Warrington, Pentecostal Theology. A Theology of Encounter, London-New York 2008, 15 f.
15) Hans-Georg Gadamer, Wahrheit und Methode, Tübingen 1960, 329.
16) Hans Wißmann, Erfahrung I. Religionsgeschichtlich, in: TRE, Bd. 10, Berlin-New York 1982, 84.
17) Heribert Mühlen, Von der Anfangserfahrung zum Alltag des Glaubens. Wege der Vertiefung, in: Erneuerung in Kirche und Gesellschaft, Heft 8 (1980), 38–43; vgl. auch ders., Art. Charismatische Gemeinde-Erneuerung, in: Ökumene-Lexikon. Kirchen, Religionen, Bewegungen, hrsg. v. Hanfried Krüger u. a., Frankfurt am Main 21987, 216.
18) Vgl. dazu etwa Simon Peng-Keller, der Spiritualität als existenzielle religiöse Grundhaltung versteht, die im Sein wie im Bewusstsein nach der Nachfolge Jesu Christi strebt (ders., Einführung in die Theologie der Spiritualität, Darmstadt 2010, 12 f.).
19) Philipp Melanchthon, Supplementa Melanchthoniana VI/1, Leipzig 1910, 373.
20) Das versucht in vorbildlicher Weise der folgende Sammelband, in dem pfingstliche und nicht-pfingstliche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Wort kommen: Michael Welker (Hrsg.), The Work of the Spirit. Pneumatology and Pentecostalism, Grand Rapids-Cambridge 2006.
21) Schulze scheint eine Krise der Erlebnisgesellschaft anzudeuten, wenn er schreibt: »Die gegenwärtige Krise des Subjekts ist durch fürsorgliche Entmündigung jedoch nicht zu entschärfen. Wir, das Publikum, müssen erkennen, daß wir die Situation, in der wir uns befinden, nicht anders verdienen« (Gerhard Schulze, Die Erlebnis-Gesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt am Main-New York 21992, 549).
22) S. u. V.
23) Vgl. dazu etwa Martin Luthers Auslegung der drei Artikel des Apostolischen Glaubensbekenntnisses im Kleinen Katechismus.
24) S. im Einzelnen Peter Zimmerling, Evangelische Spiritualität. Wurzeln und Zugänge, Göttingen 22010, 182–191.
25) Die pfingstlich-charismatische Stellung zur Welt unterscheidet sich von der Weltdistanz der Heiligungsbewegungen: »[…] pentecostals endorse a world-embracing attitude that complicates the possibility to maintain the classical Protestant distinction between being in the world, yet not ofthe world« (Birgit Meyer, Pentecostalism and Globalization, in: Anderson/Bergunder, Studying Global Pentecostalism, 119).
26) Vgl. die historische Analyse dieser Sehnsucht bei Eugen Biser, Die glaubensgeschichtliche Wende. Eine theologische Positionsbestimmung, Graz u. a. 21987, 177 ff.
27) Vgl. im Einzelnen Volkhard Spitzer u. a., Jesus People – nur eine Episode?, EZW-Information Nr. 50, III/1972.
28) Vgl. Hans Blumenberg, Arbeit am Mythos, Frankfurt am Main 1990; Kurt Hübner, Die Wahrheit des Mythos, München 1985.
29) So auch Michael Meyer-Blanck, Inszenierung des Evangeliums. Ein kurzer Gang durch den Sonntagsgottesdienst nach der Erneuerten Agende, Göttingen 1997, 133.
30) Der Soziologe Gerhard Schulze hat die These aufgestellt, dass die gegenwärtige Gesellschaft eine durchgängige Erlebnisorientierung auszeichnet: Nicht mehr die Außenorientierung auf eine zu vollbringende Leistung bestimmt den Lebensentwurf, sondern die Innenorientierung auf das »Projekt des schönen Lebens« (Schulze, Erlebnis-Gesellschaft, 38).
31) Vgl. im Folgenden mit weiteren Belegen Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Kapitel 3 Die Geistestaufe und Kapitel 6 Charismatische Spiritualität und Seelsorge.
32) »[…] early Pentecostals believed that they were participating in the latest movement of the Holy Spirit which would ultimately sweep the entire church« (Cecil M. Robeck, Jr., Pentecostals and the Apostolic Faith. Implications for Ecumenism, in: Pneuma 9 [1986], 63).
33) Vgl. im Einzelnen Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Kapitel 3 (mit Belegen).
34) Was Apg 2,38.41 andeuten; vgl. auch Apg 8,38 f.
35) Jürgen Moltmann, Der Geist des Lebens. Eine ganzheitliche Pneumatologie (Systematische Beiträge zur Theologie, Bd. 4), München 22010; Michael Welker, Gottes Geist. Theologie des Heiligen Geistes, Neukirchen-Vluyn 52013; vgl. auch Welker, The Work of the Spirit.
36) So auch Reinhold Bernhardt, Der Geist und die Geister. Esoterik in systematisch-theologischer Perspektive, in: Esoterik. Herausforderung für die christliche Kirche im 21. Jahrhundert, hrsg. v. Hans Krech/Udo Hahn im Auftrag der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands, Hannover 2003, 132.
37) Vgl. im Folgenden Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Kapitel 4 Geistesgaben (mit Belegen).
38) Kurt Hutten, Seher, Grübler, Enthusiasten. Das Buch der traditionellen Sekten und religiösen Sonderbewegungen, Stuttgart 121982, 354.
39) So Hans-Diether Reimer in einem Brief an Lorenz Hein vom 14.12.1989 (Kopie in meinem Privatarchiv).
40) Welche Rolle Ernst Käsemann mit seiner Neuinterpretation des Amtes vom Charisma her dabei gespielt hat, vermag ich nicht zu sagen: vgl. dazu ders., Amt und Gemeinde im Neuen Testament, in: Ders., Exegetische Versuche und Besinnungen, Bd. 1, Göttingen 31964, 109–134.
41) Vgl. dazu die »Theologischen Leitlinien der Charismatischen Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche« von 1976, Würzburger Leitlinien genannt (abgedruckt, in: Wolfram Kopfermann, Charismatische Ge­meindeerneuerung. Eine Zwischenbilanz [Charisma und Kirche, Heft 7/8], Hochheim 21983, 21).
42) Vgl. den Slogan der damaligen sozial-liberalen Koalition: »Mehr Demokratie wagen«.
43) Zum Begriff vgl. Wilfried Härle, Allgemeines Priestertum und Kirchenleitung nach evangelischem Verständnis, in: Marburger Jahrbuch Theologie VIII (Marburger Theologische Studien, 44), Marburg 1996, 66 f.
44) Friedrich Lang, Die Briefe an die Korinther (NTD, Bd. 7), Göttingen-Zürich 1986, 168.
45) Der gleiche Sachverhalt ließe sich auch durch eine pneumatologische Argumentation zum Ausdruck bringen: Gerade der Geist ist es, in dem Gott die Schöpfung gemacht hat (creator spiritus) und durch den der erhöhte Christus nach Pfingsten handelt.
46) Richard Giesriegl, Die Sprengkraft des Geistes. Charismen und Apostolischer Dienst des Paulus im 1. Korintherbrief (Hochschulschriften Forschungen, Bd. 2), Thaur 1989, 100.
47) Karl Rahner, Visionen und Prophezeiungen, unter Mitarbeit von P. Th. Baumann ergänzt (Quaestiones disputatae, 4), Basel u. a. 31960, 55 f.
48) Christian Möller, Gottesdienst als Gemeindeaufbau. Ein Werkstattbericht, Göttingen 21990, 11 f.
49) Vgl. Ernst Käsemann, Der gottesdienstliche Schrei nach der Freiheit, in: Ders., Paulinische Perspektiven, 2., durchgesehene Auflage, Tübingen 1972, 213 f.
50) Vgl. hier und im Folgenden Peter Aschoff/Peter Dippl/Swen Schönheit, Werkstattheft Lobpreis, hrsg. v. Arbeitskreis für Geistliche Gemeinde-Erneuerung in der Evangelischen Kirche, Hamburg 1994, 7; ebenso: Zimmerling, Charismatische Bewegungen, Kapitel 5 Das charismatische Gottesdienstverständnis (mit weiteren Belegen).
51) Das hat Hans-Diether Reimer richtig beobachtet: »Wir sehen, dass bei den ›Charismatikern‹ Gebet in besonderem Maße Anbetung ist: lobpreisende Anbetung Gottes. Hierbei bildet sich nicht nur ein Bezug zu Gott, sondern eröffnet sich auch erfahrbar ein Raum seiner Gegenwart. Das Zungengebet, das hingebenden und anbetenden Charakter hat, weist in dieselbe Richtung« (ders., Wenn der Geist, 86).
52) »Auch christliches Gebet ist nicht natürliche Möglichkeit – das wäre das Plappern der Heiden –, sondern Geschenk des Geistes, das im Glauben aufgenommen wird […] Wir bleiben während unserer Gebete immer vom Geist Gottes abhängig« (Larry Christenson, Komm Heiliger Geist! Informationen, Leitlinien, Perspektiven zur Geistlichen Gemeinde-Erneuerung, Metzingen-Neukirchen-Vluyn 1989, 299).
53) Vgl. Hans-Diether Reimer, Wenn der Geist, 78; Siegfried Großmann, Beten aus dem Hören, in: Erneuerung in Kirche und Gesellschaft, Heft 27 (1986), 48–50.
54) Aschoff, Werkstattheft Lobpreis, 31.
55) Christenson, Komm Heiliger Geist, 293.
56) Reimer, Wenn der Geist, 79.
57) Claus Westermann, Art. hll pi. loben, in: Ernst Jenni/Claus Westermann, Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, Bd. 1, München-Zürich 31978, Sp. 495 f., das Zit. 496; zit. bei Christenson, Komm Heiliger Geist, 293.
58) Vgl. Gerhard Bially, Tips für Anbetungsleiter, in: Ders./Klaus-Dieter Passon (Hrsg.), Charisma. Geistliche Erneuerung gestern, heute, morgen, Schorndorf 1985, 43: »Im Allerheiligsten [dem Ziel der Anbetung] fällst du vor ihm nieder und kannst nur noch von ihm singen, Jesus, Jesus, Jesus.«
59) Eine repräsentative Auswahl charismatischen Liedguts bietet: Martha und Helmut Trömel, Du bist Herr – Selection. Anbetungslieder, Wiesbaden 1995; vgl. hier und im Folgenden die Untersuchung von Wolfgang Aumann, Das Liedgut der Charismatischen Erneuerung. Eine theologische und religionspädagogische Analyse, in: Erneuerung in Kirche und Gesellschaft, Heft 27 (1986), 12–14.
60) Beleg bei Gregor Etzelmüller, … zu schauen die schönen Gottesdienste des Herrn. Eine biblische Theologie der christlichen Liturgiefamilien, Frankfurt am Main 2010, 451, Anm. 125.
61) WA 38, 358–373 bzw. 375. In modernisiertem Deutsch und mit einer Einleitung versehen neu aufgelegt: Martin Luther, Wie man beten soll. Für Meister Peter den Barbier, hrsg. v. Ulrich Köpf/Peter Zimmerling, Göttingen 2011.
62) Luther, Wie man beten soll, 45.
63) Luther, Wie man beten soll, 46 (WA 38, 363,9).
64) Christoph Bizer, In der Schule von Doktor Martin und Meister Peter. Andächtige theologische Erzählungen, in: Peter Stolt u. a. (Hrsg.), Kulte, Kulturen, Gottesdienste. Öffentliche Inszenierung des Lebens, Peter Cornehl zum 60. Geburtstag, Göttingen 1996, 204.
65) Martin Nicol, Meditation bei Luther, Göttingen 21991, 90.
66) Vgl. auch a. a. O., 88.
67) Luther, Wie man beten soll, 50 f. (WA 38, 366,10); vgl. auch Nicol, Meditation bei Luther, 8.