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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

74–77

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Peter, Benedikt

Titel/Untertitel:

Der Streit um das kirchliche Amt. Die theologischen Positionen der Gegner Martin Luthers.

Verlag:

Mainz: von Zabern 1997. XI, 251 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 170. Geb. DM 68,-. ISBN 3-8053-1977-0.

Rezensent:

Gunther Wenz

Das Problem des kirchlichen Amtes steht seit langem im Zentrum ökumenischer Verständigungsbemühungen zwischen den Reformationskirchen und der römisch-katholischen Kirche. Als ökumenische Meisterfrage hat dabei diejenige nach der genauen Verhältnisbestimmung von allgemeinem Priestertum, an dem alle getauften Gläubigen partizipieren, und dem besonderen Amt zu gelten, das durch die Ordination begründet wird. Zwar ist die Lehre vom gemeinsamen Priestertum als solche spätestens seit den einschlägigen Aussagen des II. Vatikanischen Konzils nicht mehr eigentlich kontrovers. Doch bleibt im einzelnen strittig, wie die spezifische Differenz zwischen dem gemeinsamen Priestertum aller Gläubigen und dem ordinationsgebundenen Amt der Kirche zu bestimmen ist. Verbleibende Probleme sind fernerhin in bezug auf die Gliederungsformen des ordinationsgebundenen Amtes bis hin zur Frage in- stitutioneller Verfassung universalkirchlichen Einheitsdienstes sowie hinsichtlich der Thematik der apostolischen Sukzession und der Sakramentalität bzw. des besonderen Charakters der Ordination zu konstatieren.

Daß die Amtsfrage mehr und mehr ins Zentrum kontroverstheologischer Auseinandersetzungen rückte, ist eine Konsequenz des Konfessionalisierungsprozesses, wie er seit der zweiten Hälfte des 16. Jh.s die religiöse und religionspolitische Entwicklung der westlichen Christenheit kennzeichnete. War das ursprüngliche Beginnen der Reformation unzweifelhaft auf eine Reform der einen Kirche ausgerichtet, so kam es in deren Verlauf bald schon zur Etablierung disparater Religionsparteien mit dem Ergebnis, daß Konfession bedeutungsidentisch wurde mit Denomination. Terminologiegeschichtlich läßt sich dieses Resultat zwar nicht vor 1800 nachweisen; doch ist es faktisch längst vorher gegeben. Dabei berührte, wie nachgerade die gegenwärtige Frühneuzeithistoriographie deutlich gemacht hat, der Vorgang der denominationellen Konfessionalisierung keineswegs nur das kirchliche und das theologische Leben, sondern alle öffentlichen Lebensbereiche einschließlich des Politischen und des Kulturellen. Gleichwohl kommt in besagtem Konfessionalisierungsprozeß der theologischen Lehre eine hervorragende Bedeutung zu. Dabei lassen sich unschwer konfessionsspezifische Trends namhaft machen.

Während es den Reformationskirchen - unbeschadet interner Differenzierungen, wie sie namentlich die Abendmahlslehre, die Christologie sowie die Lehre von der Prädestination betreffen - im Verein mit dem Rechtfertigungsgedanken insonderheit um den Ausbau des sola-scriptura-Prinzips zu tun war, ist für die römisch-katholische Lehrentwicklung eine fortschreitende amtstheologische Konzentration charakteristisch. In impliziter Weise trifft dies bereits für das Tridentinum zu, in expliziter Weise sodann für die nachtridentinische Zeit, deren amtstheologische Tendenz in der Lehre des I. Vatikanischen Konzils vom universalen Jurisdiktionsprimat und von der Infallibilität des Papstes gewissermaßen auf die Spitze getrieben wird bzw. ihre äußerste Aufgipfelung erreicht. Innere Folgerichtigkeit läßt sich diesem Entwicklungsprozeß nicht ohne weiteres streitig machen: denn wie, so lautete bereits die kritisch-rhetorische Anfrage des Erasmus an Luther, läßt sich unter den Bedingungen differenter, gegebenenfalls kontradiktorischer Schriftauslegungen die Identität und Kontinuität der christlichen Wahrheit durch die Zeiten gewährleisten? Die Antwort, die der traditionelle römische Katholizismus auf diese Frage gibt, ist eine dezidiert amtstheologische, und eben diese dezidiert amtstheologische Antwort ist es zugleich, die ihm sein eigentümliches Konfessionsprofil gibt, durch das er sich von den aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionskirchen spezifisch unterscheidet.

Scheint sonach einerseits von der internen Entwicklungslogik her systematisch alles klar zu sein, so ändert dies andererseits doch nichts an der Tatsache, daß das konfessionalistische Zeitalter längst schon vergangen und für das gegenwärtige Bewußtsein nur noch in sehr bedingtem Maße prägend ist. Zwar sollte die Theologie daraus nicht die Maxime ableiten, die ihr aufgegebenen konfessionellen Traditionen seien in eine Transkonfessionalität unspezifischer Allgemeinheit - sei es einer Zivilreligion, sei es eines kleinsten gemeinsamen ökumenischen common sense - zu überführen. Ein solches Verfahren wäre gewiß kontraproduktiv, weil religiöses Leben stets konkret ist und ohne Konkretion sich ins Vage und Unverbindliche verflüchtigt. Die Devise kann daher nur lauten, sich durch Vertiefung in konfessionelle Eigentümlichkeiten neu des Gemeinchristlichen zu versichern. Historische Erinnerung kann hierzu erhebliche Hilfestellungen leisten; sie ist daher nachgerade für eine der Ökumene verpflichtete systematische Theologie unentbehrlich.

Einen sehr bemerkenswerten historischen Erinnerungsbeitrag in amtstheologischer Hinsicht stellt vorliegende Untersuchung dar, die im Wintersemester 1993/94 von der Katholisch-Theologischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen als Dissertation angenommen wurde. Ihr erklärtes Ziel ist es, zurückzugehen "bis an den Anfang der zwischen altgläubiger Kirche und reformatorischer Bewegung erbittert geführten Auseinandersetzung um Amt und Ämter in der Kirche" (2), wobei als Hauptgegenstand der Untersuchung die Amtslehre der vortridentinisch-katholischen Kontroverstheologie des Reformationszeitalters fungiert. Näher in Betracht kommen insbesondere die Konzeptionen von Hieronymus Emser, Heinrich VIII. von England, Johannes Eck und Johannes Cochläus. Was die Leitlinie der Einzelstudien betrifft, so ist sie durch die Absicht bestimmt, konfessionell-konfessionalistische Verzeichnungen durch konsequentes Festhalten an einer historischen Perspektive zu vermeiden. Die hermeneutische Grunddevise lautet: "Jenseits dogmatischer Engführung und systematischer Illusion ist das Amtsverständnis der altgläubigen Kontroverstheologen zu untersuchen, um die damals vertretenen Auffassungen und die Gründe der konfessionellen Trennung zu verstehen. Das heutige Verständnis des Amtes ist als kritische Folie einzubeziehen, darf aber das Bild nicht verfälschen. Für das Verständnis der Auseinandersetzungen zwischen Luther und den Kontroversisten sind einerseits die Fragen des Spätmittelalters, vor allem aber die Praxis des kirchlichen Amtes relevant" (15). Indem er sich von dieser Devise leiten läßt, gelingt es dem Vf., die geschichtliche Originalität der ausgewählten Positionen differenziert und konturenreich zur Darstellung zu bringen, ohne darüber überindividuelle Entwicklungstrends historisch aus dem Blick zu verlieren.

Ein solcher Trend läßt sich exemplarisch an der bei allen Autoren zu beobachtenden "Prävalenz der Tradition" (49) ablesen, deren ekklesiologischen und amtstheologischen Implikationen und Folgen der Vf. gleich zu Beginn der Einzelstudien am Beispiel von Emsers literarischer Auseinandersetzung mit Luther aufdeckt (49-81). Daß die Prävalenz der Tradition auf den, wie es heißt, Triumph der Institution (76) hin angelegt ist und ihn gewissermaßen zwangsläufig zur Folge hat, ist im wesentlichen darin begründet, daß der harte Kern der Traditionsfrage die Frage nach der autoritativen Kompetenz authentischer Schriftauslegung ist. Mit dem Vf. zu reden: "Der Streit um das Amt ist auch ein Streit um die Schrift und die Autorität ihrer Auslegung. Und umgekehrt: der Streit um die Prinzipien der Schriftauslegung ist ein Streit um das Amt" (76). Indem Emser "die Schrift notwendig in Abhängigkeit von der Tradition und ihrer ’Verwalterin’, der Kirche", sieht, ist für ihn diese die "Garantin der Wahrheit der Schrift", so daß zu gelten hat: "Auch relativ willkürliche Auslegungen von seiten der legitimierten Instanz beanspruchen von vornherein Plausibilität" (77). Vergleichbare Tendenzen lassen sich neben Emser auch bei Heinrich VIII. (83-89), Johannes Eck (91-190) sowie bei Johannes Cochläus (191-205) registrieren, welcher letzterer die "Wahrheitsfülle der Tradition" (193) gegen das sola-scriptura-Prinzip geltend macht und dabei zu dem ebenso lapidaren wie signifikanten Ergebnis gelangt: "Schrifft hin / schrifft her / die kyrch verstehet die Schrifft viel besser und gewisser durch den heyligen geyst / welchen yhr Christus zugesaget und gesandt hat ... Dabey mus es endlich bleyben / wenn wir schon Tausent jar disputirten" (Von der heyligen Mess und Priester weyhe; zit. n. 193).

Darauf wie auf sonstige Aspekte der perspektivenreichen Dissertation kann hier nicht weiter eingegangen werden. Als Resümee sei lediglich festgehalten, daß am historischen Anfang der mannigfachen amtstheologischen Kontroversen, die bis heute das Verhältnis der römisch-katholischen Kirche und der Reformationskirchen belasten, das Problem authentischer Schriftauslegung stand, das mit dem der Begründung bzw. Vergewisserung der Kanonizität des Kanons systematisch untrennbar verbunden ist.

Die einheitliche Grundthese der vortridentinisch-katholischen Kontroverstheologen war dabei offenkundig die, daß ohne die kirchliche Tradition, wie sie im institutionalisierten Amt der Kirche gewissermaßen zum verbindlichen Bewußtsein ihrer selbst kommt, weder eine authentische Auslegung der Schrift noch Gewißheit von deren Kanonizität zu erlangen sei. Sie waren daher allesamt geneigt, dem kirchlichen Amt eine autoritative Kompetenz zuzudenken, die tendenziell auf ein Wahrheitswahrnehmungsmonopol hinauslief und die Möglichkeit einer gegebenenfalls amtskritischen Berufung auf die Schrift im wesentlichen entzog. Damit war auf eine historisch anfängliche, aber durchaus auch prinzipiell zu nennende Weise in Frage gestellt, was die Reformation ihrem Begriff und Wesen nach zu sein beanspruchte. Gegenwärtige ökumenische Verständigungsbemühungen werden daher gut daran tun, die amtstheologischen Debatten auf ihren Ursprung in dem Problem authentischer und verbindlicher Schriftauslegung zu konzentrieren. Nachgerade die ökumenische Meisterfrage nach der Verhältnisbestimmung von gemeinsamem Priestertum und ordinationsgebundenem Amt dürfte sich nur im bezeichneten Problemkontext einer systematisch plausiblen Antwort zuführen lassen.

Daß eine solche Antwort nur dann akzeptabel und überzeugend sein kann, wenn sie das, was soeben als Wahrheitswahrnehmungsmonopol umschrieben wurde, amtstheologisch nicht nur nicht begründet, sondern vermeidet, kann unter evangelischen Bedingungen nicht zweifelhaft sein.