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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1145-1147

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

VanDrunen, David

Titel/Untertitel:

Divine Covenants and Moral Order. A Biblical Theology of Natural Law.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2014. XII, 582 S. = Emory University Studies in Law and Religion. Kart. US$ 45,00. ISBN 978-0-8028-7094-0.

Rezensent:

Dennis Schönberger

Der im deutschen reformierten Protestantismus wenig bekannte Systematiker und (christliche) Ethiker David VanDrunen vertritt als Professor am Westminster Seminary California nicht nur die reformierte Orthodoxie, sondern (als Pfarrer und Anwalt in Personalunion) auch die reformierte Orthopraxie. Mit der vorliegenden Studie legt er die Fortsetzung seiner 2010 veröffentlichten Untersuchung »Natural Law and the Two Kingdoms. A Study in the Development of Reformed Social Thought« vor. Eine dritte, pragmatisch orientierte Studie zum Naturrecht ist, wie er im Vorwort schreibt, in Planung (IX–X).
Nach der historischen Untersuchung des eigentümlichen Zu­sammenhangs der Naturrechtsidee und der sogenannten »Zwei-Reiche/Regimente-Lehre« in den Sozialethiken des reformierten Protestantismus des 16. bis 19. Jh.s entwickelt der Vf. in der vorliegenden Studie eine mit Hilfe der Bibel zu begründende Lehre vom Naturrecht. Im Unterschied zu dem historischen Zugang seines Lehrers John Witte verficht der Vf. eine biblische, theologische, ethische sowie pragmatische Verteidigung seiner bisherigen Forschungen zum Naturrecht (XII.487–496).
Leitend ist für ihn die Frage, wie er die gegenwärtig sehr unterschiedlichen Positionen im nordamerikanischen Naturrechtsdiskurs harmonisieren kann. Einer spezifisch christlichen Ethik will er dabei nicht das Wort reden. Er konzipiert seine Naturrechtslehre darum universalistisch und greift dazu auf die Naturrechtstheorie des Thomas von Aquin und auf föderaltheologische Konzepte (H. Witsius, H. Bavinck, A. Kuyper) zurück. Integrativ ist das Konzept insofern, als dass es dem Vf. ausdrücklich um eine Verbindung von Thomismus und (Neo-)Calvinismus in Abgrenzung zur Theologie Karl Barths geht. Der Vf. vertritt die Ansicht, dass die Bibel des Alten und Neuen Testaments eine von der Schöpfung über den Sündenfall bis hin zur Vollendung reichende Rahmenerzählung offenbart, der eine natürliche Moralordnung zugrunde liegt, die er als Naturrecht identifiziert.
Anhand ausgewählter Bibelstellen möchte er nachweisen, dass die verschiedenen Bundesschlüsse des Alten und Neuen Testaments bewahrende und erlösende Geschichtserweise Gottes sind, in denen sich eine naturgegebene Ordnung widerspiegelt, die sozial- und rechtsethisch von Belang ist. Mit Verweis auf das Bibelverständnis des Westminster Bekenntnisses von 1647 postuliert der Vf. eine neue Sichtweise auf die Bibel, um von ihr her zu einer Einführung in eine protestantische Naturrechtslehre zu gelangen. Von philosophischen oder soziologischen Erwägungen sieht er ab. Sein Ziel ist es, sowohl die konfessionellen Mitstreiter als auch die in den westlichen Gesellschaften lebenden Christen von der Relevanz der biblischen Naturrechtslehre zu überzeugen (1–36.487–516). Das Hauptargument, die Realität einer kosmologisch-natürlichen Mo­ralordnung, stützt der Vf. damit, dass er die von ihm identifizierten Geschichtserweise Gottes einander gegenüberstellt, weshalb seine Untersuchung in zwei Teile zerfällt:
Im ersten Teil (39–260) behandelt er die sogenannten protologischen Bünde, wozu er den Schöpfungs- und den Noah-Bund (Gen 1–2 sowie Gen 8–9) zählt (Kapitel 1–2). Dieses bündetheologische Konzept wendet er auf verschiedene alttestamentliche Erzählungen und Prophetenworte (u. a. Am 1–2, Jes 1–3 und Dan 2–6) an und stellt die These auf, dass Gott die Schöpfung zwar erhält, den unter dieser Ordnung lebenden Menschen aber keine eschatologische Hoffnung vermitteln kann. Dies gelte besonders für Ehebrecher, Homosexuelle und Götzendiener, die nach dem locus classicus des biblischen Naturrechts (hier Röm 1,18–26) unter Gottes Zorn (212–225) stünden (Kapitel 3–5).
Im zweiten Teil (263–516) werden die eschatologischen Bünde verhandelt, wozu der Vf. den Abraham- und den Mose-Bund (Dekalog) sowie das Sprichwörterbuch (Prov) zählt (Kapitel 6–8). Die hier (u. a.) dank der Weisheit Gottes vermittelten Bünde zeigten Christen schon jetzt die Verwirklichung der künftigen Neuschöpfung bis zur Wiederkunft Christi. Während Israel als Sinnbild der sündigen Menschheit unter dem protologischen Naturrecht zu gelten habe, erstrahle die Kirche als Abbild des Himmelreiches (Kapitel 9–10). Dieses Protologie-Eschatologie-Modell hält der Vf. deshalb für notwendig, weil eben nur so das der Bibel (implizit) unterlegte (natürlich-rechtliche) Ordnungsprinzip zu verstehen sei (487–516). Am Ende rekurriert der Vf. in fünf Appendizes noch einmal auf die besondere Signifikanz der Naturrechtstheorien u. a. im gegenwärtigen Wissenschaftsdiskurs, im Neo-Calvinismus und in der jüdischen Exegese zum sogenannten noachidischen Bund (517–545).
Eine kritische Würdigung dieser äußerst umfangreichen Untersuchung erfolgt in methodisch-hermeneutischer Perspektive:
Das konzeptionelle Verfahren der Untersuchung wirkt in sich leider oft nicht ganz stimmig. Als Leser hat man den Eindruck, als ob das Ergebnis schon vor der Exegese feststand (»Quod demonstrandum est«). Demnach beweist die angewandte Verteidigungsstrategie lediglich die zuvor schon postulierte Sichtweise des Vf.s, dass die alt- und neutestamentlichen Schriften ein geschichts- und ordnungstheologisches Strukturmuster besitzen.
Die Argumentation dreht sich somit im Kreis (Spiralargumentation), was wohl in besonderem Maße darauf zurückzuführen ist, dass diese Untersuchung apologetisch und nicht heuristisch-entdeckend verfährt. Greifbar wird der, wenn man so will, supra-naturalistische Zirkelschluss da, wo argumentiert wird, dass das Be­kenntnis von Westminster die Wirklichkeit einer Natur-Offen-barung lehrt, um allen Menschen die Verantwortung vor diesem Offenbarungszeugnis – nämlich der Bibel und der Natur – zu verdeutlichen (489).
Die hier vorgetragene Bekenntnistheologie zeigt ihre Nicht-Kenntnis bzgl. der Offenbarung dadurch, dass sie der Christusoffenbarung eine ebenbürtige Offenbarungsquelle zur Seite stellt, die sowohl biblisch als auch natürlich und geschichtlich ist. Soll hier einem Offenbarungspositivismus oder einem Offenbarungsrelativismus das Wort geredet werden? Jedenfalls ist die Grundannahme, wie sie oben beschrieben wurde, als spekulativ zu bezeichnen, was mit dem (ursprungs-)mythischen Protologie-Eschatologie-Modell zusammenhängt. Führt dies nicht zur tendenziellen Auflösung der reformierten (vor allem der calvinischen) Gottes- und Gnadenlehre?
Problematisch ist zudem, dass der Vf. in seiner Schriftauslegung nicht nur nicht die biblischen Texte, sondern auch die Resultate der gegenwärtigen Exegese kaum bis gar nicht zu Wort kommen lässt, geschweige denn ernst nimmt. Eine kritische Reflexion der historischen, literarischen und theologischen Intention der von ihm besprochenen Texte kommt zu kurz. Eine solche Auslegung wirkt beinahe »prähistorisch«.
Die sprachliche Diktion wirkt an einigen Stellen ein wenig schwerfällig, was mit den häufigen Wiederholungen bereits ein­geführter Gedanken zu tun hat. Eine kontroverse Auseinandersetzung mit der Sekundärliteratur könnte an vielen Stellen noch deutlich stärker erfolgen. In didaktischer Sicht zeichnet sich die Untersuchung durch viele leserfreundliche, überblickshafte Zu­sam­menfassungen am Schluss der jeweiligen Kapitel aus.