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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

837 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Kayales, Christina

Titel/Untertitel:

Gottesbilder von Frauen auf den Philippinen. Die Bedeutung der Subjektivität für eine Interkulturelle Hermeneutik.

Verlag:

Münster: LIT 1998. XIV, 357 S. 8 = Ökumenische Studien, 8. Kart. DM 49,80. ISBN 3-8258-3700-9.

Rezensent:

Rainer Neu

Erkenntnisse über fremde Kulturen verändern das Verständnis der eigenen Kultur. Der Ethnologe und der Missionar kehren zwar nicht als ein anderer, aber als ein Veränderter zurück - sonst hätten sie keine Erkenntnis gewonnen.

Dieser Erkenntnisvorgang ist das eigentliche Thema der Dissertation von Christina Kayales "Gottesbilder von Frauen auf den Philippinen", die von Konrad Raiser betreut wurde. Wer immer eine fremde Kultur verstehen möchte, soll sich selbst als Interpretierender bewußt werden. Mit dieser Forderung hat das alte philosophische Problem des Verhältnisses von Einzelnem und Allgemeinem in der ethnologischen Forschung und nun auch in der ökumenischen Diskussion erneut an Aktualität gewonnen. Die ökumenische Theologie versucht, sich den Denkkategorien des kulturell, religiös und sozial Anderen und Fremden zu öffnen und die Partikularität der eigenen Denkkategorien zu überwinden.

In der vorliegenden Studie wird besonders die Rolle des Beobachters untersucht. Seine Subjektivität wird als Teil der Forschungsdaten ausgewertet. Die eigenen (positiven wie negativen) Glaubenserfahrungen und Verstehensmuster des Forschers, die bei der Begegnung mit dem Fremden aktualisiert werden, werden methodisch in die Forschung einbezogen.

Die Autorin greift hierzu auf das Programm der Ethnopsychoanalyse zurück. Dieser Ansatz, der sich besonders den Arbeiten des Ethnologen und Psychoanalytikers George Devereux verdankt, überträgt methodische Elemente aus der Psychoanalyse in den ethnologischen Erkenntnisprozeß, um die unbewußten Reaktionen des Interpretierenden, seine "Pendelbewegung" zwischen der eigenen und der fremden Kultur, bewußt zu machen. Nicht nur das Weltbild des Forschers, seine Klassenzugehörigkeit, sein Alter, seine Charaktereigenschaften und seine ethnische, religiöse oder politische Zugehörigkeit verzerren seine Wahrnehmung. Die Begegnung mit dem Fremden kann bei dem Forscher auch Angst und Abwehr auslösen, wenn er auf Phänomene stößt, die in der eigenen Kultur verdrängt oder tabuisiert werden. Zu den Abwehrstrategien des Forschers können schließlich seine theoretischen und methodischen Verfahrensweisen gehören, mit denen er unangenehme und befremdliche Teile seiner Forschung auf Distanz hält.

Diesen Voreingenommenheiten soll - entsprechend dem Verfahren Devereux’ - nicht mit der Forderung nach der Neutralität des Forschers entgegnet werden. Vielmehr soll dieser seine tatsächliche Situation im Forschungsprozeß mit ihren Übertragungen, Gegenübertragungen und Rollenzuschreibungen reflektieren und offenlegen. Der Forscher und sein Verhalten wird damit selbst zu einem Element der Beobachtung. Dieses Verfahren sprengt das traditionelle Beobachter-Objekt-Verhältnis und bringt in die theologisch-ökumenische Diskussion einen neuen Ansatz ein.

Mit dieser Absicht hat K. sechzehn philippinische Frauen in Manila interviewt, um deren persönliche Glaubenserfahrungen zu erfragen. Sie hat dabei auf standardisierte Fragen verzichtet und die Form des "offenen Interviews" gewählt, um es den Frauen zu überlassen, ihre Themen zu wählen und ihre Gespräche zu strukturieren. Sie nahm diese Gespräche auf Band auf und hielt in Gesprächsprotokollen den Ablauf des Gesprächs, die Stimmungen, Themen, Irritationen, Fragen oder Bezüge zu anderen Gesprächen fest. In ihrem Forschungstagebuch notierte sie die eigenen Reaktionen und momentanen Stimmungen. Weiterhin wurde ihre Forschung durch Supervisionsgespräche mit einem philippinischen Therapeuten begleitet. Diese "selbstreflexive Methode" ermöglichte es der Vfn., die zwischen ihr und den Frauen erwachsene Dynamik in die Forschung einzubeziehen und zu reflektieren.

Aus diesem Material hat K. nun drei Fallgeschichten veröffentlicht, in denen sie fünf Frauen zu Wort kommen läßt. Die Art und Weise ihres Vorgehens erweist sich ohne Zweifel als produktiv. Die einfühlsamen Interviews lassen eine große Bandbreite von Themen aufkommen, die in die Tiefe philippinischer Kultur und Glaubenserfahrungen und lassen für den Leser ein facettenreiches Bild südostasiatischer Mentalität und Religiosität entstehen, das nicht von Verallgemeinerungen lebt, sondern individuellen Lebensgeschichten entspringt.

Die Reflexion solcher Glaubenserfahrungen ist eine wichtige Aufgabe ökumenischer Theologie. In der interkulturellen Begegnung macht das Fremde das Eigene bewußt - in seiner Besonderheit und in seiner Begrenztheit. Der ökumenische Dialog wird damit zu einer fundamentalen Herausforderung der eigenen (westlichen) Traditionen. Er erinnert jede Tradition daran, vorläufig, partial und weltbildgebunden zu sein. Eine ökumenische interkulturelle Hermeneutik muß uns lehren, das Fremde in seiner Fremdheit auszuhalten. Nur so kann es zur Anfrage an das Eigene werden. Und nur so verschafft es dem Fremden seine Anerkennung. Dazu leistet die vorliegende Untersuchung einen wertvollen Beitrag. - Diese Veröffentlichung läßt die Hoffnung aufkommen, daß weitere empirische Studien zu Glaubenserfahrungen von Frauen und Männern in den ökumenischen Gliedkirchen vorgenommen werden. Ebenfalls sollte die ethnopsychoanalytische Methode eine weitere Klärung erfahren, um auch von Nicht-Analytikern gewinnbringend berücksichtigt werden zu können.

Dazu ist es allerdings notwendig, sich die Grenze von K.s Vorgehensweise deutlich bewußt zu machen. Indem die Forscherin ihre Interviewpartnerinnen nämlich zu verabredeten Terminen an verabredeten Orten trifft (zum Teil in ihrer eigenen Wohnung), schafft sie laborähnliche Bedingungen. Jegliche "Feldforschung" steht jedoch unter dem Postulat, die Angehörigen einer fremden Kultur in ihren alltäglichen Lebenssituationen kennenzulernen, ihr Handeln und Reden möglichst unverändert zu beobachten und künstliche Arrangements zu vermeiden.

Außerdem läßt die Auswahl der im Text vorgestellten Interviewpartnerinnen erhebliche Bedenken aufkommen. Alle fünf Frauen gehören der römisch-katholischen Kirche an, sind Sozialarbeiterinnen bzw. sozial-politisch engagiert, stehen NGOs nahe, die im Widerstand gegen das Marcos-Regime entstanden sind, und leben in der Hauptstadt Manila. Es mag Gründe gegeben haben, die untersuchten Personen nach solchen einheitlichen Gesichtspunkten auszuwählen. Dies hätte die Vfn. jedoch deutlich und überzeugend begründen müssen. So verspricht zumindest der Buchtitel zu viel, und es entsteht der Verdacht, als sei die Art der "Gottesbilder", die in diesen Interviews vorgestellt werden, bereits durch die Auswahl der Gesprächspartnerinnen vorgegeben.

Abschließend sei noch darauf verwiesen, daß die Reihe "Ökumenische Studien", die bisher vom Ernst Lange-Institut für ökumenische Studien e. V. herausgegeben wurde, mit diesem Band in das Programm des Lit-Verlags übergegangen ist. Zu ihren bisherigen Herausgebern Ulrich Becker (Hannover), Gottfried Orth (Rothenburg) und Konrad Raiser (Genf) ist Erich Geldbach vom ökumenischen Institut in Bochum hinzugetreten.