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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1142-1144

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Enzner-Probst, Brigitte, u. Elisabeth Moltmann-Wendel [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Im Einklang mit dem Kosmos. Schöpfungsspiritualität lehren, lernen und leben. Theologische Aspekte – Praktische Impulse.

Verlag:

Ostfildern: Matthias-Grünewald-Verlag 2013. 288 S. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-7867-2971-6.

Rezensent:

Peter Zimmerling

In den vergangenen Jahrzehnten ist immer wieder – vor allem von feministischer Seite, aber auch ich selbst gehörte zu den mahnenden Stimmen – der Verlust des Bereichs des Ersten Glaubensartikels im Rahmen der evangelischen Spiritualität beklagt worden. Darum ist ein Unternehmen, das diesen Bereich für die Spiritualität zurückgewinnen möchte, ohne Einschränkung zu begrüßen. Der von zwei profilierten evangelischen Theologinnen herausgegebene Sammelband stellt einen solchen Versuch dar. Die Stimmen der habilitierten feministischen Theologin Brigitte Enzner-Probst und der bekannten feministischen Theologin Elisabeth Moltmann-Wendel haben Gewicht. Dazu kommt, dass sie ausdrücklich darum bemüht sind, auf dem Weg zu einer zukünftigen Schöpfungsspiritualität Schöpfung und Erlösung zusammenzudenken, mithin keine von den beiden anderen Glaubensartikeln abgekoppelte Schöpfungsspiritualität zu entwerfen. Der Leser ist gespannt, ob sie ihr Versprechen, damit eine »neue« christologische und soteriologische Rede entwickeln zu wollen, einlösen können.
Der Sammelband stellt ein Gemeinschaftswerk von Frauen und Männern dar. Neben den beiden Herausgeberinnen, die gleich mit mehreren Beiträgen in dem Buch vertreten sind, haben sie eine Reihe weiterer, zum Teil renommierter Theologen und Theologinnen aus den unterschiedlichsten Fachgebieten für die Mitarbeit gewinnen können. Stellvertretend für sie sei hier der Altmeister der deutschen systematischen evangelischen Theologie Jürgen Moltmann genannt, der schon früh mit seiner »Ökologischen Schöpfungslehre« (Gott in der Schöpfung, 1. Auflage, München 1985) auf die Notwendigkeit einer evangelischen Schöpfungsspiritualität hingewiesen hat.
Das Buch ist in drei Hauptteile gegliedert: Im ersten Teil werden Zugänge zu einer Schöpfungsspiritualität aus den unterschiedlichen Traditionen (philosophische, theologische und konfessionelle) rekonstruiert. Im zweiten Hauptteil werden Ansätze zu einer Didaktik der Schöpfungsspiritualität vorgelegt. Im dritten Teil schließlich geht es um Konkretionen: Er enthält Berichte, praktische Anregungen, liturgische Elemente, Lieder und grundlegende Manifeste zum Thema Schöpfungsspiritualität. Die Herkunft ist breit gestreut und geht über den engeren Bereich der christlichen Kirche weit hinaus.
Um einen Einblick in die Fülle der Impulse zu geben, nenne ich im Folgenden die einzelnen Beiträge.
Teil I: Elisabeth Moltmann-Wendel, Hannah Arendts Konzept von Natalität. Schöpfungsspiritualität mit gesellschaftlichen Konsequenzen; Brigitte Enzner-Probst, Kreative Erlösung. Eine Perspektive auf Schöpfungstheologie und Chris-tologie aus der liturgischen Praxis von Frauen; Hermann M. Probst, Kosmos und Christus. Kosmologie und Christologie als untrennbare Perspektiven christlichen Glaubens; Jürgen Moltmann, Kosmische Demut. Bemerkungen zu einem gelungenen ökologischen Begriff; Christina aus der Au, Achtsames Wahrnehmen. Eine pneumatologische Perspektive auf unsere Wirklichkeit; Martin George, »Alles, was Gott geschaffen hat, ist gut«. Schöpfungsspiritualität in orthodoxer Tradition; Susan K. Roll, Time and the Cosmic Rhythms in Transition. A perspective from feminist creation theology.
Bei der Lektüre der Beiträge stellt sich schnell heraus, dass alle eine zukünftige Schöpfungsspiritualität nicht ohne das Gespräch mit der theologischen bzw. philosophischen Tradition entwickeln wollen, wobei der kirchliche Horizont zugunsten einer gesellschaftlichen, ja sogar kosmischen Perspektive geöffnet wird. Bemerkenswert ist, dass mehrfach der Gottesdienst in seinen unterschiedlichen Ausprägungen als Ausgangspunkt der intendierten Schöpfungsspiritualität erscheint.
Die Beiträge von Teil II enthalten Ansätze zu einer Didaktik der Schöpfungsspiritualität. Es fällt auf, dass dabei ein Schwerpunkt auf dem Leben der Kirche liegt: dem Gottesdienst, den Sakramenten und der Seelsorge.
Hier die einzelnen Beiträge: Gina Schibler, Jona und der Wal. Umkehren und schwanger sein mit Leben; Hanna Strack, Mitschöpferin sein. Geburt als schöpferischer Prozess und ihre Bedeutung für eine Neukonzeption von Schöpfungsspiritualität; Andrea Bieler, The Peace of Wild Things. Wasser als sakramentale Gabe; Christoph Müller, Taufe als Vergegenwärtigung des Schöpfungsgeschehens. Feier des Schöpfungsglanzes und Abschied von lebensfeindlichen Tauftraditionen; Andreas Marti, Die neue Erde, den neuen Himmel besingen. Elemente von Schöpfungsspiritualität in Liedern der reformierten Tradition; Angela Berlis, Kleine Gebetsétude zum Wettersegen; Karin Tschanz Cooke, Übergänge bewältigen. Erfahrungen aus der Begleitung Sterbender und ihre Bedeutung für die Bewältigung gegenwärtiger Wandlungsaufgaben; Brigitte Enzner-Probst, Kosmische Erziehung. Über die Möglichkeit, Schöpfungsspiritualität zu lehren angesichts der ökologischen Krise; Marion Küstenmacher, Erleuchtete Augen des Herzens. Ein Psalm zu den Farben der Schöpfung.
Die Fülle der Beiträge von Teil III kann hier nicht im Einzelnen genannt werden. Sie reichen von auf die Schöpfung ausgerichteten Meditationsformen bis zu Verlautbarungen der EKD und der UNO, die als Prolegomena einer gelebten Schöpfungsspiritualität interpretiert werden können.
Positiv lassen sich alle Beiträge des Sammelbandes als »Suchbewegungen« klassifizieren. Sie sind bestrebt, aus unterschiedlichen Perspektiven und auf sehr verschiedene Weise Wege zu einer Schöpfungsspiritualität zu eröffnen, die sowohl theologisch verantwortet ist als auch gelebt werden kann. Die Stärke des Buches liegt darüber hinaus darin, dass in ihm eine Art Umschau versucht wird: Was ist auf dem weiten Feld der Schöpfungsspiritualität bisher bereits gedacht, gelehrt und gelebt worden – und welche Erkenntnisse, Methoden und Impulse für die Zukunft sind darin enthalten? Neben der Stärke einer solchen Umschau, Lesern und Leserinnen einen weiten Überblick zu eröffnen, hat ein solches Vorgehen auch Schwächen: Überzeugendes und weniger Klares stehen ungeschieden nebeneinander. Wie auf einem Markt der Möglichkeiten kann sich jeder das herausgreifen, was ihm zusagt. Aber vielleicht ist das von den Herausgeberinnen so gewollt. Jedenfalls entspricht es dem »Anfangsstadium«, in dem sich die Konturen einer evangelischen Schöpfungsspiritualität heute immer noch darstellen. Das gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf die im Buch versuchte neue Zuordnung der drei Glaubensartikel zueinander. Ohne Einschränkung ist positiv zu würdigen, dass die Herausgeberinnen Sensibilität für die Schöpfung wecken. Die Schöpfung bleibt auch nach dem Sündenfall die gute Gabe Gottes. Wie bei jeder starken Schöpfungstheologie droht dabei allerdings eine doppelte Gefährdung: dass die derselben Schöpfung innewohnenden zerstörerischen, lebensfeindlichen Potentiale übersehen oder zumindest verharmlost werden und dass die Notwendigkeit der Erlösung der Schöpfung in den Hintergrund gedrängt oder gar ganz übersehen wird. Evangelisches Nachdenken über Schöpfungsspiritualität sollte nicht von der (im Neuen Testament so einmalig dastehenden) Aussage des Apostels Paulus absehen: »Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, dass die Kinder Gottes offenbar werden […] Denn wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet« (Röm 8,19.22).