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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

835 f

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Jeyaraj, Daniel

Titel/Untertitel:

Inkulturation in Tranquebar. Der Beitrag der frühen dänisch-halleschen Mission zum Werden einer indisch-einheimischen Kirche (1706-1730).

Verlag:

Erlangen: Verlag der Ev.-Luth. Mission 1996. XIII, 367 S. 8 = Missionswissenschaftliche Forschungen, N. F. 4. Kart. DM 60,-. ISBN 3-87214-334-4.

Rezensent:

Friedrich Huber

Der Autor stellt in der hier angezeigten Dissertation, die an der Martin-Luther-Universität Halle angefertigt wurde, die erste Phase der protestantischen Missionsgeschichte in seiner Heimat, dem heutigen Staat Tamil Nadu (in Südindien), unter ausgewählten Gesichtspunkten dar.

Für die Bearbeitung dieser Thematik bringt der Vf. Voraussetzungen mit, die ihn in einmaliger Weise qualifizieren und zur Durchführung der gestellten Aufgabe befähigen. Hier sind zunächst seine Sprachenkenntnisse zu nennen. Nicht nur ermöglicht ihm die Kenntnis des Tamil die Heranziehung bisher nicht ausgewerteter Quellen (vor allem die Palmblatt-Texte), er hat sich auch in die Sprachen Lateinisch, Englisch und Deutsch in einem Maße eingearbeitet, das ihm den Zugang zu Quellentexten in den entsprechenden Sprachen ermöglicht. Dies ist um so beachtlicher, wenn man berücksichtigt, daß etwa das Deutsch am Anfang des 18. Jh.s vom heutigen beträchtlich abweicht.

Die Sprachenkenntnis, verbunden mit einer sorgfältigen und oftmals geradezu akribischen historischen Arbeitsweise, machte die Auswertung eines umfangreichen Archivmaterials möglich, das der Vf. in verschiedenen Bibliotheken ausgewertet hat (vgl. die Bibliographie, 318-363, und die Darstellung der Quellenlage in dem der Forschungsgeschichte gewidmeten ersten Kapitel). Zur Sprachbeherrschung kommt bei Jeyaraj die intime Kenntnis der Bhakti-Frömmigkeit, die zu einem wesentlichen Teil den Inkulturationsrahmen darstellt. An dieser Stelle ist auch die - im Vorwort mitgeteilte- biographische Notiz wichtig, daß der Vf. sich erst im Jahr 1980 dem christlichen Glauben zugewendet hat. Schließlich zeichnet den Autor ein verständnisvoller, unpolemischer Zugang zu der hinduistischen Religiosität aus, mit der sich die frühen Missionare auseinandersetzten. Auf dem Hintergrund dieser Voraussetzungen ist es nicht verwunderlich, daß eine ganz vorzügliche Behandlung der Thematik entstanden ist.

Der Autor kann sich auf viele Vorarbeiten stützen (in neuerer Zeit besonders von Lehmann, Gensichen und Norgaard). Wie aber Ziegenbalg selber in seinen Schriften "kein Schmierewerck aus anderen Auctoribus" (zitiert in A. Lehmann: Es begann in Tranquebar, 49) liefern wollte, so wiederholt auch J. nicht einfach die Ergebnisse früherer Forschungen, sondern er ergänzt und vervollständigt sie durch die Beleuchtung ausgewählter Aspekte. Dabei beschränkt sich der Autor auf den Zeitraum von 1706 (Ankunft von Ziegenbalg und Plütschau in Tranquebar) bis 1733 (Ordination des ersten tamulischen Pastors).

Die Abhandlung von J. ist in drei große Kapitel gegliedert, deren erstes Forschungsstand und Quellenlage behandelt. Kap. 2 stellt die "Begegnung mit der Lebenswelt der Tamilen" dar, und zwar die Begegnung mit ihrer Sprache, ihrer Religion und ihrer Ethik. Das dritte Kapitel schließlich behandelt ein breites Spektrum von Fragestellungen, die in der Gründungsphase der aus der Tranquebar-Mission entstandenen "einheimischen Kirche" von Belang waren.

Hier kann natürlich nicht die ganze Fülle der Beobachtungen und Einsichten vorgestellt werden, die J. auf Grund seines Studiums der - nicht selten neu aufgefundenen - Quellen gewonnen hat. Nur auf einige Aspekte sei hingewiesen.

Eindrücklich zeigt J. auf, wie sich bei Ziegenbalg und Plütschau das Erlernen der tamilischen Sprache auf das missionarische Selbstverständnis und auf die Wertschätzung der tamilischen Kultur und Religion ausgewirkt hat. Manche "sehr wunderliche Concepte", die sich die Missionare von den "Heiden" gemacht hatten, wurden korrigiert, "da man mit ihrer Sprache mit ihnen reden und sich alles recht erkundigen können" (vgl. das Zitat bei J., 52). Das Erlernen des Tamilischen betrieben die Missionare nicht zuletzt deshalb mit solcher Energie, weil sie dadurch in die Lage versetzt wurden, eine tamilische Übersetzung der Bibel anzufertigen. Hier steht natürlich eine in deutscher Sprache verfaßte Arbeit vor einem beinahe unüberwindlichen Problem: Wie soll man in deutscher Sprache einen Eindruck von einer tamilischen Übersetzung vermitteln? Der von J. eingeschlagene Weg (Rückübersetzung ins Deutsche) kann hier wohl nur die beste Notlösung sein.

In der Bhakti-Religiosität suchten die Missionare auf der theologischen Basis einer theologia naturalis nach Anknüpfungspunkten für die Verkündigung des Evangeliums. Das verhinderte eine pauschale Verurteilung der Bhakti-Frömmigkeit, hielt die Missionare jedoch nicht von manchmal recht harschen Urteilen ab; letzteres gilt selbst für den in dieser Hinsicht eher gemäßigten "Nirubam" (den "Brief an die Heidenschaft" aus dem Jahr 1712). Es könnte verwundern, daß J. sich dadurch nicht zu kritischen Bemerkungen gedrängt sieht. Seine Arbeit zeichnet sich durch bemerkenswerte Zurückhaltung auf dem Gebiet der Missionskritik aus. Sogar die - zeitlich spätere - Äußerung von Karl Graul, Kenntnis von einheimischer Sprache und Religion könnte dazu helfen, ",das Geschütz des göttlichen Wortes’ zielgerichtet anzuwenden" (81), wird kommentarlos zitiert. Nicht daß fragwürdige Aspekte missionarischen Verhaltens völlig verschwiegen würden (vgl. z. B. 189 und 275). Aber im großen und ganzen kommt J. doch zu der Überzeugung, die ersten Missionare der Tranquebar-Mission hätten in wohlbedachter und ausgewogener Weise am Aufbau einer "einheimischen Kirche" gearbeitet.

Diese Sicht kommt schon im Titel der Arbeit zum Ausdruck: "Inkulturation in Tranquebar". Man wird nicht sagen können, daß die ersten Tranquebar-Missionare das entwickelt hätten, was man heute kontextuelle Theologie nennt. Das kann man wohl von Missionaren sinnvollerweise auch nicht erwarten. J. zeigt aber im ganzen doch überzeugend auf, daß sie ein christliches Gemeindeleben zu fördern versuchten, das in tamilischer Kultur und Lebenswelt verwurzelt ist. Besonders das letzte Kapitel des hier angezeigten Buches bietet für diese These breites Anschauungsmaterial. Gelegentlich hätte ich mir eine etwas detailliertere und deutlichere Entfaltung gewünscht. So wäre es etwa hilfreich gewesen, wenn die Ausführungen zur Architektur der "Neues Jerusalem"-Kirche durch entsprechendes Bildmaterial unterstützt worden wären.

Nicht immer folgen konnte ich dem Autor bei seinen Bemerkungen zu Sanskrit-Wörtern. Bedeutet upaya (vom Autor - der Übernahme des Wortes ins Tamilische entsprechend? - als ubayam wiedergegeben) wirklich nur "List"? (131) Den üblichen Sanskrit-Wörterbüchern zufolge hat es eher die allgemeine Bedeutung von "(geschicktes) Mittel, Weg" etc. An welches Sanskrit-Wort ist bei yodina (133) gedacht? Ist Anjanam (149) Verschreibung für ajnanam? Handelt es sich bei dem Wort Jebam ("Gebet", 75 u. ö.) um japa? Überraschend ist schließlich auch die Herleitung der Grußformel "Namaskar" von namas-Hari (260), statt von namaskara (von der Wurzel kr.).

Gelegentliche Druckfehler sollten bei einer etwaigen Neuauflage beseitigt werden: Die Teile III und IV im zweiten Kapitel sind fälschlicherweise als II und III gezählt (vgl. VI, 92 und 154). Weitere Druckfehler z. B. auf den Seiten 107, 108, 118, 191, 195, 198, 225 A.298.

Diese Bemerkungen sollen freilich in keiner Weise die hohe Qualität der Arbeit in Frage stellen, für die dem Autor sehr zu danken ist. Sie stellt eine Fundgrube für alle weiteren Forschungen auf diesem Gebiet dar, zeichnet sich durch großes Verständnis für den untersuchten Gegenstand aus und leistet im Bereich von Quellensuche und Quellenforschung grundlegende Arbeit, die sich zukünftige Untersuchungen zunutze machen können.