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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1104–1106

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Hartmann, Wilfried, Schröder, Isolde, u. Gerhard Schmitz [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Konzilien der karolingischen Teilreiche 875–911. Unveränd. Nachdruck d. Ausgabe 2012.

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz Verlag 2014. XXIX, 736 S. = Monumenta Germaniae Historica: Concilia, 5. Lw. EUR 175,00. ISBN 978-3-447-10113-4.

Rezensent:

Lothar Vogel

Der nun vorliegende Band, der als Ertrag jahrzehntelanger Forschungsarbeit zu betrachten ist, schließt nach mehr als 100 Jahren das von den Monumenta Germaniae Historica getragene Editionsprojekt der merowingischen und karolingischen Synoden ab. Unter Auslassung reiner Diözesansynoden vereinigt er die schriftliche Überlieferung zu 60 sicher dokumentierten sowie im Anhang zu weiteren 23 historisch unsicheren Versammlungen aus den letzten Jahrzehnten der karolingischen Dynastie. Dabei entspricht es den Überlieferungsbedingungen frühmittelalterlicher Ge­schichtsquellen, dass diese Ausgabe keine bisher unbekannten Texte enthält, die Zusammenstellung der bisher nur disparat vorliegenden Quellen, ihre vollständige kritische Edition anhand des heute bekannten Hand- und Druckschriftenbestandes sowie eine präzise Analyse der benutzten Vorlagen jedoch einen bedeutsamen Fortschritt darstellen, welcher der Kirchengeschichtsschreibung der späten Karolingerzeit wesentliche Impulse zu verleihen vermag. Ferner entspricht es den Gewohnheiten der Monumenta-Editionen, dass die einleitenden Texte, wo notwendig, den Forschungsstand erläutern und gegebenenfalls ihrerseits Stellung beziehen.
Vom editorischen Gesichtspunkt ist die Arbeit an den Synoden von Fismes (881) und Tribur (895) besonders hervorzuheben. Was Fismes betrifft, so ist nun der Synodalbrief mit dem Schreiben des Erzbischofs Hinkmar von Reims an König Ludwig III. zusammengestellt. Gemeinsam ergeben diese Texte ein bemerkenswertes Dossier zur Verhältnisbestimmung von weltlicher und geistlicher Gewalt. Im Anschluss an die von Papst Gelasius I. entwickelte Unterscheidung beider Größen – bei Rückführung beider auf die Vereinigung von priesterlicher und königlicher Würde in Christus – behauptete Hinkmar eine Superiorität der geistlichen über die weltliche Gewalt. Operativ wirkte sich dies insofern aus, als er nach der von Ludwig III. annullierten Bischofswahl in Beauvais mit ka­nonistisch bestreitbaren Argumenten einen Übergang des Wahl­rechts auf ein bischöfliches Kollegium postulierte und dadurch im Anschluss an die Synode einen heftigen Konflikt auslöste. Theologisch interessant ist ein christologischer Seitenhieb des betagten Erzbischofs: Der König bzw. – wie Hinkmar selbst zugesteht – sein Kanzler hatte von zwei »Personen« (d. h. menschlicher und göttlicher Person) gesprochen, die im fleischgewordenen Gottessohn vereint seien; dagegen setzte er die dogmatisch korrekte Lehrform der Anhypostasie, d. h. Nicht-Personhaftigkeit, der menschlichen Natur.
Für die Triburer Versammlung hingegen, deren Quellenlage 1992 durch Rudolf Pokorny einer die bisherige Sicht tiefgreifend revidierenden Analyse unterzogen worden war, arbeitet die Edition den komplexen Stand der Überlieferung sorgfältig auf, bietet alle drei erhaltenen Versionen (die von Victor Krause in der Monumenta-Reihe »Capitularia« bevorzugte »Vulgata« sowie die Versionen von Châlons-en-Champagne und Dießen) und analysiert sie schließlich anhand einer Konkordanz. Die Bedeutung dieser Versammlung erschließt sich aufgrund der umfassenden und in der Folgezeit breit rezipierten Bestimmungen zur kirchlichen Disziplin, die auf ihr beschlossen wurden. Die Kanones enthalten unter anderem Bestimmungen zur Ehe und Enthaltsamkeit der Kleriker sowie zum Eherecht allgemein, darunter einen frühen Beleg für das Patenverhältnis als Ehehindernis, für den die römische Synode von 721 als Vorlage angegeben wird (Nr. 39 [261]). Hier ließe sich die römische Synode von 743 ergänzen – zumindest aus Sicht des Re­zensenten, der im Jahre 2000 vorgeschlagen hat, die Akten von 721 als aus denen von 743 abgeleitet zu betrachten (Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 63, 359–369).
Kulturgeschichtlich bemerkenswert sind auch einige mittel- und süditalienische Synoden, darunter die »Leichensynode«, auf der der bereits verstorbene Papst Formosus verurteilt wurde (896/ 897, Nr. 40, samt Rehabilitierung, Nr. 42), die in Rom erfolgte Ex­kommunikation des Erzbischofs von Neapel, der den Sarazenen Tribut zahlte (Nr. 16), sowie die in einer süditalienischen, genauer nicht lokalisierbaren Synode enthaltene Anerkennung eines Witwenstandes, dessen Aufgabe die Taufe von erwachsenen »Frauen« ( mulierum) war (Nr. 25 [242]). Deren Herkunft lässt sich wohl daraus ableiten, dass dieselbe Versammlung ausführliche Bestimmungen über die Beziehungen von Christen und Juden enthält. Über die Reproduktion der in der Kirchenrechtssammlung Vetus Gallica enthaltenen Bestimmungen (Verbot des Dienstes für jüdische Herren und der Mahlgemeinschaft) hinaus wurden Juden öffentliche Ämter untersagt; ferner verbot man christlichen Frauen die häuslich-eheliche Gemeinschaft mit Juden; ein solches consortium, welches als am – unbekannten – Tagungsort der Synode weitverbreitet bezeichnet wurde, stand nun als solches unter dem Verdikt des Ehebruchs (244 f.). Süditalien erweist sich damit als eine Zone, in der das lateinische Christentum zum Judentum und Islam in Beziehungen stand, die in der Lebenswirklichkeit keineswegs von purer Antithetik geprägt waren. – Bemerkt sei, dass zeitgleiche zentraleuropäische (Metz 893: Nr. 37 [311]) oder südgallische (Nr. 60 [569]) Synoden sich darauf be­schränkten, das Verbot der Tischgemeinschaft mit Juden hervorzuheben.