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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1101–1103

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Weyer-Menkhoff, Karl

Titel/Untertitel:

Die Ethik des Johannesevangeliums im sprachlichen Feld des Handelns. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik/Contexts and Norms of New Testament Ethics, V.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. XIV, 306 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament. 2. Reihe, 359. Kart. EUR 79,00. ISBN 978-3-16-152792-0.

Rezensent:

Anni Hentschel

Die Arbeit von Karl Weyer-Menkhoff über »Die Ethik des Johannesevangeliums im sprachlichen Feld des Handelns« ist eine bei Ruben Zimmermann erstellte Dissertation, die im Wintersemester 2012/13 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Univer-sität Mainz angenommen und für die Drucklegung leicht über-arbeitet wurde. Sie steht im Zusammenhang zahlreicher Forschungsprojekte und Tagungen zu den Begründungszusammenhängen frühchristlicher Ethik, deren Ergebnisse u. a. in mehreren Bänden über »Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik« veröffentlicht wurden und besonders die Forschung zur Ethik im Johannesevangelium mit Hilfe unterschiedlicher Methoden und innovativer Fragestellungen neu stimuliert haben. Der Vf. legt in seiner Studie den Fokus auf die Wortverwendung der griechischen Begriffe ἔργον und ἐργάζομαι, um zu untersuchen, wer im Joh auf welche Weise und in wessen Namen handelt und wie bzw. welche Taten in ethisch relevanter Weise reflektiert werden. Von Anfang an zeichnet er seine Fragestellung in den dogmatischen Diskurs um die Werkgerechtigkeit ein (1–6.39–41), der schließlich auch die Interpretation seiner exegetischen Beobachtungen bestimmt: »An keiner Stelle werden Forderungen, Prinzipien oder Werte genannt, die zu eigenmächtigem, menschlichem Handeln unter Absehung von Jesus anleiten würden« (261). Von den Leserinnen und Lesern werde erwartet, dass sie – wie Jesus – im Gehorsam den Willen Gottes befolgen und dabei ihren eigenen Willen verneinen und die Handlungshoheit bzw. Tatherrschaft abgeben (120 f.216 f.219 f.). Auch das Liebesgebot werde nicht deontologisch verstanden, sondern als responsives Verhalten, das im vorgängigen Verhalten Jesu gründe (261). Die Responsivität sieht der Vf. in der Annahme oder Nicht-Annahme des Logos, so dass jedes menschliche Handeln als eine Antwort auf die Inkarnation verstanden wird (261). Durch diese Bewertung bekommt das Handeln des Menschen jedoch eine eminent heilsrelevante Dimension, welcher der Vf. dadurch begegnet, dass nach Joh bereits die Wahrnehmung des Logos eine entsprechende Antwort hervorbringe: »Aufgrund der ästhetischen Fundierung ist das Antworten nicht vollständig der bewussten Entscheidung überlassen, sondern geschieht zum Teil unwillkürlich« (257). Wie man sich ein unwillkürliches Entscheiden jedoch vorstellen kann, bleibt offen.
Im Teil A seiner Arbeit befasst sich der Vf. mit der Forschungsgeschichte (7–29) und hermeneutisch-methodischen Fragestellungen (31–66). Zunächst werden die unveröffentlichten und deshalb wenig rezipierten Gesamtentwürfe zur johanneischen Ethik von Hans-Joachim Wachs (1952) und Werner Wittenberger (1970) vorgestellt (10–15). Danach werden der ethische Stellenwert der Liebe (15–19), die Strukturen johanneischer Ethik (19–23) und die Ethik als Erzählung (23–29) reflektiert, wobei jeweils unterschiedliche Zugänge zur johanneischen Ethik kurz dargestellt werden. Im ausführlicheren zweiten Kapitel thematisiert der Vf. den hermeneutisch-dogmatischen Horizont zu einer Ethik des Joh unter besonderer Berücksichtigung von Rudolf Bultmann (vor allem 34 ff.). Ausgehend von den verschiedenen, von Karen Joisten unterschiedenen Definitionsmöglichkeiten einer narrativen Ethik sieht der Vf. im Joh eine narrative Ethik, welche in der Gattung der Erzählung ethische Zusammenhänge entfalte (42 f.), und in seiner eigenen Studie eine narrative Ethik, welche narrativ hergestellte ethische Zusammenhänge kritisch untersuche (43). Im Anschluss an Differenzierungen von Marco Hofheinz sieht er die narrative Ethik des Joh als Alternative zu einer Prinzipienethik (44). Von narratologischen Fragestellungen und Methoden distanziert er sich jedoch (51). Mit Johannes Fischer und Hans G. Ulrich bringt der Vf. zwei systematische Theologen ins Gespräch, die jeweils ein auf das Handeln des Menschen konzentriertes Ethikverständnis kritisieren und ein beachtliches heuristisches Potential enthalten, um die Frage nach der Ethik des Joh auf ein breiteres Fundament zu stellen (45–49). Als eigenes Erkenntnisinteresse formuliert der Vf. schließlich, wie Joh menschliches Handeln darstellt und welchen Sinn es dabei erhält (49). Methodisch entscheidet sich der Vf. für eine se­mantisch-syntagmatische Vorgehensweise zur johanneischen Verwendung der griechischen Begriffe ἔργον und ἐργάζομαι (53–56).
Im Hauptteil der Arbeit wird das sprachliche Feld des Handelns untersucht, wobei der Vf. »Formen des Handelns« (Kapitel III: 69–123), »Horizonte des Handelns« (Kapitel IV: 125–184) und »Modi des Handelns« (Kapitel V: 185–249) unterscheidet. Kapitel III bietet eine sorgfältige, durch viele Tabellen anschauliche und gut nachvollziehbare Exegese aller Belege der griechischen Begriffe ἔργον und ἐργάζομαι im Joh, wobei vor allem nach den Subjekten unterschieden und zugleich deren gegebenenfalls erkennbare Zuordnung berücksichtigt wird. In einem Exkurs finden sich traditionsgeschichtliche Hintergründe zu einem normativen Verständnis von Werken (104–107). Neben vielen interessanten Details ist die Beobachtung festzuhalten, dass nach Joh die Werke Gottes nicht nur von Jesus Christus, sondern auch von den Menschen getan werden (76). Die Einheit zwischen Gott und Jesus ereigne sich im Handeln: »Ohne ἔργα, das heißt ohne Handlungen, würde Gott nicht ›in Jesus wohnen‹ (Joh 14,10), und ohne dieses Ineinanders [sic!] könnte Jesus die ›Taten‹ nicht tun, die er tut (Joh 10,37f, 14,11 vgl. 15,24).« (121 f.) Wie der Vater den Sohn, so lässt Jesus die Menschen an seinem Handeln teilnehmen, allerdings sind deren Handlungen dem Vf. zufolge »keine autonome menschliche Leistung«, denn der Mensch ist »nicht länger Täter seiner ›Taten‹«, sondern »Teilnehmer der göttlichen ›Taten‹« (123). Im vierten Kapitel behandelt der Vf. als »Horizonte des Handelns« die johanneischen Zeichen, die zu den Zeichen des Mose in Kontrast gesetzt werden, da Mose im Auftrag Gottes als dessen »Instrument« handele, während Jesus sich durch sein Handeln in den Zeichen selbst als Gott erweise (140 f.). Im Hinblick auf den jüdischen Nomos stellt der Vf. im Joh einerseits eine ethische Abwertung des Gesetzes fest, andererseits eine Aufwertung der Schrift, welche die Geschichte Jesu erzähle und durch das so entworfene Wirklichkeitsverständnis den Raum zeige, in dem zu handeln sei (162 f.). Als weiteren Aspekt thematisiert der Vf. die göttliche Doxa, die vom Joh der menschlichen Doxa gegenübergestellt werde, so dass hier eine Wahlmöglichkeit vorausgesetzt sei und von den Menschen erwartet werde, dass sie sich für die göttliche Doxa als Handlungsziel entscheiden (184). In Kapitel V wird nach den »Modi des Handelns« gefragt, indem die johanneische Darstellung der Art und Weise des Handelns genauer untersucht wird. Die »Responsivität des Handelns« zeige sich grundlegend im Verhältnis zum Logos, durch dessen Inkarnation dem menschlichen Handeln die »Binarität von Annahme und Nicht-Annahme« innewohne (186 f.). Das vollmächtige »Handeln in Stellvertretung« gelte vor allem für Jesus selbst, während die Jünger nur aufgefordert werden, im Namen Jesu zu bitten und so an dessen Sendung teilzuhaben, ohne dabei jedoch eigenmächtig oder selbständig zu handeln (213 f.). Das Handeln werde nach Joh grundlegend als »Einwilligung in den Gotteswillen« (214–227) und als »Handeln in Liebe« beschrieben (227–249).
Teil C bietet einen »Ausblick«, in dem die wichtigsten Ergebnisse zusammengefasst und »Umrisse einer Ethik des Johannesevangeliums« skizziert werden (251–262). Literaturverzeichnis, Stellenregister, Autorenregister und knappes Sachregister schließen die Studie ab.
Die Untersuchung des semantischen Feldes des Handelns im Joh ergibt interessante Einzelbeobachtungen, die sich – was gerade bei der besonderen Erzählweise des Joh wenig überrascht – nicht immer systematisieren lassen. Wenn der Vf. sich bei seinem eigenen methodischen Zugriff nicht zu schnell in unnötiger Weise von narratologischen Fragestellungen und Methoden distanziert hätte (52 f.), ohne deren Berücksichtigung man m. E. nicht sinnvoll von einer narrativen Ethik sprechen kann, hätte er diese Ergebnisse gerade in ihrer Vielfalt eher würdigen und für eine theologische Ethik fruchtbar machen können. Indem er seine Studie in den dogmatischen Horizont der Werkgerechtigkeit einzeichnet, bestimmen deren Parameter stets auch die Wahrnehmung und Interpretation der johanneischen Texte. Einerseits spricht der Vf. mit Otto Schwankl von einer »›ergopraktischen‹ Anthropologie«, andererseits betont er einschränkend, die guten Taten nach dem Joh »beinhalten ein nicht-aktives Element, das den Verdacht der Werkgerechtigkeit ins Leere laufen lässt« (111). Die Studie stellt jedoch eindrücklich heraus, wie im Joh über die Vorstellung des Handelns Gott, Jesus und die Menschen miteinander verbunden werden. »Dank der ἔργα ist also der Vater in Jesus und Jesus im Vater (Joh 10,37 f.; 14,10–12). […] Wie der Vater Jesus an seinen ἔργα teilnehmen lässt, lässt Jesus seine Schüler an seinen ἔργα teilnehmen (Joh 14,12). Wie der Vater im Tun Jesu Präsenz gewinnt, gewinnt Jesus im Tun seiner Schüler Präsenz« (123). Die ethische Relevanz dieser Beobachtungen zum sprachlichen Feld des Handelns im Joh sollte bei weiteren Untersuchungen der johanneischen Ethik, aber auch bei der Vorstellung von der johanneischen Nachfolgemeinschaft, der das Liebesgebot anvertraut wird, unbedingt Beachtung finden.