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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1093–1095

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Jipp, Joshua W.

Titel/Untertitel:

Divine Visitations and Hospitality to Strangers in Luke-Acts. An Interpretation of the Malta Episode in Acts 28:1–10.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2013. 335 S. = Novum Testamentum Supplements, 153. Geb. EUR 128,00. ISBN 978-90-04-25582-1.

Rezensent:

Jürgen Wehnert

Bei dieser Untersuchung von Joshua W. Jipp handelt es sich um eine für den Druck leicht überarbeitete Dissertation von 2012, die unter der Ägide von Luke Timothy Johnson, einem prominenten Kritiker historisch-kritischer Exegese, an der Emory University (Atlanta, GA) entstand.
Die schmale Themenstellung des umfangreichen Bandes be­gründet J. damit, dass der Abschnitt 28,1–10 zu den »few under-interpreted passages« der Apg gehöre (1). Unterschätzt worden seien bisher die Bedeutung der Episode als »penultimate scene of Acts« und vor allem, »the extent to which this text operates according to the cultural script of hospitality to strangers, and more specifically theoxenies« (2). Tatsächlich kreist J.s Auslegung von Apg 28,1–10 vor allem um diese beiden Aspekte – historische, form- oder literarkritische Fragestellungen werden ausdrücklich nicht behandelt (3 f.27 f.).
Ohne methodische Vorüberlegungen unternimmt J. sogleich einen ersten Textdurchgang (4–22) und greift Elemente heraus, die sein Interesse finden (die Rolle des Paulus, das Verhältnis zwischen Malta- und Rom-Episode, die Barbaren, die Gastfreundschaft ge­genüber Fremden). Anschließend benennt er als Ziel seiner Arbeit »to present a coherent interpretation of the passage which can explain the diverse elements of the text« (22, vgl. 24). Wichtig ist ihm deshalb die literarische Struktur von Apg 28,1–10: Es handele sich um eine »distinct episode« (37), die drei Szenen umfasse: a) den Empfang des Paulus durch die »Barbaren«, b) die Epiphanie seiner Göttlichkeit (Schlangenwunder), c) den Aufbau freundschaftlicher Strukturen zwischen ihm und den Insulanern. »The alternation between first person (vv. 1–2 and 7–10) and third person (vv. 3–6) narrative description« unterstütze die Einheit der Episode (38).
Aus dieser subjektiven Sammlung und Deutung von Einzelbefunden ergibt sich bereits auf S. 24 f. die These der Arbeit: Bei Apg 28,1–10 handele es sich um eine Theoxenie (den Part des Gottes übernehme Paulus als »emissary of God«), für die drei Elemente charakteristisch seien: die Gastfreundschaft gegenüber dem in seiner Göttlichkeit unkenntlichen Gast (V. 1 f.), die Offenbarung der göttlichen Identität des Gastes (V. 3–6), die Belohnung des Gastgebers durch den Gast (V. 7–10). Pointe dieser These ist: »it may be«, dass Lukas die dritte Szene »as a symbolic account of the salvation and inclusion of the pagans into the people of God« verstanden wissen wollte. Wie zu erwarten steht, entspricht diese Annahme dem Resultat der Arbeit (256–270), dessen Evidenz die übrigen Kapitel absichern wollen.
J.s Argumentation ist insgesamt problematisch, weil er seine Deutung in den Text eintragen muss. In V. 1 f. zeigen die Malteser keineswegs »immediate hospitality to the stranger Paul« (24) – von Paulus ist dort gar keine Rede, sondern die 276 (27,37) geretteten Schiffsinsassen werden zu einem Lagerfeuer geführt. In V. 4–6 offenbart Paulus nicht seine göttliche Identität, sondern die Malteser halten ihnen für »einen Gott« – eine Fehlinterpretation, wie die Acta-Leser seit 14,11–18 wissen. Lukas macht sich die Meinung dieser Leute nicht zu eigen (gegen J., 24 f.) und bricht die Szene abrupt ab. Von der Göttlichkeit des Paulus (die J. unangemessen herausstreicht) ist hinfort keine Rede mehr. V. 7–10 haben gewiss etwas mit dem reziproken Verhältnis zwischen dem Wundertäter Paulus und den geheilten Maltesern zu tun, sind aber kaum geeignet, die von J., zugunsten seiner These, über den Schellenkönig gelobte Gastfreundlichkeit der maltesischen Barbaren (264–266 u.ö.), zu substanziieren. Kein Wort verliert J. über den Widerspruch zwischen der dreitägigen Aufnahme des Paulus bei Publius (28,7) und seinem dreimonatigem Aufenthalt auf der Insel (28,11), der auf eine ca. 87-tägige Lücke in der maltesischen Gastfreundschaft hinausläuft. Eine nüchterne Betrachtung ergibt daher, dass Lukas in 28,1–10 keine Theoxenie gestaltet – mit einem »Gott« geht man wohl anders um –, sondern in V. 3–6 und 7–8 zwei Paulus-Traditionen verarbeitet, die ursprünglich nichts miteinander zu tun haben.
Dass Paulus auf Malta weder predigt (nach dem lukanischen Bericht sagt er kein Wort) noch eine Gemeinde gründet (49–53), gibt wenig Anlass zu J.s Spitzenthese, dass 28,1–10 im Rahmen der Apg »the final and climactic successful episode of the manifestation of the salvific divine visitation in new Gentile territory« darstelle (270) und folglich das positive Gegenstück zur vergeblichen Christusverkündigung des Paulus bei den römischen Juden (271–287). Den Hauptteil der Arbeit füllt daher J.s aufwändiger Versuch, seine These auf einem Umweg glaubhaft zu machen. Sein Argument besteht, kurz gefasst, darin, dass Lukas bei seiner Leserschaft das Wissen um ein »cultural script of hospitality to strangers« voraussetze (59 u. v. ö.). Dieses »Skript« sei von Homer, dem Lehrer Griechenlands, etabliert (60) und dann in der griechisch-römischen und antik-jüdischen Literatur (einschließlich der Bibel) bis ins lukanische Doppelwerk hinein fortgeschrieben worden (59–252). Da Apg 28,1–10 Teil dieses »Skriptes« sei, könne die Leserschaft den tatsächlichen Umfang der in den Theoxenien zwischen Gastgeber und Gast reziprok gewährten Wohltaten aus dem Gesamtskript in den lukanischen Text eintragen.
Auch diese Argumentation verdient Skepsis. Was J. unter einem »kulturellen Skript« versteht, bleibt ohne Erklärung. Meint der Begriff die Wissensstruktur über eine zu erwartende Abfolge von Ereignissen, die sich dem Individuum durch seine kulturelle Prägung einschreibt und ihm ein angemessenes Verhalten ermöglicht, liegt auf der Hand, dass seine Übertragung auf literarische Phänomene problematisch ist. Wo sich antike Texte mit Gastfreundschaft gegenüber Fremden befassen, handelt es sich um einen Topos, der sich aus dem realen »script« speist, aber speziell in der mythologischen Form der Theoxenie die alltägliche kulturelle Praxis hinter sich lässt. Dass antike Leser aufgrund ihrer Kenntnis von Theoxenien die Malta-Episode semantisch spontan auffüllen und erkennen konnten, dass sie zeige, wie Gott die Malteser zu einem Teil seines Volkes macht (25), geht wesentlich zu weit. Lukas schreibt in Apg 28,1–10 an den von ihm benutzten Traditionen entlang: Trotz seiner Charismen konnte der römische Gefangene Paulus auf Malta nicht missionarisch tätig werden – mit diesem bescheidenen Befund wird sich der Leser, damals wie heute, begnügen müssen.
Das Buch beschließen eine »Bibliography« (289–308), in der die benutzten Textausgaben, sofern überhaupt nachgewiesen, nur mit Mühe aufzufinden sind (Josephus etwa findet man unter »Feldman, Louis H.«), sowie Sach-, Stellen- und Autorenindizes (309–335). Das Stellenregister (»Ancient Author Index«, 311–329) ist sorglos erarbeitet: Es beginnt mit einer Zwischenüberschrift »Non-Biblical Authors«, der keine weiteren folgen. Zunächst werden Autoren aller Art mit ihren Werken in alphabetischer Reihenfolge genannt. An Xenophon schließen sich, als handele es sich um weitere Werke dieses Autors, antik-jüdische und rabbinische Schriften an, daran die alt- und neutestamentlichen Bücher, am Ende stehen, als seien es neutestamentliche Bücher, die alttestamentlichen Apopkryphen. Von Xenophon, um diesen herauszugreifen, nennt J. nacheinander Belege aus den Werken »An Ephesian Tale«, »Cyropaedia« und »Education of Cyrus« (319), kann also weder die beiden letzten Werke identifizieren, noch hier Xenophon von Athen vom gleichnamigen ephesinischen Romanautor unterscheiden. Dessen »Ephesiaka« nennt J. am Ende der Xenophon-Werke ein zweites Mal unter dem Titel »The Ephesians« – mit einem Seitenverweis, der ins Leere führt.
J.s Arbeit ist aufgrund ihrer methodischen Schwächen kaum geeignet, die Interpretation der Malta-Episode auf eine neue Grundlage zu stellen. Ihr Gewinn liegt in der umfangreichen Sammlung antiker literarischer Belege zum Thema der gastfreundlichen Aufnahme von Fremden, die den Großteil des Buches ausmacht und ganz unabhängig von J.s Deutung der Malta-Episode benutzt werden kann.