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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1091–1093

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Amerini, Fabrizio [Ed.]

Titel/Untertitel:

»In principio erat Verbum«. Philosophy and Theology in the Commentaries on the Gospel of John (II–XIV Centuries).

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2014. XII, 275 S. = Archa Verbi. Subsidia, 11. Geb. EUR 59,00. ISBN 978-3-402-10226-8.

Rezensent:

Felix Albrecht

Der Sammelband geht auf die internationale Tagung »In principio erat Verbum … Philosophy and Theology in the Commentaries on the Gospel of John (II–XIV centuries)« zurück, die im Dezember 2011 an der Universität Parma abgehalten wurde. Organisator und Bandherausgeber ist Fabrizio Amerini, Ordinarius für mittelalterliche Philosophiegeschichte. Die insgesamt 15 Beiträge sind auf Englisch, Italienisch und Französisch verfasst, jeweils mit einer Bibliographie versehen und durch ein Namenregister erschlossen. Das übergreifende Thema des Bandes ist die Rezeptionsgeschichte des Johannesevangeliums und seines Prologs. Vier Beiträge widmen sich der Spätantike vom 2. bis 4. Jh., ein Beitrag behandelt die Augustinrezeption bei Johannes Scotus Eriugena (9. Jh.), die übrigen zehn Beiträge befassen sich mit Autoren des 12.–14. Jh.s.
Die Spätantike findet nur in Auswahl Berücksichtigung: Größen wie Irenäus von Lyon, Kyrill von Alexandrien, Johannes Chrysostomus mit seinen Homilien oder auch Isho’dad von Merv bleiben weitestgehend unerwähnt. Die Beiträge beschränken sich auf Origenes (Domenico Devoti, Domenico Pazzini), Theodor von Mopsuestia (Giovanni Salmeri) und Augustin (Franco de Capitani, Armando Bisogno). Der unverkennbare Schwerpunkt liegt demgegenüber auf der mittelalterlichen Rezeptionsgeschichte:
Alexander Andrée: »Trinitarian Theology in Commentaries on the Fourth Gospel from the School of Laon« (93–110) liefert einen höchst lesenswerten Beitrag, der die Johannesexegese der Schule von Laon beleuchtet, in der die bedeutende Glossa Ordinaria und die Glosae super Iohannem entstanden, die A. im Hinblick auf ihre Trinitätstheologie unter der Fragestellung, welchen Einfluss der zeitgenössische philosophische Diskurs auf die theologische Hermeneutik ausübte, untersucht. Dabei gelangt A. zu dem Ergebnis, dass die Schule von Laon ein pädagogisches Interesse vertrat, das primär darauf abzielte, die theologische Lehre in ihrer überlieferten Form zu vermitteln denn durch Neuerungen auf sie einzuwirken (vgl. 106). So zeigt A., dass die Glossa eine konservative theologische Ausrichtung aufweist. Im Bereich der Glossa-Forschung hat sich A. besonders verdient gemacht: 2014 ist seine Edition der Glosae super Iohannem erschienen (CCCM 267), weitere Arbeiten sind in Aussicht gestellt. Mit der Glossa Ordinaria zum Johannesprolog und ihrer weiteren Wirkungsgeschichte ist sodann Mark J. Clark befasst: »The Fortuna of the Prologue to the Gospel of John in Four Important, Twelfth-Century Texts: the Glossed John, Peter Comes­tor’s lectures on the Glossed John, Comestor’s Historia scholastica, and Langton’s Course on the History« (111–128).
Abigail Ann Young bietet mit »Rupert of Deutz, John, and Mo­ses« (129–141) einen kurzen, aber anregenden Beitrag, der den »essentially Jewish character« (130) des Johannesevangeliums un­terstreicht. Ihr Ausgangspunkt ist Thomas F. Glassons Studie »Moses in the Fourth Gospel« (London 1963), die den Einfluss des Pentateuchs auf das vierte Evangelium herausstellt. Y. weist nach, dass sich diese Beobachtung schon bei Rupert findet, und kommt zu dem Schluss, dass eine Kenntnis der mittelalterlichen Exegese für den modernen Exegeten durchaus von Nutzen sei (vgl. 140). Bedauerlicherweise zeigt Y. selbst kein Interesse an der modernen Exegese; wie erklärt es sich sonst, dass sie den neutestamentlichen Forschungsdiskurs der vergangenen 50 Jahre schlechterdings übergeht? Marta Cristiani stellt schließlich Hildegard von Bingens Hermeneutik des Johannesprologs dar: »Ildegarda di Bingen e l’ermeneutica del Prologo« (143–158). C. wertet dazu Hildegards Auslegung auf Grundlage ihrer drei Schriften Liber scivias Domini, Liber vitae meritorum und Liber divinorum operum aus.
Julie Casteigt analysiert die Auslegung zu Joh 1,6–8 bei Albertus Magnus und Meister Eckhart: »Quelques propositions synthé-tiques pour une lecture des interprétations albertienne et eckhartienne de Jn. 1,6–8« (159–176). Ihr Fokus liegt auf der Fragestellung, wie beide Autoren die Zeugenschaft Johannes des Täufers interpretieren und welchen Stellenwert sie ihr beimessen. Warum C. bei den umfangreichen lateinischen Zitaten aus dem Werk des Albertus Magnus, die sie in den Fußnoten ihres Aufsatzes anbringt, die unwichtigen variae lectiones in Klammern gesetzt in die Zitate einträgt (Fn. 23, 25, 33), bleibt dem Rezensenten allerdings schleierhaft. Mit Meister Eckhart befasst sich auch der Beitrag von Alessandro Palazzo: »Philosophical meanings of lux (Jo. 1,4–5, 1,9) in Eckhart’s Commentary on the Gospel of John« (247–270). Graziano Perillo: »La nozione di Verbum nell’esegesi a In principio erat Verbum nella Lectura super Iohannem di Tommaso d’Aquino« (177–198) liefert einen lesenswerten Beitrag zu Thomas von Aquin. Timothy Bellamah: »Authorship and Authorial Intention in William of Altona’s Postilla Super Iohannem« (199–214), behandelt Wilhelm von Altona, der 1259 Nachfolger des Thomas von Aquin auf dem Dominikanerlehrstuhl in Paris wurde. Nachdem B. bereits eine Studie zur Bibel-exegese Wihelms von Altona vorgelegt hat (New York 2011), plant er nun die Edition des Johanneskommentars.
Christian Rode: »Peter of John Olivi’s Theory of the Verbum in Comparison with William of Ockham’s Intellectio-Theory« (215–228) untersucht u. a. den Tractatus de verbo des Franziskaners Pe­trus Johannis Olivi im Verhältnis zu den nominalistischen Konzeptionen Wilhelm von Ockhams. Dabei fußt R. auf den Arbeiten Claude Panaccios (Le Discours intérieur, Paris 1999) und charakte-risiert Olivi als einen Vordenker Wilhelm von Ockhams. William O. Duba: »The Man in the Middle: Peter Auriol’s Syllogistic Commentaries on the Gospel of John« (229–246) untersucht die Johanneskommentierung des Petrus Aureoli. D. ist Mitglied des Forscherteams, das Aureolis Werk editorisch erschließen möchte (www.peterauriol.net). In seinem Beitrag diskutiert D. die Stellung der von Stegmüller entdeckten und in einer einzigen Handschrift bezeugten Expositio Evangelii Johannis (F. Stegmüller, Ein neuer Johanneskommentar des Petrus Aureoli, in: FS 33 [1951], 207–219). Er geht der Frage nach, ob der Kommentar dem Frühwerk Aureolis zuzuschreiben (vgl. 244 f.) oder seine Verfasserschaft anzuzweifeln ist (245). Letzteres liege aufgrund des Explicits der Handschrift nahe, das eine Zuschreibung an einen Magister Werner biete (vgl. 231 f.). Dies ist eine wichtige Beobachtung, und D. konstatiert, dass Stegmüller dieses Problem übergeht (232). Wer nun denkt, D. würde dieser Fährte folgen, wird enttäuscht. Am Ende des Artikels bemerkt er lediglich: »A detailed analysis of the Uppsala manuscript might help resolve the issue« (245). Hier bleibt zu wünschen, dass D. diese Problematik künftig erneut aufgreift.
Thematisch stehen der Prolog des Johannesevangeliums und seine mittelalterliche Rezeptionsgeschichte im Fokus dieses Sammelbandes. Allen voran sind die patristischen Beiträge eher belas-tend denn bereichernd für den vornehmlich mediävistisch ausgerichteten Band, insofern sie die spätantike Tradition nur unvollkommen erschließen und die Bezüge zwischen der spätantiken und der mittelalterlichen Kommentierung – abgesehen von Bisognos Beitrag und einem kurzen Hinweis bei Perillo zur Chrysostomosrezeption des Burgundio von Pisa (177) – vernachlässigen. Die häufigen Satzfehler im Griechischen (26.99.148 passim) hätten sicher vermieden werden können; gleichwohl hat Fabrizio Amerini insgesamt einen schönen Band vorgelegt, der manch lesenswerten Beitrag enthält.