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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1086–1088

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Leene, Henk

Titel/Untertitel:

Newness in Old Testament Prophecy. An Intertextual Study.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2014. XIV, 386 S. = Oudtestamentische Studiën, 64. Geb. EUR 139,00. ISBN 978-90-04-26308-6.

Rezensent:

Uta Schmidt

Henk Leenes Studie über »Newness in Old Testament« beginnt mit einer interessanten Beobachtung: »The word ›new‹ appears more frequently in studies on prophetic eschatology than in the texts on which the studies were based.« (1), weshalb der Vf. vom Textbefund ausgeht und fast alle Vorkommen des Wortes »neu« (ׁשׁדח) in prophetischen Texten sowie ausgewählten Psalmen untersucht: Das »neue Lied« in den JHWH-König-Psalmen (Ps 96,1; 98,1), das von JHWH angekündigte und erschaffene »Neue« in Dtjes (Jes 41,15; 42,9.10; 43,19; 48,6), »neuer Himmel« und »neue Erde« in Ttjes (Jes 65,17), »neues Herz« und »neuer Geist« bei Ez (Ez 11,19; 18,31; 36,26) und der »neue Bund« bei Jer (Jer 31,22.31). Der Vf. vertritt die These, dass diese Texte über die begriffliche Überschneidung hinaus in einem theologischen Zusammenhang stehen (3).
Zentral im Vorgehen ist des Vf.s Konzept der Intertextualität (Kapitel I), basierend auf der Grundannahme, dass, in Abwandlung von Gadamer, jeder Text eine Antwort auf die Frage eines anderen Textes sei (7). Diese Frage-Antwort-Strukturen äußern sich in intertextuellen Verknüpfungen, welche je nach Perspektive durch »Anleihen« (borrowing) oder »Anspielungen« (allusions) »Berührungspunkte« (points of connection) zwischen den Texten schaffen. Vor diesem theoretischen Hintergrund präzisiert der Vf. sein Ziel: »to describe the literary relations between texts dealing with newness in the prophetic tradition in order to understand their relationship as the realisation of an intertextual dialogue.« (8)
Die Untersuchung der Texte ist einheitlich aufgebaut: synchrone Analyse der Textstellen, Diskussion des weiteren literarischen Zusammenhangs, diachrone Betrachtung, Diskussion einzelner inhaltlicher Fragen, vor allem nach Eschatologie oder Apokalyptik, die der Vf. aufgrund der Auslegungsgeschichte für unumgänglich, wenn auch problematisch hält.
Die JHWH-König-Psalmen (Kapitel 2.1) wählt der Vf. wegen ihrer Nähe zu prophetischen Texten und besonders zu Dtjes aus. Die Psalmen 96 und 98 als Teil der Gesamtkomposition von 93–100 halten im »neuen Lied« JHWHs Erscheinen als König als Tatsache fest, die von der Schöpfung an Bestand hat und zugleich in der Geschichte greifbar wird (39), und verbinden somit zwei alttestamentliche Konzepte des JHWH-Königtums. Den historischen Haftpunkt der Befreiungserfahrung in beiden Psalmen sieht der Vf. in der Errichtung des zweiten Tempels (28), »the long expected breaking of Yhwh’s royal incognito« (42), womit für die Texte im Kontext der Sammlung sowie für alle weiteren dieser Studie ein terminus ad quem gegeben ist.
Die Behandlung der Dtjes-Texte (Kapitel 2.2) baut auf den Er­gebnissen des Vf.s von 1987 in »De vroegere en de nieuwe dingen bij Deuterojesaja« auf, wo er bereits ein sich wiederholendes Mus­ter von Gegensatzpaaren für Jes 40–48 beschrieben hatte: eine Entwicklung, in der Erstes (Israels Geschichte mit JHWH; s. Abraham) vs. Letztes (JHWHs Eingreifen in Israels Geschichte durch Kyros) von Erstem versus Kommenden und schließlich von Erstem versus Neuem abgelöst werden (46). Dieses »Neue« ist in Jes 40–48 die angemessene menschliche Antwort auf den Erweis der Göttlichkeit Gottes in der Geschichte, bis hin zu ihrem Anfang in der Schöpfung.
Von den Psalmen über Dtjes entwickelt der Vf. die kosmisch-universale Linie weiter zu Ttjes (Kapitel 2.3): Während das Neue, das Kommen Gottes als König und die damit verbundene Befreiung und Rettung im Kult (Ps 96; 98) noch unmittelbar erfahrbar sind, macht die Rede vom Neuen in den Dtjes-Texten zwar Anleihen in den JHWH-König-Psalmen, nimmt diese aber aus ihrem liturgischen Kontext. Die Erfahrbarkeit wird nun durch die dramatische Darstellung des Geschehens im Text ermöglicht, wodurch das Gesagte in die individuelle Frömmigkeit übertragen wird. Damit bricht ein Konflikt zwischen der tatsächlichen Erfahrung der Gottesfürchtigen und dem im Text bereits präsentisch erlebbaren eschatologischen Geschehen auf, ein »ethisch-religiöser Dualismus« (145). Diese Spannung wird in Jes 65 mit Anleihen aus vorausgehenden Texten durch den neuen Himmel und die neue Erde in eine Abfolge von Erstem und Neuem aufgelöst, die bereits apokalyptische Züge trägt.
Mit der Behandlung von Ez und Jer setzt der Vf. an einer zweiten, anthropologischen Linie an (Kapitel III). In Ez 18,31 werden das »neue Herz« und der »neue Geist« eingeführt (Kapitel 3.1), hier als Aufforderung zur Verhaltensänderung. Wie dies möglich sei (s. Ez 20), wird in Ez 36 mit der Zusage, dass neues Herz und neuer Geist von Gott selbst kommen und mit Gottes Geist verbunden sind, beantwortet. Die Verbindung dieser Gaben mit dem Halten der Ordnungen und Rechtsbestimmungen in Ez 11 baut darauf auf. Die Botschaft vom »Neuen« in Ez befreit von alter Schuld und Geschichte und wirkt individualisierend im Hinblick auf die Gottesbeziehung.
Diese anthropologische Linie führt der Vf. von Ez aus in Jer 30 f. weiter (Kapitel 3.2). Die Zusage des neuen Bundes in Jer 31 bietet Antwort auf die Frage, wie eine Beziehung von JHWH und Israel aussehen könnte, die nicht mehr von kollektiver Verurteilung be­droht ist. Die individuelle Gottesbeziehung wird jetzt zum Muster für alles religiöse Leben in Israel, da der neue Bund nicht mehr kollektiv gebrochen werden kann.
Die Verbindung der Linien zeigt der Vf. nun in der Komposition von Jer 30 f. auf: Eine Rahmung in Prosa, die ein konkretes Szenario bietet (Jer 30,1–4; 31,27–30), erinnert an die dramatischen Texte in Dtjes, die den lesenden Nachvollzug ermöglichen. Im darin eingebetteten poetischen Abschnitt (Jer 30,5–31,26) werden die Adressatinnen und Adressaten mit einem »Restitutionsprogramm« (215) direkt angesprochen, das ähnlich wie die Texte in Ez jederzeit aktualisierbar ist. Jer tritt so in einen Dialog mit dem Ez-Konzept vom »neuen Herz«, das begründet durch Dtn-Einfluss nicht mehr neu, sondern verwandelt wird, so dass das daraus erwachsende »Neue« nun der Bund ist – eine Bestimmung, die auf die Unterscheidung von Erstem und Neuem in Dtjes aufbaut.
In Kapitel IV diskutiert der Vf. abschließend die Verhältnisbestimmung der beiden Linien im Rahmen seiner diachron orientierten Intertextualität und kommt zu dem Ergebnis, dass Jer 31 Konzepte aus Ez wie aus Dtjes aufnimmt und dadurch zwischen Pentateuch und Prophetie vermittelt (dieser Bezug zum Pentateuch kommt in der Studie sehr spät und weniger überzeugend als andere Teile der Argumentation). Was als Studie eines Begriffs in verschiedenen prophetischen Texten beginnt, entpuppt sich als ein bücherübergreifender Entwurf der historischen und theologischen Entwicklung prophetischer Konzepte am Begriff des »Neuen«. Mit einer ausführlichen Zusammenfassung (Kapitel V) sowie einem Stellen- und Autoren-/Autorinnenregister schließt das Buch.
Der Vf. entwickelt in seiner Untersuchung eine komplexe Theorie des »Neuen« in den prophetischen Texten, der man anmerkt, dass er sich über einen langen Zeitraum damit beschäftigt hat. Das macht das Buch sehr vielseitig, allerdings nicht immer leicht zu lesen. Eine stärkere Zuspitzung auf das Thema »Neues« hätte die Argumentation vermutlich konturierter zutage treten lassen, doch wäre damit auch einiges Lesenswerte weggefallen. Bemerkenswert ist, wie der Vf. synchrone und diachrone Analyse unter dem Stichwort Intertextualität methodisch reflektiert durchführt. Ob allerdings tatsächlich jede Intertextualität für das Alte Testament nur diachron orientiert sein kann (323), sei noch dahingestellt. Interessant wäre zu überlegen, warum das Wort »neu« so selten gebraucht wird, und verbunden damit, inwieweit eine Textauswahl vor allem nach semantischen Gesichtspunkten das Phänomen erfasst. Der Weg von theologischer Rede über das »Neue« in der Prophetie zurück zu den Texten und erneut zur Entwicklung theologischer Konzepte ist auf alle Fälle lesenswert.