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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1084–1086

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hulster, Izaak J. de, and Joel M. LeMon [Eds.]

Titel/Untertitel:

Image, Text, Exegesis. Iconographic Interpretation and the Hebrew Bible.

Verlag:

London u. a.: Bloomsbury T & T Clark 2014. 336 S. = The Library of Hebrew Bible/Old Testament Studies. Geb. £ 70,00. ISBN 978-0-567-16813-9.

Rezensent:

Florian Lippke

Dieser ikonographisch-exegetische Sammelband stellt einen ge­wichtigen Schritt für die bildliche Erschließung der biblischen Welt dar. Die Publikation beinhaltet zwölf Aufsätze (1–284), Einleitung, Abkürzungsliste, Verzeichnis der Beitragenden, Bibelstellen- und Personenregister sowie einen Appendix. In ihrer Einleitung weisen die Herausgeber auf das Interpretationsgefüge (interpretive nexus) von Text und Bild hin: Wert (value of the iconographic approach) und »Verfahren der Analyse« (modes of analysis) werden präsentiert.
E. Bloch-Smith legt eine Skizze der Göttinnen-Traditionen in der Ikonographie der Bronze- und Eisenzeit vor (Acculturating Gender Roles, 1–18). Derweil konzentriert sich A. Gansell generell auf die weibliche Schönheit zwischen biblischem Text und Elfenbeinarbeiten (The Iconography of Ideal Feminine Beauty, 46–70). Die Belege der »Frau-am-Fenster« deutet Gansell royal-elitär. Man möchte fragen: Spielt die Gleichsetzung der Frauengestalt mit der Göttin Kililu inzwischen keine Rolle mehr? J. Wyse-Rhodes fokussiert ebenfalls eine Gender-Thematik, indem sie eine kurze Studie auf der Basis der bisherigen archäologisch-ikonographischen Er­gebnisse beisteuert (Finding Asherah, 71–90). Eine Anfrage an diesen Beitrag wäre der Anteil an dezidiert neuen Einsichten. Selbst Frevels 1000-seitige Monographie wird inhaltlich nicht verhandelt.
Passend zu den materiell rückgebundenen Elfenbeinstudien von Gansell gesellt sich der Beitrag von M. Dijkstra (Ivory Beds and Houses of Samaria in Amos, 178–195). Dijkstra präsentiert den ar­chäologischen Befund, erläutert diesen realienkundlich und zeigt zugleich die Bedeutung für das theologische Profil der Amosschrift auf. Neben dieser prophetischen Studie widmen sich zwei weitere Aufsätze der Jesajaschrift. M. Klingbeil bietet aufschlussreiche Übersichten zu Text-Bild-Motiven im Rahmen seiner Studie zu weiblichen Metaphern bei Deuterojesaja (»Children I have raised and brought up«, 135–158). Hingegen beschäftigen sich M. Metzler und M. Chan (Lions and Leopards and Bears, 196–225) mit Motiven, die aus Jes 11, aber auch aus der altorientalischen Ikonographie bekannt sind. Die Linien sind weit gespannt, ein pointiertes Ergebnis der Studie ist darum nur schwer fassbar.
Des Weiteren steuert M. Lubetski eine besondere Text-Bild-Detailanalyse zum Eigennamen MY’MN bei (Function & Mean­ing, 29–45). – Zudem wird der Band im Speziellen durch zwei Beiträge zu »Konstellation und Konzept« bereichert: R. Schmitt (Mixed Creatures, 19–28) stellt additive Kleinkonstellationen bei Mischwesendarstellungen im Überblick vor. »The Iconography of Fear« (91–134) von B. Strawn weist überzeugend ein konsistentes Bildrepertoire zum Themenbereich »Furcht« nach. Handelt es sich hierbei um ein eigenständiges Konzept? – Zwei bedeutende Fribourger Forscher legen ihre grundlegenden Analysen nun auch den englischsprachigen Lesern vor. T. Staubli zeigt umfangreiche Facetten der Rechtfertigung in Text und Bild (Images of Justification, 159–177). H. U. Steymans legt die wesentlichen Thesen seiner Habilitationsschrift mit erhellenden Abbildungen vor (Ps 89/The Egyptian Deity Menkeret, 251–284). – I. de Hulsters Beiträge zeigen sowohl thematische Pointiertheit als auch praktisches Methodenbewusstsein. Umfassende Ausführungen zu Berggott-Traditionen (A God of the Mountains, 226–250) und ein Leitfaden für die ikonographische Arbeit (Practical Resources for Iconographic Exegesis, 285–295) bieten wertvolle Einsichten.
Image, Text, Exegesis – hierunter lassen sich alle Beiträge subsumieren. Dennoch kommt eine recht große Variationsbreite zwischen den konventionellen Skizzen und der erweiterten methodischen Fragestellung klar zum Ausdruck. Das trägt nicht unbedingt zur Profilschärfung bei. Zugleich belegt aber die Beitragsbreite ganz deutlich die Ertragsmöglichkeiten der ikonographischen Fragestellung!
Die methodisch starken Beiträge des Sammelbands stellen eine große Chance für die Disziplin dar – vor allem mit Blick auf die »praktische Eigenarbeit« (Appendix!). Die Begriffe »Konstellation« und »Konzept« weisen den Weg in die Zukunft, denn der Analyse von orientalischen Vorstellungskonzepten und Bildbezügen wird künftig eine zentrale Rolle zukommen! Hier dürfte zudem die »Eigenbegrifflichkeit« dieser Kulturen von Bedeutung sein. Einige wenige Rückfragen nimmt der Leser aus der Lektüre des Sammelbandes mit – sie betreffen die stark präsente »Ikonographische Exe-gese«: Wie lange muss ikonographische Analyse (mit entsprechenden Vorarbeiten!) trotz aller lockenden Verbindungen dezidiert von der Text-Exegese separiert bleiben? Ab wann ist gegenseitige Unterstützung sinnvoll und ab wann wird Ikonographie selbst zur Exegese? Muss ikonographische Exegese zuerst unabhängig vom Text und damit zunächst ein nicht-text-exegetisches Stadium durchschreiten, um danach ihr text-exegetisches Potential voll zu entfalten? Der Rezensent ist dieser Meinung. Ein thematisch eindrücklicher, anregender und hilfreicher Band ist nun verfügbar!