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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

831

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Sicari, Antonio

Titel/Untertitel:

Das geistliche Leben des Christen - Glaubenserfahrung und Wege zur Heiligkeit.

Verlag:

Paderborn: Bonifatius 1998. 440 S. gr.8 = AMATECA. Lehrbücher zur katholischen Theologie, 17,1. Pp. DM 88,-. ISBN 3-89710-030-4.

Rezensent:

Josef Sudbrack

Das Thema dieser Übersetzung aus dem Italienischen ist das, was man heute (christliche) Spiritualität nennt; das Buch steht daher auch als Band XVII/1 in der Reihe "AMATECA, Lehrbücher zur katholischen Theologie". Doch der Aufbau verwundert: Den systematischen Teil: "Christliche Erfahrung und spirituelle Theologie" (7-78) hat Ellero Babini verfaßt; sein Name aber ist nur S. 69 zu finden. Danach werden - wohl vom "Haupt"-Autor - 7 mal drei heilige Märtyrer, Laien, Missionare, Seelsorger, Kontemplative, Heilige des kirchlichen Kindseins und der Nächstenliebe vorgestellt. Die Auswahl überrascht zwar, doch die Methode ist begrüßenswert: denn "man kann kein abstraktes System der Heiligkeit konstruieren" (69). Doch bei der Darstellung gibt es zu oft unnötige polemische Spitzen: Zum "Mogeln" der Christen, die den Dialog, den Pluralismus, das Interesse an allen natürlichen und übernatürlichen Werten bejahen, doch nichts mehr haben, wofür "es sich zu sterben lohnt" (96, eine Anspielung auf v. Balthasars Anti-Rahnerschrift: "Cordula"); oder sofort danach (99): gegen die vielen "vernünftigen und leisetretenden Christen", die Maximilian Kolbe, der in Auschwitz freiwillig für einen anderen in den Tod ging, des "Integralismus" zu bezichtigen. Bei Damian de Veuster, der mit Lepra-Kranken in den Tod ging, ist die anti-protestantische Polemik besonders stark.

Von den oft lesenswerten Kurz-"Biographien" und "Deutungen" geht der Blick zurück zur systematischen Zusammenfassung. Sie ist so völlig nach Urs v. Balthasar konzipiert, der an der Betonung des Biographischen gegenüber dem Systematischen schuld ist, daß man sich manchmal in einem Zettelkasten seiner Schriften wähnt. Für andere Auffassungen wie die K. Rahners gibt es nur eine kurze (allerdings vornehme, 49 f.) Zurechtweisung, obgleich gerade die Vielfalt der spirituellen Ansätze als Proprium christlicher Spiritualität herausgestellt wird. Betont wird die Ganzheitlichkeit der geistlichen Erfahrung; doch sie ist grundsätzlich kein psychologisches Ereignis, sondern ein (nun auch psychologisches) Hineinwachsen in den von Christus und der Kirche vorgegebenen Raum des Objektiven, der Glaubenswahrheit. Auf dieser Grundlage kann sich Babini von nicht-christlichen Ansätzen distanzieren und auf die trinitarische Grundlage besinnen: "Die Distanz zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf wird geborgen-unterspannt von der Distanz zwischen Vater und Sohn im Heiligen Geist." Das Auseinanderfallen von Theologie und Spiritualität wird kritisiert und die Mariologie als die lebendige Einheit der spirituellen Vielfalt vorgestellt.

Das Ganze ist bestimmt vom theologischen Entwurf Hans Urs v. Balthasars. Dennoch bleibt es auch (und gerade!) für den, der den Schweizer Theologen hochschätzt, blaß und leer.

Es geschah nämlich, was vielen Großen passiert: Aus einem lebendigen Denken und Ringen wird ein blutleeres System abstrahiert; aus Thomas von Aquin wird ein neuscholastischer Thomismus, aus Luther eine protestantische Orthodoxie, aus Karl Barth ein Barthianismus. Aber gerade bei Urs v. Balthasar, dessen Theologie so wirklichkeitsgefüllt (die umfassende Kenntnis der Theologiegeschichte), so ästehtisch strahlend (sein Hauptwerk beginnt mit "Theologischer Ästhetik") und so sehr im Gespräch steht - manchmal bis zur scharfen Polemik - (vgl. die eben neu hrsg. "Apokalypse der deutschen Seele" oder seine Darstellungen von Dich-tung), verfehlt die Reduktion auf nackte Systematik die Sache und wird geradezu verderblich.