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Ausgabe:

Oktober/2015

Spalte:

1063–1064

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Gerosa, Libero, u. Ludger Müller [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Politik ohne Religion? Laizität des Staates, Religionszugehörigkeit und Rechtsordnung.

Verlag:

Paderborn u. a.: Ferdinand Schöningh 2014. 270 S. Kart. EUR 34,90. ISBN 978-3-506-77262-6.

Rezensent:

Thomas Schüller

In seinem einleitenden Artikel (9–17) zu diesem Sammelband nimmt Ludger Müller als einer der Herausgeber den 11.9.2001 zum Anlass, neu über das Verhältnis von Politik und Religion(en) in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zu reflektieren. Ziel des Bandes sei es, grundsätzlich über das Verhältnis von Religionen und öffentlicher Gewalt nachzudenken und dies dann an den beiden Praxisfeldern Religionsunterricht an öffentlichen Schulen und Beteiligung der öffentlichen Hand an der Finanzierung der Religionsgemeinschaften zu untersuchen. Dabei dürften sich die Politiker nicht als Religionsführer verstehen und Amtsträger von Religionsgemeinschaften nicht ihre religiöse Autorität »politisch missbrauchen« (17). Damit ist das Spannungsfeld markiert, innerhalb dessen die verschiedenen Autorinnen und Autoren das Thema Religion in der Öffentlichkeit behandeln. Einige dieser Beiträge sollen kurz vorgestellt werden.
Der Präsident des Päpstlichen Rates zur Neuevangelisierung Rino Fisichella stellt in seinem Beitrag »Laizität des Staates, Religionszugehörigkeit und Rechtsordnungen aus philosophisch-theologischer Perspektive« (19–31) die These auf, dass in den Ländern, in denen umfassend die Religionsfreiheit garantiert ist, sich die gesellschaftlichen und religiösen Konflikte wie von selbst auflösen (26). Es überrascht auch nicht, wenn Fisichella am Ende seines Beitrages feststellt, dass der moderne demokratische Verfassungsstaat auf dem Christentum aufbaut, aus dessen Quellen und konstitutiven Werten er lebe (31). Einige Autoren wie Carlo Cardia, »Laizität des Staates, Religionszugehörigkeit und Rechtsordnung: säkulare Sicht« (33–49), warnen in Europa vor einem naiven Indifferentismus im Umgang mit Islam und Hinduismus, wenn deren Vertreter nicht bereit sind, die Menschenrechte und die freiheitlich-demokratische Grundordnung anzuerkennen. Burkhard Josef Berkmann, »Freiheit der Religionszugehörigkeit, Menschenrechte und Laizität des Staates« (69–94), bietet mit europarechtlicher Schwerpunktsetzung nicht nur eine überzeugende religionssoziologische Bestandsaufnahme, sondern stellt auch zutreffend fest, dass die Gefahr des laizistischen Staates in seiner Neigung bestehe, »die Religionsausübungsfreiheit zu missachten, besonders die Freiheit, die eigene Religionszugehörigkeit nach außen zu manifestieren« (91). Diese Aussage bekräftigt die Argumente im aktuellen Kopftuchurteil des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, das auch den muslimischen Lehrerinnen als Grundrechtsträgerinnen in ihrem schulischen Arbeitsfeld die nach außen erkennbare Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft zubilligt. Reizvoll ist der kurze Beitrag von Yedidia Z. Stern, »Säkularer Staat, Religionszugehörigkeit und Rechtssystem: eine jüdische Perspektive« (119–123), bei der die drei Modelle des Verhältnisses von religiösem zu staat-lichem Recht im Staat Israel diskutiert werden, an deren Ende das Assimilations- und Autonomiemodell abgelehnt werden und die Präferenz für das sogenannte Inspirationsmodell deutlich wird. Danach wird nicht nur die theologisch-religiöse Bedeutung des jüdischen Religionsrechts betont, sondern auch dessen kulturelle Bedeutung im säkularen Staat Israel.
In mehreren Beiträgen geht es um den Religionsunterricht an öffentlichen Schulen, so Alessandro Ferrari, »Religionsunterricht in öffentlichen Schulen in Europa vom ›Entweder-Oder‹ zum ›So­wohl-Als auch‹« (125–131), und Ludger Müller, »Religionsunterricht an öffentlichen Schulen im säkularen Staat. Das Beispiel Österreich« (133–141). Im Anschluss entfaltet Vsevolod Chaplin, »Säkularer Staat, Religionszugehörigkeit und Recht aus der Sicht eines orthodoxen Christen« (143–153), seine kritische Sicht auf die Entwicklung der christlichen Kirchen in Westeuropa, dem attestiert wird, es habe »willentlich und entschieden mit seiner christlichen Vergangenheit gebrochen«, während die »orthodoxe Welt« »einzigartig christlich«, nämlich »östlich« sei und das »römische Erbe« (144) bewahrt habe. Wie selbstverständlich plädiert der russisch-orthodoxe Theologe für die Symphonie, d. h. Einheit zwischen orthodoxer Kirche, Volk und staatlicher Autorität (148).
Mehrere Beiträge kreisen um das bereits angesprochene zweite Praxisfeld der Finanzierung der Religionsgemeinschaften im und durch den Staat: Vincenzo Pacillo, »Kooperation des Staates mit den Religionsgemeinschaften und öffentliche Finanzierung« (163–190), der zu dem Schluss kommt, dass das italienische Modell, das dem Steuerzahler in einem definierten geringfügigen Maß die Möglichkeit einräumt, einen Teil seiner Steuer dem Staat für kulturelle Zwecke oder anerkannten Religionsgemeinschaften für ihre Bedarfe zu widmen, der optimale Ausgangspunkt für Überlegungen zur staatlichen Finanzierung von Religionsgemeinschaften in Europa sei. Pacillo schließt seine Überlegungen mit der Feststellung ab, dass die Kirchen nur dann glaubwürdig sein können, »wenn sie transparent sind, und nur wenn die Kirchen glaubwürdig sind, können sie von den Steuerzahlern frei gewählt werden« (189). Der Dresdner Staatsrechtslehrer Arnd Uhle, »Die öffentliche Finanzierung der Religionsgemeinschaften im säkularen Verfassungsstaat. Anmerkungen zu ihrer Legitimität und ihren Erscheinungsformen« (191–218), untersucht in seinem luziden und kenntnisreichen Beitrag die verschiedenen Instrumente der direkten und indirekten Finanzierung von Religionsgemeinschaften in Europa und ordnet diese bekannten Finanzierungsmodellen zu. Dabei wird einsichtig deutlich, dass selbst in vermeintlichen Trennungsländern solche Instrumente zur Anwendung kommen, beispielsweise im Schulwesen. Abschließend identifiziert Uhle die Stärken des deutschen Kirchensteuersystems, die es als das Modell erscheinen lassen, dem die Zukunft gehört. Stets rechtsgeschichtlich kompetent kontextualisiert gelingt es dem Münchener Kanonisten Stephan Haering OSB, »Kooperation zwischen Staat und Religionsgemeinschaften. Anmerkungen zur öffentlichen Finanzierung« (219–231), am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland die verschiedenen Formen der öffentlichen Finanzierung (Staatsleistungen, staatliche Aufwendungen für die res mixtae, Subventionen, Begünstigung im Steuer-, Abgaben- und Gebührenwesen sowie staatliche und kommunale Leistungen auf privatrechtlicher Grundlage) anschaulich darzustellen.