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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

1005–1007

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Leppin, Volker, u. Dorothea Sattler[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Heil für alle? Ökumenische Reflexionen.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2012. 399 S. = Dialog der Kirchen, 15. Kart. EUR 40,00. ISBN 978-3-451-34547-0 (Herder); 978-3-525-56948-1 (Vandenhoeck & Ruprecht).

Rezensent:

J. Christine Janowski

Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) sämtlicher theologischer Grunddisziplinen veröffentlicht mit diesem Sammelband die Ergebnisse einer ca. fünfjährigen gemeinsamen Studienarbeit, die sich zum ersten Mal einer nicht von einer thematischen evangelisch-katholischen Kontroverse des 16. Jh.s hergeleiteten Frage gewidmet hat. Die »zentrale soteriologische Relevanz der Erlösungstat« bzw. Versöhnungstat »Gottes in Jesus Christus« ist und bleibt auch hier die Grundvoraussetzung (Einführung der Hrsg., 9–28, 25).
Anders als die Titelfrage des Sammelbandes nahelegt, geht es in diesem nicht durchgängig um das Problem des Heils für alle (Menschen oder gar Geschöpfe überhaupt). Das entspricht der Tatsache, dass der Arbeitstitel »Das Heil der Anderen« (Einführung, 12) durchaus nicht alle Nichtchristen umfassen muss und sich dieser Arbeitstitel in einigen Beiträgen schon im Titel direkt oder indirekt auf unterschiedliche Weise niederschlägt: »Das Heil der Konfessionslosen (E. Tiefensee, 53–77), »Das Heil der Anderen« (F.-L. Hossfeld, 153–161; M. Theobald, 208–242); »Extra ecclesiam nulla salus? Oder: Wer wird gerettet?« (Chr. Markschies, 295–314), »Die Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils« (K. Diez, 315–346); »Gemeinsam Gottes Nähe suchen – religiöse Feiern von Menschen unterschiedlicher Religionszugehörigkeit« (Chr. Grethlein, 347–360); »Das Heil der Anderen in der Liturgie« (A. Gerhard, 361–382). Dasselbe gilt indirekt für den Untertitel von U. H. J. Körtner (»›Keinem von uns ist Gott fern‹ [Apg 17,27]«, 29–52): »Synkretismus als ökumenische Herausforderung«. Darüber hinaus wird im 1. Teil der Einführung: »Aufnahme einer biblischen Provokation«, auf Mk 16,15b–16 rekurriert (9 f.), einer nach neuerer exegetischer Einsicht sekundären Stelle. Nach ihr fordert der auferstandene Jesus Christus dazu auf, das Evangelium allen Geschöpfen, an sich also nicht nur allen Menschen, zu verkündigen (die vor allem ante Christum durch die christliche Verkündigung doch gar nicht alle erreichbar waren, wie hier leider nicht vermerkt wird); zudem wird hier das Heil als »Rettung« vor der »Verdammnis« zunächst an Glaube und Taufe, dann nur an den Glauben (an Jesus Christus) gebunden. Von da aus wird exemplarisch auf vier theologiegeschichtliche Strategien bis heute verwiesen, die auf die entsprechende Herausforderung antworten und zu denen »die Beachtung der Textabsicht auf der Handlungsebene« bzw. die Textpragmatik gegenüber einer »rein kognitiven Ebene« ebenso gehört wie eine kritische Rückbindung der überlieferten Weisung samt ihrer Wirkungsgeschichte an die realgeschichtlichen Kontexte.
Die direkt auf die Titelfrage dieses Sammelbandes bezogenen Beiträge: »Heil für alle?« in ökumenischer Perspektive (D. Sattler, 78–96); »Heil für Nichtchristen?« im Horizont evangelischer Be­kenntnistradition (M. Beintker, 97–123); »Die Heilsmöglichkeiten für Nichtchristen und für die Nichtglaubenden« nach den Aussagen des 2. Vatikanischen Konzils (K. Lehmann, 124–152); »Heil für alle«. Die [?] Vorstellung von der [?] Apokatastasis panton« (H.-P. Großhans/J. Rahner, 243–294), zielen den Herausgebern gemäß auf »eine Vergewisserung im Blick auf das eigene christliche Bekenntnis, da der ÖAK weder in seiner personellen Zusammensetzung noch in seiner methodischen Ausrichtung die Anforderungen an einen interreligiösen Dialog oder an ein Gespräch mit gegenwärtigen atheistischen Optionen hätte erfüllen können.« (10)
Aus kontextuellen Gründen (vgl. 13), deren Berücksichtigung auch für die Vergangenheit gilt (so summarisch 24), wird die in sich plurale Theologie der Religionen, die von einem Dialog der Religionen zu unterscheiden, wenngleich nicht zu trennen ist (Körtner, 34 f.) und auch als pluralistische nicht das Heil aller Anderen impliziert, gelegentlich gründlicher mitberücksichtigt (besonders Körtner, 34 ff.; M. Beintker, 115 ff.), darüber hinaus mit dem 2. Vatikanum der Atheismus (besonders K. Lehmann, 129 ff.) und zudem das Problem der religiösen Indifferenz bzw. Areligiosität (Tiefensee, passim) insbesondere in Ostdeutschland bzw. Osteuropa nach dem Ende des staatlich verordneten Sozialismus im Zeichen eines atheistischen Marxismus und Leninismus (ders., 45). Auch dies ge­schieht im Zeichen jener christologisch-soteriologischen Grundvoraussetzung, die das in sich differenzierte »Wir« gegenüber den wiederum in sich differenzierten Anderen im Sinne einer christlichen Ökumene und von da aus gemeinsamen Mission versteht (12), ohne dass diese durch eine Hoffnung auf das futurisch-eschatologische Heil aller Menschen ihren Sinn verlieren müsste, wenngleich ihre Gestalt ändert.
Die Vielperspektivität der Beiträge, die sämtlich diachrone und synchrone Aspekte auf noch so unterschiedliche Weise verbinden, schließt in methodischer wie inhaltlicher Hinsicht gewisse Konvergenzen ein (Einführung, 23–27). Im Blick auf die nun einmal ernst zu nehmende Titelfrage nach dem Heil aller gehört dazu »die Hoffnung auf das Heil aller« als »theologische Grundstimmung« der Verfasser und Verfasserinnen (26), die sich allerdings nicht in allen Beiträgen deutlich spiegelt, gar gleichmäßig. Wenn die Herausgeber aber darauf hinweisen, »vielfach« (das ist immerhin nicht gleichbedeutend mit allseits) habe die Warnung Gehör gefunden, »dass eine [!] Hoffnung sich anders äußert als eine [!] rational begründete Erkenntnis, die mit dem Anspruch verbunden ist, eine [!] intersubjektive Zustimmung erreichen zu können« (26 f.), dann ist das in mehrfacher Hinsicht problematisch formuliert und auch ohne Anhalt an sämtlichen Beiträgen. Die apodiktische Behauptung gegen Schluss des Konvergenzabschnitts: »Mehr als Hoffnung zu haben im Blick auf die [?] Allversöhnung ist aus römisch-katholischer wie aus reformatorischer bzw. evangelischer Sicht nicht möglich« (27), entspricht dem innersystematisch längst schon verbreiteten sogenannten »dritten Weg« eines »Hoffnung – ja, Lehre – nein«. Dieser »dritte Weg« wurde evangelischerseits aufgrund von Grunddifferenzen zur römisch-katholischen Theologie und Kirche immer wieder überboten, sogar durch evangelische Gemeinschaften (dazu partiell Großhans, 258), vom späteren K. Barth (dazu M. Beintker, 113.119; Großhans, 273, Anm.) sowie anderen Theologen und Theologinnen vor wie nach ihm (dazu ders., 257 ff.), die damit noch einmal mehr den Ketzerhut aufgesetzt bekommen, selbst wenn sie den Lehrbegriff nicht doktrinalistisch bzw. dogmatistisch verstehen. Wie ich selbst seit 1996 in meinen entsprechend orientierten Publikationen immer wieder herausgearbeitet habe, geht es auch und gerade im Blick auf diese Frage zudem um Modellprobleme und nicht um ein simples »Lehre – ja oder nein«, und zwar nicht nur im Blick auf die Begründung und den Prozess, sondern auch das Resultat.
Dafür spricht in ökumenischer Hinsicht die selbst im Beitrag des Patristikers Markschies (Extra, 304) nur indirekt knapp angedeutete Tatsache, dass sich die entsprechenden altkirchlichen Anathematisierungen von 543 (synodal) und 553 (konziliar, deshalb entsprechend wirkungsmächtig) auf höchst problematische Allversöhnungs- bzw. Allerlösungs- oder Apokatastasis panton-Modelle bezogen. Im Unterschied zu anderen schon altkirchlichen Modellen, die besonders ostkirchlich und alt- bzw. christ-katholisch rezeptiert wurden und noch werden (mit Folgen für den ÖRK, vgl. Sattler, 86 ff.), sind sie nicht zuletzt durch (präexistenz-)protologischen wie futurisch-eschatologischen Differenzverlust oder auch geschichtsnihilistischen Monismus sowie durch ein zyklisches Denken im Sinne der Möglichkeit einer ewigen Wiederkehr des Gleichen (so besonders 553) gezeichnet, also durch das, was später gelegentlich als »Urhäresie« oder als »enteschatologisierte Eschatologie« bezeichnet wurde. Genau das entspricht einem außerbiblischen antiken Apokatastasis-Verständnis, das jedenfalls beim frühen Origenes schon eine Rolle spielt, sofern er die Möglichkeit eines neuen Falls erwägt. Von daher ist es problematisch, wenn in den Beiträgen der Apokatastasis-Begriff ohne hinreichende Klärung aufgenommen (besonders Einführung, 14; Großhans/Rahner) wird oder von »Wiederherstellung«, »Wie­derbringung« gesprochen wird.
Der material- und reflexionsreiche Band versteht sich zum Glück als alles andere als ein Schlusspunkt, sondern sehr viel bescheidener und zugleich verheißungsvoller als »eine Basis für eine ökumenische Verständigung über den allgemeinen Heilswillen Gottes« (Vorwort, 7) als Grund einer ihm entsprechenden Hoffnung für alle (s. o.). Das ist schon sehr viel. Denn 553 wurde nicht nur eine entsprechende Lehre, sondern auch Hoffnung anathematisiert, ähnlich dann in der lat. Fassung von CA XVII. Die vielen »offenen Fragen«, die in den Gesprächen im ÖAK angesprochen wurden (27) und sich zum Teil auch in den Beiträgen auf durchaus anregende Weise niederschlagen, oder auch die »Desiderate« werden am Schluss der Einführung (27 f.) summarisch festgehalten und betreffen hier etwas arg verkürzt und zudem wiederum primär am Problem nur bestimmter Anderer orientiert 1. das Verständnis der Taufe, das auch im interreligösen Gespräch zu entwickeln ist, 2. das Verhältnis zu den »jüdischen Glaubensgeschwistern« (im Text kursiviert) auch in dieser Hinsicht, 3. die Frage nach der Begründung christlicher Mission bei »Annahme [!] des Heils für alle« sowie – im selben Atemzug! – die Pneumatologie, hier allerdings nur angesichts neuer »Konfessionsgemeinschaften« wie z. B. der charismatischen, 4. manche Grundfragen der Anthropologie, wobei hier nur eine ge­nannt wird: »Ist der Mensch ›naturaliter‹ religiosus?«, 5. die weitere Klärung von Gemeinsamkeit und Unterschied von Heil im Diesseits und Jenseits im Verbund mit der weiteren Klärung der Bedeutung »der« (?) biblischen Rede vom eschatologischen Gericht.
Dem wäre abgesehen von oben Benanntem noch einiges hinzuzufügen, wie z. B. die weitere Klärung des Heilsbegriffs (dazu neutestamentlich J. Frey, »Heil« [162–207]; systematisch besonders Beintker, 98 ff.). Auch bleibt zu hoffen, dass künftig das Titelthema eines solchen Sammelbandes weniger irreführend ist. Zudem sollte künftig aufgrund der primären formal-methodischen Konvergenz: das gesamtbiblische Schriftzeugnis als normative Grundlage der Erkenntnis (Einführung, 23), über das Personen- und Sachregister hinaus (383 ff.) ein zumindest ausgewähltes Bibelstellenregister beigefügt werden.