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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

974–976

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Laube, Martin [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Freiheit.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2014. X, 283 S. = UTB S 3771; Themen der Theologie, 7. Kart. EUR 19,99. ISBN 978-3-8252-3771-4.

Rezensent:

Stefan Dienstbeck

Freiheit ist das wohl am häufigsten und programmatischsten verwendete Schlagwort der Moderne. Im Namen der Freiheit wurden und werden Kriege geführt, politische Konzepte erstellt wie auch kritisiert und philosophische sowie theologische Systeme errichtet. Wie genau der Freiheitsbegriff allerdings zu fassen ist, steht dabei nicht immer automatisch fest, sondern unterliegt oftmals einem bestimmten Verständnis von Freiheit. Sich der sich dabei einstellenden Disparatheit des Freiheitsbegriffs ordnend anzunehmen ist die erklärte Aufgabe des schlicht mit »Freiheit« betitelten Bandes, den der Göttinger Systematische Theologe Martin Laube als Herausgeber betreut hat. Entsprechend dem Konzept der Reihe »Themen der Theologie«, als dessen siebter Band das Freiheitsbuch erscheint, wird das Thema multiperspektivisch aus dem Blickwinkel der theologischen Disziplinen sowie auch der Philosophie er­schlossen. Die Beiträge stehen je für sich, werden allerdings durch die um Zusammenschau bemühte Hand des Herausgebers im Einleitungs- und Schlussteil aufeinander bezogen und für die Frage nach dem Freiheitsbegriff ausgewertet.
Der biblische Befund insgesamt erweist den Freiheitsbegriff als nicht zentral. Zum Thema wird die Freiheit aber sehr wohl. Alttes­tamentlich arbeitet Uwe Becker (21–37) die stete Bezugnahme auf die Exodustradition heraus, die als Befreiung aus der Knechtschaft verstanden und entsprechend als Chiffre weiterverwendet wird. So dienen die Sklavenbehandlung im deuteronomistischen Gesetz wie auch die Heiligkeitsgesetze nicht notwendig einer konkreten Rechtsprechung, sondern halten die eigene Befreiung präsent. Das Erleben der Befreiung vollzieht sich extra nos und trägt damit den Gottesbezug in sich. Willens- und Entscheidungsfreiheit gewinnen daneben erst in den hellenistischen Schriften an Bedeutung. In Jesus Sirach gipfelt diese Bewegung, indem der Mensch aus freien Stücken die Tora zu halten in die Lage versetzt wird. Auch neutes­tamentlich ist der Begriff der eleutheria randständig. Nahezu alle Belege konzentrieren sich auf die paulinischen Briefe und finden nur im Corpus Johanneum leichten Anklang, wie Friedrich Wilhelm Horn zeigt (39–58). Paulus, so Horns Grundannahme, hat als Theologe der Freiheit zu gelten, der und weil er den Begriff überhaupt erst in das Christentum eingeführt hat. Paulus verstehe Freiheit als Befreiung von Sünde, Gesetz und Tod, verknüpfe dieses Freiwerden aber mit einer neuen Abhängigkeit in der Knechtschaft Christi. Gerade Letztere entbinde den Menschen aber von allen anderen Abhängigkeitsverhältnissen. Der paulinische Freiheitsbegriff hebt damit das paradoxe Ineinander von Befreiung und notwendigem Bezug hervor.
Der umfangreiche Beitrag von Martin Ohst beleuchtet die Entwicklung des Freiheitsverständnisses von der Antike bis zur Reformationszeit (59–118). Systematisierend begreift Ohst die Kirchengeschichte als Wechselbeziehung dreier Freiheitsbegriffe: rechtliche, personal-subjektive und transzendentale Freiheit. Insbesondere Letztgenannte markiert den Kern menschlicher Freiheit als Freiheit zur Freiheit. Grundlegend für die gesamte mittelalterliche Praxis ist Augustin, der den Freiheitsbegriff von Gott her denkt, so dass eine Reduktion der menschlichen Freiheit – wie in der Erbsündenlehre – nur die göttliche Gnade stärken möchte. Der mittelalterliche Thomismus und Ockhamismus deuten Freiheit auf je ihre Weise in Richtung auf ein Zusammenwirken Gottes und des Menschen. Die libertas christiana wird damit zur Freiheit des Klerus zur Heilsaufgabenerfüllung. Erst in der Reformation, na­mentlich bei Martin Luther, kehrt sich der Freiheitsbegriff um: Freiheit bildet nicht die Voraussetzung für den Glauben, sondern stellt dessen Konsequenz dar.
Gegenüber dem neuzeitlichen Anliegen einer exakten Bestimmung der Freiheit versucht das theologische Interesse, die mit dem Freiheitsbegriff gegebenen Spannungsbeziehungen aufrechtzuerhalten. Basierend auf dieser Grundthese sondiert der differenzierte systematisch-theologische Beitrag des Herausgebers Martin Laube den Freiheitsbegriff hinsichtlich dreier Ebenen (119–191): Die neuzeitlichen Konsequenzen der Freiheit werden christentumsgeschichtlich in den Blick genommen, wohingegen die Dialektik der Freiheit dogmatisch behandelt wird. Die Dimension der Verantwortung von Freiheit übernimmt die theologische Ethik. Die präzisen, konzisen und stets treffenden Einzelinterpretationen Laubes (z. B. von Schleiermacher, Barth, Hegel, Rendtorff etc.) allein empfehlen die Lektüre seines Beitrags. Doch auch der Ertrag zum Freiheitsthema ist bedeutsam. So erweist Laube Freiheit in ihrer Unbedingtheit, Unhintergehbarkeit, Endlichkeit, Selbstgefährdung und konkreten Ausrichtung als genuin theologisches Thema, das sich über alle dogmatischen Topoi erstreckt. Die Theologie hat kein höheres Wissen um die Freiheit, deutet sie aber spezifisch anders, als dies ansonsten neuzeitlich geschieht.
Christian Albrecht konstatiert in exemplarischen Schlaglichtern, dass der Begriff der Freiheit kein spezifisch praktisch-theologischer ist (193–209). Vielmehr kann er als Ziel der seelsorgerlichen Praxis oder gegen Methodenverengung in Anschlag gebracht werden. Als Randthema wandert der Begriff allerdings nur aus Nachbarwissenschaften wie der Soziologie ein, ohne spezifisch theologisch entdeckt zu werden. Allenfalls bezogen auf die Souveränität der Pfarrpraxis kann er sich zum – impliziten – Zentralthema der Praktischen Theologie aufschwingen. Gottfried Seebaß versucht praktisch-philosophisch den Freiheitsbegriff von der Alltagssprache her zu begreifen und so eine Missdeutung des Begriffs zu unterbinden (211–232). Die Kontroverse zwischen Determinismus und Indeterminismus sieht er von dieser Warte aus als ungelöst. Beate Rössler rekurriert in ihrem politisch-philosophischen Beitrag auf Isaiah Berlins Unterscheidung von negativer und positiver Freiheit (233–253). Die darauf fußenden Konzepte libertärer, liberaler, republikanischer oder feministischer Freiheit nehmen allesamt die Handlungsfreiheit des Subjekts in den Blick. Als Ertrag ihrer Analyse steht die Vernetztheit und Bezogenheit aller Freiheitskonzepte mit Institutionen, die Freiheit sowohl garantieren wie auch ermöglichen sollen.
In seinem Schlusswort (255–267) summiert der Herausgeber, dass Freiheit unter christlichen Bedingungen – allen Deutungsunterschieden zum Trotz – stets als endliche und ambivalente Gabe verstanden wird. Die abschließende These, dass in der Neuzeit eventuell nicht das Zuwenig, sondern das Zuviel an Freiheit ein Problem darstellen könnte, verdient weitergedacht zu werden.
Die Beiträge werden allesamt durch ein untergliedertes Literaturverzeichnis jeweils am Ende bereichert. Die Literatur ist sinnvoll und für das Selbststudium passend ausgewählt. Da auf Fußnoten verzichtet wird, liest sich das Buch angenehm und sollte auch thematisch interessierte Laien ansprechen können. Ermöglicht wird dies auch dadurch, dass Fachbegriffe oder altsprachliche Termini in der Regel erläutert werden. Das umfangreiche Sachregister stellt zudem eine hilfreiche Option bei punktuellen Suchanfragen dar. Wer an einer durchgängig qualitativ hochwertigen und theologisch pointierten Diskussion um den Frei­heitsbegriff interessiert ist, bekommt mit diesem Buch den geeigneten Erst- oder auch Zweitzugang an die Hand, der sich inhaltlich homogen und dennoch kontrovers der Thematik annimmt.