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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

943–946

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Balbach, Anna-Maria

Titel/Untertitel:

Sprache und Konfession. Frühneuzeitliche Inschriften zum Totengedächtnis in

Verlag:

Bayerisch-Schwaben. Würzburg: Ergon-Verlag 2014. 308 S. m. Abb. u. Tab. = Religion und Politik, 9. Geb. EUR 49,00. ISBN 978-3-95650-032-9.

Rezensent:

Eberhard J. Nikitsch

Bei dieser Arbeit von Anna-Maria Balbach handelt es sich um eine im Jahr 2013 von der Universität Münster angenommene und für den Druck geringfügig überarbeitete sprachhistorische Dissertation aus der Schule des unlängst verstorbenen Germanisten Jürgen Macha. Stehen Grabdenkmäler und ihre Inschriften in der Regel im Fokus kunst- und kulturhistorischer Analysen, so wird mit der hier gestellten zentralen Frage nach der Auswirkung der Konfessionalisierung auf den schriftlichen Sprachgebrauch der Frühen Neuzeit ein anderer, bislang selten begangener Weg eingeschlagen. Einen zusätzlichen Reiz bekommt das Thema durch die Wahl von Inschrif ten als Quellenmaterial, eine im Gegensatz zu handschriftlichen oder gedruckten Quellen eher ungewöhnliche Textsorte, die von Sprachhistorikern bislang kaum zur Kenntnis genommen, ge­schweige denn systematisch erforscht worden ist. Inschriften sind im Unterschied zu Urkunden, Akten, Briefen oder Chroniken standortbezogene, authentische und aspektreiche Quellen, die interdisziplinär für vielfältige historische Fragestellungen herangezogen werden können; Inschriften informieren auf eine spezielle Art und Weise, die sich von anderen Quellentypen deutlich unterscheidet. Damit ist vor allem der hohe Grad an Öffentlichkeit gemeint, der den Analyse- und Interpretationsmöglichkeiten eine besondere Qualität verleiht. Auch unter diesen Gesichtspunkten erscheinen gerade die hier gewählten Inschriften des Totengedächtnisses in besonderem Maße für die innovativen Fragestellungen der vorliegenden Arbeit geeignet: Gibt es in der frühen Neuzeit einen Zusammenhang zwischen der Sprache der Inschriften und der jeweiligen Konfession? Hat die Reformation aussagefähige Spuren im (in)schriftlichen Verhalten hinterlassen? Bedeutete die konfessionelle Zugehörigkeit zugleich eine Vorliebe für bestimmte sprachliche Wendungen oder gar Formulare? Zugespitzt formuliert: Dominieren in den Inschriften eher überkonfessionelle Charakteristika oder lässt sich an den Bestandteilen einer Grabinschrift zuverlässig erkennen, ob sie für Katholiken oder Protestanten hergestellt worden ist?
Grundlage der mit zahlreichen informativen Graphiken und einigen Schwarz-weiß-Abbildungen versehenen Arbeit bilden ca. 1400 heute noch vorhandene bzw. kopial überlieferte Inschriften des Totengedächtnisses aus Bayerisch-Schwaben im Untersuchungszeitraum von 1500 bis 1805, wobei die Spanne von der Reformation bis zum Westfälischen Frieden den eigentlichen Kern bildet. Näher betrachtet werden 672 im Original vorhandene deutsche und lateinische Inschriften von sechs ausgewählten Städten: Im Blickpunkt stehen die bikonfessionelle Reichsstadt Augsburg, die katholisch gebliebenen Städte Dillingen und Günzburg, die evangelischen Städte Memmingen und Nördlingen sowie die zunächst evangelische, dann wieder katholisch gewordene Stadt Donauwörth. Dem Charakter der Arbeit entsprechend gilt das besondere Augenmerk den insgesamt 328 deutsch- und gemischtsprachigen Inschriften mit einem Umfang von 15424 Wörtern, verteilt auf 210 katholische und 118 evangelische Grabdenkmäler. Die Identifizierung der jeweiligen Konfessionszugehörigkeit der Verstorbenen orientiert sich an deren Begräbnisplätzen, ohne dass dabei im Einzelfall letzte Sicherheit zu gewährleisten war. Wesentlich erleichtert wurden die sehr sorgfältig durchgeführten Untersuchungen B.s durch die in der Inschriften-Kommission der Bayerischen Akademie der Wissenschaften archivierte Inschriftensammlung »His­torische Inschriften in Bayerisch-Schwaben« sowie durch das dor-tige ca. 15000 Inschriften umfassende Fotoarchiv.
Nach der Einleitung in den Forschungsgegenstand, der gründlichen Vorstellung des Quellenmaterials und der historischen Einordnung der sechs untersuchten Städte zwischen Reformationszeitalter und Säkularisation (13–46) werden im vierten Kapitel knapp die sprachliche Situation der Frühen Neuzeit (61–66) und im fünften die Entwicklung der katholischen wie evangelischen Totenmemoria unter historischen, theologischen, ökonomischen und juristischen Aspekten beleuchtet (67–90). Die gewonnenen Resultate bilden die Grundlage zum Verständnis des sechsten und entscheidenden Kapitels (91–206), das nun Sprachverwendung und Sprachgestaltung sowie einzelne inschriftliche Elemente wie Bibelzitate, Fürbitten, Datierungen, Sterbedaten, Sterbeformeln, Grabbezeugungen, Stiftervermerke sowie Textumfang und Vornamengebung der konfessionellen Fragestellung unterzieht. Ein Unterkapitel (207–242) widmet sich dabei ausgiebig graphematischen Aspekten wie etwa der ai/ei-Schreibung, der Konsonantenverdopplung sowie der Frage »katholische Apokope« oder »Lutherisches e«?
B. kommt aufgrund ihrer detaillierten Statistiken zu zahlreichen aufschlussreichen Einzelbeobachtungen, von denen die wichtigsten im Folgenden kurz zusammengefasst seien:
Hinsichtlich der Sprache neigen die bayerisch-schwäbischen Katholiken eher zum vertrauten Lateinischen, während die Protes­tanten das Deutsche bevorzugen; relativiert wird dies allerdings durch den überraschenden Befund in der gemischtkonfessionellen Reichsstadt Augsburg, die in diesem Fall kaum einen Unterschied zwischen den beide Sprachen benützenden Konfessionen kennt.
Während in vorreformatorischen deutschen Inschriften die Verwendung von Bibelzitaten und -paraphrasen nicht üblich ist und dies von Katholiken in der Regel auch weiterhin so beibehalten wird, lässt sich bei Protestanten von Anfang an eine große Vorliebe für Bibelzitate mit soteriologischer Ausrichtung nachweisen. Nachhaltig gefördert worden sein dürfte dies durch eine entsprechend formulierte Empfehlung von Luther in seiner 1542 verfassten Vorrede zu einer Sammlung von Begräbnisliedern, in der er sogar eine Auswahl von für Grabinschriften vorbildhaften Bibelstellen anführt, darunter Joh 11,25 f. (Ich bin die Auferstehung und das Leben …), Ijob 19,25 ff. (Ich weiß, dass mein Erlöser lebt …) und Phil 1,21 (Christus ist mein Leben und Sterben ist mein Gewinn). Die Schreibung der Bibelstellen folgt dagegen nicht explizit der Lutherbibel, sondern eher mündlicher Überlieferung, wie typisch bayerische Einfärbungen gelegentlich erkennen lassen.
Auch die lateinischen Grabinschriften entlehnte vorreformatorische Schlussformel »Ruhe in Frieden« bzw. die mit dem Sprachwechsel aufgekommene Bitte um Gnade »Dem/der Gott gnade/gnädig sei« wird von den Katholiken beibehalten, während bei den Protestanten eine neue reformatorisch geprägte Entwicklung zu beobachten ist. Die von ihnen bevorzugte Schlussformel thematisiert den Wunsch nach einer »fröhlichen Auferstehung« bzw. um bayerisch geprägte »fröhliche Urstend«. Der Gebrauch dieser charakteristischen Formel lässt allerdings bereits in der zweiten Hälfte des 16. Jh.s spürbar nach und verschwindet in der Folgezeit ersatzlos aus dem protestantischen Inschriftenformular. Hinsichtlich der Sterbeformel scheinen Katholiken eher das traditionelle Wort »sterben« beizubehalten, während Protestanten euphemis­tische Verben wie »verschieden« oder »entschlafen« bevorzugen, die später gerne mit Erweiterungen wie etwa »selig im Herrn« versehen werden. Auch bei Grabbezeugungen lässt sich mit »hier liegt begraben« oder »hier ruht« auf katholischer Seite im Gegensatz zur deklarierenden Formel der Protestanten »dieses Begräbnis gehört« ein fundamentaler Unterschied beobachten.
Dass die Protestanten den Gregorianischen Kalender erst gegen Ende des 17. Jh.s übernommen haben und daher die Schreibung des Todesdatums mit exakter Tages-, Monats- und Jahresangabe lange Zeit um zehn Tage variiert, ist allgemein bekannt. Aber auch hier ist für das bikonfessionelle Augsburg eine gravierende Abweichung zu beobachten: Im Unterschied zu den Katholiken werden in den Grabinschriften der dortigen Protestanten die exakten Sterbedaten bereits ab Mitte des 17. Jh.s zur Ausnahme und durch die alleinige Angabe der Jahreszahl ersetzt.
Die Vorlieben bei der Vornamengebung sind bei beiden Konfessionen mit »Johann« bzw. »Maria« lange Zeit die gleichen geblieben, werden aber später mit »Franz« und »Josef« bei den Katholiken bzw. mit »Georg« bei den Protes­tanten spezifisch. Eine weitere Möglichkeit der Unterscheidung sind die Zweitnamen, so kann etwa mit »Maria Magdalena« die protestantische bzw. mit »Maria Franziska« die katholische Zugehörigkeit ausgedrückt werden.
Ausgesprochen erstaunliche Befunde ergibt die Analyse der graphematischen Aspekte der Grabinschriften: In protestantischen Inschriften findet sich nicht häufiger ostmitteldeutsches »lutherisches e« als in katholischen; Augsburger Katholiken verwenden es sogar etwas öfter als Protestanten. Dagegen zeigen sich etwa bei der »ai/ei«-Schreibung oder im Gebrauch von »nit/nicht« in katholischen Städten deutlich höhere Prozentwerte als in protestantischen, die sich mit fortschreitender Konfessionalisierung sogar noch verstärken.
Abschließend sei noch auf einige kleinere Formalien hingewiesen, die den sonst ganz hervorragenden Eindruck der Arbeit leider etwas schmälern. Zu monieren ist die schlechte Bildqualität der in den Text integrierten Schwarz-weiß-Fotos der Grabdenkmäler ebenso wie das fehlende Register. Der in den Anmerkungen und im Literaturverzeichnis unter »Hermenegild-Zaijc, Andreas« aufgeführte österreichische Epigraphiker heißt Andreas Hermenegild mit beiden Vor- und Zaijc mit Nachnamen und sollte auch so verzeichnet werden. Zudem hätte der nicht immer einheitliche Anmerkungsapparat deutlich entlastet werden können, wenn die Literaturangaben nicht ständig mit vollem Titel (auch mehrfach), sondern mit Kurztitel zitiert und auf das Literaturverzeichnis im Anhang verwiesen worden wäre. Dass das von B. erstellte Korpus der Inschriften Bayerisch-Schwabens von 1500 bis 1805 schon aus Gründen des Umfangs nicht als Edition der Publikation beigegeben werden konnte, ist verständlich und nachvollziehbar, allerdings wäre das Korpus in Form eines beigelegten Datenträgers als Arbeits- und Vergleichsmaterial sehr willkommen gewesen.
Wenn auch die Arbeit eindrucksvoll gezeigt hat, dass eindeutige konfessionsspezifische Tendenzen in der Sprachgestaltung der Inschriften des Totengedächtnisses bis weit ins 18. Jh. hinein klar zu konstatieren sind – Katholiken setzen auf Kontinuität, Protes­tanten schaffen Neuerungen –, so sollte man sich bei der vergleichenden städte- und landschaftsübergreifenden Analyse von Grabinschriften stets vor Augen führen, dass diese immer regionalen Einflüssen verschiedenster Art unterworfen sind: Auch dies hat die vorliegende Arbeit mit erstaunlichen Resultaten nachgewiesen und es bleibt sehr zu hoffen, dass sie zahlreiche vergleichbare Studien in anderen reformationsgeschichtlich relevanten Landschaften Deutschlands nach sich ziehen wird.