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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

928–929

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Blumenthal, Christian

Titel/Untertitel:

Gott im Markusevangelium. Wort und Gegenwart Gottes bei Markus.

Verlag:

Neukirchen-Vluyn: Neukirchener Theologie 2014. IX, 181 S. = Biblisch-Theologische Studien, 144. Kart. EUR 26,99. ISBN 978-3-7887-2793-2.

Rezensent:

Paul-Gerhard Klumbies

In fünf Kapiteln legt Christian Blumenthal dar, wie »Gott« als eine Figur der erzählten Welt des Markusevangeliums zu Wort kommt bzw. durch den Erzähler zur Sprache gebracht wird. Dabei konzentriert sich B. auf die zitierte Gottesrede in den alttestamentlichen Schriftaussagen bei Markus. Ausgangspunkt der Darstellung in Kapitel 1 ist die Sendungsaussage in Mk 1,2. Gott wird als »erster Figur der erzählten Welt […] das Wort erteilt« (1). Bei den weiteren fünf Belegstellen, in denen von Gott in der 1. Person Singular die Rede ist, handelt es sich um Mk 7,6b–7; 11,17b; 12,26b; 12,36b und 14,27b.
Die Einzeluntersuchung der einschlägigen Textstellen in Kapitel 2 beginnt mit der Wahrnehmung, dass das erste Zitat eines Gotteswortes vom Erzähler gebracht wird, während an den folgenden fünf Stellen Jesus der Sprecher ist. Das Auditorium wechselt dabei: Der Erzähler wendet sich an die Erzähladressaten, Jesus spricht im Folgenden nacheinander die Schriftgelehrten und Pharisäer aus Jerusalem, die Händler im Jerusalemer Tempel, die Sadduzäer, eine große Menschenmenge sowie die Jünger am Ölberg an (17 f.). In inhaltlicher Hinsicht erkennt B. in den sechs Gottesworten drei Schwerpunkte: In der Selbstvorstellung Gottes in 12,26 kommt der »Aspekt seiner generationen- und zeitübergreifenden Existenz« zur Sprache; in 7,6–7 und 11,17 begegnet Gott »als Kritiker« menschlichen Fehlverhaltens (36); in 12,36, 14,27 und 1,2 spricht Gott im Rahmen der markinischen Zuordnung »mit oder über seinen Sohn« (37).
Mittels einer Pyramide erstellt B. ein hierarchisches Modell des in der Darstellung vorausgesetzten Wissens. An der Spitze verortet er das göttliche Wissen, darunter das Wissen Jesu, das zu großen Teilen an dem Wissen Gottes partizipiert, und erst weit unten rangiert das Wissen des Erzählers, dessen Darstellung den Zeitrahmen von den alttestamentlichen Verheißungen über die erzählte Zeit des Markusevangeliums »vom Auftreten der Täufers bis zur Flucht der Frauen« bis zum zeitgeschichtlichen Standort des Erzählers im Jahr 70 umfasst. Ihm entzogen und dem göttlichen Wissen vorbehalten bleibt die Kenntnis des kommenden Tages der Endereignisse (42). B. ist sich der tragenden Rolle des Erzählers bewusst: Er ist es, der »beabsichtigt, weniger über Gott zu sprechen, als diesen vielmehr selbst zu Wort kommen zu lassen«. Gleichzeitig ist für B. die Feststellung zentral, dass Gott als die »handlungsbestimmende Figur ausgewiesen wird«, der sich auch der Erzähler unterordnet (96).
Kapitel 3 liefert eine Fülle von Einzelbeobachtungen zu den sechs Zentralbelegen. Den Erkenntnisgewinn einer Differenzierung zwischen der Erzählerperspektive der Zeit um 70 n. Chr. und den Begebenheiten in der erzählten Welt um 30 n. Chr. zeigt B. in einer prägnanten Interpretation der Tempelzerstörung (71–78).
Das vierte Kapitel ordnet die Einzelstellen unter den Gesichtspunkten »Gottesnähe und Gottesferne« in die Gesamterzählung ein (125). In der Dramaturgie des Markusevangeliums sei angesichts der sich verschärfenden Konflikte, in die Jesus gerät, zum einen eine immer stärkere Präsenz Gottes festzustellen. Zum anderen bestimme der Aspekt der Verborgenheit und des Verstummens Gottes das Gottesbild ab 14,27 (143.152). Da von Gott »weder im zitierten noch im direkten Wort etwas in Erfahrung zu bringen« ist, entstehe »der Eindruck seiner Abwesenheit« (144). Im Blick auf Jesus konstatiert B., dass nach den hohen Redeanteilen, die dieser in 11,1–14,42 besitzt, er ab 14,43 lediglich noch viermal, und das nur kurz, das Wort ergreift (149). Durch die Zeichnung Jesu als eines Geängsteten, Schweigenden und Ohnmächtigen verbinde Markus in seiner christologischen Konzeption Hoheit und Göttlichkeit Jesu mit Niedrigkeit und Menschlichkeit (150). Die bleibende Beziehung Gottes zu Jesus komme darin zum Ausdruck, dass in den entscheidenden Handlungen in 15,38 – der Tempelvorhang wurde zerrissen – und 16,6 – Jesus wurde auferweckt – Gott als Urheber tätig bleibt (155–156).
Im Schlusskapitel 5 stellt B. im Verhältnis der Gottesworte zu den Jesusworten trotz einer annähernd identischen »Wertigkeit« eine bleibende »leichte Abstufung« fest (164). Diese für die Verhältnisbestimmung von Theologie und Christologie wichtige Er­kenntnis einer Subordination Jesu unter Gott wird jedoch nicht weiter ausgeführt, sondern durch einen Schwenk der Darstellung auf die Entstehungssituation des Markusevangeliums eher relativiert (164). Unter dem Eindruck der Habilitationsschrift von David S. du Toit sieht B. den Abfassungszweck des Markusevangeliums darin, in der Zeit der Abwesenheit Jesu die Christusgläubigen »um die im Evangelium überlieferten Worte des irdischen Jesus« (166) herum zu sammeln. Statt Theologie und Christologie durch den Bezug auf einen außerhalb der Erzählung liegenden historischen Rahmen auszubalancieren, hätte B. freilich seinem eigenen Ansatz folgend über die Analyse und Verortung der sechs alttestamentlichen Schriftzitate hinaus innerhalb der erzählten Welt das Verhältnis zwischen Gott und Jesus und die Bedeutung der Soteriologie für die Christologie und das Gottesverständnis weiter ausleuchten können. Sowohl sein erzähltheoretisch fundierter Ausgangspunkt als auch die Weite des gewählten Buchtitels hätten dafür den Raum gelassen.