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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

920–924

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Maier, Christl, u. Nuria Calduch-Benages [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Schriften und spätere Weisheitsbücher.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2013. 310 S. m. 52 Abb. = Die Bibel und die Frauen. Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie. Hebräische Bibel – Altes Testament, 1/3. Kart. EUR 49,90. ISBN 978-3-17-023413-0.

Rezensent:

Karin Schöpflin

Die Beiträge behandeln den dritten Teil des hebräischen Kanons zuzüglich der »späteren Weisheitsbücher« Jesus Sirach und Sapientia Salomonis; hinzu kommt noch die Gestalt der Susanna aus der griechischen Tradition des Danielbuches, das sonst unberücksichtigt bleibt. Die Einleitung der beiden Herausgeberinnen (7–13) erläutert die Gliederung des Bandes in vier Abteilungen – die allerdings nur im Inhaltsverzeichnis erscheinen –, liefert eine Kurzcharakteristik der »Schriften« und konstatiert verschiedene hermeneutische und methodische Zugänge der Verfasserinnen, die diese jeweils zu Beginn ihres Beitrags darlegen. Die Herausgeberinnen fassen die meisten Artikel hier knapp zusammen. Als gemeinsames Merkmal der Aufsätze wird der »Fokus auf Geschlechterfragen, Machtbeziehungen und Ideologien innerhalb der Texte und in den Auslegungen« (12) genannt. Es geht auch um kritische Wahrnehmung der »androzentrische[n] Tradition« (12) der Exegese und um »Kritik einseitiger oder im Blick auf das Geschlecht vorurteilsbeladener Interpretationen« (12), indem die Artikel »entweder gegen eine normierende Auslegung argumentieren oder Gegentraditionen herausschälen, die zu einer neuen, geschlechtersensiblen Leseweise der Texte führen« (12).
I. Den Lebensrealitäten von Frauen auf der Spur: Tamara Cohn Eskenazi, »Das Leben von Frauen in der nachexilischen Zeit« (15–35), nimmt Gemeinsamkeiten, die sie im Blick auf die Rolle der Hausfrau und die Haushaltsführung in Xenophons Oikonomikos (4. Jh. v. Chr.) und Prov 31,10–31 wahrnimmt, zum Anlass, außerbib­lische Quellen zu nutzen, um die biblische Darstellung von Frauen in nachexilischer Zeit zu interpretieren. Nach einem Abriss der nachexilischen Zeit anhand von Esr/Neh werden sehr knapp einige wenige als repräsentativ eingeschätzte außerbiblische Quellen betrachtet: aus Griechenland »Athenische Quellen« der Perserzeit und der kretische Gortyn-Kodex sowie aus dem Umfeld jüdischer Diaspora »Babylonische/Mesopotamische Quellen« und Zeugnisse aus Elephantine in Ägypten. In diese »größeren kulturellen Entwicklungslinien der nachexilischen, persischen Zeit« (16) wird der biblische Befund aus Esr/Neh, Rut, Est und Prov 31 eingeordnet. Das Ergebnis überrascht nicht: Die Hauptverantwortlichkeit von Frauen liegt im Haushalt, die sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen geben den Ausschlag, ob und wieviel Hilfe durch Sklavinnen einer Hausfrau zur Verfügung steht. Zwar sei in Israel die Mischehe verboten gewesen, doch zeige das Buch Rut, dass sie dennoch möglich war. Es bleibt der grundsätzliche methodische Vorbehalt, von einer Nachbarkultur wie etwa der griechischen Rückschlüsse auf Israel zu ziehen – ein Vorgehen, das sich schon bei Noths Amphiktyonie-Hypothese nicht bewährt hat. Sara Japhet, »Frauennamen und Genderperspektiven in der Chronik« (37–56), weist eingangs auf die zahlreichen namentlichen Erwähnungen von Frauen in Chr hin und bietet eine allgemeine kurze Einführung in die Chronikbücher. Die Angaben zu Frauen werden in drei Abschnitten vorgestellt: a) In der historiographischen Erzählung 1Chr 10–2Chr 36 führt einerseits die selektive Auswahl des Chro-nisten aus seinen biblischen Quellen (etwa die Unterdrückung der Geschichte des Nordreiches) dazu, dass eine Reihe von Frauen bei ihm nicht vorkommen; andererseits bietet sein Sondergut Zu­ satzinformationen über Frauen aus der davidischen Linie und berücksichtigt levitische Frauen. b) 1Chr 1–9 bezieht zusätzlich 43 Frauen in die genealogischen Listen ein. c) Aus den Bemerkungen des Chronisten zu rechtlichen Angelegenheiten Frauen betreffend werden vier Begebenheiten ausgewählt: 1Chr 2,34–35 (Scheschan verheiratet seine Tochter mit einem ägyptischen Sklaven, um männliche Nachkommenschaft zu sichern); 1Chr 23 (die Töchter Eleasars); 2Chr 8,11 (Tochter Pharaos gestrichen um der Reinheit des Heiligtums willen); der Chronist bemängelt Mischehen grundsätzlich nicht. Er zeige überdies Interesse an Frauenangelegen-heiten.
II. »Gute« und »schlechte« Frauen? Frauenbilder in Israels Weisheitstradition: Gerlinde Baumann, »Die Weisheitsgestalt: Kontexte, Bedeutungen, Theologie« (57–74), zeichnet die Entwicklung der po­etischen Personifikation der Weisheit nach. In Prov 1–9 werbe sie (vor der »fremden Frau« warnend) mit ihrer Anwesenheit bei der Schöpfung und dem daraus resultierenden Wissen um die Weltordnung für sich. Bei Sira stehe sie der Gottesfurcht nahe, werde mit der Tora identifiziert und als weltweit ausstrahlend gezeichnet analog zur Ausdehnung von Gottes Macht über die ganze Welt; zudem zeige sich die Integration der ägyptisch-hellenistischen Isis. In SapSal stehe die Weisheit an Gottes Seite, ihm teils gleichgestellt; in der Geschichte Israels wirkend hat sie frühere erotische Aspekte verloren. Die Weisheitsgestalt sei streckenweise als weibliches Gottesbild der Bibel zu sehen. Doch da eine androzentrische Perspektive vorliege (adressiert sind in den Schriften junge Männer), sei die positive Weisheitsgestalt mit der Abwertung konkreter Frauen gekoppelt. Christl Maier, »Gute und schlechte Frauen in Proverbien und Ijob. Die Entstehung kultureller Stereotype« (75–89), nimmt die Tendenz der Weisheitsliteratur auf, Typen menschlicher Charaktere zu produzieren. Aus Prov und Hiob werden vier Frauentypen vorgestellt: fleißige Ehefrau, Verführerin, Ratgeberin und arme Witwe. Derartige kulturelle Stereotype seien notwendig, um die eigene Welt zu ordnen, und dienten dem Zweck der Erziehung der intendierten Leserschaft: Die Weisen wollten erwünschtes Verhalten definieren und junge Männer zur Wahl einer »guten« Ehefrau anleiten. Es ergäbe sich jedoch daraus eine negative Bewertung von Frauenrollen in der Gesellschaft, so dass die Stereotype ein gefährliches Potential zur Festigung von Vorurteilen bergen. Es wird aber auch festgehalten, dass Frauen in der damaligen Zeit die androzentrische Sicht teilten. Vittoria D’Alario, »Zwischen Frauenfeindlichkeit und Aufwertung. Blicke auf Frauen im Buch Kohelet« (91–104), schickt Allgemeines zu Kohelet voraus, der öfter Themen aus zwei unterschiedlichen Blickwinkeln behandle. Eine negative Beurteilung von Frauen in Koh 7,26–28 steht der positiven Aufforderung, die Beziehung zur Frau zu genießen (9,9), gegenüber. Die erste Passage wird im Kontext detailliert ausgelegt (Koh 7,23–29). Als Aussage ergibt sich, dass die Frau ein Geheimnis bleibe, was in den Kontext der Schöpfung eingeordnet werde, da die Frau ein Werk Gottes ist. An Koh 9,9 wird akzentuiert, dass der Artikel vor »Frau« im Hebräischen fehle, weshalb beim Liebesgenuss nicht an eine Ehefrau gedacht sei – so erweise Koh sich als Antikonformist. Nuria Calduch-Benages, »Gute und schlechte Ehefrauen im Buch Jesus Sirach – eine harmlose Unterscheidung?« (105–121), wählt Passagen zum Thema aus und achtet auf deren kommunikative Strategien. Zentraler Text ist Sir 25,13–26,18, wo schlechte und gute Ehefrauen im Wechsel erscheinen; Sir 36,21–27 widmet sich der guten Frau, verstreute Einzelverse kommen hinzu. Der erfahrene Ehemann Sira gebe seinen heranwachsenden Schülern als zukünftigen Ehemännern Ratschläge. Er widme den schlechten Ehefrauen mehr Aufmerksamkeit und spreche über sie lebendig und eindringlich in der ersten Person – vermutlich weil seine eigene Frau in diese Kategorie gehörte. Für beide Frauenkategorien bilde der Mann den Bezugspunkt durch die Frage der Auswirkung auf ihn. Es gehe um patriarchale Kontrolle über die Frau, die Sira aufrecht erhalten wolle.
III. Frauengestalten und weibliche Metaphern in poetischen Texten: Silvia Schroer, »Altorientalische Bilder als Schlüssel zu biblischen Metaphern« (123–152), führt in ihren mit 49 Abbildungen reich illustrierten Beitrag mit Hinweisen auf die generelle Bedeutung von Bildmaterial für die Bibelexegese ein. Sie behandelt vier Felder: a) Vertrauensbilder, die Gottes fürsorgliche Aspekte zeigen, speisen sich aus dem Bereich Schwangerschaft, Geburt und Mutter-Kind-Beziehung sowie der schützenden Flügel. b) Schöpfungstheologisch erscheint Gott als »Herr der Tiere« (Hiob; Ps 104). c) Die Verdrängung der Göttinnenbilder in der südlichen Levante äußert sich, indem Göttinnen durch »Stellvertreter« wie Bäume, Zweige oder ihre Tiere (Tauben, Gazellen u. a.) repräsentiert werden. Zudem werden Frauen in biblischen Texten (z. B. Ps 144,12) mit Architekturelementen assoziiert (Männer mit Pflanzen); weitere ikonographische Motive sind die Frau am Fenster und Liebeslagerszenen. Angesichts von Hld 8,6 ist die Liebe(sgöttin) als mythische Gegenspielerin der Todesmacht relevant. d) Göttinnen als Vorbilder der personifizierten Weisheit. Donatella Scaiola, »Weibliche Symbole und Metaphern im Psalter« (153–168), geht davon aus, dass der Psalter keine frauenfeindlichen Züge trage und keine doppeldeutigen oder problematischen weiblichen Figuren zeichne. Als signifikante Beispiele für weibliche Aspekte in den Psalmen dient zunächst die Metapher der Mutter in Ps 139,13–16; 22,10–11; 131,1–2; 71,5–9.17–18. Diese Texte zeigten, wie »Gott-Mutter« vom Embryo an »die fortschreitende Emanzipation ihres Geschöpfs« fördere und die Metapher »die Urerfahrung, dass Gott uns kenn[e]« ausdrücke. Der zweite Teil befasst sich mit der Verbindung von Stadt- und Mutter-Metapher am Beispiel einer Auslegung von Ps 87. Ulrike Bail, »On Gendering Laments: Eine genderorientierte Lektüre der Klagepsalmen« (169–184), geht von der These aus, dass Klagepsalmen als Stimmen von Frauen gelesen werden könnten, da das literarische Ich offen bleibe und auch der Körper nicht geschlechtlich differenziert sei. Im Rezeptionsvorgang könnten Frauen damit zu Subjekten der Klage werden. Die fiktiven Überschriften der biblischen Psalmen bewirkten eine Leserlenkung. Da Psalmen andere biblische Texte in Erinnerung rufen, sei es möglich, z. B. Ps 55, wo Stadt und Ich als Gewaltopfer erscheinen, auf Tamar (2Sam 13) zu beziehen. Außerdem eröffneten Psalmen während des Sprechens einen geborgenen (Text-)Raum. Nancy C. Lee, »Klagelieder und Gender im kulturellen Kontext der Bibel« (185–201), legt einführend dar, dass in Klgl verschiedene Stimmen zu Worte kommen, darunter auch (eine) weibliche. Diese überschreite die traditionellen Ausdrucksformen der Trauer von Frauen und setze sich dia-logisch mit der strafend-gewalttätigen Rolle Gottes auseinander. Klgl 1 und 2 werden ausgiebig betrachtet, die beiden Hauptsprecher darin als männlich im kollektiven Klagelied (Prophet, Jeremia) und als weiblich im individuellen Klagelied, wie eine um das Leid der Stadt besorgte Frau (Sängerin), identifiziert. Diese weibliche Stimme artikuliere in Klgl 1 »eine theologische Rebellion gegen die Art der übermäßigen Bestrafung JHWHs« (192). Auch in Klgl 2 überschreite die weibliche Stimme die akzeptierten Geschlechterrollen. Klgl 3–5 werden kurz angesprochen, bevor die Zusammenfassung eine Liste von neun Themen, die die weibliche Stimme beiträgt, bietet sowie fünf Fragen für die Exegese der Klgl stellt. Gianni Barbiero, »Schulamit, die ›befriedete‹ Frau im Hohenlied« (203–220), betont, dass aufgrund des höheren Textanteils die Frau in Hld die Hauptperson sei. Ihr Name »Schulamit« verweise auf das Paradox, dass die unbewaffnete Kraft der Liebe scheinbar der Ge­walt erliege, am Ende aber doch obsiege. Es folgt eine Kurzauslegung des Buches, die das Motiv der Schönheit, die Metaphern des Wassers und des Weinbergs sowie den Refrain der Zusammengehörigkeit beleuchtet. Die Frau wird als Vorläuferin der Emanzipationsbewegung gesehen (211), das Hld als Text, der sich von der patriarchalen Familie distanziere.
IV. Ambivalente Vorbilder: Frauen in erzählenden Texten: Miren Junkal Guevara Llaguno, »Rut und Noomi fordern Leben und Erinnerung« zurück (221–238), geht von den Namensbedeutungen der Protagonistinnen und deren Potential zur Verwirklichung im Leben aus. Sie interessiert die Beziehung, die Rut zu Noomi eingeht, indem diese sich an die Schwiegermutter und deren Gott bindet. Durch Rut als Werkzeug göttlicher Vorsehung werde Noomi das Leben zurückgegeben. Das Buch illustriere die Notwendigkeit, in Israel Beziehungen zu anderen Völkern zu fördern, die nicht auf Vorurteilen beruhten. Das Buch zeige »Ermächtigungsprozesse« und erinnere an die Kraft der Solidarität als bevorzugte Weise, lebensfördernde Gesellschaftsstrukturen hervorzubringen. Susan Niditch, »Die Interpretation von Ester. Kategorien, Kontexte und kreative Vieldeutigkeit« (239–257), stellt bisherige Deutungen Esters durch Frauen vor, die in den vier Kategorien Akzeptanz, Ablehnung, selektive Aneignung und Anpassung sowie strukturierte Empathie erfolgte, und fasst deren Beobachtungen am Esterbuch zusammen. Niditchs eigener Zugang ist von ethnologischen Studien beeinflusst; sie sieht Ester als Archetyp der Frau als zivilisierende Kraft. Ester ist eine der Frauen, die sich zwar in stereotypen Rollen präsentieren, aber doch die Einstellung der männlichen Helden zu ändern vermögen, auch wenn das Machtgefüge sich nicht verändere. Ester sei ein Beispiel für die heimliche Macht der Frauen. Das Purim-Fest stehe in Verbindung mit Themen der Befreiung, des Kolonialismus und Feminismus, da es soziale Normen in Frage stelle. Isabel Gómez-Acebo, »Susanna: Tugendhaftes Vorbild und weibliche Gegenfigur zu David« (259–271), zeichnet die Susanna-Gestalt als paradigmatischen Fall: Sie nimmt im Gebet Zuflucht zu Gott, der sie durch die Vermittlung Daniels rettet. So werde Susanna zum Vorbild für Schwache und Bedrängte in hellenistischer Zeit.
Bibliographie, Stellenregister und relativ ausführliche Informationen über die Autorinnen beschließen den Band.