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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

915–916

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Smelik, Willem F.

Titel/Untertitel:

Rabbis, Language and Translation in Late Antiquity.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2013. XXI, 591 S. Geb. £ 75,00. ISBN 978-1-107-02621-6.

Rezensent:

Beate Ego

Der Oxforder Targumspezialist Willem Smelik legt mit diesem Werk eine umfassende Studie zum Verständnis des Phänomens der Sprache und der Bedeutung von Übersetzungen vor, wie es aus den Texten der rabbinischen Literatur erhoben werden kann. Wichtig für die Methodik dieser Arbeit ist die Tatsache, dass die entsprechenden Aussagen aus der rabbinischen Literatur – die ja keine systematische Darstellung ihrer »Weltsicht«, sondern eher eine organische Darbietung der verschiedenen Traditionen enthält – nicht ohne Weiteres synthetisiert werden können. Vor diesem Hintergrund betont S., dass man diesem umfangreichen Textcorpus nur dann gerecht werden kann, wenn man zulässt, dass hier eine »plurality of voices« und eine Entwicklung von Vorstellungen zu greifen ist.
Das Buch besteht aus drei großen Teilen: Im ersten großen Kapitel (9–138) erhebt S. das rabbinische Verständnis des Phänomens »Sprache« sowie die konkreten sprachlichen Verhältnisse zur Zeit der Rabbinen. Nach den rabbinischen Überlieferungen ist Sprache in erster Linie kein konventionelles System, sondern ein göttliches Geschenk, das den Menschen grundsätzlich von den Tieren unterscheidet und ihn den Engeln ähnlich macht. Trotz der Tatsache, dass die Sprache der Menschen in 70 Einzelsprachen zerfällt und nach der Sprachverwirrung durch den Turmbau von Babel die direkte Verständigung unter den Menschen verschiedener Sprachen schwierig geworden ist, besteht das Prinzip ihrer Kompatibilität untereinander, so dass deshalb auch die Tora in andere Sprachen übersetzt werden kann. Es finden sich aber auch durchaus kritische Stimmen zu den Übersetzungen der Heiligen Schrift.
Entgegen dem Klischee spielt für die Vorstellungswelt des frühen Rabbinats die Vorstellung vom Hebräischen als Heiliger Sprache nur eine begrenzte Rolle und ist zunächst auf seine Bedeutung bei Tempelritualen begrenzt. Deutlich wird aber auch, dass die Redaktoren, die Mischna und Tosefta bearbeiteten, ein zunehmendes Interesse an dem Konzept des Hebräischen als Heiliger Sprache entwickeln und mehr und mehr seine religiöse Bedeutung betonen. Im zweiten Teil des Buches (139–322) untersucht S. die Praxis des Übersetzens, die letztlich aus der multilingualen Lebenswelt im römischen Palästina resultiert. Hier steht die Tora-Verlesung in der Synagoge im Zentrum. Während die Tora im hebräischen Original verlesen werden muss, erfolgte die Präsentation ihrer aramäischen Übersetzung, dem sogenannten Targum, im Medium der Mündlichkeit. Auf diese Art und Weise wurde die Unterscheidung zwischen dem Original und der Übersetzung auch in der Form des Mediums deutlich gemacht. Wenn die rabbinische Literatur auch ein einheitliches Bild im Hinblick auf die Darbietung der mündlichen Übersetzungen vorgibt, so muss man sich doch darüber im Klaren sein, dass es in der Praxis mehrere Jahrhunderte brauchte, um diese auch durchzusetzen. Tatsächlich war der Einfluss der Rabbinen innerhalb der jüdischen Gesellschaft in den ersten Jahrhunderten nach der Zeitenwende bis hinein in die amoräische Zeit bei Weitem nicht so bedeutsam, wie das in der früheren Forschung angenommen wurde. Erst im Laufe der Zeit und in Verbindung mit der zunehmenden Autorität der Rabbinen setzte sich die Bedeutung des Hebräischen als Heilige Sprache durch. Die Betonung der Bedeutung des Hebräischen, die ein Stück weit mit der Relativierung der Übersetzungen einherging, war Teil des Versuches der rabbinischen Bewegung, die Autorität über die Synagoge zu erreichen. Der dritte Teil des Werkes (323–499) schließlich untersucht die Zitate aus den Übersetzungen der Heiligen Schrift in der rabbinischen Literatur, die in Griechisch und Aramäisch vorliegen. Die Übersetzungen spielen eine wichtige Rolle in Fragen der Schriftauslegung, da sie als lexikalische »Depots« (»lexical repository«) fungieren konnten. Übersetzungen, die mit den rabbinischen Grundanschauungen – insbesondere in halakhischer Hinsicht – nicht übereinstimmten, konnten aber auch ignoriert werden. Ein abschließendes Kapitel widmet sich der Darstellung Aquilas in den rabbinischen Texten. S. kann dabei zeigen, dass dieser Figur eine wichtige Rolle bei der Legitimierung der Praxis des Übersetzens zukam. Die Arbeit schließt mit einem umfangreichen Literaturverzeichnis (518–546) und einem Quellen- und Stichwortverzeichnis (547–571). Ohne Zweifel handelt es sich bei S.s Untersuchung um ein bedeutsames Werk, da hier das rabbinische Verständnis von Sprache generell und der Übersetzung der Heiligen Schrift im Besonderen erstmalig so differenziert mit stetem Blick auf den lebensweltlichen Kontext aufgearbeitet wurde. Insgesamt zeigt die rabbinische Literatur auf jeden Fall eine Entwicklung, die dem Hebräischen eine zunehmend große Bedeutung beimaß und die die Bedeutung von Übersetzungen marginalisierte. S. ist auf jeden Fall für seine methodische Umsicht und die Mühe der plausiblen Aufarbeitung der zur Verfügung stehenden Quellen zu danken. Weitere Studien können an dieses Werk anknüpfen und versuchen, die inhaltliche Relation zwischen den aramäischen (und griechischen) Übersetzungen und den rabbinischen Überlieferungen näher zu bestimmen.