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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

816–818

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Fischer, Christian

Titel/Untertitel:

Wir haben Euer Gelöbnis vernommen. Konfirmation und Jugendweihe im Spannungsfeld. Ein Beispiel für den Einfluß gesellschaftlicher Verhältnisse auf praktisch-theologische Argumentationen in der DDR (1949-1978).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 1998. 299 S. 8. Kart. DM 42,-. ISBN 3-374-01694-4.

Rezensent:

Roland Degen

Nirgends war in der DDR das Verhältnis von Staat und Kirche konfrontativer als im Themenfeld Bildung/Schule, in das die 1954/55 eingeführte Jugendweihe eingebunden war. Die vorliegende Arbeit (Dissertation Mainz 1996) von Christian Fischer zeichnet die mit der DDR-Staatskasualie Jugendweihe gegebene Konfliktgeschichte - detailgenau und mit kirchenpolitischem Belegmaterial reich versehen - chronologisch bis 1978 nach. Um Nuancenveränderungen in der staatlichen und kirchlichen Argumentation gerecht zu werden, epochalisiert Fischer die diesbezügliche DDR-Entwicklung und gliedert die Auseinandersetzung in die Zeitabschnitte 1954-58, 1958-63, 1964-69 (Datierungsfehler im Inhaltsverzeichnis), 1969-73, 1974-78. In jedem Kapitel werden zunächst der kirchenpolitische Gesamtrahmen skizziert und danach die Entwicklungen von Konfirmation und Jugendweihe für diesen Zeitraum entfaltet. Eine die Arbeit abschließende "Skizze" versucht ein "Perspektivisches Resümee".

Bereits die Überschriften der Teilkapitel zeigen die Tendenzen der Entwicklungen an: Die Konfirmation wird vom "Festhalten an der Tradition" durch die Bevölkerungsmehrheit immer stärker zum "Bekenntnis einer Minderheit", wobei jedoch das "Auseinanderfallen volkskirchlicher Strukturen" zunehmend die "theologische Neubesinnung fördert". Für die Jugendweihe bedeutet dies: Nach anfänglicher Ablehnung durch die SED entscheidet sich diese 1954 für das Gegenteil und setzt diesen der Konfirmation nachgestalteten Ritus mit rigiden Methoden, die F .als damaliger DDR-Jugendlicher selbst erfahren hat, machtstrategisch durch. Bei lediglich formaler Freiwilligkeit entwickelt sich die Jugendweihe vom staatlich "erwünschten Loyalitätserweis" mit eindeutiger weltanschaulicher Prägung (Gelöbnis!) faktisch zum staatlich verordneten Festakt als "Bestandteil des sozialistischen Erziehungssystems", wobei freilich die Familien diesen Akt zunehmend privatistisch interpretierten. Nachdem das ungleiche Kräfteverhältnis in dieser Auseinandersetzung um 1960 zugunsten der Jugendweihe entschieden ist, übernimmt diese de facto die traditionelle Rolle der Konfirmation in der Gesellschaft.

F. gibt an, was ihn zu dieser Beschreibung des Konfirmation-Jugendweihe-Konflikts in der DDR veranlaßt hat. Ihn macht nach 1989/90 "betroffen, wie leichtfertig oft die Geschichte der Evangelischen Kirchen in der DDR als ein Unfall, als Zwangsweg in die totale Anpassung an den Staat begriffen und dargestellt wurde" (9). Der Tendenz, die DDR-Kirchenentwicklung als Selbstverleugnung und opportunistische Unterwerfung darzustellen, setzt er seine Dokumentation entgegen, die das statistische Versagen der Konfirmationstradition nicht verschweigt, jedoch - etwa in den Ansätzen des Modells "Konfirmierendes Handeln"- mühsam entdeckte "neue Perspektiven eines Christseins unter sich verändernden gesellschaftlichen Bedingungen" zu zeigen vermag (255 ff.).

Die Bedeutung von F.s Arbeit besteht darin, unter dieser Voraussetzung eine exakte Chronologie der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen zu bieten, entsprechende Intentionen zu beschreiben und zugleich die nötige Dokumentation oft schwer erreichbarer Texte mitzuliefern. Dies ist in derartiger Detailgenauigkeit für jenen Zeitraum bisher nicht geleistet worden. Die Konzentration auf diese Intention läßt freilich andere Aspekte der Konfirmation-Jugendweihe-Thematik, die angesichts des Weiterwirkens der Jugendweihe vorrangig in Ostdeutschland von Bedeutung sind, in den Hintergrund treten. Die sozialwissenschaftlichen und praktisch-theologischen Fragen etwa, wie die Teilnehmer diese intentional unterschiedlichen Kasual- bzw. Passagehandlungen selbst lebensgeschichtlich werteten, oder was der DDR-Konflikt angesichts konkurrierender lebenslaufbegleitender Riten - einschließlich unterschiedlicher Jugendweihekonkurrenten - im postsozialistischen Pluralismus (Ost-) Deutschlands bedeutet und welche Konsequenzen dies für das Confirmare der Kirchen hat, sind bei F. auch im "Perspektivischen Resümee" kaum zu erkennen. Angesichts der Konzentration auf die kirchenpoltischen DDR-Aspekte der Thematik wird man F.s Arbeit nicht überfordern dürfen. Die Eingrenzung seiner Intention vermag zu zeigen, welche anderen Aspekte der Gesamthematik noch der intensiveren Erkundung harren, wofür es freilich inzwischen Ansätze gibt.

Für die weiterzuführende Bearbeitung des Themas hat F. einen zuverlässigen DDR-Zeitrahmen angeboten. Daß seine Untersuchung hierbei bereits mit 1978 abschließt und nicht den Gesamtzusammenhang bis 1989/90 beschreibt, wird man bedauern müssen, ebenfalls - bis auf wenige Nachtragstitel - den Abschluß der Literaturliste mit 1994. Auch manche Redundanz stört.

Zur nachdenklichen (und vordenklichen) Prüfung hinsichlich der Konfirmationsrealitäten in den Kirchen mag die Bemerkung eines SED-Funktionärs von 1962 anregen: "Während die Kirche mit der Konfirmation nur auf das religiöse Leben vorbereitet und Jugendliche in eine bestimmte Glaubensgemeinschaft aufnehmen kann, führen die weltlichen Weihefeiern die jungen Menschen in die Vielfalt des gesellschaftlichen Lebens ein und bereiten sie auf das Leben in der Gesellschaft vor" (135).