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Ausgabe:

September/2015

Spalte:

909–911

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Aitken, James K., and James Carleton Paget [Eds.]

Titel/Untertitel:

The Jewish-Greek Tradition in Antiquity and the Byzantine Empire.

Verlag:

Cambridge u. a.: Cambridge University Press 2014. 381 S. m. 1 Kt. u. 20 Abb. Geb. £ 65,00. ISBN 978-1-10700163-3.

Rezensent:

Jürgen Zangenberg

Der Band ehrt Nicholas Robert Michael de Lange, den emeritierten Professor für Hebrew and Judaic Studies, Fellow des Wolfson College der Universität Cambridge und Reformrabbiner, der sich nicht nur als Hebraist, Patristiker und Historiker griechisch-jüdischer Kultur große Verdienste erworben hat, sondern auch als Übersetzer moderner hebräischer Werke ins Englische (s. das kurze Vorwort von Amos Oz, XI–XII). Ausgangspunkt der Forschungen de Langes – und damit auch des vorliegenden, von James K. Aitken und James Carleton Paget herausgegebenen Bandes (s. »Introduction«, 1–11) – ist die weit verbreitete Meinung, »held by Jewish and Christian scholars alike, which assumes that after about 100 CE, Jewish-Greek culture broadly disappeared and that by the end of the second century, possibly a little later, the majority of the Jews had begun to revert to a Hebraic culture, a phenomenon that first manifested itself in the publication of the Mishnah« (2). Dass dies jedoch nur ein Vorurteil ist, belegen die 18, auf den Forschungen de Langes aufbauenden Beiträge, deren Themen sich in einem Zeitraum von ca. 300 v. Chr. bis zum Ende der byzantinischen Herrschaft und darüberhinaus bewegen. Selbst dort, so zeigen die Autoren, wo gebildete Juden, Rabbiner oder mittelalterliche Bibelkommentatoren das Hebräische als Mittel ihres Denkens und Schreibens nutzten, waren sie mit griechischer Sprache und der darin verfassten jüdischen Literatur vertraut.
Drei breit angelegte Beiträge bilden den ersten Teil des Bandes (»History«). Günter Stembergers Artikel »Jews and Greco-Roman culture: from Alexander to Theodosious II« öffnet den historischen und konzeptionellen Raum für die folgenden Beiträge. Stemberger warnt im Anschluss an Erich Gruen u. a. völlig zu Recht vor der immer wieder zu beobachtenden vereinfachenden Gleichsetzung von Hellenismus mit Assimilation oder Apostasie (15–36, bes. 35 f.). Steven Bowman setzt die Untersuchung des historischen Kontextes fort in »The Jewish experience in Byzantium« (37–53). Sowohl Bowman als auch der folgende Beitrag von Alexander Panayotov unterstreichen die fortdauernde jüdische Interaktion mit der griechischen Sprache trotz zum Teil massiver anti-jüdischer Gesetzgebung seitens der Byzantiner (54–76: »Jews and Jewish communities in the Balkans and the Aegean until the twelfth century«).
Im zweiten Teil des Bandes steht die Forschungsgeschichte im Mittelpunkt (»Historiography«). William Horbury befasst sich mit de Langes 1976 erschienener Dissertation (79–90: »Origen and the Jews: Jewish-Greek and Jewish-Christian relations«) und betont, wie sehr jüdisch-christliche Debatten eigentlich Kontroversen waren zwischen Juden und Christen, die jeweils Griechisch dachten, sprachen und schrieben. Ihm folgt Giuseppe Veltris »Jewish-Greek studies in nineteenth- and early twentieth-century Germany: a brief overview« (91–102).
Hauptteil III »Greek Bible and Language« vereinigt vier Beiträge. In »The origins of the Septuagint« nennt James Carleton Paget – im Unterschied zur verbreiteten Kritik am Szenario des Aristeasbriefes – Indizien für den kollektiven Charakter der LXX als Übersetzung (105–119), während James Aitken in »The language of the Septuagint and Jewish-Greek identity« neben bekannten Hebraismen auch zahlreiche Anzeichen für an klassischen Vorbildern geschultes, literarisches Griechisch identifizieren kann (120–134). Trotz erheblicher Quellenprobleme geht Cameron Boyd-Taylor Stationen einer vom Christentum unabhängigen Überlieferungsgeschichte der LXX innerhalb des byzantinischen Judentums nach (135–151: »Af-terlives of the Septuagint: a Christian witness to the Greek Bible in Byzantine Judaism«). Laut Julia G. Krivoruchkos abschließendem Beitrag dieses Teils bezeugt der Konstantinopolitanische Pentateuch einen stark am Hebräischen orientierten Kunstjargon, der nie als Muttersprache verwendet worden sei (»translationese«; 152–170: »Medieval and Early Modern Judaeo-Greek biblical translations: a linguistic perspective«).
Mit acht Artikeln zu unterschiedlichen Elementen griechischer Kultur im Judentum bildet Hauptteil IV (»Culture«) den Schwerpunkt des Bandes. In »Philo’s knowledge of Hebrew: the meaning of the etymologies« nimmt Tessa Rajak die bekannten Etymologien als Anlass zur Annahme der Möglichkeit, dass Philo entgegen der breiten Mehrheit der Forschung wohl doch Hebräisch kannte (173–187). Francis Schmidt, »The plain and laughter: the hermeneutical function of the sign in Philo of Alexandria«, verdeutlicht im Anschluss daran, auf welche Weise Philo das aus der stoischen Philosophie entlehnte Konzept des semeion einsetzt, um literale und allegorische Exegese miteinander zu verbinden (188–199). Die beiden folgenden Beiträge von David Noy (»Jewish Archaeology and art in antiquity«, 200–214) und Pieter van der Horst (»Jewish-Greek epigraphy in antiquity«, 215–228) richten den Blick auf die materielle Kultur. Anhand zahlreicher Beispiele illustriert Noy, wie schwer es ist, ein Gebäude als jüdische Synagoge zu identifizieren, ja er bestreitet, dass es in der Antike überhaupt eine eigene, dezidiert jüdische materielle Kultur oder Architektur gab. Van der Horst kann dank einer großen Fülle von Daten belegen, wie breit der Gebrauch des Griechischen im jüdischen Alltag bis weit in die Spätantike gewesen sei. Philip Alexander, »The Rabbis, the Greek Bible and Hellenism«, entwirft sozusagen das Gegenbild und zeigt, dass die Kenntnis des Griechischen bei den Rabbinen durchaus beschränkt war und dass die griechische Bibelübersetzung immer weniger als gleichwertig mit dem hebräischen »Original« erachtet wurde, wobei dabei natürlich auch die Konkurrenz zu christlichen Gruppen eine Rolle gespielt hat (229–246). Die Beiträge von van der Horst und Alexander dokumentieren somit die Vielfalt spätantiker jüdischer Lebensäußerungen, die eben nicht nur allein rabbinisch geprägt waren. Gideon Bohaks Beitrag »Greek-Hebrew linguistic contacts in late antique and medieval magical texts« beschreibt sowohl den Gebrauch der hebräischen Bibel als auch die Transliteration biblischer Verse in griechische magische Formeln (247–260). Wout van Bekkum ergänzt das Bild durch Überlegungen zur Entstehung jüdischer religiöser Poesie (piyyutim, von poietes?) (261–278: »Jewish and Christian hymnody in the early Byzantine period«). Judith Olszowy-Schlanger beschließt den Band mit ihrer Untersuchung »On the Hebrew script of the Greek-Hebrew palimpsests from the Cairo Genizah« zu 14 Fragmenten von sieben hebräischen Manuskripten. Diese sind in einem besonderen Typ der Quadratschrift verfasst und stammen möglicherweise aus einem mehrsprachigen Milieu in Ägypten, in dem Griechisch eine wichtige Rolle spielte (279–299).
Eine Liste der Publikationen des Jubilars (300–308), eine Bibliographie zu den Beiträgen (309–348), ein allgemeines Register sowie ein Index biblischer Referenzen und anderer Quellen schließen die wertvolle Aufsatzsammlung ab. Den Herausgebern und Autoren ist für den reich dokumentierten Band zu danken, der auf mannigfache und inspirierende Weise aufzeigt, wie viel Hellenitas zur Ausprägung des antiken Judentums beigetragen hat. Jerusalem und Athen hatten also doch eine ganze Menge miteinander gemeinsam, vor allem weil deren Bewohner im Laufe der Jahrhunderte alles andere als einander fremd geblieben sind.