Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2015

Spalte:

902–905

Kategorie:

Religionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Leirvik, Oddbjørn

Titel/Untertitel:

Interreligious Studies. A Relational Approach to Religious Activism and the Study of Religion.

Verlag:

London u. a. Bloomsbury Academic 2014. 196 S. Geb. US$ 112,00. ISBN 978-1-47252449-2.

Rezensent:

Sybille C. Fritsch-Oppermann

Mit diesem Buch legt der bekannte norwegische Theologe und Islamkenner Oddbjørn Leirvik eine Einführung ganz besonderer Art in das Feld Interreligiöser Studien vor. L. lehrt das Fach »Interreligious Studies« an der staatlichen Universität Oslo. Er ist einer der Initiatoren der »European Society of Intercultural Theology and Interreligious Studies« und hat ausgiebig über Fragen christlich-islamischer Beziehungen publiziert.
Seine frühere Tätigkeit als Theologe und Pfarrer in unterschiedlichen Feldern kirchlicher Praxis und sein religionssoziologischer Schwerpunkt lassen L. auch stets nach einer Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis Ausschau halten. So geht er induktiv bei der Erhebung vor, was der Ort von Interreligiösen Studien und vom Dialog zwischen Menschen verschiedenen Glaubens (»Interfaith Dialogue«) in universitärer Wissenschaft (Religionswissenschaft und Religionsphilosophie) sein könnte.
Das hier Lesern unterschiedlichster Fachrichtungen und Weltanschauungen bzw. Religionen anempfohlene Buch diskutiert viele wichtige Ansätze der letzten 50 Jahre (Kapitel 2 stellt verschiedene Dialogphilosophien aus einer »Praxis auf der Suche nach Theorie« vor) und bewegt sich immer im Bereich inter- oder auch multidisziplinärer Perspektiven, besonders im Bereich von Theologie, »Religious Studies«, Ethik, Kritischer Theorie und Soziologie. Selbstverständlich werden vor diesem Hintergrund auch Fallstudien (aus Norwegen und anderen, eher muslimisch geprägten Ländern sowie aus dem globalen Kontext) vorgestellt.
L.s bevorzugter Ansatz kann am besten mit dem Stichwort »Relational Approach« (Relationale Annäherung) wiedergegeben werden und setzt sich auch deutlich von anderen Modellen der »Religious Studies« und der Theologie (der Religionen) ab. Auch die akademischen Studien jedenfalls sollen in Zeiten der Globalisierung und Multikulturalität praktischen Sinn machen für die damit in ganz neuer Form sich der Moderne stellenden Fragen der Ethik und Hermeneutik.
Fragen interreligiöser Beziehungen werden deshalb ebenso adressiert wie der in Theorie und Praxis geführte Dialog zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens und Chancen und Grenzen eines Weltethos. Es geht (Kapitel 5) um Chancen und Probleme der Säkulare ebenso wie um die Starre einer »Confrontational Identity Politics« (Konfrontativen Identitätspolitik), um den Vorteil einer »Faith-Based Diplomacy« (Glauben und Religion einbeziehenden Diplomatie), da viele kulturelle und politische Konflikte ihre Wurzeln im zugrundeliegenden religiösen System haben bzw. Religion nicht selten ein Teil des Konfliktmusters ist.
Kapitel 4 beschreibt vorhergehend etwa, wie konfrontative Identitätspolitik und deren Methode des »Othering« allen nur denkbaren Formen der Stereotypisierung Vorschub leistet, Dialog hingegen im besten Fall zu gemeinsam verantwortetem Handeln in Verschiedenheit führt. Besonders für den deutschen Kontext wird sichtbar, dass uns an dieser Stelle akademische Theologie und Religionswissenschaft in einigen anderen Ländern und deren Be­mühen, auch und gerade der Praxis des Dialogs wissenschaftlich nachzudenken, durchaus voraus sind.
Bereits in der Einführung zeichnet L. einen unaufhebbaren Zu­sammenhang von religiösem Aktivismus, dem Dialog von Menschen unterschiedlichen Glaubens und Interreligiösen Studien nach. L. macht hier deutlich, dass Religion zwar oft als Kategorie universalisiert wird, Bedeutung aber erst dann gewinnt, wenn die innere Vielfalt der Religionen ebenso beachtet wird wie ihr jeweiliges Verhältnis zum religiös Anderen. In ihrer konkreten Gestalt müssen Religionen jedenfalls in Beziehung zu anderen sozialen Systemen verstanden werden, die durch die Moderne in gleicher Weise differenziert und diversifiziert wurden; so etwa Wirtschaft, Erziehung oder Politik.
In einem ersten Kapitel stellt L. vor diesem Hintergrund die bereits erwähnte Relationale Annäherung als bestimmendes Merkmal Interreligiöser Studien dar, da diese Methode die vielfältigen Beziehungen von Religionen zueinander ebenso würdigt wie deren innere Pluralität und Verhältnis zu anderen sozialen Systemen. Eine weitere Differenzierung fordert er zwischen Dimensionen häuslicher, ziviler bzw. nationaler oder auch überregionaler bzw. globaler und nicht ortsgebundener religiöser Äußerungsformen oder Organisationen. Denn diese differieren auch in der Art und Weise des Dialogs (privat, öffentlich, offiziell). Religiöser Aktivismus jedenfalls, sei er nun konfrontativ oder dialogisch, reflektiert die je eigene religiöse Identität. Wo er eher dialogisch ist, besteht häufig eine Verbindung zu anderen größeren Aktionsnetzwerken – etwa zu sozialen Fragen, zu Fragen der Gerechtigkeit, der Ge­schlechtergleichheit und von ökologischen Herausforderungen. Die Ebenen der Begegnung reichen von spirituellen über philosophische und ästhetische bis hin zu ethischen. Der verbale Dialog wiederum ist dabei nur eine von vielen möglichen Modalitäten. Interreligiöser Dialog ist immer kontextuell. Interreligiöse Studien haben immer auch die kontextuelle und konfessionelle Verortung dessen mitzureflektieren, der sie treibt.
Und so nimmt folgerichtig L. sein primäres Feld des Engagements und der Forschung als Hauptgegenstand seines Buches: christlich-muslimische Beziehungen, wie sie sich in einem überwiegend säkularen Umfeld entwickeln. Und dies vor einem globalen Horizont und vor dem Hintergrund einiger Tendenzen der internationalen Szene sowie spezifisch nationaler Kontexte wie etwa Ägypten (Kapitel 6). Einiges empirische Material (Kapitel 2–4) wird dem norwegischen Kontext entnommen.
In seiner Einführung hält L. fest, wie wichtig auch die Perspektive der Machtkritik für den Interreligiösen (Interfaith) Dialog ist. Wirkliches Differenzieren tendiert aus dieser Sicht nämlich dazu, etablierte kulturelle und religiöse Barrieren zu kreuzen. Kapitel 3 untersucht die Rolle säkularer Sprache im Dialog und fragt, wie Säkularität in gewisser Weise als nichthegemoniale Bedingung für die Interaktion von Bürgern aus unterschiedlichen Religionen und Konfessionen bzw. Weltanschauungen steht. Um eine mögliche Didaktik und Agenda Interreligiösen (»Interfaith«) und globalen ethischen Lernens (unter dem Aspekt »Toleranz, Gewissen und Solidarität«) in Schulen geht es in Kapitel 6. Kapitel 7 wendet sich noch einmal detailliert Aspekten einer Interreligiösen Hermeneutik und einer ethischen Schriftkritik zu.
Kapitel 8 kehrt dann im engeren theologischen Sinn zu Fragen einer Relationalen Theologie der Religionen zurück und macht dies exemplarisch trinitätstheologisch am Dialog mit dem Islam fest. Besonders in diesem Kapitel wird L.s Verortung in Martin Bubers Dialogphilosophie deutlich: Oberstes ethisches Ziel ist es, einander niemals zum Objekt zu machen. In einer dialogischen Relation behandeln wir einander als Ich und Du. Etwas Heiliges ereignet sich im Zwischenraum – Dialog als Sakrament in Bubers Sinn (ein Du, das bei Buber immer auch das größte DU, das DU Gottes abbildet – so möchte ich hier allerdings ergänzen). Lévinas, auf den L. sich gerne in Ergänzung zu Buber bezieht, verstand – so sei hier angemerkt – das Gesicht des Anderen (»der Andersheit«) als gött-liche Epiphanie. Von ihm übernimmt L. die besondere Verletz-lichkeit eines jeden »Gegenübers« und die um ihretwillen nötige menschlichere Theologie.
Kapitel 9 setzt die theoretische Diskussion Interreligiöser Studien im Wissenschaftsbetrieb ins Verhältnis zum sozialen Phänomen (dem »pious aim«) dieses Dialoges. Abschließend geht es auch und exemplarisch um interreligiöse Reaktionen auf Formen von Extremismus.