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Ausgabe:

September/2015

Kategorie:

Aufsätze

Autor/Hrsg.:

Gunther Wenz

Titel/Untertitel:

Karl Rahners Sämtliche Werke*

Erster Teil


Vom 28. März bis 1. April 1955 fand im Collegium Leoninum in Pa­derborn die 16. Tagung des Ökumenischen Arbeitskreises evange­lischer und katholischer Theologen, des sogenannten Jaeger-Stählin-Kreises, statt, und zwar zum Thema »Die Gegenwart Chris­ti im Abendmahl«. Zugegen waren neben den beiden Namensgebern und Geistlichen Leitern auf evangelisch-lutherischer Seite Schlink, Asmussen, Bornkamm, Brunner, v. Campenhausen, Friedrich, von der Gablentz, Joest, Kinder, Maurer, Menn, Schumann und H. H. Wolf, auf katholischer Höfer, Dolch, Gewieß, Hasenkamp, Kuss, Lortz, Mörsdorf, Rosenmöller, Schmaus, Söhngen, Volk, Warnach sowie Karl Rahner (1904–1984), der über »Die Gegenwart Christi im Sakrament des Herrenmahles nach dem katholischen Bekenntnis im Gegenüber zum evangelisch-lutherischen Bekenntnis« referierte.1 Der ein knappes Vierteljahrhundert jüngere Wolfhart Pannenberg (1928–2014), einer der damaligen Protokollanten und nachmaliger Wissenschaftlicher Leiter des ÖAK, zeigte sich von dem Referat, dessen Text in den 18. Band der Sämtlichen Werke Rahners (= SW) eingegangen ist (SW 18, 542–564), tief beeindruckt. In einer, wie es im Untertitel heißt, evangelischen Laudatio auf den 80-jährigen Rahner hat Pannenberg später von der ersten persönlichen Begegnung mit der Theologie des großen katholischen Dogmatikers berichtet:

Ich betrachtete damals katholische dogmatische Theologie als eine durch die Dogmen so vieler Konzilien in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeengte Form theologischen Denkens. Viele, vor allem Außenstehende, werden das damals so angesehen haben, in der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil, an das damals noch niemand dachte, und besonders in den Jahren nach dem Mariendogma Pius’ XII., das – wie es schien – in einem Bereich vorher freier theologischer Diskussion nochmals eine neue Schranke aufgerichtet hatte. Da sprach Rahner nun über das Dogma von der Wandlung im Altarsakrament, über die Transsubstantiation von Brot und Wein in Leib und Blut Christi. Und er unterschied zwischen dem eigentlich gemeinten Inhalt des Dogmas und der zeitbedingten Sprache aristotelischer Philosophie, in die es gefaßt ist, mit ihren Begriffen Substanz und Akzidenz. Diese zeitbedingte Begriffssprache sei durch das Dogma nicht verbindlich gemacht, und daher müsse die Theologie immer wieder neu zu sagen versuchen, was eigentlich das in dieser Begrifflichkeit Gemeinte sei, das allein den verbindlichen Inhalt der Lehre der Kirche bilde. Bei diesen Ausführungen wurde mir blitzartig klar, welche Freiheit und daher auch Verantwortung eigenen Denkens katholische Theologie unbeschadet ihrer Bindung an die Dogmen der Kirche haben kann, wenn der Inhalt der Dogmen für die Theologie nicht einfach in autoritativer Formulierung vorgegeben ist, sondern von der Theologie selbst erst identifiziert werden muß in Abhebung von der zeitbedingten Sprache, in der das Lehramt der Kirche diesen Inhalt ausgesagt hat. 2

Karl Rahner war eine der großen Theologengestalten des 20. Jh.s. Was nicht nur Pannenberg an ihm bewunderte, ist zum einen »die Befreiung zur Unbefangenheit theologischen Fragens und Denkens« (28), mit der er durchgängig alle dogmatischen Themen anging, und zum anderen die Absicht, »den Inhalt des christlichen Glaubens ganz neu zu beschreiben und zusammenfassend darzustellen« (29), und zwar so, dass das Christliche transparent wird für das allgemein Menschliche. Dabei hat sich Rahner Pannenberg zufolge »nicht in Gegensatz zur Lehre der Kirche bringen lassen« (30), sondern diese unter Besinnung auf die wesentlichen Inhalte des christlichen Glaubens interpretiert. Diese Konzentration habe seinem Denken zugleich jene ökumenische Weite ermöglicht, die es »in zunehmendem Maße« (ebd.) charakterisiere.

Die katholische Theologie der zweiten Hälfte des 20. Jh.s ist von Rahner »entscheidend geprägt«3 worden. Auch ein evangelischer Theologe, der auf sich hält, wird sein Werk intensiv zu studieren haben. Dazu besteht seit geraumer Zeit gute Gelegenheit. Zwar fehlt mit SW 5 noch ein inhaltlich wesentlicher Band, der mit Rahners Schriften zur Gnadenlehre ins Zentrum seiner Theologie führt; auch der Abschlussband SW 32, der »ein umfangreiches Erschließungssystem chronologischer, systematischer und verbaler Art (Schlagwörter) umfassen und die nötigen biographischen In­formationen bieten« (SW 1, CIV) wird, ist bislang nicht erschienen. Ansonsten aber liegen Rahners Sämtliche Werke, die mit Texten in SW 19 zur ekklesiologischen Grundlegung Praktischer Theologie 1995 eröffnet wurden, mittlerweile vollständig vor. Nähere Angaben zur Edition enthält neben einem Porträt, in dem Karl Kardinal Lehmann Leben und Werk Rahners sowie Grundgestalt, Profil und philosophisch-theologischen Ansatzpunkt seiner Konzeption skizziert, der frühen spirituellen Texten und Studien gewidmete Eröffnungsband SW 1. A. a. O., LXVIII–CXXXV werden von Lehmann und Albert Raffelt die wichtigsten Angaben zum Ge­samtprojekt, zur Werkstruktur, zur Planung der Ausgabe sowie zu ihrer Anlage vorgetragen. Beigegeben sind eine Kurzcharakteristik der Einzelbände sowie Hinweise zur bisherigen Rezeption der Ausgabe, zu fremdsprachlichen Rahnereditionen und digitalen Versionen.

Bereits in einer frühen Planungsphase der SW wurde einer primär chronologischen Anlage der zu edierenden Texte der Vorzug gegeben, die sich aber nicht »ganz strikte« (SW 1, LXXV) durchhalten ließ und zwar aus werkstrukturellen Gründen. Gleichwohl blieb es bei der Grundentscheidung, das Gesamtprojekt im Unterschied zur Einteilung der »Schriften zur Theologie« (= STh), auf deren Konzeption bei Gelegenheit hinzuweisen sein wird, nach vier Werkphasen zu gliedern: 1. Grundlegung (bis ca. 1949); 2. Aufbau (ca. 1949 – ca. 1963); 3. Entfaltung (ca. 1963 – ca. 1976); 4. Sammlung (ab ca. 1977); an dieser Aufteilung orientiert sich auch die vorliegende Rezension. Chronologische Gesichtspunkte sollten ferner für die Anordnung des Textmaterials in den Einzelbänden im Allgemeinen bestimmend sein. Doch legte es sich schon für die ersten Bände nahe, »Sachzusammenhänge auch über die ›Phasengliederung‹ des Werkes hinaus beieinander zu lassen, wenn diese die nächste Phase überlappen« (SW 1, LXXVII). Im Übrigen musste der Schwierigkeit Rechnung getragen werden, die sich aufgrund von Mehrfachauflagen ergaben; in der Regel wird unter Berücksichtigung der vorhergehenden die von Rahner autorisierte Letztfassung zum edierten Basistext.

I Grundlegung (bis ca. 1949)


1. Geist in Welt


Was die Schriften der ersten von 1922 bis 1949 reichenden Schaffensphase Rahners anbelangt, so lassen sie sich »relativ einfach in zusammenhängende Komplexe gliedern, da sie inhaltliche Schwerpunkte setzen bzw. um Monographien (SW 2, 3, 4) und Vorlesungs-Codices (SW 5, 6, 8) angeordnet sind, die die Verteilung des Mate-rials bestimmen« (ebd.). Um mit SW 2 zu beginnen, so steht im Zentrum die erst allmählich zu ihrer Bedeutung gelangte Mo­nographie »Geist in Welt«. Sie bietet eine Auslegung der, wie es im Untertitel heißt, Metaphysik der endlichen Erkenntnis bei Thomas von Aquin. Die Arbeit war als Freiburger philosophische Dissertation geplant, wurde aber vom »Doktorvater« M. Honecker wegen methodischer und inhaltlicher Vorbehalte abgelehnt (vgl. SW 2, XXIII ff.). Veröffentlicht worden ist der im Mai 1936 abgeschlossene Text erst 1939 sowie 1957 in einer von Johann Baptist Metz im Auftrag des Verfassers überarbeiteten und ergänzten Zweitauflage (vgl. Vorwort SW 2, 6 f.). Sie bildet die Grundlage der Neuedition in SW 2, 3–316, und zwar so, dass der Text der Erstauflage aus ihr re­konstruiert werden kann.

Das Werk ist in drei Teile gegliedert: Ein erster bietet eine einleitende Interpretation von Summa theologica I q. 84, a. 7, ein zweiter erhebt den Sinngehalt der Wendung »conversio ad phantasma« und ein dritter erwägt die Möglichkeit der Metaphysik auf dem Boden dessen, was Thomas imaginatio nennt. Angestrebt wird, »(v)on so manchem, was sich ›Neuscholastik‹ nennt, wegzukommen, zurück zu Thomas selbst, um gerade so den Fragen näherzukommen, die heutiger Philosophie aufgegeben sind« (SW 2, 5). Was den Titel betrifft, so soll mit Welt der Inbegriff der Wirklichkeit be­zeichnet werden, »die der unmittelbaren Erfahrung des Menschen zugänglich ist« (SW 2, 14), mit Geist das Vermögen, »das über die Welt hinausgreifend das Meta-physische erkennt« (ebd.). »Geist in Welt« hinwiederum ist die Umschreibung des Menschen, der als psychosomatische Differenzeinheit der Welt angehört und sie zugleich transzendiert auf Gott hin, in welchem Selbst und Welt ihren Grund und ihr Sinnziel finden.

Dem Sein des Menschen entspricht sein Erkennen und umgekehrt. Weil das Selbstsein des Menschen stets welthaft verfasst ist, ist die menschliche Erkenntnis durchweg sinnlich bestimmt und auf anderes als anderes bezogen (vgl. SW 2, 69–97). Doch hebt das Bei-einem-andern-Sein, welches die Sinnlichkeit des Menschen ausmacht, dessen Bei-Sich-Sein nicht auf, sondern setzt es dergestalt voraus, dass der Mensch in Vollzug einer reditio subiecti in se ipsum (vgl. in diesem Zusammenhang die aufschlussreichen Ausführungen zum intellectus agens SW 2, 109 ff.) sich allem Weltlichen gegenübergestellt weiß, um es so gegenständlich zu Bewusstsein zu bringen (vgl. SW 2, 98–180). Das Bei-Sich-Sein als Gegen-ein-anderes-Gestelltsein nennt Rahner Denken, um aus dem Vermittlungszusammenhang von Sinnlichkeit und Denken heraus das Erkennen in seiner differenzierten Einheit zu begreifen und im antizipativen Vorgriff auf das Selbst und Welt Umgreifende eine Perspektive zu erschließen hin auf den absoluten Grund, in dem alles gründet und auf den alles hinzielt (vgl. SW 2, 181–283 sowie 285–300).

Der als die differenzierte Selbst-Welt-Einheit, die er ist, in seinem Erkennen selbsttranszendente und weltoffene Mensch ist seinem Wesen nach auf Gotteserkenntnis angelegt, auch wenn diese für ihn nur von Gott und seiner Offenbarung her zur Erfüllung zu bringen ist. »Den Theologen Thomas«, so Rahner im Schlussabschnitt seiner Arbeit, »geht der Mensch an als Ort, in dem Gott sich so zeigt, daß er in seinem Offenbarungswort gehört zu werden vermag: ex parte animae. Damit wir horchen können, ob Gott spreche, müssen wir wissen, daß er ist; damit seine Rede nicht einen schon Wissenden treffe, muß er uns verborgen sein; damit er zu Menschen spreche, muß sein Wort uns dort treffen, wo wir immer schon sind, an irdischem Ort, in irdischer Stunde. Indem der Mensch convertendo se ad phantasma in die Welt sich begibt, hat sich die Eröffnung des Seins überhaupt und in ihm das Wissen vom Dasein Gottes immer schon vollzogen, ist uns aber auch damit dieser Gott als jenseits der Welt [auch] immer schon verborgen. Abstractio ist die Eröffnung des Seins überhaupt, die den Menschen vor Gott stellt, conversio Eingehen in das Da und Jetzt dieser endlichen Welt, das Gott zum fernen Unbekannten macht. Abstractio und conversio sind für Thomas dasselbe: der Mensch. Ist der Mensch so verstanden, kann er horchen, ob Gott nicht etwa spreche, weil er weiß, daß Gott ist; kann Gott reden, weil er der Unbekannte ist. Und wenn Christentum nicht Idee ewigen, immer gegenwärtigen Geistes ist, sondern Jesus von Nazareth, dann ist des Thomas Metaphysik der Erkenntnis christlich, wenn sie den Menschen zurückruft in das Da und Jetzt seiner endlichen Welt, da auch der Ewige in sie einging, damit der Mensch ihn [und in ihm noch einmal sich selber] finde.« (SW 2, 300)

In einer Anmerkung zum Schluss der Zweitauflage von »Geist in Welt« wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Verfasser in seinem gleichnamigen Werk zur Religionsphilosophie die »konkrete Durchführung des thomasischen Ansatzes der Metaphysik auf den Menschen als ›Hörer des Wortes‹ hin« (SW 2, 300, Anm. 42) versucht habe. Wie immer man die Einflüsse neuzeitlicher Philosophiekonzeptionen auf den Ansatz beider Texte beurteilen mag: Seiner eigenen Einschätzung nach war der junge Rahner Thomist und wollte es bleiben. Er versuchte zu zeigen, »wie modern Thomas ist, wenn man ihn nur zu lesen versteht« (SW 2, 436). Unter dieser Voraussetzung erschließe sein Denken von sich selbst her einen ak­tuellen Bezug zu Kant, Hegel oder Heidegger (vgl. SW 2, 317–346; 407–426), von denen Rahner sagt, er lehne ihr philosophisches Endergebnis »so entschieden ab, wie nur irgend eine Spielart der Scholastik« (SW 2, 437), freue sich »aber doch, bei diesen großen Philosophen wenigstens die gleichen Fragen zu finden, die auch sein Herz und seinen Geist bewegen« (ebd.).

2. Hörer des Wortes


Die vornehmste Aufgabe der Philosophie und namentlich der Religionsphilosophie besteht nach Rahners Verständnis im Aufweis, dass der Mensch seinem Wesen nach auf das Hören des offenbaren Gotteswortes angelegt ist. Entsprechend entwirft er seine in SW 4 edierte Religionsphilosophie unter dem programmatischen Titel »Hörer des Wortes« und als »Ontologie der potentia oboedientialis für Offenbarung« (SW 4, 8; im Text kursiv). Das Werk ist aus Vorlesungen anlässlich der Salzburger Hochschulwochen 1937 entstanden, im Kriegsjahr 1941 erstmals erschienen und für die Zweitauflage von 1963 von J. B. Metz stark überarbeitet und mit Anmerkungen versehen worden (vgl. SW 4, XXIV ff.). Beide Fassungen sind in SW 4, 1–281 parallel abgedruckt. Das nach »Geist in Welt« zweite größere wissenschaftliche Werk Rahners ist seiner Entstehung gemäß formal in Kapitel von etwa einer Vorlesungslänge unterteilt und sachlich orientiert an der Leitfrage, »ob sich in einer metaphysischen Überlegung das Wesen des Menschen mit Fug und Recht gerade dahin bestimmen lasse, daß er das Wesen zu sein habe, das in seiner Geschichte Ausschau zu halten hat nach der möglichen Offenbarung des Gottes, der ihm in seiner Metaphysik als der wesentlich Unbekannte erscheint« (SW 4, 26).

Die Antwort auf die zitierte Frage erfolgt nach Eingangs- und Abschlusserwägungen zum Verhältnis von Metaphysik, Religionsphilosophie und Fundamentaltheologie in enger Bindung an die thomasische Ontologie in drei Schritten: Zuerst soll die, wie Rahner sagt, Gelichtetheit des Seins des Seienden im Allgemeinen aufgewiesen werden und dasjenige des Menschenwesens zumal, welches, in sich selber gelichtet, auf eine Seinserkenntnis angelegt ist, die Selbst- und Welterkennen transzendiert und eben dadurch in rechter Weise ermöglicht. Der Mensch ist offen für Schau und Spruch des letzten Seins, und diese Offenheit ist die »apriorische Voraussetzung für die Möglichkeit« (SW 4, 82), die Offenbarung des Absoluten zu vernehmen, welche − lange vor »Dei Verbum« − als Selbstmitteilung bzw. Selbsterschließung verstanden wird. Am Rande vermerkt sei die Schlüsselfunktion, die Rahner im Zusammenhang seiner Argumentation der menschlichen Fähigkeit zur Urteilsbildung zuerkennt, welche als transempirische Bedingung ihrer Möglichkeit eine nicht falsifizierbare Seinsbejahung voraussetze, woraus hervorgehe, dass der urteilende Menschengeist stets auf das ganze Sein in seiner Absolutheit angelegt sei, auf welches er im urteilenden Begreifen vorgreife. Ganz ähnliche Argumentationsfiguren finden sich im Werk von Rahners Ordensbruder Joseph Maréchal, dessen bestimmender Einfluss auch in anderer Hinsicht erkennbar wird.

Als »Geist in Welt« ist der Mensch dazu bestimmt, Hörer nicht nur irgendeines, sondern desjenigen Wortes zu sein, in dem sich das Sein selbst ausspricht. Zur Erkenntnis der gegenständlichen Welt und seiner selbst fähig kann er, was er ist, nicht sein ohne Offenheit für das Absolute als des Grundes und Sinnzieles alles Seienden und seiner Erkenntnis. Indes legt Rahner in einem zweiten Argumentationsschritt klar, dass die Offenheit des Menschen für die Erkenntnis des ipsum esse nicht mit dessen Offenbarung gleichzusetzen sei. Sein Sinngehalt − und mit ihm der Grund und Sinn von Selbst und Welt − bleibt vielmehr verborgen, bis er sich in Freiheit auf Freiheit hin erschließt, was nach Rahner dem Wesen des Menschen gemäß nicht auf naturhafte, sondern nur auf geschichtlich-personale Weise geschehen kann, wofür das Christentum ein eindeutiges Zeugnis gebe. Damit ist bereits das Problem des Ortes der Offenbarungsbotschaft angezeigt, welches in einem dritten und abschließenden Argumentationsgang aufgegriffen wird. Als geschichtlicher Geist, zu dessen Wesensnatur es gehört, alles Natürliche, dem er zugehört, zu übersteigen, ist der Mensch dazu bestimmt, den Ort möglicher Selbsterschließung des Absoluten vorzugsweise nicht in der Natur, sondern in der Geschichte zu suchen.

Von sich selbst ausgehend muss der Mensch in seine eigene Geschichte und in die seiner und aller Welt hineinhören, um seiner Wesensbestimmung zu entsprechen, Hörer des Wortes zu sein. Als ein »auf eine Offenbarung Horchender« (SW 4, 246) ist der Mensch »ein in seine Geschichte Hineinhorchender« (ebd.). Ihr Gehör zu schenken steht nach Rahner nicht in seinem arbiträren Belieben, sondern ist ihm von seiner spezifischen Geistigkeit her aufgetragen, deren Bestimmung sich zu verweigern den Menschen in ungehorsamen Widerspruch nicht nur zu Gott, sondern auch zu sich selbst und zu seiner Welt bringt. Erzwungen werden freilich kann das Ergehen des Wortes, in dem sich Sinngrund und Sinnziel der Geschichte von Menschheit und Welt aussprechen, nicht. Wohl aber vermag der göttliche Sinnspruch, wenn er denn erfolgt, als die Wahrheit schlechthin verstanden zu werden.

3. Fundamentaltheologische Anthropologie


Der Mensch ist nach Rahner das Maß aller Wissenschaften mit Ausnahme von einer: »Alle Wissenschaften sind in einem wahren Sinn Anthropo-logie mit Ausnahme der einen Theo-logie, d. h. alle sind, unbeschadet ihrer Ausgerichtetheit an den Sachen, in ihrem Daß und Wie gegründet auf den Logos des Menschen, sind die ›Dinge im Geiste des Menschen‹. Die Theologie allein existiert darum, weil es ein Wort Gottes an den Menschen gibt.« (SW 4, 258) An die Theologie im eigentlichen, man darf wohl sagen, dogmatischen Sinn reichen wie die übrigen Wissenschaften auch Metaphysik und Religionsphilosophie nicht heran, welche Rahner im Sinne seiner fundamentaltheologischen Anthropologie expliziert. Sie führen zu ihr hin, ohne sie wirklich zu erreichen, weil die Wirklichkeit der (dogmatischen) Theologie auf einer Realität beruht, die unvordenklich ist und deren Offenbarwerden nur als undeduzierbares Faktum von prinzipieller Singularität zu erwarten ist. Rahners Verständnis von Theologie entspricht seinem Verständnis der göttlichen Offenbarung als einem singulare tantum. Sie ist, wie es heißt, »in ihrem ursprünglichen Wesen das Hören der von Gott nach seinem freien Ratschluß ergehenden Offenbarung seiner selbst durch sein eigenes Wort« (SW 4, 16).

In der Ursprungsversion von »Hörer des Wortes« führt Rahner die vorgetragene Auffassung zu folgendem Schluss: »Wer mit der Möglichkeit rechnet, daß ein bestimmtes Stück menschlicher Geschichte mit Ausschluß anderer Gottesgeschichte sein könne, der kann eigentlich nicht mehr anders als katholisch sein und werden.« (SW 4, 278) In der Zweitfassung wird zurückhaltender formuliert (SW 4, 281: »als im katholischen Sinne offenbarungsgläubig sein und werden«) und zumindest anmerkungsweise auf das nicht unerhebliche Problem verwiesen, welches die Rede von dem »Stück« Gottesgeschichte in sich birgt: Dieses sei »natürlich«, wie gesagt wird, »keineswegs bloß als eine beliebige Phase neben anderen Geschichtsphasen innerhalb eines umgreifenden Geschichtsprozesses (zu denken), sondern als dessen geschichtlich gründender Grund selbst« (SW 4, 279, Anm. 122). Wie dies zu bewerkstelligen sein soll, ist damit − natürlich! − noch nicht geklärt.

Zwischen Bd. SW 2, der »Geist in Welt«, und Bd. SW 4, der »Hörer des Wortes« enthält, ist Bd. SW 3 platziert, dessen Beiträge ebenfalls um einen Haupttext gruppiert sind, mit dem Rahner den Grund für seine Wirksamkeit als Professor Sacrae Theologiae legte. Das geschah mit seiner im Dezember 1936 an der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck erfolgten Promotion zum Dr. theol.; der Titel der Dissertation, deren vollständiger Originaltext in SW 3, 1–84 erstmals ediert worden ist, lautet: »E latere Christi. Der Ursprung der Kirche als zweiter Eva aus der Seite Christi des zweiten Adam. Eine Untersuchung über den typologischen Sinn von Joh 19,34.« Die Chronik der Doktorarbeit, ihre Hintergründe und Vorstudien sind nebst Gemeinsamkeiten mit Hugo Rahner, die das Gebiet der Patristik betreffen, im Editionsbericht verzeichnet (vgl. SW 3, XVII–XLIII). Miserabel, wie der Autor in bekanntem Understatement verlauten ließ (vgl. SW 3, XVII), ist die gebotene Leistung trotz ihrer offenkundigen Grenzen sicherlich nicht. Dem Bearbeiter, der − »wiewohl selbst auf der akademischen Kriechspur« (SW 3, XLIII) − den nicht unerheblichen Aufwand der Edition auf sich nahm, gebührt großer Dank, ein bisher »(fast) unbekanntes Stück der Wissenschaftsbiographie K. Rahners zugänglich gemacht« (ebd.) zu haben. Wissenschaftsbiographisch aufschlussreich ist auch der Text »Aszese und Mystik in der Väterzeit« (SW 3, 123–390), das Ergebnis einer im akademischen Jahr 1937/38 vorgenommenen Übertragung und Fortschreibung eines bis dahin nur auf Französisch erhältlichen Werkes von Marcel Villers über die Spiritualität in den ersten christlichen Jahrhunderten.

4. Anthropologia dogmatica


Rahner war Theologieprofessor, und er blieb es zeitlebens. Das Primärpublikum seiner Arbeit waren Studierende im Hörsaal der Universität (vgl. SW 8, XI). Unter den in SW erstmals einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemachten Skripten seiner »grundsätzlich lateinischen« (SW 8, XII), gelegentlich mit »Exkurse(n) in der Muttersprache« (ebd.) versehenen Vorlesungen ragt der »Tractatus de deo creante et elevante et de peccato originali« (vgl. SW 8, 39–511) u. a. deshalb hervor, weil er entscheidende Aufschlüsse darüber gibt, wie sich die in »Geist in Welt« und »Hörer des Wortes« ent-wickelte metaphysische Anthropologie zur offenbarungstheolo-gischen Lehre vom Menschen verhält und umgekehrt. In seiner deutschsprachigen Einleitung zum Traktat gibt Rahner selbst wichtige Hinweise: Die Offenbarung, durch welche sich Gott dem Menschen als Geist in Welt mitteilt und ihn »als Hörer des Wortes anredet, enthüllt dem Menschen sowohl, wer Gott ist, als auch wie er sich zum Menschen konkret verhalten will, und darin die Wirklichkeit des Menschen und seiner Welt« (SW 8, 41).

Ohne die Gottesoffenbarung, wie sie in Tat und Wort geschichtlich ergeht, müsste dem Menschen mit dem Wesen Gottes auch sein eigenes verhüllt bleiben. Zwar weiß der Mensch auf unbestimmte Weise um das Geheimnis, das in seinem Selbst- und Weltverhältnis verborgen liegt. Aber zu lichter Gottes-, Selbst- und Weltgewissheit wird die dunkle Ahnung erst von Gott und dem Verhältnis her, das dieser in seiner Offenbarung zu Mensch und Welt konstituiert und endgültig manifest werden lässt. Nachdem er sich im Gottmenschen Jesus Christus in der Kraft seines Geistes selbst ganz und gar erschlossen hat, werden wir »in dieser Welt von Gott her nichts wesentlich Neues mehr über uns und die Welt erfahren. Wir können und müssen also Theologie über eine Offenbarung treiben, die abgeschlossen ist, freilich abgeschlossen, in­dem sie den Menschen und seine Geschichte in die Unendlichkeit des dreipersönlichen Lebens Gottes selbst aufgeschlossen hat. Eine solche theologische Anthropologie hat darum grundsätzlich eine Eschatologie als inneres Moment in sich.« (Ebd.) Die eschatologische Ausrichtung offenbarungstheologischer Lehre vom Menschen hinwiederum ist für das Rahnersche Verständnis metaphysischer Anthropologie kennzeichnend. Im Perfekt der Offenbarung Gottes in Jesus Christus begegnet der Mensch der Zukunft seiner selbst und seiner Welt, auf die er bestimmungsgemäß angelegt ist. Diese bestimmungsgemäße Anlage kündigt sich in seinem gegenwärtigen Selbst- und Weltverhältnis bereits an, aber in der Weise eines verborgenen Geheimnisses, welches erst durch Gottes Selbstoffenbarung wahrhaft entborgen und zu definitiver Gewissheit gebracht wird.

Was Struktur und Durchführung des »Tractatus de deo creante et elevante et de peccato originali« betrifft, so ist er wie die meisten Vorlesungsskripte Rahners in scholastischer Manier und in der festen Form einer Thesenfolge gestaltet. Zunächst wird der thetische Grundsatz begrifflich erklärt und systematisch verortet, sodann mit gegnerischen Auffassungen konfrontiert, die ihn kritisieren, um schließlich theologisch bewiesen zu werden, und zwar in der Regel in folgendem Dreischritt: affirmative Aussagen des kirchlichen Lehramts, bestätigende Zeugnisse zum einen der Hl. Schrift sowie zum anderen der dogmen- und theologiegeschichtlichen Tradition. Nach diesem Schema wird auch in dem dogmatischen Anthropologietraktat verfahren, dessen um die Zeit des Wintersemesters 1952/53 vorliegende Fassung in SW 8 veröffentlicht ist. (Ein Autograph liegt nicht vor; zu den Innsbrucker Vorlesungen zu Urstand und Sündenfall, zur Dokumentation des Textes sowie zu den technischen Eigenheiten vgl. SW 8, XVI ff. sowie 537 f.)

Auch in inhaltlicher Hinsicht erscheint Rahners »Anthropologia dogmatica« als recht konventionell angelegt. Der Lehre »De Deo creante« korrespondiert diejenige von der menschlichen Natur, den Thesen »De Deo elevante« diejenigen von der übernatürlichen Begnadung des Menschen. In den Ausführungen über Gott, den Schöpfer, wird dargelegt, dass alles, was außer Gott ist, allein durch ihn geschaffen wurde, der aus seinem Allvermögen heraus das Weltall samt allem, was ihm zugehört, ex nihilo frei und zeitlich verfasst ins Dasein gerufen hat, um die »substantias in esse positive, directe et immediate« (Thesis 5; SW 8, 106) zu erhalten, wobei er zu allen Wirkungen der Geschöpfe physisch und unmittelbar beiträgt mit dem Ziel der Mitteilung seiner göttlichen Güte − zur Ehre seiner selbst und zum Wohl der Kreatur. Was die Menschengeschöpfe betrifft, so seien Adam und Eva unmittelbar durch Gottes Wirken gesetzt mit der Folge, dass das ganze Menschengeschlecht seinen Ursprung in diesem hätte. Rahner bekennt sich also dezidiert zum Monogenismus, von dem er erst später vorsichtig abrückte.

Zur kreatürlichen Humanverfassung liest man, dass die Menschenseele, die, wenn sie mit dem Körper vereint werden soll, je einzeln von Gott erschaffen wird, als substantiales, individuales, geistiges und daher unsterbliches Prinzip per se ipsum wirklich und wesentlich Form des menschlichen Körpers sei und deshalb mit diesem eine Natur und Substanz bilde. Weichenstellend ist die nachfolgende Thesenreihe »De deo elevante«, wonach der Protoplast in der heiligmachenden Gnade (in gratia sanctificante) geschaffen und durch sie in die schlechthin übernatürliche Ordnung (in ordinem simpliciter supernaturalem) erhoben worden ist mit der Konsequenz außernatürlicher Freiheit (praeternaturalis immunitas) von Konkupiszenz und der Notwendigkeit zu sterben. Diese außernatürlichen Prärogativen infolge supranaturaler Erhebung durch die heiligmachende Gnade gingen durch den Fall der menschlichen Ursünde verloren, wohingegen die, wenn man so will, kreatürliche Grundausstattung des Menschen auch postlapsarisch erhalten blieb. Mit den beiden Schlussthesen der Vorlesung zu reden: »Essentia peccati originalis consistit in privatione gratiae sanctificantis per praevaricationem Adae voluntarie abiectae.« (SW 8, 466) »Poena peccati originalis consistit in privatione bonorum, quae naturae humanae indebita, non autem eorum, quae eidem naturae debita sunt.« (SW 8, 487) Das Wesen der Ursünde besteht demnach im Entzug der heiligmachenden Gnade aufgrund der freiwilligen Übertretung Adams, ihre Strafe im Entzug der Güter, die der Menschennatur nicht zustehen, nicht jedoch jener, die ihr naturgemäß zugehören.

Bleibt hinzuzufügen, dass die durch willkürliches Wollen begangene Ursünde Adams, des physischen und moralischen Hauptes des Menschengeschlechts, durch natürliche Zeugung weitergegeben worden und somit auf alle Menschen übergegangen sei, so dass nun auch diese der Konkupiszenzfreiheit und der Freiheit von der Todesnotwendigkeit entbehrten. Sie müssen sterben und sitzen zeit ihres todumfangenen Lebens der Konkupiszenz dergestalt auf, dass durch unbedachtes Begehren Vernunft nicht nur äußerlich behindert, sondern von innen heraus zersetzt zu werden droht und durch aktuelles Sündigen tatsächlich zersetzt wird. Wie der Begriff der Konkupiszenz genau zu fassen ist, hat Rahner unter These 14 seiner Vorlesung (vgl. SW 8, 283–296) sowie in einem außerordentlich dichten Aufsatz erläutert, dessen Ursprungsversion aus dem Jahr 1941 stammt und der in erweiterter Form in den 1954 erschienenen ersten Band der STh aufgenommen wurde. Mit ihm (vgl. SW 8, 3–32) und einem Text zu »Erbsünde und Geschlechtlichkeit« (vgl. SW 8, 33–37) wird der Band »Der Mensch in der Schöpfung« eröffnet. Am Schluss finden sich einige thematisch einschlägige Rezensionen, unter denen die zu der 1952 erschienenen Monographie von A. Mitterer über »Dogma und Biologie der Heiligen Familie« (vgl. SW 8, 531–533) besondere Aufmerksamkeit verdient, weil es darin um die, wenn man so sagen darf, christologisch-soteriologische Kontrastanalogie zur Erbsündenvorstellung geht.

5. De paenitentia


Intensiver noch als mit der Thematik von Schöpfung und Fall hat sich Rahner im Zusammenhang seiner professoralen Vorlesungstätigkeit und darüber hinaus mit der Theologie der Buße und ihrer Geschichte beschäftigt. Das belegen neben SW 11 die beiden Teilbände von SW 6, mit denen die bisher nicht publizierten dogmengeschichtlich-dogmatischen Vorlesungen »De paenitentia« der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Die vier Fassungen der bußgeschichtlichen (SW 6/1) und bußtheologischen (SW 6/2) Kollegien stammen aus dem Pullacher Studienjahr 1945/46 sowie den Innsbrucker Studienjahren 1951/52, 1954/55 und 1959/60, wobei unter Berücksichtigung der anderen die letzte Fassung des von Rahner autorisierten, den Studierenden als Matrizenabzug zur Verfügung gestellten Manuskripts entsprechend den Rahmenrichtlinien der SW die Editionsbasis bildet. (Zur werkbiographischen Einordnung und Chronologie der Vorlesungen vgl. SW 6/1, XVII ff.) Der historische Vorlesungsteil reicht bis zum Übergang von der öffentlichen Buße zur Privatbuße im Frühmittelalter (vgl. SW 6/1, 275 ff.) und behandelt neben den biblischen Befunden sehr ausführlich das kirchliche Bußinstitut in der Väterzeit. Die (erst) seit dem 12. Jh. begegnenden systematischen Abhandlungen zum Bußsakrament finden im dogmatischen Traktat Berücksichtigung.

Schon in seinen einleitenden Bemerkungen zu Bedeutung und theologischem Ort der Lehre vom Sakrament der Buße hatte Rahner seiner Überzeugung Ausdruck verliehen, dass die Lehre de sacramentis in genere »am besten in den Gesamttraktat von der Kirche« (SW 6/1, 6), diejenige von den Einzelsakramenten »in eine theologische Anthropologie des erlösten Menschen« (ebd.) hineingehört: »Einerseits ist die Kirche das Gesamtsakrament, die Gegenwart des in Christus geschichtlich in die Welt eingetretenen Heilswillens Gottes, die sichtbare Gegenwart der Gnade Christi. […] Andererseits kann eine theologische Anthropologie des erlösten Menschen nicht in der Lehre von der Kirche aufgehen, denn der Einzelne ist nie nur Glied der Gemeinschaft, auch nicht der sublimsten Gemeinschaft der Kirche.« (SW 6/1, 5) Die ekklesiale Dimension der Buße muss also mit der personalen vermittelt werden und zwar, was das Bußinstitut als Einzelsakrament angeht, unter dem Vorzeichen der personalen.

Rahner realisiert sein skizziertes Programm, indem er seinen auf Lateinisch ausgearbeiteten und vorgetragenen Dogmatiktraktat »De paenitentia« mit Ausführungen zur Buße als actio hominis personalis in Gestalt der Reue mit ihren Formen der contritio und attritio, der vollkommenen und unvollkommenen Reue beginnt. Erst dann wird die Buße als sakramentales Handeln der Kirche thematisiert (De Paenitentia ut actione Ecclesiae sacramentali), und zwar ers­tens unter dem Gesichtspunkt der Existenz der paenitentia als eines von der Vollmacht zur Sündenvergebung in der Taufe verschiedenen Sakraments, zweitens unter demjenigen der Reichweite der kirchlichen Schlüsselvollmacht und drittens unter Aspekten, die das Wesen des Bußsakraments betreffen, etwa die materia signi sacramentalis als contritio, confessio und satisfactio oder ihre forma, die, wie es heißt, »iure divino in sententia externa iudiciali peccatori praesenti ore prolata« (SW 6/2, 556), nach göttlichem Recht in einem äußeren richterlichen Spruch besteht, der dem anwesenden Sünder mündlich zugesprochen wird.

Nachdem die paenitentia als actio hominis personalis (vgl. SW 6/2, 3 ff.) und als actio Ecclesiae sacramentalis (vgl. SW 6/2, 224 ff.) expliziert ist, kommen in einem dritten Teil (vgl. SW 6/2, 584 ff.) die Wirkungen des Bußsakraments in Betracht, und zwar u. a. anhand zweier Thesen, welche lauten: 1. Non semper tota poena temporalis simul cum culpa remittitur. (SW 6/2, 640) 2. Merita peccato mortificata per paenitentiam plene reviviscunt. (SW 6/2, 659) Auf Deutsch (eine Übersetzung ist dem lateinischen Text beigegeben): Nicht immer wird die ganze zeitliche Strafe zugleich mit der Schuld nachgelassen. 2. Verdienste, die durch die Sünde getötet sind, leben durch die Buße voll wieder auf. Um zuletzt nur noch eine für den mit der Reue beginnenden Grundansatz der Bußtheologie kennzeichnende Wendung hinzuzufügen: »Quaerit contritione homo Deum iam quaesitus et praeventus a Deo.« (SW 6/2, 64) »In der Reue sucht der Mensch Gott, und ist doch schon von Gott zuvorkommend gesucht.«

6. STh und SW 11


Um das bisher zu Rahners Bußtheologie Ausgeführte zu vervollständigen, ist über SW 6/1 u. 2 hinaus ein Blick auf die in SW 11 gesammelten Texte und im Verein damit auf die Konzeption der STh nötig, deren XI. Band in SW 11 eingegangen ist. Anlässlich des 70. Geburtstags Rahners wurde ihm 1974 von seinen Mitarbeitern und vom Benziger Verlag ein »Schlüssel« zu seinen »Schriften zur Theologie I–X« und seinen Lexikonartikeln dargereicht. In der Einleitung des »Rahner-Register(s)« informiert R. Bleistein eingehend über Entstehung und Entwicklung der STh, deren erste Bände Mitte der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts erschienen sind. Ein Rückblick ergebe, dass dieses auf Fortsetzung angelegte Werk »in seinem Beginn und in seinen einzelnen Schriften, in seinem Inhalt und in seinen mehr als nebensächlichen Affären immer von der Zeit- und Kirchengeschichte dieser Periode mitbedingt, präziser: bis ins Innerste geprägt ist« 4. Zum Schluss des Registers, das eine Fülle hilfreicher bibliographischer Angaben enthält, unterscheidet K. H. Neufeld in seinen »Beobachtungen im Umgang mit Karl Rahners ›Schriften zur Theologie‹« drei Typen theologischer Darstellung Rahners: die Nachschlagewerke und Handbücher einerseits, die »Quaestiones disputatae« und vergleichbare Formate andererseits sowie die Sammlung von Einzelbeiträgen, wie sie im Unterschied zum klassischen Modell der systematisch ausgearbeiteten Dogmatik die STh kennzeichne, »die nach Form und Inhalt in ganz besonderer Weise der Beitrag dieses Theologen sind« 5. Einen Sonderstatus innerhalb der STh hinwiederum nehme die im Herbst 1973 als XI. Band erschienene »Frühe Bußgeschichte in Einzeluntersuchungen« ein, »die im Aufbau, Charakter und Thema sich von den voraufgehenden Bänden stärker absetzt«6.

Rahner selbst hat im Vorwort zu STh XI Folgendes vermerkt: Während »die bisherigen Bände ausdrücklich nur systematische Arbeiten enthielten, bietet dieser elfte Band nur dogmen- und theologiegeschichtliche Arbeiten«7. Diese seien nicht zuletzt deshalb aufgenommen worden, um dem verbreiteten Verdacht entgegenzuwirken, er, Rahner, sei »nur ein theologischer Spekulant …, der ungeschichtlich darauf losspekuliert und unter Umständen die Schwierigkeiten im Verständnis kirchenlehramtlicher Sätze durch bloß spekulative Interpretation solcher Sätze zu beheben sucht«8. Die Einzeluntersuchungen zur frühen Bußgeschichte aus STh XI sind in SW 11 vollständig übernommen worden, wenngleich nicht unmittelbar in der »von Rahner selbst nach systematisch-theologischen und geographischen Gesichtspunkten gewählte(n) Gliederung« (SW 11, XXI, Anm. 38), sondern »in Entsprechung zu den allgemeinen Richtlinien der Edition der SW chronologisch« (SW 11, XXI) geordnet. Am Anfang steht eine 1936 entstandene Studie zu Sünde als Gnadenverlust in der frühkirchlichen Literatur, gefolgt von thematisch einschlägigen Texten zu Irenaeus (1948), zur Didascalia Apostolorum (1950), zu Origenes (1950), Tertullian (1952), Cyprian von Karthago (1952) und zur Bußlehre nach dem Hirten des Hermas (1955). Beschlossen werden die Schriften zur Geschichte der Buße mit Erörterungen über »Das katholische Verständnis von Sünde und Sündenvergebung im Neuen Testament und in der Bußpraxis der alten Kirche« (1958), mit allgemeinen Bemerkungen zum Stichwort »Bußgeschichte« (1973) sowie mit dem Vorwort zu STh XI (1973).

Auch für die bußtheologischen Studien, die im Unterschied zu STh XI in SW 11 aufgenommen worden sind, wurde wie für die beigegebenen Rezensionen eine chronologische Anordnung getroffen, wobei erneut anzumerken ist, dass »jeweils die letzte der von Karl Rahner selbst autorisierten Fassungen« (SW 11, XXII) gedruckt ist. »Soweit vorgängig veröffentlichte Texte überliefert sind, werden diese mit dem späteren detailliert verglichen.« (Ebd.) Die Schriften zur Theologie der Buße beginnen mit einem Text »Vom Sinn der häufigen Andachtsbeicht(e)« von 1934 (vgl. SW 11, 401–411) und enden mit Anmerkungen zum römischen Erlass über das Bußsakrament von 1972 (vgl. SW 11, 556–566). Von den dazwischenliegenden Aufsätzen sind für den ökumenisch interessierten Leser besonders die drei Traktate zur Theologie des Ablasses von Interesse, die sich in Teilen an B. Poschmanns Werk »Der Ablass im Lichte der Bußgeschichte« von 1948 orientieren (vgl. SW 11, 471–529). Nach Poschmanns und Rahners Wesensbestimmung ist der Ablass »eine Kombination der alten, als Gebet der Kirche wirksamen ›Absolution‹ von zeitlichen Sündenstrafen mit einem jurisdiktionellen Erlaß kirchlicher Bußstrafen. Auch im vollkommenen Ablaß zielt die Kirche nur auf die Nachlassung sämtlicher zeitlicher Sündenstrafen ab, eine sichere Bürgschaft für die volle göttliche Vergebung der Strafen vermag sie nicht zu gewähren.« (SW 11, 479) Neben den Bemerkungen zu Geschichte und Theologie des Ablasses verdienen unter den systematisch-theologischen Studien in SW 11 die Erwägungen zum Beichtproblem sowie der Beitrag »Das Sakrament der Buße als Wiederversöhnung mit der Kirche« von 1967 besondere Aufmerksamkeit (vgl. SW 11, 530–550).

7. Fromme Sachen


Rahner hat Thomas von Aquin, dessen Theologie für ihn bei aller gegebenen Offenheit für die Neuzeit und das Denken der Moderne maßgeblich blieb, als Theologen, Mönch und Mystiker gekennzeichnet (vgl. SW 7, 349–353). Auf seine Weise hat er selbst diese drei Charakteristika in Personalunion vereint. Man verkennt daher sein Werk, wenn man die »schon früh greifbare Einheit von Spiritualität und Dogmatik« (SW 3, LXVI) nicht beachtet, die für es bestimmend ist. Signifikante Zeugnisse der Rahnerschen Spiritualität bieten ne­ben den in SW 1 dokumentierten Jugendschriften die Beiträge von SW 7. Der Band enthält unter dem Titel »Der betende Christ« »insgesamt 34 verschiedene Texte« (SW 7, IX), deren Entstehung mit Ausnahme eines späteren Rundfunkbeitrags zur »Gemeinschaft der Hei­ligen« (vgl. SW 7, 429–435) »von 1937 bis in die erste Hälfte der 50er Jahre reicht« (SW 7, IX). Sie sind fünf Abteilungen zugeordnet: Mo­nographien, Aufsätze sowie Meditationen, Betrachtungen, Predigten, dazu Kurztexte und diverse Ergänzungen, u. a. Predigten, die Rahner in widriger Zeit während eines Priesterferienkurses im Spätsommer 1938 im Canisianum Innsbruck gehalten hat; auf sie be­zieht sich ein anhangsweise dokumentierter Beitrag von K. H. Neufeld SJ zu »Rahner und die Verkündigungstheologie« (SW 7, 451–459).

Von Rahner selbst wurde die theologische Wertigkeit seiner, wie er sich ausdrückte, »frommen Sachen« (SW 25, 10) sehr hoch eingeschätzt. Er betrachtete die »Worte ins Schweigen« (vgl. SW 7, 3–38), seine 1938 erschienene erste selbständige Buchveröffentlichung überhaupt (vgl. SW 7, XVIII ff.), das Bändchen »Von der Not und dem Segen des Gebetes« (vgl. SW 7, 39–116), das auf eine Münchener Predigtreihe von 1949 zurückgeht (vgl. SW 7, XXII ff.), den Gang durch den Festkreis »Kleines Kirchenjahr« (vgl. SW 7, 117–189), 1954 erstmals erschienen (vgl. SW 7, XXV ff.), oder seine vielfältigen Beiträge zur ignatianischen Spiritualität (vgl. etwa SW 7, 279–293) »nicht als ein sekundäres Nebenprodukt einer Theologie, die als l’art pour l’art für sich da ist, sondern als mindestens ebenso wichtig wie die eigentlichen theologischen Arbeiten« (SW 25, 10).

Theologie und Spiritualität bilden in Rahners Werk einen untrennbaren Zusammenhang. Dies belegt die Textsammlung in SW 7 auf eindrucksvolle Weise. Sie gibt auch ein Zeugnis für die hohe Kunst, Schwieriges auf ganz einfache Weise zu sagen und theologische Wissenschaft und Herzensfrömmigkeit zu beider Nutz und Frommen zu verbinden. Dass es dazu gelegentlich »leiser Ironie« (SW 7, XXXIII) nach beiden Seiten hin bedarf, auch dafür bietet der Band schöne Beispiele, etwa das »Geistliche Abendgespräch über den Schlaf, das Gebet und andere Dinge« (SW 7, 312–325) zwischen einem alten Pfarrer und einem Arzt. »P. Gute Nacht, lieber Freund! Und − vergessen Sie heute das Abendgebet nicht. Das können Sie auch beten, bevor Sie meine Theorie überdacht und hoffentlich − verbessert haben. A. Nochmals gute Nacht. Und auf Wiedersehen!« (SW 7, 325)

II Aufbau (ca. 1949 bis ca. 1963)


»Wie lieblich ist der Maien/aus lauter Gottesgüt …« (EG 501,1): im Wonnemonat herrscht Frühlingserwachen, die Finsternis weicht und für einen hellen Geist, der ganz bei Sinnen ist, bringt sich jene Einheit von Natur und Gnade zum Vorschein, die sich christkatholische Seelen mit Vorliebe in maienandächtigem Aufblick zur seligen Jungfrau und heiligen Gottesmutter Maria zu Gewissheit bringen. Ein panegyrischer Text des frühreifen Karl gibt davon bewegendes Zeugnis; er preist in hohen Tönen den marianischen Gottesfrühling (SW 1, 353) und »Weltenmai« (ebd.). Weniger ju­gendbewegt und um einiges prosaischer fiel die Arbeit Rahners zur »Assumptio beatae Mariae virginis« von 1951 aus, die mit Ergänzungen bis 1959 in SW 9, 3–392 veröffentlicht wurde. Schriften aus ihrem Kontext, zur Theologie des Todes und zur Theorie der Dogmenentwicklung (vgl. SW 9, 395–471) sowie zu der am 1. November 1950 durch Pius XII. erfolgten Definition von der Leib und Seele umfassenden Erhebung Mariens in die himmlische Herrlichkeit (vgl. SW 9, 475–511) sind samt einigen sonstigen ma­riologischen Texten beigegeben. Die Drucklegung der Assumptio-Arbeit wurde zur Zeit ihrer Entstehung durch ordensinterne Zäsur verhindert, und zwar erstens wegen ihrer spezifischen Philosophie und Theologie des Todes, zweitens ihrer Reserven gegen die An­nahme einer Mitwirkung Mariens bei der Erlösung sowie drittens anderer vermeintlicher oder tatsächlicher mariologischer Defizite. Im Editionsbericht SW 9, XII–LI wird darüber und über die Textgrundlage der Ausgabe detailliert referiert.

1. Mariologie und Eschatologie


Inhaltlich liegt der Schwerpunkt der ersten und umfangreichsten mariologischen Untersuchung Rahners auf der Glaubenslehre von der Eschatologie der seligen Jungfrau, wie es in der Überschrift zum vierten Abschnitt heißt. Dies wird durch einen angehängten theologischen Exkurs »De morte« eigens unterstrichen, der vom Tod als einem den ganzen Menschen und nicht nur seinen Leib betreffenden Vorkommnis, als einer Sündenfolge und als Erscheinen jenes Mitsterbens mit Christus handelt, für das Maria ein vollkommenes Beispiel gab. Indem sie in der Hingabe an ihren göttlichen Menschensohn ihre humane Erfüllung fand, ist ihr die selige Vollendung in vollkommenster Weise gegeben, und zwar einschließlich der Verklärung ihres Leibes, wie sie im Augenblick ihrer Entschlafung statthat:

Wer also Maria als in der seligen Vollendung befindlich bekennt und gleichzeitig leugnet, dass sie jetzt schon auch leiblich verklärt ist, der leugnet, dass sie die in vollkommenster Weise Erlöste ist, und entzieht somit implizit auch mindestens jenen mariologischen Glaubenswahrheiten (Unbefleckte Empfängnis, stete Jungfräulichkeit, volle Sündenlosigkeit) ihre sachliche und erkenntnismäßige Voraussetzung, die einerseits nicht unmittelbar in der Schrift und in der ersten expliziten Tradition bezeugt ist und doch andererseits zum alten Glauben der Kirche definitiv gehört und von jedem Katholiken bekannt wird. (SW 9, 285)

Es folgen abschließende Betrachtungen über »Das neue Dogma und die ökumenische Bedeutung« (vgl. SW 9, 339–347), in denen Rahner u. a. klarzustellen sucht, dass die Definition der Assump­tio keinerlei autoritative Lehre von einer Gnadenmittlerschaft Mariens impliziere (vgl. SW 9, 345). Im Übrigen plädiert er für »genaue Kenntnis der wirklichen Lehrunterschiede (nicht der willkürlich eingebildeten) und wohlwollendes Bemühen um gegenseitiges Verständnis« (SW 9, 341); man könne sich als katholischer Christ bei den protestantischen Einsprüchen gegen das »neue« Dogma gelegentlich des Eindrucks nicht erwehren, »daß die sachliche Kenntnis und das menschliche Verstehenwollen […] nicht immer das wünschenswerte Maß« (ebd.) erreichten.

Worin die realen Lehrgegensätze bestehen, ist für Rahner manifest, auch wenn er die Kontroverse in Frageform fasst: „Wo ergeht das reine und lautere und im Gewissen zum Glauben verpflichtende Offenbarungswort Gottes, in der Schrift und im Einzelgewissen allein oder im eindeutigen Lehramt der ganz bestimmten (nicht erst zu bildenden) geschichtlich greifbaren Kirche, die sich zwar stützt auf die Schrift, die ihr zueigen ist und das Gewissen des einzelnen anruft, deren objektive Lehrautorität aber dem Ermessen des einzelnen nicht untertan ist?« (SW 9, 342)

Man kann zweifeln, ob mit dieser Frage die konfessionelle Kontroverse zwischen Protestantismus und Katholizismus differenziert ge­nug beschrieben ist. Für Rahner selbst jedenfalls liegt in ihrer kontroversen Beantwortung »die wirkliche Kluft zwischen den Chris­ten« (ebd.). Diese sei durch die Definition der Assumptio Mariae »nicht größer« (ebd.), sondern allenfalls »bewußtseinsmäßig wieder deutlicher geworden« (ebd.). Dieser Umstand ist nach Rahners Urteil im Grundsatz nicht beklagenswert: »Die Zerstörung einer Illusion kann auf die Dauer nur heilsam sein. Wer sich einigen will, muß zuerst wissen, was ihn vom anderen trennt« (ebd.).

Nach Rahners Urteil hatten Sachkenntnis und Verstehensbereitschaft bei den Einsprüchen, die protestantischerseits umgehend gegen die neue mariologische Definition gerichtet worden waren, »nicht immer das wünschenswerte Maß erreicht« (SW 9, 341). Man vergleiche, damit sich dieser Vorhalt konkretisiere, seine Stellungnahme etwa zu einem Hirtenbrief des österreichischen Landesbischofs D. May (SW 9, 704–707, hier: 707), wo er zum wiederholten Male klarstellt, es müsse »nun einmal in der Kirche eine Lehrinstanz geben, die entscheidet, was mit dem Glauben des Evangeliums vereinbar ist und was nicht, welche Lehre das Evangelium richtig auslegt und entfaltet und welche es verdirbt und leugnet« (SW 9, 707). In einem Antwortbrief an einen gewissen Herrn Sepp Meier heißt es ergänzend: »Aus Indifferentismus gegenüber den Unterscheidungslehren ist noch keine christliche Einheit geworden.« (SW 9, 709) Dies gelte auch im Hinblick auf die Mariologie, wenngleich diese nicht »das zentrale Thema ökumenischer Dialoge« (SW 9, 647) sei.

Grundsätzlich kontrovers wird nach Rahner die mariologische Thematik erst, wenn man auf ihre ekklesiologischen Prämissen und Implikationen Bezug nehme, was Rahner in seinen zahlreichen Schriften, Predigten und Traktaten zum Thema, die in SW 9 gesammelt sind, ausdrücklich und mehrfach tut. Erörtert werden auch alle sonstigen Aspekte der katholischen Glaubenslehre von Maria, ihre unbefleckte Empfängnis und Gottesmutterschaft, ihre stete Jungfräulichkeit und Sündenlosigkeit bis hin zum Problem ihrer Gnadenmittlerschaft. Was hinwiederum das Assumptio-Dogma anbelangt, dem Rahners besondere Aufmerksamkeit galt, so bleibt durchweg die anthropologisch-eschatologische Interpretationsperspektive im Kontext einer Theologie des Todes (vgl. neben SW 9, 348–392 auch SW 9, 395–441) bestimmend, auf der im Zusammenhang der Mariologie und darüber hinaus ein Schwerpunkt Rahnerscher Gedankenarbeit lag.

2. Grundfragen systematischer Theologie


An die mariologischen Studien in Bd. SW 9, mit dem die Sammlung der Schriften aus der von ca. 1949 bis ca. 1963 reichenden Werkphase beginnt, schließen Beiträge zur Ekklesiologie und zur kirchlichen Existenz in SW 10 an. Es folgen nach den bereits behandelten Schriften zur Geschichte und Theologie der Buße in SW 11 Abhandlungen zur Grundlegung der Dogmatik, zur Christologie, zur Theologischen Anthropologie und zur Eschatologie in SW 12. Der letzte Band der die zweite Werkphase dokumentierenden Reihe, SW 18, setzt einen weiteren dogmatischen Schwerpunkt und bietet unter dem Titel »Leiblichkeit der Gnade« Texte zur Sakramentenlehre. Er belegt erneut, dass es insgesamt nicht einfach war, »das chronologische Prinzip … durchzuhalten« (SW 1, LXXVII), halbwegs klare Phasengliederungen vorzunehmen und zugleich inhaltlichen Zusammenhängen gebührend Rechnung zu tragen. Um Letzteres im Folgenden zumindest ansatzweise zu gewährleisten, werden SW 10, SW 12 und SW 18 im Verein mit den in SW 17 dargebotenen Lexikonartikeln der Jahre 1956–1973 gemeinsam in den Blick genommen, um sodann die Bände mit »Ignatiana« (SW 13) und zur spirituellen Theologie (SW 14) sowie diejenigen zu naturwissenschaftlichen, soziokulturellen und pastoraltheologischen Fragen (SW 15, 16) gesondert in Betracht zu ziehen. Dass sich auch diese Sonderung nicht durchweg in der nötigen Eindeutigkeit durchführen lässt, versteht sich in Anbetracht der Struktur des Rahnerschen Gesamtwerkes und der Anlage der SW von selbst.

Die mariologischen Arbeiten Rahners und insbesondere diejenige zur »Assumptio Mariae« sind mit einem eschatologischen Skopus versehen und paradigmatisch auf das Thema bezogen, mit dem auch die lange Reihe der Aufsätze in SW 12 schließt: »Das Leben der Toten« (vgl. SW 12, 540–546). Vorangestellt sind Beiträge »Über das christliche Sterben« und die »Auferstehung des Fleisches« sowie der zentrale und wichtige Text über »Theologische Prinzipien der Hermeneutik eschatologischer Aussagen« (SW 12, 489–510). Als Grundsatz gilt: »Biblische Eschatologie muß immer gelesen werden als Aussage von der Gegenwart als geoffenbarter her auf die echte Zukunft hin, nicht aber als Aussage von einer antizipierten Zu­kunft her in die Gegenwart hinein. Aus-sage von Gegenwart in Zukunft hinein ist Eschatologie. Ein-sage aus der Zukunft heraus in die Gegenwart hinein ist Apokalyptik.« (SW 12, 502) Neben der Beitragsserie zur Eschatologie in SW 12, 489–546 enthält die Reihe zur Theologischen Anthropologie in SW 12, 353–488 wichtige Er­gänzungen, Vertiefungen und Modifikationen bisheriger Darlegungen Rahnerschen Denkens. Letzteres trifft beispielsweise für die Studie »Theologisches zum Monogenismus« (SW 12, 353–408) zu, welche die vormalige Stellung zum Thema differenziert und teilweise korrigiert. Es soll sich ergeben, »daß eine gemäßigte anthropologische Deszendenztheorie und ein gleichzeitig vertretener Monogenismus keinen faulen Kompromiß bilden« (SW 12, 408).

Im ersten Band (1954) der STh, dessen Vorwort mit denen zu einigen Folgebänden in SW 12, 580–585 erneut abgedruckt ist, hat Rahner den Versuch eines Gesamtaufrisses der Dogmatik unternommen; die Skizze ist in SW 4, 419–448 aufgenommen worden und kann unbeschadet der Mitarbeit H. U. v. Balthasars als Leitfaden für einen Durchgang durch weite Teile der Rahnerschen Theologiekonzeption dienen. Aufschlussreiche Beiträge zur Grundlegung der Dogmatik und zu ihrer christologischen Mitte sind in SW 12, 3–352 gesammelt. Rahner erörtert die Beziehungen von Philosophie und Theologie, das Wesen einer dogmatischen Aussage, das Verhältnis von Exegese und Dogmatik, die Thematik der Hl. Schrift und ihrer Interpretation, das Problem eines dogmatischen Schriftbeweises, die biblischen Gebote und insbesondere das Liebesgebot unter der Voraussetzung von Nächsten- und Gottesliebe sowie mit dem Begriff des Geheimnisses einen der Schlüsselbegriffe seiner Theologie. Im Unterschied zu einem Rätsel, das einer Lösung zugeführt werden kann und im Falle, dass diese Lösung erfolgt ist, kein Rätsel mehr ist, bleibt das Geheimnis Gottes in seiner Offenbarung erhalten, um in seiner Unergründlichkeit erkannt zu werden. Im Mysterium Jesu Christi ist dies manifest, wie die christologischen Beiträge in SW 12, 251 ff. und besonders signifikant derjenige »Zur Theologie der Menschwerdung« (SW 12, 309–322) bezeugen. Trotz klarer Orientierung am Dogma der Alten Kirche ist Rahner offen für die »Probleme der Christologie von heute«, wie eine gleichnamige Studie in SW 12, 261–301 belegt. Eher im Hintergrund bleibt die Beschäftigung mit modernen Christologieentwürfen aus dem evangelischen Bereich, wie überhaupt in ökumenischer Hinsicht längere Zeit ziemliche Zurückhaltung herrscht.

Die »stark schematisierenden Hinweise auf die protestantische Theologie (bzw. Religionsphilosophie)« (SW 4, XIX; vgl. etwa SW 4, 44) in früheren Werken lassen von der ökumenischen Aufgeschlossenheit in Rahners späteren Jahren noch nicht viel erkennen. Man lese beispielsweise, um in die Grundlegungsphase zurückzugehen, den 1936 erschienenen Aufsatz über »Die deutsche protestantische Christologie der Gegenwart« (SW 4, 299–312). Das Negativurteil steht mehr oder minder apriorisch fest und konstatiert einen Ge­gensatz, der die Prinzipien des Glaubens betrifft. »Der tiefste We­sensunterschied des heutigen protestantischen Glaubensbegriffs, der allen Richtungen gemeinsam ist, besteht dem katholischen gegenüber in der Irrationalität.« (SW 4, 300) Daraus ergibt sich zwangsläufig, »daß der Glaubensbegriff all dieser protestantischen Richtungen über den Subjektivismus doch nicht entscheidend hinauskommt« (SW 4, 304). Ob Christologie von oben oder von un­ten: Weil sie »den Glauben und seine Gewißheit ausschließlich in ihm selbst ruhend denken darf« (SW 4, 302), kann protestantische Glaubenslehre der Objektivität des Glaubensgrundes prinzipiell nicht gewahr und ansichtig werden. Demgegenüber wird geltend gemacht: »Der Mensch hat zu hören auf Gott, nicht auf die Stimme seines eigenen Glaubens.« (SW 4, 305)

Ob der zitierte Satz nicht auch unter evangelischen Bedingungen seine anerkannte Richtigkeit hat, wäre zu fragen. Fragen ergeben sich fernerhin in Bezug auf Rahners Wahrnehmung der reformatorischen Lehre von der iustificatio impii. Seine Vorstellung vom Rechtfertigungsglauben Luthers ist im Grunde diejenige des (vom Tridentinum zu Recht anathematisierten) »reinen Fiduzialglaubens als bloßer Tat Gottes am Menschen zu bloßer forensisch-imputierter Gerechtigkeit einer fast dialektischen Theologie« (SW 12, 577), womit im Handkehrum auch das Urteil über den − zudem zum Offenbarungspositivisten gestempelten − Karl Barth und den Barthianismus gesprochen ist. Dass sowohl Luther als auch Barth durch entschiedene Abwehr der Annahme eines additiven Nebeneinanders von Gottes- und Menschenwerk die untrennbare Zusammengehörigkeit beider betonten, wird ebenso wenig deutlich wie die ethische Pointe reformatorischer Rechtfertigungslehre, wonach der Christ gerade deshalb und nur deshalb Gutes zu tun und sinnvolle Werke der Liebe zu erbringen vermag, weil er im gläubigen Vertrauen auf den im auferstandenen Gekreuzigten offenbaren Gott kraft des Hl. Geistes von der Sorge um sein ewiges Seelenheil gänzlich befreit ist.

3. Kirchliche Dogmatik


Rahner war ein kirchlicher Theologe und zwar dezidiert ein Theologe der römisch-katholischen Kirche, in der er die una, sancta, catholica et apostolica ecclesia des Glaubensbekenntnisses realisiert sah. Für ihn stand fest: »Glaube ist Glaube, der die Kirche hört und in der Kirche glaubt.« (SW 10, 247) Wie es im Titel des zitierten Textes heißt: »Ich glaube die Kirche« (vgl. SW 10, 238–250), womit im Falle Rahners zweifellos und stets die hierarchisch verfasste, von den Bischöfen als bestellten Nachfolgern der Apostel in Gemeinschaft mit dem römischen Bischof als päpstlichem Nachfolger Petri geleitete Kirche gemeint war, die ihm als Stiftung des Gottmenschen und Wirkzeichen seiner immerwährenden Präsenz galt. Man erinnere sich an die theologische Dissertation und die Vorstellung vom Ur­sprung der Kirche aus der Seitenwunde des Gekreuzigten, der Rahner unter Konzentration auf den typologischen Sinn von Joh 19,34 bibeltheologisch und dogmengeschichtlich nachgegangen war: Während der erste Adam, dessen Rippe Gott Eva, die Mutter des adamitischen Menschengeschlechts, entnahm, zusammen mit dieser der Sünde verfiel, hat der zweite und neue das Böse durch sein Leiden und Sterben überwunden, um aus seiner Seitenwunde heraus die Kirche hervorgehen zu lassen, die in der typologischen Gestalt Mariens als der zweiten und neuen Eva die im auferstandenen Gekreuzigten mit Gott versöhnte Menschheit repräsentiert. Dabei ist Rahner gewiss, dass die die neue Menschheit repräsentierende, ihre Vollendung antizipierende und sakramental bewirkende Kirche Jesu Christi in der römisch-katholischen verwirklicht ist und zwar so, wie in keiner christlichen Gemeinschaft sonst. Ein ökumenischer Relativist war Rahner ebensowenig wie ein Vertreter pluralistischer Theorie der Religionen. Das ist eine Feststellung, kein Einwand.

Der kirchliche und entschieden römisch-katholische Charakter seiner Theologie tritt in allen Texten Rahners zutage, sehr direkt naturgemäß in den in SW 10 gesammelten Studien zur Ekklesiologie und zur kirchlichen Existenz, jedoch mit deutlich erkennbar werdenden Anzeichen ökumenischer Öffnung. Bd. SW 10 dokumentiert Rahners Beiträge zum Thema »Kirche in den Herausforderungen der Zeit« in der vorkonziliaren Epoche, nicht mehr hingegen die ekklesiologischen Arbeiten im Umkreis des II. Vatikanischen Konzils, an dem er als Berater und Peritus teilnahm. Da die Ekklesiologie nicht zum eigentlichen universitären Lehrauftrag Rahners gehörte, exis-tiert kein schultheologischer »Traktat über die Kirche von ihm, auch keine größere monographische Auseinandersetzung dazu« (SW 10, IX). Die in SW 10 gesammelten Texte können und wollen dafür keinen Ersatz liefern; sie überschreiten »den Rahmen der (herkömmlichen) dogmatischen Ekklesiologie bzw. setzen eigene Akzente« (SW 10, XII). Unter systematischen Gesichtspunkten hätte das Textmaterial, wie in einem ersten Bandentwurf versucht, »etwa in die Rubriken Kirche und Heil − Der Einzelne in der Kirche − Die pilgernde Kirche − Kirche als Sakrament des Heils für die Welt« (SW 10, XIII) gruppiert werden können. »Doch wollten die Bearbeiter eine zu stark systematische Anordnung vermeiden, da sie das chronologische Grundprinzip der Ausgabe verunklaren würde.« (Ebd.)

Um aus der Fülle des Stoffs nur einen einzigen Text, nämlich den letzten aus der Hauptrubrik der Aufsätze und Sammlungen mit dem Titel »Kirche und Parusie Christi« (SW 10, 626–640) herauszugreifen, den Rahner auf der 24. Tagung des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen vorgetragen hat, die in der Judikawoche, und zwar, wie die eingangs erwähnte 16., erneut im Collegium Leoninum in Paderborn stattfand: Kirche, so Rahner, ist eine eschatologische und insofern vorläufige Größe. Zwar weiß sie sich, indem sie des vollendeten Perfekts der Geistoffenbarung Gottes in Jesus Chris­tus gewiss ist, »als die Anzeige und als das Sakrament des endgültigen Heils« (SW 10, 628); doch dürfe sie sich »nie dahin mißverstehen, als ob sie in ihrer jetzigen Gestalt als solcher schon das Endgültige wäre oder ihre Geschichtlichkeit im Grunde doch nur die Einzelnen beträfe, für die sie Heilsmittel ist, oder als ob zwar einmal, eben mit der Parusie, ihre jetzige Gestalt verginge, diese selbst aber zwischen Pfingsten und Parusie keine Geschichte hätte« (ebd.). Diese ekklesiologische Einsicht zeitigt notwendigerweise amtstheologische Konsequenzen. Zwar gibt es Rahner zufolge indefektible Selbstvollzüge der Kirche, was nachgerade das kirchliche Amt zu gewährleisten habe; doch seien auch und gerade sie in der für die Kirche als eschatologische Heilsgemeinde kennzeichnenden Vorläufigkeit zu verstehen. Rahner vermutet, dass diese Einsicht »zu einer erheblichen Entschärfung des kontroverstheologischen Gegensatzes zwischen den christlichen Konfessionen beitragen könnte« (SW 10, 637).

4. Pastoraltheologie


Was Rahner über die eschatologische Verfassung der Kirche ausführt, kann für ihr Selbstverständnis ebenso wenig folgenlos bleiben wie für das Verständnis ihres Verhältnisses zur Sakramentalität Jesu Christi sowie zu den Einzelsakramenten, die Rahner in einer Weise, die genauerer Klärung bedarf, als kirchliche Selbstvollzüge begreift. Sind die einzelnen Sakramente nur Ausdruck und nicht auch Konstitutionsmomente von Ekklesialität? Auskunft auf diese und ähnliche Fragen gibt SW 18. Bevor hierauf näher einzugehen ist, seien noch einige Bemerkungen zu den Studien zur Pastoraltheologie und Struktur der Kirche in SW 16 angefügt, die »in vielem« (SW 16, XI) an SW 10 anschließen. »Während dort die grundlegenderen Studien zur Ekklesiologie und zur kirchlichen Existenz des Einzelnen gesammelt werden, erscheinen hier die eher ›praktischen‹ und pastoraltheologisch ausgerichteten Texte neben denjenigen zu Amtsstrukturen in der Kirche. Dazu kommt das Thema der Theologenausbildung.« (Ebd.) Für den ökumenischen Dialog sehr interessant sind einerseits die Ausführungen zu Pfarre und Pfarrer, weil sie wichtige Thesen zur Beziehung von Ortsgemeinde und Universalkirche im Sinne einer eucharistischen Communio-Ekklesiologie sowie zum Verhältnis von Presbyterat und Episkopat enthalten, andererseits die Überlegungen zum Laienapostolat wegen ihrer Grundsatzerwägungen zur spezifischen Differenz zwischen Ordinierten und Nichtordinierten. Rahner hebt den Wesensunterschied zwischen beiden betont dadurch hervor, dass er von zwei Apostolaten in der Kirche spricht.

Nach Rahners Auffassung ist es falsch, mit nur einem kirchlichen Apostolat zu rechnen, welches die Differenz von Laien und Amtsträgern umgreift. Die grundlegende amtstheologische These korrespondiert dieser Auffassung: Zwar existiere das kirchliche Amt in der Kirche und für sie, aber es komme, »was seine Existenz und den Umfang seiner Gewalten angeht, nicht von der Kirche, sondern von Christus und repräsentiert die herrscherliche Stellung Christi gegenüber dem Kirchenvolk« (SW 16, 60). Verbunden ist diese These mit einer entschiedenen Abgrenzung vom evangelischen Amtsverständnis bzw. von dem, was Rahner dafür hält. Entsprechendes gilt in Bezug auf die Verhältnisbestimmung von Ortskirche und Universalkirche, wo Rahner annimmt, »daß für die evangelische Theologie in ihrer radikalen Form die Kirche in ihrem eigentlich göttlichen Wesen sich im ortshaften Ereignis der richtigen Verkündigung des Evangeliums erschöpft, ohne daß diese so rein aktualistischen Ortsgemeinden, die nur von der ortshaften Aktualität des Wortes leben, aus anderen als praktisch organisatorischen, also sekundären Gründen, einen gesamtkirchlichen Überbau forderten. Für uns dagegen«, fährt er fort, »ist die Ortskirche immer auch schon eine, wenn auch eine notwendige Funktion der ihr schon vorgegebenen einen Kirche Christi, die freilich auch in der Ortsgemeinde und vor allem in ihrer ortshaften Eucharistiefeier zu ihrer eigenen höchsten Ereignishaftigkeit kommt.« (SW 16, 115 f.) Man vergleiche dazu den späteren Disput der Kardinäle Kasper und Ratzinger und versuche zu entscheiden, welcher Position Rahner nähersteht. Eine definitive Entscheidung dürfte auf der gegebenen Textbasis ebenso schwerfallen wie eine präzise Prognose, in welche Richtung sich Rahners ökumenische Theologie über die frühen Schaffensphasen hinaus entwickeln wird.

SW 18 enthält unter der Überschrift »Leiblichkeit der Gnade« Monographien, Aufsätze und Begleittexte zur allgemeinen und speziellen Sakramentenlehre und ihrer ekklesiologischen Grundlegung, wobei unter den Einzelsakramenten vor allem die Lehre vom Herrenmahl in Betracht kommt, und zwar unter besonderer Berücksichtigung der Themen von Realpräsenz und Opfer sowie ihres Verhältnisses zueinander. Grundlegend ist die Lehre von der Kirche als Ur-sakrament, aus der sich das Verständnis sowohl des sakramentalen Wesens im Allgemeinen als auch der einzelnen Sakramente ergibt, die als kirchliche Selbstvollzüge begriffen werden. In seinem Buch »Kirche und Sakramente«, das 1960 als Bd. 10 der Reihe »Quaestiones disputatae« in Erstauflage publiziert und an den Anfang von SW 18 gestellt wurde (SW 18, 3–72), ist dies im Detail ausgeführt. Von hierher erschließen sich »Ansatz und Anliegen der von Rahner entworfenen Theologie der Sakramente« (SW 18, XX). Die in Teil B von SW 18 gesammelten Aufsätze bestätigen dies, wobei der Text über »Personale und sakramentale Frömmigkeit« (SW 18, 403–422) zusammen mit den »Überlegungen zum personalen Vollzug des sakramentalen Geschehens« (SW 18, 458–476) neben ekklesiologischen starke anthropologische Neuakzente setzt (SW 18, 458: »kopernika- nische Wende in der Sakramentsauffassung«). Die Studie »Zur Theologie des Symbols« (SW 18, 423–457) versucht der Lehre »De sacramentis in genere« eine symboltheoretische Basis zu geben, die sie ontologisch, theologisch und anthropologisch (SW 18, 451 ff.: Der Leib als Symbol des Menschen) fundiert.

5. Sakramentale Selbstvollzüge der Kirche


Die, wie es im Titel einer einschlägigen Monographie heißt, »siebenfältige Gabe« (SW 18, 273–347) des sakramentalen Selbstvollzugs der Kirche in − so die favorisierte Reihenfolge − Eucharistie, Taufe, Firmung, Buße, Ordo, Ehe und Krankensalbung expliziert Rahner in einer Reihe von Untersuchungen unter Fokussierung auf das Herrenmahl, auf die sakramentale Gegenwart Christi in ihm sowie auf den sakrifiziellen Aspekt der Eucharistie. Widerspricht die Rede vom Opfer, das in den vielen Messen dargebracht wird, der Einheit und Vollgenügsamkeit des Kreuzesopfers Jesu Christi und − wenn dies nicht der Fall sein sollte − wie lässt sich das Verhältnis von Kreuzesopfer und Messopfer unter der Voraussetzung recht bestimmen, dass die Rede vom Opfer staurologisch, soteriologisch etc. nicht überhaupt als unpassend abzulehnen ist? Eine Antwort auf Fragen wie diese sucht Rahner in dem Beitrag »Die vielen Messen und das eine Opfer« zu geben, dessen Versionen von 1949/51 und von 1966 in SW 18, 73–271 parallel wiedergegeben sind. Zu vergleichen ist der Text »Die vielen Messen als die vielen Opfer Christi« (SW 18, 499–511). Sonderprobleme der Theorie und Praxis der Eucharistie werden in den »Dogmatischen Bemerkungen über die Konzelebration« (SW 18, 512–541) behandelt, in den Erörterungen über die »Danksagung nach der Hl. Messe« (SW 18, 565–583) oder »Über die Besuchung« (SW 18, 584–595), d. h. über das Gebet in Anbetracht des aufbewahrten Altarsakraments. Beachtenswert sind ferner die Ausführungen zur »Ehe als Sakrament« (SW 18, 639–656; vgl. 711–717) sowie das unter den Begleittexten beigegebene lateinische Vorlesungsmanuskript »De extrema unctione« (SW 18, 730–781), »das der Lehrtätigkeit Rahners in Innsbruck zuzuordnen ist« (SW 18, XXIX). Die Kirche ist nach Rahner Ursakrament und »selbst das Zeichen der siegreichen Gnadenpräsenz Gottes in der Welt, insofern Christus seine Gegenwart in der Geschichte durch sie fortsetzt« (SW 18, 47). Manifest wird dies in den Einzelsakramenten und insbesondere in der Eucharistie, die als Wirkzeichen realer Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Gottmenschen den zentralen Selbstvollzug der Kirche darstellt und deshalb »nicht einfach nivellierend unter die anderen Sakramente eingereiht werden« (SW 18, 50) darf. In der Eucharistie gibt sich der Herr seiner Kirche leibhaft, um sie zu seinem Leib zu gestalten sowie sie und alle ihre Glieder hineinzunehmen in seine sich opfernde, ein für allemal heilsame Selbstdarbringung an den Vater, der in ihm und durch ihn den Glaubenden ganz und gar hingegeben ist in seiner Gnade. Weder ersetzt oder wiederholt das Opfer der Kirche das einmalige Kreuzesopfer noch stellt es im Verhältnis zu ihm eine zusätzliche Ergänzung dar. Es vergegenwärtigt es vielmehr in der Kraft des österlichen Geistes als vollendetes, auf die Zukunft von Mensch und Welt angelegtes Perfekt.
»Leidet Christus in der Messe?« (SW 18, 700) Nein, heißt es unter Berufung auf Röm 6,9: »Nicht ein neues Leiden Christi ereignet sich in der Messe, sondern sein einmaliges Leiden am Kreuz (Hebr 7,27) wird für uns wahrhaft gegenwärtig und gewinnt Macht über unser Leben.« (Ebd.) Orientiert man sich an Rahners subtilen Argumentationen, dann dürfte unter der Voraussetzung eines gewissen Maßes an ökumenischer Aufgeschlossenheit und intellektueller Flexibilität eine Gemeinsame Erklärung zur Abendmahlslehre zwischen der römisch-katholischen Kirche und den Reformationskirchen mit dem Ergebnis eines differenzierten Konsenses un­schwer zu erreichen sein, wonach zwar Lehrunterschiede, aber keine kirchentrennenden Gegensätze mehr zwischen den aktuellen Partnerkirchen bestehen. Schwierig bleiben indes auch unter Rahnerschen Voraussetzungen die ekklesiologischen und insbesondere amtstheologischen Rahmenbedingungen einer solchen Vereinbarung.

6. LThK2 und »Sacramentum mundi«


Weil Rahner seine Theologie einschließlich derjenigen des kirchlichen Amtes nicht in einem großen Systemzusammenhang entfaltet hat, empfiehlt es sich, zu ihren vielfältigen thematischen Aspekten einzelne seiner Lexikonartikel zu studieren, die häufig sehr aufschlussreich sind für die von ihm eingenommene Position. Der Edition der Beiträge Rahners in Nachschlagewerken der Jahre 1956 bis 1973 in SW 17/1 und 2 ist ein vergleichsweise sehr ausführlicher Bericht des Herausgebers H. Vorgrimler vorangestellt, dessen biographische »Erinnerungen und Notizen« weitere Merkwürdigkeiten zum innerkirchlich-theologischen Klima der Zeit und zu kritischen Interventionen nachtragen, die Rahners theologische Arbeiten u. a. an der Zweitauflage des Lexikons für Theologie und Kirche begleiteten. 9 Sein Engagement für LThK2 datiert »höchstwahrscheinlich« (SW 17/1, 21) auf April des Jahres 1955, mit dem Vorgrimler »die produktivste und dramatischste Periode im Leben Karl Rahners« (SW 17/1, 9) beginnen lässt. Dieser habe die Lexikonarbeit, »als eine überaus nützliche Vorbereitung für eine künftige Systematik« (SW 17/1, 22) angesehen, deren umfassende Durchführung er allerdings nach eigener Einschätzung schuldig geblieben sei. »Auch sein ›Grundkurs‹ wurde nicht dasjenige, was ihm im Anschluss an das LThK als sein ›Lebenswerk‹ vorgeschwebt hatte.« (SW 17/1, 67)

Für die Neuauflage des in den Jahren 1930 bis 1938 erstmals edierten LThK steuerte Rahner selbst insgesamt 133 Artikel bei; zur Konzeption des − als aktuelles fachwissenschaftliches Lexikon nicht nur für die Dogmatik, sondern für den Gesamtbereich der katholischen Theologie angelegten − Lexikons hat er sich u. a. in einer SW 17/1, 81–85 wiedergegebenen Einführung und im Vorwort zum ersten Band von 1957 (vgl. SW 17/1, 86; vgl. ferner SW 17/2, 1398–1420) geäußert. Näheres zu seinen normativen Überlegungen für LThK2 findet sich im Editionsbericht SW 17/1, 26 ff. Ein weiteres lexikalisches Projekt, an dem Rahner entscheidend beteiligt war, liegt mit dem 1967–1969 in deutscher Sprache erschienenen, dann mehrfach übersetzten »Theologische(n) Lexikon für die Praxis« »Sa­cramentum mundi« vor, dessen Zustandekommen, wie Vorgrim­ler notiert, »keineswegs so große Schwierigkeiten oder gar lebensgefährliche Be­drohungen« (SW 17/1, 63) bewirkte wie die Genese von LThK 2. Alle Artikel und Artikel-Teile, die Rahner für LThK2 und »Sacramentum mundi« verfasst hat, sind in die beiden Teilbände von SW 17 aufgenommen. Außerdem enthalten sie den vollständigen Text des zusammen mit Vorgrimler herausgebrachten »Lexikönchen(s)« (SW 17/1, 69), des »Kleinen Theologischen Wörterbuchs« von 1961, »sowie einzelne Artikel, die Rahner zu anderen Lexika beisteuerte« (SW 17/1, 73).

Es versteht sich von selbst, dass die Inhalte der zahlreichen Lexikonartikel Rahners in einer Sammelrezension nicht berücksichtigt werden können. Die thematische Auswahl, die er getroffen hat, verweist u. a. auf vorhergehende Arbeitsschwerpunkte im Zusammenhang etwa mit seiner Vorlesungstätigkeit. Über Geschichte und Theologie des Bußsakraments wird mehrfach gehandelt, ferner über Ablass und sonstige Themen, die in den Kontext des Lehrstücks »De paenitentia« gehören. Vielfach vertreten sind Artikel zur Gnadentheologie, zum Themenbereich der philosophischen und der theologischen Anthropologie, zum Verständnis von Dogma, Dogmengeschichte und Dogmatik. Dass den Artikeln zu Gott (SW 17/1, 264–271) und zur Gotteslehre (SW 17/1, 271–276), zu Jesus Christus (SW 17/1, 301–309; SW 17/2, 1109–1136) und Christentum (SW 17/1, 175–191; SW 17/2, 947–969) zentrale Bedeutung zukommt, bedarf keiner besonderen Betonung. Für die 6. Auflage des von der Görresgesellschaft herausgegebenen Staatslexikons hat Rahner den langen Artikel »Katholische Kirche« (SW 17/1, 446–460) geschrieben. Weniger umfangreich, aber nicht minder gehaltvoll sind die zusammen mit H. Vorgrimler konzipierten Artikel im Kleinen Theologischen Wörterbuch.

Aufschlussreich ist ein Vergleich zwischen dem Artikel »Lehramt« in LThK2 (1961; SW 17/1, 319–326) und demjenigen in »Sacramentum mundi« (1969; SW 17/2, 1169–1181). Beide Texte belegen, was Vorgrimler in seinem Editionsbericht eigens hervorhebt: »Rahner hatte an seiner absoluten Respektierung des kirchlichen Lehramtes und seiner verbindlichen Äußerungen nie auch nur den geringsten Zweifel gelassen« (SW 17/1, 24) und »bei allen seinen Veröffentlichungen größten Wert darauf gelegt, dass sie das kirchliche Imprimatur, die Unbedenklichkeitserklärung in Fragen des Glaubens und der Moral, erhielten« (SW 17/1, 31). Dies hinderte ihn nicht, vor einer primär formalrechtlichen Wahrnehmung des Amtes der kirchlichen Lehre und vor der Annahme zu warnen, seine Autorität enthebe es der Argumentationspflichtigkeit. Er rechnete es im Gegenteil zu den »Gefahren im heutigen Katholizismus« (SW 10, 99–142), durch lehramtlichen Autoritarismus dasjenige förmlich heraufzubeschwören, was »kryptogame Häresie« (SW 10, 139) zu nennen sei. Sie äußere sich nicht mehr explizit in Form falscher Sätze, sondern bleibe stumm und verborgen, um hinter vorgehaltener Hand einen Katholizismus zu pflegen, der seinem lehroffiziellen Begriff nicht nur nicht entspreche, sondern widerspreche. Es will Rahner scheinen, »die Entwicklung der Kirche und der Erkenntnis ihrer formalen Lehrautorität als eines eigenen Glaubensgegenstandes ›muss‹ eine Form der Häresie in der Kirche heraufführen, die man in diesem Umfang früher nicht kannte« (SW 10, 142), nämlich die sogenannte kryptogame. Das sagt notabene nicht irgendein Liberalprotestant, sondern ein dezidierter Jesuit, der sich dem kirchlichen Lehramt und namentlich der obersten Spitze der Hierarchie, dem Papst, zu entschiedenem Gehorsam verbunden weiß.

7. Ignatianische Spiritualität


Rahner gehörte der Societas Jesu 62 Jahre seines Lebens an. Zur Erforschung der Historie seines Ordens hat er nur bedingt beigetragen; dieses Geschäft haben Mitbrüder besorgt, für die neuere »Geschichte der deutschen Jesuiten« Klaus Schatz mit einem fünfbändigen Werk,10 das auch interessante Details zu den Wirkungsstätten Rahners enthält, der auf seine Weise Ordensgeschichte geschrieben hat: als herausragender Theologe, aber nicht minder als Repräsentant und Förderer ignatianischen Geistes, ohne welchen sein Werk nicht wäre, was es ist. Dies belegen u. a. die in SW 13 vereinten Schriften zu den Exerzitien und zur Spiritualität des Ordensgründers Ignatius von Loyola oder die in SW 14 unter dem Titel »Christliches Leben« gesammelten Beiträge. Spiritualität ist keine Zugabe zur Rahnerschen Theologie, sie betrachtet sich vielmehr selbst als Theologie des geistlichen Lebens, wie der Autor wiederholt zu verstehen geben hat (vgl. etwa SW 14, 362 f.). Die Einteilung der Bestände von SW 14 in Textgruppen erwies sich als »schwierig« (SW 14, XI) und hätte »auch anders« (ebd.) ausfallen können. Geboten werden Studien »zur Grundlegung des geistlichen Lebens, Reflexionen zu Themen der Spiritualität, Be­trachtungen zu Festen und zu anderen bestimmten Anlässen des Kirchenjahres, biblische Predigten, Texte zu exemplarischen Personen (Josef, Benedikt, Thomas von Aquin)« (ebd.). Zur Lektüre sei besonders die »Kurzfassung des ganzen Christentums (1 Thess 1,2–10)«, eine Predigt anlässlich des 6. (nachgeholten) Sonntag nach Erscheinung, 18. November 1956 (SW 14, 304–306) empfohlen. Weniger schwierig als diejenige der Texte von SW 14 war die Aufteilung der Ignatiania in SW 13. Im Zentrum stehen »Betrachtungen zum ignatianischen Exerzitienbuch« (SW 13, 35–265), umrahmt von »Ge­bete(n) der Einkehr« (SW 13, 1–33), die Rahner 1958 zusammen mit seinem Bruder Hugo publizierte, und Texten zur »Einübung pries­terlicher Existenz« (SW 13, 267–437). Beigegeben sind Aufsätze speziell zur jesuitischen Frömmigkeit und zur Herz-Jesu-Verehrung sowie thematisch verwandte Texte, die bisher nicht veröffentlicht waren. SW 13 erschien im Jubiläumsjahr 2006, in dem die Societas Jesu des 450. Todestages ihres Ordensgründers und des 500. Ge­burtstages seiner »Gefährten der ersten Stunde« (SW 13, XIII), Franz Xaver aus Navarra und Peter Faber aus Savoyen, gedachte. Sie bildeten zusammen mit vier weiteren Männern die Keimzelle der Gesellschaft Jesu, der sich Rahner zeitlebens verbunden wusste, nicht nur als Theoretiker, sondern auch als »Praktiker des Ignatianischen« (SW 13, XVI). Dem haben die Herausgeber der SW Rechnung getragen, indem sie dem praktischen Schrifttum Rahners dieselbe sorgfältige Aufmerksamkeit schenkten wie dem theoretischen.

8. Editorische Grundsätze


Die Edition der SW hat, wie u. a. die bisher vorliegenden Rezensionen belegen (vgl. SW 1, CV–CXVII), in der interessierten Öffentlichkeit eine überwiegend günstige Aufnahme gefunden. Nur vereinzelt wurde Kritik geübt, am schärfsten in einer Besprechung von SW 4, wo resümiert wird: »Daß mit der neuen Gesamtausgabe auf absehbare Zeit die Chance vertan sein dürfte, eine jetzt fällige, weil von Jahr zu Jahr schwieriger zu bewerkstelligende wissenschaftliche, vor allem textkritische Edition der Werke Rahners auf den Weg zu bringen, kann man bedauern.« 11 Von Herausgeberseite ist darauf zum einen mit dem Hinweis reagiert worden, dass SW nie den Anspruch einer im strengen Sinne historisch-kritischen Edition mit Aufbietung etwa genauer Rekonstruktionen von Textgenesen erhoben habe, sondern »die editorisch kontrollierten, von Rahner approbierten Drucktexte mit Dokumentation wichtiger Abweichungen in alternativen Fassungen, in gewichtigen Fällen unter Heranziehung von Manuskripten (darbiete). […] Das primäre Ziel war die Sichtung, Sicherung und Bereitstellung des Rahnerschen Oeuvres in einer Form, die das Studium des Werkes in seiner ganzen Breite ermöglicht.« (SW 1, CXIII f.)

Orientiert man sich an dieser Zielsetzung, dann wird man sagen dürfen, dass die Edition ihre Aufgabe voll erfüllt hat. Vorwürfe der Textmischung oder Einwände im Zusammenhang von Gemeinschaftsproduktionen mit Mehrverfasserschaft werden überzeugend zurückgewiesen, knapp in SW 1, CXIV f., ausführlicher in A. Raffelts Beitrag von 1999 »Was will die Karl-Rahner-Gesamtausgabe?«12 Dass offene Fragen bleiben, wird nicht geleugnet. »Die SW haben nie beansprucht, alle Probleme Rahnerscher Texte zu lösen.« (425) Forschungsdesiderate wie die umfängliche Dokumentation handschriftlichen Materials lassen sich möglicherweise in Zukunft unter Einsatz elektronischer Mittel lösen. Als aussichtslos wird sich dagegen der Versuch erweisen, jedes aufgefundene Manuskript und alle identifizierbaren Textvarianten im Druck zu dokumentieren. Doch ist ein solches Unterfangen auch nicht nötig und kann getrost unterlassen werden. Oft verschließen endlose Apparate professoraler Gelehrsamkeit, die sich nicht selten der Kärrnerarbeit anderer verdanken, den Zugang zu den Textgehalten mehr, als dass sie sie erschließen. Sogar ihre schärfsten Kritiker räumen ein: Wer »darauf aus ist, Rahnertexte zu lesen, ist mit dieser Ausgabe gut versorgt.« 13

Die editorische Zurückhaltung gereicht den SW eher zum Vorteil als zum Schaden. Im Grundsatz richtig war sicherlich auch die Entscheidung für ein »grobchronologisches Prinzip« (415) verbunden mit vorsichtigen, systematische Festlegungen vermeidenden Zusammenfassungen von Sachkomplexen. Gewiss kann man in einzelnen Fällen in Bezug auf die Stofforganisation unterschiedlicher Meinung sein. Aber das ist in Anbetracht der typischen Form der Rahnerschen Textproduktion gar nicht anders zu erwarten und mithin gut so. Exemplarische Beispiele für die rastlose Vortrags- und Aufsatzerstellung Rahners enthält, um mit diesem Hinweis einstweilen zu schließen, SW 15 mit ungefähr sechzig Einzelbeiträgen zum theologischen Dialog vorzugsweise mit den Naturwissenschaften und der Gesellschaftstheorie. Das reichhaltige Textmaterial stammt zu einem großen Teil aus Tagungen der im Jahr 1876 zum hundertsten Geburtstag des Publizisten und nachmaligen Münchener Geschichtsprofessors Johann Joseph von Görres gegründeten »Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft«, deren Ziel auf eine konstruktive und kritische Einbindung katholischer Geistigkeit in das wissenschaftliche Leben ausgerichtet ist. Rahner referierte und diskutierte zur Problematik von Raum und Zeit, zur Evolutionstheorie, zur Geist-Materie-Thematik, zum Weltbild Teilhard de Chardins und so fort. Weitere Texte sind aus der Zusammenarbeit mit der »Paulus-Gesellschaft« hervorgegangen, die 1955 zum Zwecke des Diskurses mit der Kirche traditionell fernstehenden Gruppierungen gegründet wurde, wie etwa Vertretern eines wissenschaftlichen Positivismus oder marxistischen Kreisen. Diskussionen mit Ernst Bloch gehören in diesen Zusammenhang. Näheres hierzu und zur Überlieferungslage ist dem Editionsbericht zu Band SW 15 zu entnehmen, der neben Beiträgen aus dem zweiten auch solche enthält, die der dritten Werkphase angehören.

Rahner verfasste Aufsätze in allen Varianten, die nicht selten einen mündlichen Vortrag zum Anlass hatten:

Andere haben umfangreichere Werke geschrieben und sind tiefer in akribische Detailforschungen eingedrungen als er. Aber unvergleichlich war Rahner in der visionären Kraft, mit der er noch die kompliziertesten theologischen Einzelthemen als Ausdruck der Grundsituation des Menschen vor dem unbegreiflichen Gott darzustellen wußte. Weil es ihm immer wieder um diesen einfachen Grundgedanken ging, darum wohl hat Rahner in seinen späteren Jahren vornehmlich durch immer wieder neue Vorträge zu den verschiedensten Einzelthemen gewirkt, die ihm stets mit meditativer Intensität auf dieselbe anthropologische Grundstruktur hin transparent wurden. Dabei war Rahner durchaus kein Freund leichtfertiger Verein-fachungen. Ebensowenig lag ihm die kritische Verabschiedung der Überlieferung im Namen vermeintlicher Selbstverständlichkeiten des Gegenwartsbewußtseins. Er zog es vor, gerade das Sperrige in den überlieferten Aussagen zu interpretieren auf eine Weise, die über Nebensächliches hinaus auf das Entscheidende und Fundamentale zielte.14

In einem kurzen Text »Zum Gedenken an Karl Rahner« aus dessen Todesjahr 1984 hat Wolfhart Pannenberg die überwältigende Wirkung des Rahnerschen Werkes mit der Fähigkeit erklärt, schwierigste und komplexeste Themen auf das Entscheidende und Fundamentale zu fokussieren und dadurch zu vereinfachen, ohne zu simplifizieren. Diese Fähigkeit habe Rahner auch als theologischer Ökumeniker unter Beweis gestellt − allerdings noch nicht bzw. in nicht besonders ausgeprägter Form in den frühen Werkphasen, da er »erst in den letzten beiden Jahrzehnten seines Lebens eine entschiedene Wendung zu ökumenischer Programmatik vollzog«15. Die Bände 19 bis 32 der SW geben darüber und über die sonstige Entwicklung der Theologie Rahners in den Jahren 1964–1984 nähere Aufschlüsse; ihre Besprechung erfolgt demnächst.

Fussnoten:

Hrsg. v. d. Karl-Rahner-Stiftung unter Leitung v. K. Kardinal Lehmann, J. B. Metz, A. Raffelt, H. Vorgrimler u. A. R. Batlogg SJ, 32 Bde.; hier: Bde. 1–18. Bd. 1: Frühe spirituelle Texte und Studien. Grundlagen im Orden. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2014. CXXXV, 568 S. Geb. EUR 100,00. ISBN 978-3-451-23719-5; Bd. 2: Geist in Welt. Philosophische Schriften. Bearb. v. A. Raffelt. Düsseldorf: Benziger; Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 1996. XXXVII, 503 S. Geb. EUR 85,00. ISBN 3-545-22123-7 (Benziger); 978-3-451-23708-9 (Herder); Bd. 3: Spiritualität und Theologie der Kirchenväter. Bearb. v. A. R. Batlogg, E. Farrugia u. K.-H. Neufeld. Register v. J. Schösser. Düsseldorf: Benziger; Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 1999. LXXXII, 476 S. Geb. EUR 85,00. ISBN 3-545-22124-5 (Benziger); 978-3-451-23703-4 (Herder); Bd. 4: Hörer des Wortes. Schriften zur Religionsphilosophie und zur Grundlegung der Theologie. Bearb. v. A. Raffelt. Düsseldorf: Benziger; Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 1997. XXXVIII, 634 S. Geb. EUR 85,00. ISBN 3-545-22125-3 (Benziger); 978-3-451-23704-1 (Herder); Bd. 5/1: De Gratia Christi. Schriften zur Gnadenlehre. Erster Teilbd. Bearb. v. R. Siebenrock. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2015. XXII, 602 S. Geb. EUR 90,00. ISBN 978-3-451-23705-8; Bd. 6: De paenitentia. Dogmatische Vorlesungen zum Bußsakrament. 2 Teilbde. Bearb. v. D. Sattler. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder. Erster Teilbd.: 2007. XXIX, 321 S. Geb. EUR 75,00. ISBN 978-3-451-23706-5; Zweiter Teilbd.: 2009. XXXI, 768 S. Geb. EUR 115,00. ISBN 978-3-451-23628-0; Bd. 7: Der betende Christ. Geistliche Schriften und Studien zur Praxis des Glaubens. Bearb. v. A. R. Batlogg. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2013. XLIV, 532 S. Geb. EUR 80,00. ISBN 978-3-451-23707-2; Bd. 8: Der Mensch in der Schöpfung. Bearb. v. K.-H. Neufeld. Düsseldorf: Benziger; Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 1998. XXVI, 548 S. Geb. EUR 85,00. ISBN 3-545-22121-0 (Benziger); 978-3-451-23702-7 (Herder); Bd. 9: Maria, Mutter des Herrn. Mariologische Studien. Bearb. v. R. P. Meyer. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2004. LVI, 788 S. Geb. EUR 125,00. ISBN 978-3-451-23709-6; Bd. 10: Kirche in den Herausforderungen der Zeit. Studien zur Ekklesiologie und zur kirchlichen Existenz. Bearb. v. J. Heislbetz u. A. Raffelt. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2003. XXV, 741 S. Geb. EUR 120,00. ISBN 978-3-451-23710-2; Bd. 11: Mensch und Sünde. Schriften zur Geschichte und Theologie der Buße. Bearb. v. D. Sattler. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2005. XXII, 626 S. Geb. EUR 95,00. ISBN 978-3-451-23711-9; Bd. 12: Menschsein und Menschwerdung Gottes. Studien zur Grundlegung der Dogmatik, zur Christologie, Theologischen Anthropologie und Eschatologie. Bearb. v. H. Vorgrimler. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2005. XXII, 615 S. Geb. EUR 95,00. ISBN 978-3-451-23712-6; Bd. 13: Ignatianischer Geist. Schriften zu den Exerzitien und zur Spiritualität des Ordensgründers. Bearb. v. A. R. Batlogg, J. Herzgsell u. S. Kiechle. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2006. XXXIV, 682 S. Geb. EUR 100,00. ISBN 978-3-451-23713-3; Bd. 14: Christliches Leben. Aufsätze – Betrachtungen – Predigten. Bearb. v. H. Vorgrimler. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2006. XVIII, 382 S. Geb. EUR 85,00. ISBN 978-3-451-23714-0; Bd. 15: Verantwortung der Theologie. Im Dialog mit Naturwissenschaften und Gesellschaftstheorie. Bearb. v. H.-D. Mutschler. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2002. XIX, 780 S. Geb. EUR 95,00. ISBN 978-3-451-23715-7; Bd. 16: Kirchliche Erneuerung. Studien zur Pastoraltheologie und Struktur der Kirche. Bearb. v. A. Raffelt. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2005. XXIV, 580 S. Geb. EUR 95,00. ISBN 978-3-451-23716-4; Bd. 17: Enzyklopädische Theologie. Die Lexikonbeiträge der Jahre 1956–1973. 2 Teilbde. Bearb. v. H. Vorgrimler. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2002. 1. Teilbd.: 873 S. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-451-23717-1; 2. Teilbd.: 7 S. u. S. 874–1474. Geb. EUR 95,00. ISBN 978-3-451-23733-1; Bd. 18: Leiblichkeit der Gnade. Schriften zur Sakramentenlehre. Bearb. v. W. Knoch u. T. Trappe. Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder 2003. XXIX, 825 S. Geb. EUR 115,00. ISBN 978-3-451-23718-8. 1) Vgl. B. Schwahn, Der Ökumenische Arbeitskreis evangelischer und katholischer Theologen von 1946 bis 1975, Göttingen 1996, 146 ff. 2) W. Pannenberg, Befreiung zur Unbefangenheit des Denkens. Eine evangelische Laudatio, in: Entschluß 39/3 (1984), 28–31, hier: 28. Die nachfolgenden Seitenverweise im Text beziehen sich hierauf. 3) H. Wagner, Art. Rahner, Karl (1904–1984), in: TRE 28, 111–117, hier: 111.4) R. Bleistein, Einleitung: Entstehung und Entwicklung der »Schriften zur Theologie«, in: Rahner-Register. Ein Schlüssel zu Karl Rahners »Schriften zur Theologie I–X« und zu seinen Lexikonartikeln, Zürich u. a. 1974, 13–23, hier: 22. 5) K. H. Neufeld, Beobachtungen im Umgang mit Karl Rahners »Schriften zur Theologie«, in: a. a. O., 177–200, hier: 178. 6) A. a. O., 179. 7) K. Rahner, Schriften zur Theologie. Bd. XI: Frühe Bußgeschichte in Einzeluntersuchungen, Zürich u. a. 1973, 11 f. »Es handelt sich in diesem Buch um bußgeschichtliche Aufsätze. Arbeiten systematischer Art zur Theologie des Buß- sakramentes wurden hier nicht aufgenommen, zumal ein guter Teil davon schon in den vorangehenden Bänden der Schriften zur Theologie veröffentlicht wurde.« 8) A. a. O., 12. 9) H. Vorgrimler, Theologie ist Biographie. Erinnerungen und Notizen, Münster 2006, etwa 140, wo es heißt: Michael Schmaus, Münchener Dogmatikpapst, »machte uns gravierende Schwierigkeiten, die den Fortgang des Lexikons in Frage stellten und drohte unverhohlen mit Eingriffen des römischen ›Heiligen Offiziums‹, der Nachfolgebehörde der Inquisition. Über diese Schwierigkeiten habe ich in dem erwähnten Band 17/1 der ›Sämtlichen Werke‹ Rahners, mit der Wiedergabe des Briefwechsels, berichtet.« (Vgl. SW 17/1, 44 ff.) Die kleine Dogmatik, die Rahner zusammen mit Vorgrimler plante, sollte, wie er meinte, »nicht für Schmäuse, sondern für Menschen« (SW 17/1, 67) geschrieben werden. Zur Lehrtätigkeit Rahners in Innsbruck vgl. H. Vorgrimler, a. a. O., 112 ff. 10) K. Schatz, Geschichte der deutschen Jesuiten (1814–1983). Bd. 1: 1814–1872, Bd. 2: 1872–1917, Bd. 3: 1917–1945, Bd. 4: 1945–1983, Bd. 5: Glossar, Biogramme, Gesamtregister, Münster 2013. 11) W. Werner/M. Seckler, Rez. Karl Rahner, Sämtliche Werke. Hrsg. v. der Karl-Rahner-Stiftung unter der Leitung von Karl Lehmann, Johann Baptist Metz, Karl-Heinz Neufeld, Albert Raffelt und Herbert Vorgrimler. Bd. 4: Hörer des Wortes. Schriften zur Religionsphilosophie und zur Grundlegung der Theologie. Bearbeitet von Albert Raffelt, Düsseldorf/Freiburg 1997, in: ThQ 178 (1998), 247–250, hier: 250. Vgl. ferner: ThQ 180 (2000), 315–317. 12) A. Raffelt, Was will die Karl-Rahner-Gesamtausgabe?, in: ZKTh 121 (1999), 413–430. Die nachfolgenden Seitenverweise im Text beziehen sich hierauf. 13) W. Werner/M. Seckler, a. a. O., 249. 14) W. Pannenberg, Zum Gedenken an Karl Rahner, in: US 39 (1984), 171 f., hier: 171. 15) Ebd.