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Ausgabe:

Juli/August/2015

Spalte:

840–843

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Dingel, Irene [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. VIII, 1712 S. m. 25 Abb. GLw. EUR 69,99. ISBN 978-3-525-52104-5.

Rezensent:

Gunther Wenz

Neben dem angegebenen Titel in dieser Rezension besprochen:

Dingel, Irene [Hrsg.]: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien. Bd. 1: Von den altkirchlichen Symbolen bis zu den Katechismen Martin Luthers. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. X, 969 S. m. 4 Abb. Lw. EUR 89,99. ISBN 978-3-525-52105-2.
Dingel, Irene [Hrsg.]: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien. Bd. 2: Die Konkordienformel. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014. VI, 643 S. Lw. EUR 89,99. ISBN 978-3-525-52102-1.


Am Abend des 8. Dezember 2014 wurde in der Augsburger St. Anna-Kirche im Rahmen eines Festakts die Neuedition der Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche samt zweier Quellen- und Materialbände präsentiert. Sie soll die im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930 erschienene und insgesamt 13 Mal neu aufgelegte sogenannte Jubiläumsausgabe ersetzen. Wurde diese in der Regel mit dem Kürzel BSLK versehen, so wird die Neuausgabe künftig offiziell mit BSELK abgekürzt werden, um mit dem lutherischen zugleich den evangelischen Charakter der Bekenntnissammlung des Konkordienbuchs zu unterstreichen. Tatsächlich hat insbesondere die Confessio Augustana im Verein mit den altkirchlichen Symbolen allen Anspruch darauf, als ge­meinevangelisch anerkannt zu werden. Von daher traf es sich gut, dass bei der feierlichen Präsentation der BSELK die Kantate »Sey tausendmal willkommen, o auserwählter Tag« zur Aufführung kam, die Georg Philipp Telemann anlässlich der 200-Jahr-Feier der Augustana komponiert hatte: »Welch wahrer Evangelscher Christe lebt wohl, / der das nicht wüsste, / was heut, vor zwo Zeiten Frist, / der Kirche für ein Heyl begegnet ist?« Trotz dichterischer Mängel verdienen Telemanns Rezitative und Arien nicht erst 2030, sondern schon 2017 erneut zu Gehör gebracht und mit gesamtevangelischem Beifall quittiert zu werden.
Ungeteilter evangelischer Beifall gebührt nicht nur der Confessio Augustana als dem Zentralbekenntnis der Reformation, sondern auch der in Augsburg präsentierten Neuausgabe der gesammelten Bekenntnisschriften des zum 50. Jahrestag der Übergabe der Augustana 1580 publizierten Konkordienbuches. Passenderweise beschloss der Kieler Kirchengeschichtler und Präsident der Luther-Gesellschaft, Johannes Schilling, seinen Festvortrag zum Thema »Credo – Confessio – Ecclesia« mit einer Reminiszenz an den am 8.12.1649 verstorbenen Dichter Martin Rinckart und sein Lied: »Nun danket alle Gott« (EG 321). Wollte man die Quintessenz der Einführungsworte von Irene Dingel, Professorin für Kirchen- und Dogmengeschichte in Mainz, Direktorin des dortigen Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte und Herausgeberin der BSELK und ihrer Begleitbände, ebenfalls hymnisch zusammenfassen, böte sich der von Heinrich Schütz vertonte Ernst Moritz Arndt-Choral an: »Ich weiß, woran ich glaube« (EG 357). Bekenntnisse, so Dingel, geben Antwort auf die Frage, an wen, woran und was man glaubt. Ihre Kenntnis gehöre daher unverzichtbar zum Glaubenswissen. Schilling sekundierte auf seine Weise: Man müsse die Sprachschule der reformatorischen Bekenntnisse durchlaufen, um zu einer konsensorientierten Identifikation evangelischen Glaubens und im Zusammenhang damit zu klarer Einsicht in das Gemeinchristliche zu gelangen. Hierzu durch Bereitstellung der Originaltexte und der nötigen geschichtlichen Informationen beizutragen, sei Hauptzweck und wesentliches Ziel der Neuedition der Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche.
Der Titel »Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche« für die im Konkordienbuch vereinten Texte geht auf die Jubiläumsausgabe von 1930 zurück. Das bevorstehende Säkularjahr der Reformation hatte den Deutschen Evangelischen Kirchenausschuss veranlasst, in seiner Sitzung vom 15./16. März 1928 die Veranstaltung einer Neuausgabe der evangelischen Bekenntnisschriften, und zwar zunächst derjenigen der Evangelisch-Lutherischen Kirche, zu beschließen, welche sowohl editionswissenschaftlichen Ansprüchen als auch den Bedürfnissen des theologischen Studiums dienen sollte. Die zu diesem Zweck berufene Gelehrtenkommission bestand aus namhaften akademischen Theologen: Der Harnacknachfolger und Leiter der Kirchenväterkommission der Berliner Akademie der Wissenschaften Hans Lietzmann redigierte die Gesamtausgabe und bearbeitete die altkirchlichen Symbole, der Heidelberger Reformationshistoriker Heinrich Bornkamm die Confessio Augustana und ihre Apologie, der Lutherexperte Hans Volz die Katechismen und Schmalkaldischen Artikel sowie Melanchthons Tractatus de potestate et primatu papae und Ernst Wolf, späterer Professor in Bonn, Halle und Göttingen, die Konkordienformel. Als Sonderberater wurde Paul Althaus hinzugezogen. Nachdem die zum 400-jährigen Augustanajubiläum be­sorgte kritische Ausgabe des Konkordienbuchs als des wichtigsten Corpus doctrinae des Luthertums seit Ende des Zweiten Weltkriegs vergriffen war, wurde vom Rat der Evangelischen Kirche unter dem Vorsitz des Berliner Bischofs Otto Dibelius und in der Nachfolge des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses nach erfolgten Korrekturen und Verbesserungen ein Neudruck initiiert. Dieser erschien seither in einer Reihe von Auflagen beim Göttinger Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, bei dem die Verlagsrechte liegen.
Die im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession 1930 edierte Ausgabe wird nicht mehr nachgedruckt, sondern durch die Neuedition ersetzt werden. Die inhaltliche Normierung durch das Konkordienbuch von 1580 bleibt selbstverständlich erhalten. Unterschiede ergeben sich allerdings in Bezug auf die Frage, welche Fassung der jeweiligen Texte dargeboten werden soll. Die alte Ausgabe hatte versucht, möglichst die erste Textform zu edieren oder für den Fall, dass diese nicht mehr vorhanden war, die Ursprungsgestalt mit Mitteln aktueller Wissenschaft zu rekonstruieren. Von diesem Verfahren rückt die Neuausgabe ab: Sie verzichtet auf Nachbildung verschollener Originale und bietet die Bestandteile des Konkordienbuchs entweder in der Textform der Editio princeps, also des ersten der Öffentlichkeit unterbreiteten Drucks, oder in Gestalt eines Textus receptus, der nicht nur von Einzelnen rezipiert, sondern breit aufgenommen wurde. Für die Confessio Augustana beispielsweise wird in der Konsequenz dieses Editionsgrundsatzes der erste verfügbare Druck von 1531 zugrunde gelegt, wohingegen die alte Ausgabe Re­konstruktionsversuche in Bezug auf die vor Karl V. verlesene, aber nicht erhaltene Urfassung unternommen hatte.
Wie immer man über die Vor- und Nachteile der Editionsprinzipien der Alt- und Neuausgabe urteilen will: Unbestreitbar ist die erhebliche Anreicherung von Wissensbeständen, die in Bezug auf Genese und Wirkungsgeschichte der einzelnen Bekenntnistexte erreicht werden konnten; dies wird durch die beigegebenen Apparate zu sprachlich und sachlich relevanten Textvarianten, zur Wirkungsgeschichte sowie zu historischen und sonstigen Zusammenhängen, die von Bedeutung sind, und insbesondere durch die beiden Quellen- und Materialbände auf eindrucksvolle Weise belegt. Der erste Quellen- und Materialband reicht von den altkirchlichen Symbolen bis zu den Katechismen Martin Luthers, der zweite ist auf die Formula Concordiae von 1577 konzentriert, deren Vorstufen erstmals umfassend dokumentiert werden. Geboten werden die Fünf Artikel Jakob Andreaes von 1568/69, seine sechs Predigten von 1573 im Rahmen eines zweiten Konkordienvorstoßes, die Schwäbische Konkordie 1573/74, die Schwäbisch-Sächsische Konkordie 1575, die Maulbronner Formel 1576 und das Torgische Buch, ebenfalls 1576. Beigegeben sind ferner die Vorreden zu Konkordienformel und Konkordienbuch in ihren Vorstufen 1578–1580. Dadurch und durch die mitgelieferten Einleitungskommentare gewinnt man einen lebendigen Eindruck vom intensiven Ringen um die Beilegung von Lehrstreitigkeiten innerhalb des Lagers der Landesherren, Fürsten und Städte, die sich der Reformation Martin Luthers angeschlossen hatten. Dieses Ringen gestaltete sich zuweilen zäh, stellte aber fast durchweg ein redliches Bemühen um integrative Konsensbildung unter Beweis.
Erstellt wurde der der FC gewidmete Quellen- und Materialband von Irene Dingel in Zusammenarbeit mit Hans-Christian Brandy und Marion Bechtold Mayer, die neben Johannes Hund auch an der Bearbeitung des Catalogus Testimoniorum beteiligt war, der dem Konkordienbuch als Appendix zur Verteidigung der lutherischen Christologie beigefügt wurde. Eine größere Zahl von Forschern und Gelehrten war am vorhergehenden Band beteiligt. Die Texte und Kontexte der altkirchlichen Symbole wurden von Adolf Martin Ritter, diejenigen der Confessio Augustana von Volker Leppin, ihrer Apologie von Christian Peters und Rafael Kuhnert unter Mitwirkung von Bastian Basse, der Schmalkaldischen Artikel von Klaus Breuer und Hans-Otto Schneider und der Katechismen Luthers von Robert Kolb und Johannes Schilling bearbeitet. Erhebliche Forschungsfortschritte konnten erzielt werden, etwa im Hinblick auf die Apologie der Confessio Augustana. Was das Augsburgische Bekenntnis selbst betrifft, so werden von ihren Quellen und Überarbeitungen folgende einleitend vorgestellt und textlich ganz oder in Auszügen präsentiert: die Schwabacher und die Marburger Artikel, die deutsche Übersetzung der lateinischen Fassung von Ende Mai/Anfang Juni 1530 (Na), der Entwurf der Vorrede Juni 1530 (Wa), die Abschrift Spalatins (Wie 1), die Brandenburg-Ansbachische Lehrfassung (Nü 1), der Entwurf der Vorrede und des Schlusses Juni 1530 (Ja), ein Exemplar aus dem Besitz der Markgrafschaft Brandenburg-Ansbach (Nü 2) sowie die Confessio Augustana variata prima 1533, secunda 1540 und tertia 1542.
Dank großzügiger Zuwendungen von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland sind die BSELK samt den beiden Quellen- und Materialbänden vergleichsweise preisgünstig zu erwerben. Ob sie, wie die BSLK, 13 Auflagen erreichen werden, bleibt abzuwarten. Eine englische Ausgabe soll demnächst in Angriff genommen werden, wie Jörg Persch als Vertreter des Verlags in einem Grußwort beim Augsburger Festakt ankündigte. Dies wäre ein weiterer Beitrag zur Erfüllung der Weisung, die Telemann in einer Arie seiner Konfessionskantate ausgegeben hat: »Entflammt, geweihte Jubelkerzen, / flammt himmelan, / flammt aus dem Herzen, / zeigt aller Welt den Widerschein.«