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Ausgabe:

Juli/August/1999

Spalte:

809 f

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Nacke, Bernhard [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Sozialwort der Kirchen in der Diskussion: Argumente aus Parteien, Verbänden und Wissenschaft.

Verlag:

Würzburg: Echter 1997. 458 S. 8. Kart. DM 49,-. ISBN 3-429-01965-6.

Rezensent:

Martin Honecker

Der Sammelband enthält - nach einer Einführung des Herausgebers Bernhard Nacke (15-44) - 32 Stellungnahmen zum Sozialwort der Kirchen. Der Band ist gegliedert in 5 Teile:

1. "Stellungnahmen aus Parteien und Bundesländern" (Heiner Geißler/CDU; Edmund Stoiber/CSU; Wolfgang Thierse/ SPD; Kurt Beck/SPD; Günter Rexrodt/FDP; Michaele Hustedt/Ali Schmidt/Bündnis 90/Die Grünen).

2. "Stellungnahmen von Gewerkschaften und Arbeitgebern" (Dieter Hundt und Olaf Henkel für die Arbeitgeber, Klaus Zwickel und Regina Görner für die Gewerkschaften).

3. "Stellungnahmen aus katholischen Organisationen" (Michael Hanke zur Zukunft des Sozialsystems; Werner Then/ BKU zur Eigenverantwortung in der Wirtschaft; Mechthild Hartmann/Michael Schäfers/Dieter Zimmermann zur Sicht des KAB; Rolf Schumacher aus der Sicht des Zentralkomitees der deutschen Katholiken zur Grundwertedebatte; Bernhard Jans, zur Familienpolitik aus der Sicht des Familienbundes der deutschen Katholiken; Gertrud Casel für die Katholische Frauengemeinschaft zur Frauenpolitik; Helmut Puschmann für die Caritas zur Armutsbekämpfung).

4. "Christentum und Gesellschaft" (Beiträge von Bischof Josef Homeyer, Hermann-Josef Arentz, Josef Senft, Bernhard Sutor, André Habisch, Ilona Riedel-Spangenberger, Wolfgang Gernert, Jürgen Zerche, Gerhard Kriep).

5. "Kirche konkret". Weihbischof Reinhard Marx eröffnet den letzten Teil mit einem Rückblick auf den Konsultationsprozess. Impulse für den Religionsunterricht (Herbert Hoffmann), für die Sozialverkündigung in der Erwachsenenbildung (Ernst Leuninger), für die Arbeiterbildung (Karl-Heinz Schmidt/Heribert Zingel) und für die Arbeit in den Kirchengemeinden (Stefan Knobloch) folgen. Den Abschluß bildet ein Beitrag zur Überwindung der Alternative zwischen östlichem Kollektivismus und westlichem Individualismus von Bischof Joachim Reinelt, "Ökonomie in Konsequenz eines trinitarischen Menschenbildes", mit der Betonung des Ich im Wir, der Person in der Gemeinschaft. Während die ersten drei Teile das Kirchenwort auf die Nähe zur eigenen sozial- und wirtschaftspolitischen Position hin befragen und abklopfen und je nach Standpunkt Kritik üben - vor allem an den konkreten Vorschlägen des Sozialwortes - bemüht sich der 5. Teil um die Rezeption und Umsetzung in der katholischen Kirche in Deutschland. Interessant ist vor allem der 4. Teil.

Dieser Teil weist über die Dokumentation von Standpunkten hinaus und vermittelt nicht nur ein Meinungsbild gesellschaftlicher Diskussion und den Überblick von Stellungnahmen zum Sozialwort. Er enthält darüber hinaus grundlegende Ausführungen zum Selbstverständnis und zur Aufgabenstellung katholischer Soziallehre: Es geht im Sozialwort um elementare Vergewisserung (Josef Homeyer); gefragt ist ein neuer ethischer Grundkonsens in der Gesellschaft (H. J. Arentz). Subsidiarität fordert einen gesellschafts- und sozialpolitischen Ansatz "von unten" (J. Senft). Bemerkenswert sind besonders die politisch-ethischen Überlegungen von B. Sutor "Zwischen Konflikt und Konsens" (303-316), welche die Konfliktpotentiale in Kap. 5 aufdecken (Einkommensverteilung, Arbeitsmarkt, demographische Entwicklung) und A. Habisch’s Beitrag "Das ,Gemeinsame Wort’ als Dokument christlicher Wirtschaftsethik" (317-332). Habisch lokalisiert das Wirtschaftswort zwischen einer traditionell antiliberalistischen Wirtschaftsethik des Katholizismus und einer religionsfernen Wirtschaftstheorie, d. h. das Wort will die Spaltung der Wirtschaftsethik zwischen weltfremden Moralisierern und ethikfernen Pragmatikern überwinden (328). Ilona Riedel-Spangenberger stellt den sozialpolitischen Auftrag in den Rahmen des deutschen Staatskirchenrechts. W. Gernert stellt Überlegungen zum Umbau der Sozialverwaltung an. Jürgen Zerche zieht Folgerungen für die im Wort selbst nicht eigens thematisierten gesundheitspolitischen Implikationen. Gerhard Kriep bedenkt die Herausforderungen der Globalisierung.

Bei 32 verschiedenen Beiträgen ist die Qualität naturgemäß unterschiedlich. Insgesamt enthält der Sammelband einen instruktiven Querschnitt durch den Diskussionsstand im Jahr 1997, unmittelbar nach der Veröffentlichung des Sozialworts und vor der Bundestagswahl 1998. Das Buch stellt katholische Voten zusammen und focussiert diese auf die Bedeutung katholischer Soziallehre. Das Sozialwort wird dabei als innovatorischer Impuls der Soziallehre verstanden und aufgenommen. Für die evangelische Seite gibt es m. W. keine vergleichbare Zusammenstellung. Der Versuch, in Berlin Anfang März 1998 unter dem Leitwort "Ökonomie als gemeinsames Schicksal" den Evangelisch-Sozialen Kongreß wiederzubeleben, blieb bescheiden und litt unter protestantischer Larmoyanz. Um so interessanter und wichtiger wäre es, die Möglichkeiten einer gemeinchristlichen, ökumenischen Sozialethik auszuloten und Gemeinsamkeiten wie Differenzen zwischen katholischer Soziallehre und evangelischer Sozialethik zu reflektieren. Anregungen und Diskussionsanstösse dazu bietet der beachtenswerte Reader. Er will das Gemeinsame Wort der Kirchen nicht als bloßen Appell an die Entscheidungsträger in Staat und Gesellschaft (15) verhallen lassen, sondern gibt Impulse für theoretische Überlegungen. Anspruchsvoll ist insbesondere das Vorhaben, mit diesem Band "Perspektiven für das 21. Jahrhundert" (so der Untertitel der Reihe "Christentum und Gesellschaft") anzusteuern.